Amnesia: The Dark Descent - Test, Adventure, PC
Daniel sucht sich selbst
Moment: Rieseln da Rosen von der Decke? Oder ist es Blut? Es donnert Unheil verkündend außerhalb der dicken Mauern, der Regen prasselt unaufhörlich auf ein scheinbar undichtes Dach - eine Pfütze bildet sich vor meinen Füßen, als ich mich auf den Weg durch einen düsteren Korridor mache, der von aschfahlen Lichtstreifen gestreichelt wird. In meinen Notizen raschelt es, ich öffne sie über Tab und finde einen ersten Hinweis: "Folge der Spur der Flüssigkeit und finde ihre Quelle."
Verstörender Einstieg
Plötzlich pfeift der Wind schärfer durch die mittelalterlich anmutenden Flure. Eine schwere Holztür öffnet sich am Ende des Ganges mit einem Knarzen, Staub wird aufgewirbelt. Kommt da jemand? Waren da nicht Schritte zu hören? Ich wollte eigentlich nur schnell der Spur folgen. Jetzt bleibe ich stehen, denn ich könnte den Raum ja erforschen, in dem ein gemütliches Feuer knistert. Soll ich? Aber es wird dunkel, meine Sicht verzerrt sich und ich neige das Gesicht zur Seite, als hätte ich Schmerzen - hat mir da jemand in der Finsternis etwas Boshaftes zugeflüstert? Dann höre ich auch noch Schreie.
Es werde Licht
Spätestens als ich einen Brief finde, der mit "Dein früheres Ich" unterzeichnet ist, wird auch die erzählerische Neugier geweckt und die Qualität der durchweg Texte offenbar: Endlich weiß ich, dass man das Jahr 1839 schreibt und dass ich scheinbar schon mal in diesem Schloss war, das irgendwo in Preußen liegen muss. Aber das beruhigt mich nicht gerade: In meinem Brief an mich ist nämlich davon die Rede, dass ich einen Alexander von Brennenburg finden und töten soll, dass ich aber gleichzeitig dem Schatten entfliehen muss. Was zur Hölle ist hier los? Und wie soll ich in diesem Alptraum jemanden töten?
Ego-Horror
Auch wenn Edgar Alan Poe in einigen Situationen des Wahnsinns sowie in den erzählerischen Motiven hier und da grüßen lässt, schreit zwischendurch auch mal Clive Barker rein. Denn zum gepflegten Grusel gesellt sich bald der Terror: Je weiter ich in das Abenteuer abtauche, desto mehr grausige Entdeckungen von Leichenteilen über Folter bis hin zu blutigen Erfahrungen muss ich machen - Daniel wird tatsächlich verfolgt und ist nicht nur geistig, sondern auch körperlich in Gefahr, wenn er wie aus dem Nichts von einem undefinierbaren Etwas attackiert wird. Ich kann nicht nur irre werden, sondern bluten und sterben, wenn ich nicht rechtzeitig fliehe und mich clever verstecke. Aber keine Bange: Man muss weder lange Laufwege noch Wiederholungen fürchten, denn Daniel kann sofort weiter machen - allerdings verändert sich mit jedem Tod die Umgebung.
Die grausame Fratze
Nicht nur das sind klasse Ideen, die auch einem Alan Wake gut zu Gesicht gestanden hätten, das im Vergleich zu Amnesia wie Horror zweiter Klasse wirkt. Hinzu kommen immer wieder klasse inszenierte Wahrnehmungsstörungen, die das Gefühl der Hilflosigkeit nicht nur über Kameraschwenks verstärken: Plötzlich laufen Käfer über den Bildschirm und die Sicht verschwimmt, plötzlich hört man glasklar unheimliche Stimmen neben sich, obwohl da nichts ist - all das erinnert angenehm an Eternal Darkness, das auf exzellente Art und Weise mit visuellen Verstörungen arbeitetet.
Abwechslungsreiche, aber wenige Rätsel
In einigen Räumen warten Rätsel. Mal muss ich aus Zutaten einen Trank herstellen, mal muss ich gegen die Zeit versteckte Schalter aktivieren, bestimmte Schlüssel finden und ganz selten Gegenstände wie Seil und Besen kombinieren. Das Inventar füllt sich nur langsam und die etwas spärlich gesäten Rätsel verlangen kaum kombinatorische Kreativität. Dafür werden sie physikalisch glaubwürdig in die Welt des verwitterten Schlosses eingebunden, wenn man sich etwa eine Treppe aus Kisten oder Brettern bauen, ein Hindernis aus Schutt vielleicht Stein für Stein verschieben oder eine brüchige Wand per wuchtigem Schlag mit einem Helm aufbrechen muss.
Licht und Schatten
So hat man immer eine Fixierung auf leicht blau schimmernde Zunderbüchsen und Notizen bei der Erkundung. Interessanter als diese etwas monotone Sammelei wird mit der Zeit die Story, die nicht nur einige Personen rund um den mysteriösen Alexander aufbaut und Andeutungen zu einem Geheimbund macht, sondern auch koloniale Schauplätze wie Algerien und afrikanische Kulte mit einbezieht. Das geschieht manchmal über sehr gute gesprochene Rückblicke in englischer oder in sehr gut geschriebenen Texten deutscher Sprache. So erschafft die Story trotz fehlender Dialoge mit echten Personen ein ebenso authentisch wie mysteriös wirkendes Szenario im 19. Jahrhundert.
Fazit
Glückwunsch nach Schweden: Dieses kleine Abenteuer für 15 Euro ist intensiver, schauriger und unheimlicher als Alan Wake! Wer eine Mischung aus gepflegtem Grusel à la Edgar Alan Poe und grausigem Terror à la Clive Barker sucht, findet in den Gemäuern des preußischen Schlosses über knapp sechs bis acht Stunden seine Gänsehautgarantie mit mysteriöser Story. Zwar sind Gedächtnisverlust, Lichtspiele und Spukschlösser wahrlich nichts Neues, aber schon im Einstieg wird man von der Regie gepackt, die subtile Schockmomente ebenso gut zu inszenieren weiß wie blanken Terror, der einen auf der Flucht durch düstere Korridore verfolgt. Dieser Survival-Horror kommt ohne Waffen, ohne Level und martialische Fähigkeiten aus, aber hält all dem intensive Momente und verstörende Halluzinationen à la Eternal Darkness entgegen. Zwar fehlt es den Rätseln auf lange Sicht an Anspruch und Vielfalt und der solide eingebundenen Physik an Konsequenz, aber hier bekommt man sehr guten Grusel für sehr wenig Geld. Was könnte das kreative Team von Frictional Games leisten, wenn man ihnen mehr technische und finanzielle Möglichkeiten bieten würde? Sicher mehr als Bill Roper, Chris Taylor & Co!
Pro
- klasse Atmosphäre
- angenehm intuitive Steuerung
- gut visualisierte Geisteszustände
- subtile Schreckmomente & grausiger Horror
- interessante Schauergeschichte im 19. Jahrhundert
- logische & physikalische Rätsel
- gute englische Sprecher
- gute deutsche Texte in Notizen & Co
- drei mögliche Enden
Kontra
- zu wenig anspruchsvolle Rätsel
- Physik wird inkonsequent eingesetzt- etwas monotone Zunderbüchsensuche
- Gedächtnisverlust Nr. 6578