Victoria 2 - Test, Taktik & Strategie, PC

Victoria 2
13.08.2010, Bodo Naser

Test: Victoria 2

Die britische Königin Victoria war Namenspatronin einer ganzen Epoche des 19. Jahrhunderts. Im gleichnamigen Spiel von Paradox kann man aber nicht nur ihre Heimat regieren, sondern auch viele andere zeitgenössische Staaten von Mexiko über Frankreich bis China. Die Bandbreite ist verheißungsvoll: Man darf eine Eisenbahn durch Amerika bauen, aus Bayern eine Großmacht machen oder Deutschland vereinigen. Macht das auch Spaß?

Das 19. Jahrhundert war geprägt von Fabrikarbeit, sozialem 

Reformen sind das a und o im Spiel, um einen modernen Staat zu schaffen. Nur welche will, kann und muss man zulassen? 
Aufbruch und aufkeimendem Nationalstolz, den man auch in die Welt hinaustrug, um sich fremde Länder als Kolonien untertan zu machen. Manche Nationen hatten schon ein einheitliches Gebiet wie die Kolonialmächte England oder Frankreich, andere mussten sich erst noch vereinigen wie Deutschland oder Italien. Es war aber nicht nur die Zeit der Industrialisierung, sondern auch die Zeit der großen Erfindungen - es wurden mehr bahnbrechende Entdeckungen gemacht als in all den Jahrhunderten zuvor: Eisenbahn, Maschinengewehr oder Verbrennungsmotor sind nur einige wenige Fortschritte, die der technikgläubigen Zeit ihren Stempel aufdrückten.

Aufbruch in die Moderne

Doch Technik war nicht alles, denn es brodelte auch in der Gesellschaft. Nach dem Ende Napoleons waren die Werte der französischen Revolution nicht mehr aus der Welt zu schaffen, auch wenn die Fürsten nach dem Wiener Kongress glaubten, das Rad der Geschichte zurückdrehen zu können. Doch der Freiheitswille ließ sich nicht dauerhaft unterdrücken und brach sich in nationalen Bewegungen, liberalen Vereinen und lokalen Umstürzen Bahn. 1848/49 kam es sogar im obrigkeitshörigen Deutschland zur Revolution, die jedoch nicht zur Einheit führte, die Bismarck erst 1871 schmiedete. Am Ende des 19. Jahrhunderts gab es Parteien wie Sozialisten, Konservative oder Liberale, die immer selbstbewusster für ihre Rechte eintraten. Leider gab es auch übersteigerten Nationalismus, der nicht selten im Krieg mündete.

In Victoria 2 (ab 17,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) kann man Großmächte, Mittelmächte und einfache Länder spielen. Die sechs Großmächte England, Frankreich,

Die Länder sind nicht nur unterschiedlich groß, man kann sie auch alle spielen. Interessant sind sie, weil sie eigene Ziele haben.    
Spanien, Preußen, Österreich, Russland und Osmanisches Reich geben den Ton an, haben die bekannte Welt unter sich aufgeteilt und Einflusssphären gesichert. So befindet sich etwa Württemberg im Einflussbereich von Österreich, während Hamburg zu Preußen gehört, obwohl alle souveräne Staaten bleiben. Großmächte können versuchen, die Länder in ihrer Zone auf ihre Seite zu ziehen, so dass sie irgendwann nicht mehr dem Gegner gewogen sind. Eine Mittelmacht wie Belgien kann das nicht, obwohl sie auch Kriege führen, handeln und Verträge schließen kann. Darüber hinaus gibt es Nationen, die zur neuen Großmacht aufsteigen können, wie Italien, wenn sie erst mal geeint sind.

Große und kleine Fische

Anders als bei Europa Universalis 3 unterscheiden sich die Völker spürbar, denn sie verfolgen auf ihre Länder abgestimmte Ziele. Auch wenn es so nicht ausdrücklich gesagt wird, muss Preußen den Norddeutschen Bund schmieden, um neues Territorium zu bekommen, während die USA ihre Sklavenfrage klären sollte, die für Unruhe in dem jungen Staat sorgt. Die Engländer müssen "einfach" ihr Kolonialreich vergrößern, während Frankreich mit dem Erbe Napoleons hadert. Soll es ein Königreich bleiben oder lieber eine Republik werden? Oft sind es Ereignisse wie ein Pamphlet eines liberalen Schriftstellers, bei dem richtungsweisende Entscheidungen gefragt sind, wie man sie von Hearts of Iron 2 kennt. Leider übertreiben es die Macher, denn der Zufall wiederholt sich, so dass es irgendwann auch den engagiertesten Herrscher nervt. Zudem sind gerade hier Platzhalter zu finden, was etwas unfertig wirkt.

So unterschiedlich die Ziele, so sind auch die Wege dahin, denn jede Nation muss ihren eigenen gehen. Die USA erweitern

Preußen legt nur an Prestige zu, wenn der kleinstaatliche Flickenteppich verschwindet. Egal mit welchen Mitteln. 
ihr Land einfach durch Kolonisierung des Westens, während Preußen auf seine schlagkräftige Armee setzt, um seine Nachbarn gefügig zu machen. Frankreich hingegen setzt eher auf kulturelle Entwicklung, um mehr Einfluss zu bekommen. Das Ansehen in der Welt ist dabei der Dreh- und Angelpunkt: Diejenige Nation, die beim Prestige ganz vorne steht, hat gewonnen. Jeder Fortschritt, jede Eroberung oder kluger Künstler bringt Prestige. Daher ist es nicht ganz fair, dass ausgerechnet hier immer wieder Zufallsereignisse reinspielen. So bringt der Bau des Arc de Triomphe einen Prestigezuwachs in Punkten, für den man gar nichts kann.

Sucht nach Ruhm

Leider sind die Ziele vom Schwierigkeitsgrad her schwankend: So ist eine Reform des Bildungswesens schnell gemacht, da man einfach nur zustimmen muss. Ein Ansporn des Kampfgeistes der Bevölkerung ist vergleichsweise simpel machbar, da man nur die Romantik erforschen muss, was zwei Jahre dauert. Um den Norddeutschen Bund zu bekommen, muss man aber schon ganz Norddeutschland auf seine Seite bringen. Da man die Schwierigkeit nicht einstellen kann, hängt die Spielbalance sehr davon ab, welches Land man anführt. Wer sich für Piemont-Sardinien entscheidet, muss Mailand erobern, was angesichts der mächtigen österreichischen Armee nahezu aussichtslos scheint. Kann vielleicht Frankreich als Verbündeter helfen oder soll man zuerst den Rest des italienischen Stiefels erobern, bevor man den Kaiser rausfordert?

Spielbar ist im Gegensatz zum kürzeren, bereits nach dem 

Gehört Mozart nicht noch ins 18. Jahrhundert? Egal, auf jeden Fall wird dem Genie auf einem Fest gehuldigt.
Ersten Weltkrieg endenden Vorgänger die Zeit von 1836-1935. Da bleibt also theoretisch genug Spielraum, um etwas zu erreichen. Vorausgesetzt man hat das richtige Land, kann man auch viel bewegen. Als Engländer, Portugiese oder Franzose hat man genug mit seinen Kolonien zu tun, als US-Präsident muss man allerdings auf den Bürgerkrieg warten - bis dahin tut sich sehr wenig. Es gibt leider nur einen Startpunkt der Kampagne, der immer 1836 ist. So gehen bisweilen Jahrzehnte ins Land, bis die nächste Aufgabe kommt, was sich auch nicht wesentlich beschleunigen lässt. Die Südstaaten spalten sich erst 1861 ab, was auch im Spiel bis auf ein paar Jahre hin und her eingehalten wird.

Dehnbare Epoche

Mit Glück kommt ein Deutsch-Französischer Krieg auch mal Jahre früher, was auch davon abhängt, wie man verhandelt. Leider entgehen einem interessante Länder, weil es bei der Kampagnenwahl keinen Hinweis gibt. Woher soll man wissen, das Japan langweilig ist, Piemont ganz nett und das marode Portugal eine Herausforderung? Scheinbar muss man Geschichte studiert haben, um alle Konflikte des 19. Jahrhunderts zu kennen. Statt hilfreicher Beschreibungen gibt's nur eine dünne Erklärung der nachrevolutionären Epoche. Positiv ist allerdings, dass Paradox wieder alle innen- und außenpolitischen Auseinandersetzungen einfließen ließ. Hier wurde gut recherchiert, wie man das von dem schwedischen Team gewöhnt ist.

Der komplexe Inhalt selbst erinnert sofort an Europa Universalis 3, auf dessen Engine das Spiel basiert. Als Monarch kann

Inhaltlich gibt es das zu tun, was es seit jeher bei Europa Universalis und Co. zu tun gibt. Vic macht da keine Ausnahme. 
die Bereiche Produktion, Forschung, Finanzen, Politik, Handel, Bevölkerung, Diplomatie und Militär beeinflussen, wobei anders als bei Hearts of Iron 3 dieses Mal Spionage fehlt. Allerdings sind die Schwerpunkte eindeutig auf Fabriken, Forschung und Politik. Immerhin kann man hier noch am meisten bewegen, wie auch das superausführliche Tutorial zeigt. Der Bereich Finanzen etwa wird da bereits erschöpfend abgehandelt, denn man muss einfach nur die paar Regler so hinfummeln, dass unten ein grünes Plus rauskommt. Die Balance von Steuereinnahmen und Ausgaben ist zu vernachlässigen, da es keinen Aufstand gibt, wenn man den Reichen zu viel abknöpft, die Armen nichts zu beißen haben oder die Bildung vernachlässigt. Auch andere Bereiche wie der Handel sind eher Beiwerk, das man der KI überlässt, da sie das zufriedenstellend managt.

Viel zu tun?

So sieht das Spiel zwar hyperkomplex aus, aber durch die Automatisierung vieler Bereiche wird es leichter spielbar. Leider geht dabei aber der Durchblick verloren, da es sich einem oft gar nicht erschließt, warum etwas nun so funktioniert oder warum nicht. Zudem wiederholt sich manches auf lange Sicht, wie etwa die Wahlen mit den vorherigen Frageduellen zu Politikthemen, die zu Beginn noch überraschend kommen. Trotzdem wird's mit steigender Dauer unübersichtlicher, auch weil immer neue Provinzen und Weltanschauungen hinzukommen. Alles wird größer und hektischer, auch wenn man jederzeit pausieren kann. Wem das alles zu viel ist, der kann immerhin beim Multiplayer über Internet oder LAN Teile seines Reiches Mitspielern überlassen.

Ein Bereich, den man ganz sicher braucht, ist die Forschung: 

Es gibt viele verschiedene Fortschritte zu erforschen, die durchaus der Zeit entsprechen. Die Eisenbahn sollte dabei keineswegs vergessen werden.  
Die Schlüsseltechnik ist hier die Eisenbahn, die man als Erstes erforschen sollte, wenn man sie nicht schon hat. Sie löst einen wahren Investitionsschub im Land aus, der Geld in die oft gebeutelte Kasse spült. Die Wirtschaft wächst, es wird mehr produziert und die Armee besser versorgt. Gerade für kleine Länder kann die Eisenbahn der Weg in die Zukunft sein, der sie aus der Armut rettet. Für große Staaten, die schon weiter sind, ist sie das Mittel, um ihre Kolonien auszubeuten. Während sich ein Land wie Mexiko freut, wenn es überhaupt eine Bahn hat, erforschen andere schon ein verbessertes Stahlross. Um einen Schienenstrang zu bauen, braucht man Geld, Baustoffe und ein Gebiet dafür.

Wege aus Stahl

Dagegen fallen die anderen Erfindungen ab, auch wenn es nützliche Dinge wie bessere Minen, exaktere Gewehre oder die Börse sind, die sich in Bereiche wie Armee, Flotte oder Produktion aufspalten. Freilich gibt es auch weniger praktische Dinge wie den Rationalismus, die nicht auf den ersten Blick erkennen lassen, wozu sie dienen. Da bei Victoria 2 aber auch Faktoren wie Unruhe, Zufriedenheit oder Militanz eine Rolle spielen, wird klar, warum die geistigen Fortschritte ihre Berechtigung haben, da sich so ein Volk je nach Wunsch aufhetzen oder beruhigen lässt. So birgt die heute so harmlos klingende Romantik Sprengstoff, da sie die Deutschen auf Linie bringt. Eine neue Staatsform kann man nicht erforschen, da sie sich im der Lauf der Zeit von selbst reformiert und nicht wie bei Civilization gewechselt wird

Die Ökonomie ist in Produktion und Handel aufgeteilt. Bei den verschiedenen Fabriken fällt auf, dass man sie nicht immer

Was realistisch sein soll, nämlich dass man Fabriken nur bei entsprechender Regierung bauen darf, ärgert einen oft. Denn die Finanziers bringen es nicht besser hin.
selbst bauen kann, sondern dass sie von Investoren gebaut werden, was dem kapitalistischen Modell entspricht. Hat man eine staatliche kontrollierte Wirtschaft, kann man selbst Projekte anleiern, wozu man aber das Geld und Baustoffe braucht. Immerhin dürfen Marktwirtschaftler ihre Fabriken ausbauen, subventionieren oder schließen, wenn sie unrentabel sind. Bei Tuchen etwa kann das vorkommen, wenn die Konkurrenz zu groß ist. Produziert werden Dinge wie Möbel, Dosenfutter oder Stahl. Daher sollte man öfters im Produktionsmenü vorbeischauen, auch wenn es normalerweise ohne Eingriffe geht.

Automaten-Wirtschaft

Spielerisch bringt der Handel wenig, denn es läuft weitgehend von allein. Das hat den Vorteil, dass man sich nicht dauernd um Rohstoffe, Zwischenprodukte oder Fertigwaren kümmern muss. Andererseits hat man auch hier nicht immer den Eindruck, alles im Griff zu haben. Eigentlich lohnt es sich nur etwas zu kaufen, wenn mal ein Rohstoff für eine Fabrik oder einen Bau fehlt. Sonst sorgt Kollege Computer für Ex- und Importe, was er zufriedenstellend macht. Immerhin steht oben, welche Sachen man hauptsächlich handelt, was in etwa mit der Realität überstimmt. Die USA exportieren Kohle, das Osmanische Reich Früchte, während Frankreich teure Möbel versetzt. Aus dem Handel hätte Paradox mehr rausholen können, da man auch nicht wie bei Empire: Total War Handelswege beschützen muss.

Für ein komplexes Strategiespiel bietet Victoria 2 nur recht eingeschränkte militärische Möglichkeiten, die doch sehr an

Derart lapidar wird einem das Ergebnis einer Schlacht mitgeteilt. Der militärische Bereich wird etwas stiefmütterlich behandelt, obwohl man nicht ohne Armee auskommt. 
Europa Universalis 3 erinnern. Es scheint fast, als sei hier gar nichts geschehen, denn es gibt nur wenige Einheiten wie Infanterie, Kanonen oder Kavallerie, die nur eingeschränkt die Fülle der weltweiten Truppen im 19. Jahrhundert wiedergeben. Auf dem Meer gibt es nur wenig mehr zu tun, auch weil man hier auf den Transport achten muss. Wer an der feindlichen Küste landen möchte, braucht wie bei Hearts of Iron 2 entsprechend viele Transportschiffe. So überlässt man auch hier gern der KI die Suche nach Generälen, die aber nicht immer unbedingt ein zweiter Napoleon sind. Aber eine Armee ohne Anführer hat noch mehr negative Folgen zu tragen als eine, die von einem Trinker und Choleriker geführt wird.

Wenig prickelnde Armee

Die Schlachten werden nicht nur unspektakulär mit einem Balken und Verlustzahlen abgehandelt, es gibt auch wenig zu tun. Es gibt weder Formationen noch Überraschungsangriffe oder Spezialattacken, auch wenn vereinzelt Gardeeinheiten auftauchen. Meist gewinnt das Heer mit der besseren Armee, die aber nicht immer die größere sein muss. So gewinnt man etwa in der Wüste Afrikas fast regelmäßig gegen deutlich mehr Berber, die aber schlechter ausgebildet und gerüstet sind. Immerhin zieht sich der Feind nun ordnungsgemäß zurück, was wilde Verfolgungsjagden über zehn Provinzen hinweg wie noch bei Europa Universalis überflüssig macht. Nach dem Krieg ist bekanntlich vor dem nächsten Konflikt, weshalb die Armee immer wieder aufgefrischt wird. Hier ist es dann sogar mal gut, wenn man die Ausgaben fürs Militär nicht zusammengestrichen hat.

Mehr den Gepflogenheiten des 19

Zwar muss man den guten Ton der Epoche einhalten, so dass Überraschungsangriffe ausgeschlossen sind, aber sonst gibt's diplomatisch nur spärliche Kost.    
. Jahrhundert entspricht es, dass man zuvor offiziell den Krieg erklären muss, was eine diplomatische Aktion darstellt. Dann muss man die Kriegsziele festlegen, was neu und sinnvoll ist. So kann man Gebiete erobern, das Land aus seiner Einflusszone loslösen oder den Feind demütigen. Hat man nach Plan alle Provinzen besetzt, kann man in einem Friedensvertrag das feindliche Land annektieren. Hier verhält sich die KI etwas seltsam, denn sie bietet einem ein Patt an, obwohl man schon Teile besetzt hat, was einfach nicht der Lage entspricht. Auch sonst agieren die Computergegner eher vorsichtig, denn sie halten den Frieden, so lange es geht. Wenn Krieg herrscht, schlagen sie erbarmungslos zu. So kann man als Württemberger nicht einfach ungestraft Hohenzollern stibitzen, denn dann klopft die preußische Militärmaschinerie an die Tür.

Fehlende Kongresse

Es fehlen damalige Kongresse oder internationale Bündnisse, die für eine Linie sorgen könnten. So kocht jeder sein eigenes Süppchen, wobei er nicht groß gestört wird. Es gibt keinen Aufschrei, wenn man rüstet wie wild, im Land die Arbeiter aufhetzt oder den Liberalismus fördert. Sonst bietet die Diplomatie leider nicht viel mehr als das Übliche, auch wenn fein säuberlich aufgelistet wird, wer wie zu wem steht. Meist ist man damit beschäftigt, die Beziehungen zu verbessern, den Durchmarsch zu erlauben oder Allianzen zu schließen. Hier kann man keine Handelsabkommen schließen, weil der Handel anders läuft, oder Technologien austauschen wie bei Civilization. Aber immerhin kann man auch indirekt in ferne Kriege eingreifen, indem man eine Seite mit Nachschub versorgt.

Ansonsten sollte man immer die Stabilität im Lande

Auch wenn es nicht so aussieht, weht hier der Wind der Freiheit. Politische Reformen gibt's aber nur bei entsprechender Mehrheit im Parlament.  
im Auge haben, damit es keine Aufstände gibt. Man sollte eine gewisse Balance zwischen Eingriffen und Laisser-faire einhalten, die nicht immer leicht zu erreichen ist. Schließt man z.B. als Osmane eine verdächtige Bank auf dem Balkan, heizt das zwar die Stimmung in der jeweiligen Provinz an, aber in Istanbul wird man von den Nationalisten gefeiert. Symbolisiert wird das durch die Werte für Zufriedenheit und Radikalität, die man aber immer im Zusammenhang sehen muss. Radikal heißt in reaktionären Preußen etwas ganz anderes als in den liberalen USA, wo die Sklavenbefreier als radikal gelten. Heizt der Präsident das mit seinen Entscheidungen an, riskiert er die Abspaltung des Südens. Im Norden kommt die harte Hand aber gut an.

Ewiger Freiheitskampf

Sonst bestimmt man hauptsächlich, welche Partei mit einem regiert. Das ist das Recht der Königs, Fürsten bzw. Präsidenten, der sich nicht selbst der Wahl stellen muss. Wechselt die Parlament, arbeitet er mit der neuen Fraktion zusammen. Es gibt zwar Ober und Unterhaus, aber die Aufgaben nicht immer klar. Eigentlich zählt eher das Oberhaus, mit dem sich auch Reformen durchführen lassen, wenn man die Mehrheit hat. Obwohl sich die Volksmeinung im Spielverlauf immer mehr Richtung Freiheit, Demokratie und Menschenrechten dreht, verändert sich wenig, so dass die Politik ein wenig statisch erscheint. Für Autokraten wie den russischen Zar mag das ja stimmen, aber nicht im pluralistischen Großbritannien, Frankreich oder den USA.

Beim Bau der Eisenbahn geht's manchmal chaotisch zu, aber irgendwann hat jede Provinz eine Schiene. 
Die Umsetzung der Politik sollte eigentlich mit Hilfe des neu eingeführten Fokus geschehen, den jede Nation hat. Leider funktioniert das nur unzureichend, wie gerade die Eisenbahn zeigt. Eigentlich sollte der gar nicht leicht zu entdeckende Fokus dafür sorgen, dass man ein Gebiet besonders fördern kann, sprich eine Provinz angeben, wo verstärkt gebaut werden soll. Leider ist es aber so, dass anschließend überall die Bahnstecken wie Pilze aus dem Boden schießen, was das Budget belastet. Immerhin funktioniert es bei der Kolonisierung besser: Wenn man ein Gebiet für die Urbarmachung mir dem Fokus ausweist, wird es langsam kolonisiert. Hier kommt es sogar zum Wettrennen, wenn zwei Mächte ein Land beanspruchen.

Fokus auf etwas

Es gibt auch einen Fokus für Einwanderung, mit dem sich ein Schwerpunkt bilden lässt. So lässt sich die Auswanderung in die Kolonien beschleunigen, um das meist übersiedelte Heimatland zu entlasten. Zudem ist die Struktur der Gesellschaft ausschlaggebend: Wer wenig Reiche hat, bekommt wenig Steuern. Wer keine Finanziers einlädt, wird sich bei Bauprojekten schwer tun. Und wer keine Priester hat, der wird auch ein niedrigen Alphabetisierungsgrad haben, denn in der Kirche wird auch gelernt. Leider ist es nicht möglich, diese gezielt auszubilden, damit man etwa genug Handwerker hat. Man kann lediglich den Fokus nutzen, um eine Berufsgruppe zu fördern, was aber keine schnelle Veränderung bringt.

Fazit

Ich bin ein wenig enttäuscht von Victoria 2 - da war mehr drin! Zwar entführt es historisch authentisch in das Viktorianische Zeitalter mit all seinen Strömungen, Gegenrichtungen und Widersprüchen: So ist es vom Spieler abhängig, ob er seinem Volk mehr Freiheit gewährt oder die politischen Daumenschrauben ansetzt. Bisweilen erreicht er auch das genaue Gegenteil, wie einst Bismarck, der die Sozialisten mit seinen Verboten nur stärker machte. Zudem kann man außenpolitische Erfolge feiern, indem man seinem Land den berühmten "Platz an der Sonne" beschert. Das ist allerdings unterschiedlich anspruchsvoll, denn es ist viel leichter das britische Weltreich zu verwalten als aus Hessen eine Großmacht zu schmieden - und auch innerhalb einer Nation schwankt die Qualität der Aufgaben. Auch wenn vieles auf Wunsch automatisch läuft, wird das Geschehen mit steigender Spieldauer immer unübersichtlicher. Man wird mit Meldungen bombardiert, die nicht immer wichtig sind. Beim Reichsbau helfen bahnbrechende Erfindungen wie die Eisenbahn, aber leider sind die anderen Fortschritte dagegen ein Klacks. Überflüssig wirkt auch der Handel oder die Bevölkerungsentwicklung, die automatisch vor sich hin brummen. Man kann zwar die Geschichte leicht verändern, aber die Staatsform gehört nicht dazu. Kriege finden im Stil der Zeit statt, aber die Kriegführung bietet genau so wenig taktische Möglichkeiten wie bei Europa Unversalis 3. Das Spiel kommt einem bisweilen wie eine viktorianische Ausgabe von Hearts of Iron vor. Schön ist erneut, dass man fast alle bekannten und weniger bekannten Länder der Epoche spielen kann - für jedes Land wurden die originalen Parteien, Ziele und Erzfeinde umgesetzt. Die historische Recherche war mal wieder vorbildlich, man wird als Geschichtsfan letztlich noch gut unterhalten, aber die Umsetzung muss endlich mal moderner ausfallen.

Pro

  • komplexes Strategiespiel
  • eigene nationale Ziele
  • auf gesellschaftlichen Wandel reagieren
  • politische Entscheidungen fällen
  • Schlüsseltechnik erfinden
  • Geschichte verändern
  • Kolonien einrichten
  • historisch korrekt wiedergegeben

Kontra

  • zunehmend unübersichtlich
  • schwankende Schwierigkeit
  • vieles läuft automatisch
  • wenig kreative Änderungen
  • nur ein Startpunkt
  • Fokus funktioniert nicht immer
  • Regierung nicht jederzeit ändern
  • Berufe nicht gezielt ausbilden

Wertung

PC

Ein komplexes Monster von Spiel, das viel Historie bietet, aber auch seine Schwachstellen hat.