Kinect Sports - Test, Sport, 360

Kinect Sports
09.11.2010, Michael Krosta

Test: Kinect Sports

Was muss unbedingt ins Startaufgebot, wenn man ein System auf den Markt bringt, das Bewegungen in den Mittelpunkt rückt? Ein Sportspiel. Mindestens eins. Doch während bei Titeln wie Your Shape vor allem die Fitness und regelmäßiges Training im Vordergrund stehen, setzt Rare mit seiner Minispielsammlung mehr auf den schweißtreibenden Partyspaß. Hat Kinect Sports (ab 29,99€ bei kaufen) das Zeug dazu, es mit Sonys Sports Champions aufzunehmen?

Eine erste Ernüchterung macht sich schon breit, bevor man überhaupt in eine der sechs Disziplinen eintaucht: Trotz der idealen

Räumt Rare mit Kinect Sports richtig ab?
Kalibrierung mit Hilfe des Kinect-Tuners reagiert der Cursor nur mit einer gewaltigen Verzögerung auf meine Handbewegungen. Ein schlechtes Omen? Immerhin könnte man jetzt annehmen, dass die Entwickler bei der Umsetzung der Sportarten mit ähnlichen Problemen zu kämpfen haben. Zumindest im Fall von Boxen ist das auch richtig - zumindest ansatzweise: Vor allem bei schnellen Rechts-Links-Kombinationen ist der Lag kaum zu übersehen, doch mit der Zeit gewöhnt man sich daran. Während man im Schlagabtausch gegen die KI noch taktisch boxen kann, verkommt die Disziplin bei Onlinebegegnungen zu einer wilden, unkontrollierten Klopperei, die mit dem Sport nur noch wenig gemeinsam hat. Warum das? Weil es zum Erfolg führt. Denn wird man von einem Schlaggewitter eingedeckt, ist das Blocken quasi wirkungslos, da man bei diesem hohen Tempo nicht reagieren kann. Also läuft es darauf hinaus, dass der Spieler gewinnt, der am schnellsten schlägt und dabei vielleicht noch ein paar schwere Treffer landet, indem er die Schulter zurück zieht und ordentlich ausholt. Der Gladiatorenkampf bei Sports Champions macht im direkten Vergleich eine bessere Figur, da hier mehr Taktik beim Blocken und den Angriffen gefordert ist. Immerhin sind neben Jabs und Schwingern auch Kinnhaken möglich - um die Beinarbeit oder das Auspendeln braucht man sich allerdings keine Sorgen zu machen, da die KI die Laufarbeit übernimmt und das Wegducken keine spielerischen Auswirkungen hat. Trotzdem geht das Schlagen schnell in die Arme und man spürt nach einem Kampf, dass man hier mehr getan hat als beim üblichen Controller-Boxen.

Gewöhnungsbedürftige Navigation

Das gilt auch für die Athletik-Disziplinen, die aus Sprint, Weitsprung, Speerwurf, Hürdenlauf sowie Diskuswurf bestehen. Besonders die halbwegs authentische Umsetzung der erforderlichen Bewegungen sorgt dafür, dass mir dieser Bereich am meisten Spaß bereitet hat, auch wenn die Mieter unter mir aufgrund meiner lauten Stampfer bei Sprüngen oder den Laufbewegungen weniger begeistert waren. Laufen erst zwei Spieler parallel gegeneinander, könnte das vermutlich als echte Lärmbelästigung durchgehen. Aber egal: Der Athletik-Bereich zeigt, dass in Kinect doch ein gewisses Potenzial steckt. Mit dem Move- oder Wii-Controller wären diese Disziplinen längst nicht so packend wie hier. In anderen Sportarten sieht es allerdings im direkten Vergleich wieder düsterer für Microsofts "Du bist der Controller-Ansatz" aus, so z.B. beim Tischtennis: Die grundsätzliche Aufmachung erinnert an Sports Champions, doch ein ähnlich authentisches Spielgefühl will hier einfach nicht aufkommen, wenn man den Ball mit der leeren Hand zurück schlägt. Zwar kann man den Ball mit bestimmten Bewegungen anschneiden und die Flugbahn verändern, doch scheint die Umsetzung eher vom Zufall bestimmt zu

Die Athletik-Disziplinen wie das Hürdenlaufen sind zwar anstrengend und grenzen an Lärmbelästigung, aber machen richtig Spaß!
sein. Zwar war auch Sports Champions in diesem Bereich nicht perfekt, doch hatte man hier auch durch den Move-Controller als Schläger-Ersatz noch mehr das Gefühl, die Kontrolle über den Ball zu haben.

Athletik-Programm

Ein ähnliches Bild zeigt sich beim Beachvolleyball: Zwar war der Trendsport schon bei Sports Champions nicht mehr als ein Reaktionsspielchen mit vielen Automatismen, doch konnte man vor allem mit zwei Move-Controllern die typischen Bewegungen (Pritschen, Baggern) realistisch nachahmen und hatte die zwei bekannten Varianten beim Aufschlag. Hier reicht es dagegen oft, nur einen Arm in die entsprechende Richtung auszustrecken und kurz mit der Hand zu wackeln, um den Ball anzunehmen. Den Aufschlag kann man außerdem nur wie einen Schmetterball von oben ausführen, während das Laufen über die Sandplätze auch hier automatisch erfolgt. Zusätzlich zum fehlenden Spielgefühl stört die oft seltsame Kollisionsabfrage: So erreicht der Avatar im letzten Moment z.B. doch noch den Ball, obwohl er eigentlich zu weit weg stand. Umgekehrt fängt Kinect manche Bewegungen anscheinend zu langsam ein, so dass einige sicher geglaubte Annahmen doch nicht mehr gelingen, obwohl man den Arm noch rechtzeitig ausgestreckt hat.

Das Bowling zählte zu den beliebtesten Disziplinen bei Wii Sports. Und wie schlägt sich Al Bundys Favorit mit der Kinect-Technik? Gar nicht so übel, denn genau wie beim Nintendo-Vorbild kann man hier der Kugel mit der entsprechenden Armbewegung einen Drall verleihen und sowohl die Position des Körpers als auch der Arme vor dem Wurf anpassen. Kleine Lichter vor und auf der Bahn bieten dabei eine visuelle Orientierungshilfe. Zwar fühlt es sich mit der Remote in den Händen immer noch etwas angenehmer an, eine ruhige Kugel zu schieben, doch hat Rare den Sport ideal für die Kinect-Technologie umgesetzt. Folglich dürfte dieses Minispiel vor allem in einer Gruppe von bis zu vier Bowling-Aspiranten am meisten Spaß machen.   

Striiiiike!

Bei der Adaption von Fußball geht der Schuss jedoch nach hinten los und man darf sich fragen, was die Entwickler bei diesem öden Tipp-Kick geritten hat, der schon beim Anspielen auf der gamescom für Kopfschütteln gesorgt hat. Mit echtem Fußballspielen hat das Ganze jedenfalls wenig zu tun: Hat der Spieler den Ball, muss er diesen weiter passen und hat dafür in der Regel drei Alternativen, wohin er kicken soll. Ist das runde Leder dann beim nächsten Mitspieler angekommen, geht es entsprechend weiter - bis man irgendwann vor dem Tor steht und es mit einem letzten Schuss im Netz versenkt. Die Verteidigung ist dagegen so aufgebaut, dass man gegnerische Pässe blockt, indem man den Ball abfängt. Zum Glück wird die Passrichtung vorher visuell markiert, so dass man weiß, in welche Richtung man sich bewegen muss. Als Torwart muss man

Schlimm, schlimmer, Fußball im Kinect-Stil: Langweiliger geht's kaum...
dagegen ein Icon berühren, um den Ball zu halten. Selbst mit zwei Spielern, die abwechselnd Aktionen ausführen müssen, ist dieser Standfußball die mit Abstand langweiligste und überflüssigste Disziplin in der Sammlung. Ich habe jedenfalls selten ein so spaßfreies Fußballspiel erlebt wie hier.

Langweiliger Tipp-Kick

Neben den Standardmodi hat man im Bereich Minispiele weitere Variationen der Disziplinen zusammengefasst. Hier lassen sich nicht nur die einzelnen Athletik-Wettbewerbe anwählen, sondern man findet auch z.T. lustige Abwandlungen und Herausforderungen, die auf den Sportarten basieren. Bei einer Bowling-Variation gilt es z.B., vorgefertigte Pin-Aufstellungen mit einem Wurf abzuräumen. Gelingt das nicht, verliert man eines von fünf Leben. Eines der Beachvolleyball-Minispiele besteht dagegen daraus, den Ball (oder diverse Gegenstände) eben nicht anzunehmen, sondern stattdessen gekonnt auszuweichen. Beim "Körpereinsatz" muss man die Bälle dagegen mit den Körperteilen annehmen, die zuvor angesagt werden. Insgesamt sind die Minispiele eine nette Ergänzung zu den Grunddisziplinen und sorgen für Abwechslung.

Variationen

Hat man die Bude voll, ist dagegen der Partymodus die erste Wahl: Hier treten zwei Teams mit jeweils vier Spielern in sechs Wettbewerben gegeneinander an, die per Zufall vom Programm ausgesucht werden. Dabei muss man sowohl nacheinander als auch kooperativ sowie direkt gegeneinander antreten - je nachdem, welche Disziplinen auf die Teilnehmer warten, denn neben den Standard-Versionen kann die Wahl auch auf die Minispiele fallen. Leider hat man selbst keine Möglichkeiten, die Kategorien und Rundenanzahl selbst festzulegen. Damit hätte man wunderbar dem Frust entgegen wirken können, der bei einigen unbeliebten Disziplinen aufkommen dürfte.

Start the Party

Für einen kleinen Spaß zwischendurch sorgt der Besuch im Stadion, wo man durch Handbewegungen die Menge anheizen oder Feuerwerks-Böller zünden kann. Lustig: Auch bei einigen Events kann man die Menge durch das Hochreißen der Arme oder Klatschen zum frenetischen Jubeln animieren und sich damit vor dem Start noch die Unterstützung der Fans sichern bzw. sein Ego aufbauen. Nach jeder Runde kann man sich außerdem noch die Höhepunkte als Video zu Gemüte führen, wobei die kurzen Clips sogar auf die Hintergrundmusik zugeschnitten sind und sich im Internet hochladen lassen.

Gerade online schickt man den Gegner nicht durch taktische Finesse auf die Matte, sondern mit wildem Herumgefuchtel.
Ist man in einem Spiel erfolgreich und knackt sogar den Weltrekord, kann man sich außerdem auch lizenzierte Songschnipsel freuen, zu denen neben weiteren bekannten Hits von Rihanna & Co u.a. Queen mit "We are the Champions" oder "Another One Bites The Dust", Robbie Williams mit "Let Me Entertain You" sowie Blur mit "Song 2" beisteuern. Leider spielen die erreichten Leistungen insgesamt keine große Rolle und werden nicht statistisch festgehalten. Zwar gibt es einen übergreifenden Rang, doch wäre es z.B. gerade bei einem Onlinekampf schön gewesen, vor Beginn über Siege und / oder Knockouts des Gegners informiert zu werden. Auch die Weltrekorde und persönlichen Bestzeiten scheinen nach aktuellem Stand lediglich lokal abgespeichert zu werden. Zumindest habe ich keine Option gefunden, die den Zugriff auf eine Online-Rangliste erlauben würde. Allerdings gibt es vier Schwierigkeitsgrade, so dass man die Herausforderungen seinem Können anpassen kann. Während die Gegner einem den Sieg auf der niedrigsten Stufe praktisch schenken, kullern bei manchen Disziplinen schon ab dem zweiten Schwierigkeitsgrad die Schweißperlen von der Stirn.  

Fazit

Sports Champions war eines der besten Spiele, die zum Start von Sonys Move erschienen sind. Und auch bei Kinect sieht es so aus, als würde der Sport für einen kleinen Lichtblick im durchwachsenen Lineup sorgen. Vor allem die bewegungsintensiven Athletik-Disziplinen wie Weitsprung und Sprint können begeistern - gerade weil sie hervorragend zur Kinect-Technologie passen und auf anderen Plattformen in dieser Form nicht so einfach machbar wären. Schaut man sich dagegen Sportarten an, die auch bei Sports Champions zur Auswahl stehen, vermittelt die Steuerung mit dem Move-Controller beim Tischtennis oder Beachvolleyball nicht nur ein authentischeres Spielgefühl, sondern wirkt auch präziser. Zwar leistet sich Kinect Sports hier keinen Totalausfall, doch muss man sich der Konkurrenz geschlagen geben. Ähnlich sieht es beim Bowling aus, das zwar auch mit Kinect einen Heidenspaß macht, aber trotzdem nicht an das Wii-Vorbild heranreicht. Dafür punktet Kinect Sports mit einem guten Online-Modus, auch wenn ich detaillierte Ranglisten und Statistiken vermisse. Beim Partymodus wäre ebenfalls mehr möglich gewesen, wenn man den Spielern mehr Entscheidungsfreiheiten gelassen hätte und nicht alles dem Zufall überlassen würde, der für Dämpfer sorgen kann. Denn nicht alle Wettkämpfe sind ein Spielspaß-Garant: Gerade Fußball ist ein spielerischer Griff ins Klo und auch das von Lags geplagte Boxen hätte man sehr viel besser umsetzen können - vor allem im Online-Duell sind die wilden Kloppereien nicht lange zu ertragen. Trotzdem zeigt Rare mit Kinect Sports zumindest ansatzweise, dass man mit Microsofts Bewegungstechnologie auch ihren Spaß haben kann, wenn sie richtig eingesetzt wird. Einen Anschaffungsgrund für Kinect stellt diese Minispielsammlung aber nicht dar, denn dafür wird abseits der wenigen Athletik-Disziplinen und den Ausflügen auf die Bowling-Bahn zu wenig Überdurchschnittliches geboten...

Pro

  • abwechslungsreiche Disziplinen
  • Partymodus für bis zu vier Spieler (nacheinander)
  • unterhaltsame Minispiele
  • gelungene Athletik-Steuerung
  • Online-Modus
  • vier Schwierigkeitsgrade

Kontra

  • grausiges Fußballspiel (Tipp-Kick)
  • verzögerte Cursor-Navigation
  • spürbare Lags (z.B. beim Boxen)
  • keine eigenen Event-Zusammenstellungen möglich

Wertung

360

Muskelkater garantiert: Kinect Sports strengt an und macht Spaß dabei! Leider beeinträchtigt die Technik in manchen Disziplinen das Spielgefühl...