Rez HD - Test, Shooter, 360

Rez HD
31.01.2008, Jan Wöbbeking

Test: Rez HD

Das Warten hat ein Ende: Endlich gibt es den beliebten Cyber-Shooter auch für Xbox Live Arcade. Im Grunde ist Rez »nur« ein Panzer Dragoon-Klon: Wie im Vorbild markiert ihr Gegnerscharen und jagt ihnen Raketen hinterher. Doch die audiovisuelle Aufmachung ist derart außergewöhnlich, dass sich eine echte Fangemeinde gebildet hat. Das 360-Remake des Klassikers bietet die Levels des Originals, aufgepeppt mit HD-Grafik, 5.1-Sound, Highscore-Listen und ein paar netten Extras.

Urzeitwesen, überall Urzeitwesen... Wie in Trance schwebe ich durch ein Meer bunt leuchtender Fossilien. Hinter ihnen pulsiert das glühende Drahtgittermodell einer idyllischen Naturlandschaft im Takt der Bass-Schläge, 

Erst markieren, dann feuern: Bis zu acht Raketen schießt eure morphende Spielfigur in seine Widersacher.
die aus den bis zum Anschlag aufgedrehten Boxen wummern und in meiner Hand vibrieren. Ein ganze Reihe wohliger Schauer jagt über meinen Rücken. Vor meinen Augen transformieren sich die eigentümlichen Wesen, um eine Rakete in meine Richtung abzufeuern - zu spät. Einen Atemzug nach dem Abschuss hat sie bereits der gleißende Strahl meiner automatischen Geschosse erfasst und die Angreifer trudeln ins Daten-Nirvana der virtuellen Realität.

Ein besonderer Trip...

Ihr Ableben wird nicht mit einem lauten Knall begleitet - nein, statt dessen erklingen bei jedem Treffer Wortfetzen, die sich zu dem Satz »Fear is a mind killer« zusammensetzen. Ich beherzige das Motto und lasse mich nicht einschüchtern. Konzentriert halte ich den A-Knopf gedrückt und markiere die riesige mechanische Raupe, die aus einem Wurmloch heraufsteigt und den Weg der zertrümmerten Versteinerung kreuzt. Nachdem mein Ziel-Quadrat über ihre Schwachstellen gewandert ist, fliegen acht Raketen in ihre Richtung. Das ist die Höchstzahl an Projektilen, die ich in einem Rutsch abfeuern kann.

Sekunden später ist das schwebende Etwas ebenfalls zerlegt und wird von der morphenden Umgebung verschluckt. Bäume schießen aus dem Boden und knicken zur Seite, sämtliche Farben verdrehen sich ins Negativ und ein hoch in der Luft 

Vorsicht: Wo es leuchtet, droht meist Gefahr.
schwebender, tiefblauer Mecha-Adler breitet drohend seine Flügel aus. Da die Leiste mit Smart Bombs gefüllt ist, jage ich sicherheitshalber ein Exemplar in die Luft, um ja keinen der anderen, massenhaft auftauchenden Computerviren zu verpassen. Genau dieses Verfehlen will ich vermeiden. Da das reine Durchspielen an sich nicht all zu schwer ist, kommt es in Rez darauf an, möglichst viele Wiedersacher zu erledigen, sämtliche Items einzuheimsen um eine hohe Bewertung zu erzielen. Für meine Leistungen werde ich schließlich mit neuen Levels, Spielmodi sowie Grafik- und Sound-Spielereien belohnt.

Technik vs. Natur

Wenn ihr jetzt glaubt, ich sei auf einer Überdosis psychedelischer Substanzen hängen geblieben, steckte vermutlich noch nie der Rail-Shooter Rez im Laufwerk eures Dreamcast oder eurer PS2. Ganze sieben Jahre ist es nun her, als ich das erste mal in die Traumwelt abtauchen durfte. Trotzdem bin ich jedes Mal erstaunt, wenn ich das Spiel wieder aus der Mottenkiste hole. Erstaunt darüber, was für ein audiovisuelles Erlebnis Tetsuya Mizuguchi und sein damaliges Sega-Studio United Game Artists seinerzeit erschaffen haben. »Welcome to Synaesthesia« lautet der Satz, mit dem der Spieler begrüßt wird und dieser Satz ist Programm!                         

Als Synesthäsie wird das Phänomen beschrieben, durch das manche Menschen z.B. Töne nicht nur hören, sondern auch sehen können. Der Effekt entsteht dadurch, dass eine Information von den Hör-Nerven im Gehirn nicht nur einen Ton, sondern auch ein Bild hervorruft.

Wo geht's lang? Die Kunst an Rez ist es, den Überblick im bunten Chaos zu behalten.
Ein Beispiel für eine Person mit dieser Eigenschaft ist der umtriebige Hardcore-Techno-Produzent Martin Damm, besser bekannt unter dem Pseudonym »The Speed Freak«. Er achtet beim Produzieren darauf, dass seine Tracks nicht nur gut klingen, sondern auch vor seinem Auge auch gut aussehen. Kein Wunder, dass er beim Autofahren lieber die Anlage aus lässt, damit ihn die auftauchenden Bilder nicht die Sicht versperren.

Welcome to Synaesthesia!

Aber zurück zum Spiel: Mit Rez wollte Tetsuya Mizuguchi alle Sinne gleichzeitig betören und hat deshalb die Grafik, den Soundtrack und den Rumble-Effekt möglichst genau aufeinander abgestimmt. Von Level zu Level gesellen sich mehr Instrumente zum treibenden elektronischen Soundtrack hinzu, der von bekannten Künstlern wie Ken Ishii für das Spiel komponiert wurde. Die futuristische Drahtgitter-Kulisse und eure abtrakten Widersacher pulsieren im Takt der Musik, das Pad vibriert mal rhytmisch, mal dramatisch stark, wenn Gefahr in Verzug ist.

Das Spielprinzip von Rez ist schnell erklärt: Ihr markiert schlicht und einfach bis zu acht Gegner und jagt ihnen Raketen in die leuchtenden Schwachstellen, bis der morphende Rumpf auseinanderbricht. Zur Not zündet ihr eine der Smartbombs, die beinah alles auf dem Bildschirm mit gleißenden Lichtstrahlen pulverisiert.

Marathon: Die fünf aberwitzig gestalteten Bosse verwandeln sich mehrmals, bevor sie sich ins Daten-Nirvana verabschieden.
Die Kunst in dem zunächst verwirrenden Durcheinander ist es, herauszufinden, welche Widersacher euch Schaden zufügen können und wann sie das tun. Einige Objekte könnt ihr nämlich unbehelligt an euch vorüber ziehen lassen.

Einfach aber genial

Ab und zu hinterlässt ein Gegner ein Item. Mal ist es ein Punkte-Bonus oder eine Smartbomb, ein anderes Mal ein blauer Quader, mit dessen Hilfe ihr eure in der Mitte des Bildschirms schwebende Figur auflevelt. Die Entwicklungsstufen und die Level-Anzeige erfüllen lediglich die Funktion einer stylischen Lebens- bzw. Energieanzeige. Je nachdem, in welcher Form sich euer Alter Ego befindet, ertönen auch andere Schussgeräusche.                   

Trotz seines simplen Spieldesigns weiß Rez lange zu motivieren: Wie im Original, dass übrigens dem Spiel beigefügt ist, könnt ihr einen versteckten Level, neue Spielmodi und andere Extras freischalten. Dazu gehören unterschiedliche Soundeffekte, Kameraperspektiven und Grafik-Filter, die das bunte Treiben noch mehr verzerren.

Metapher oder Zufall? Wie ein bedrohlicher großer Bruder überwacht der Adler den Planeten. 
Die neue Fliesen-Optik und der Unschärfefilter sind auf Dauer reichlich anstrengend für die Augen. Sinnvoller ist die Grafikmodifikation mit dem Titel »Sepia«, die dem Geschehen das Aussehen eines verblassten Fotos verpasst.

Was gibt's »Noize«?

Während Hardcore-Zocker sich nach dem Durchspielen an der etwas schwereren Score-Attacke versuchen, gibt es auch eine Variante zum Chillen. Habt ihr eine Kunststudentin zu Gast, die noch nie ein Pad in der Hand hatte, kann sie sich im »Reise«-Modus austoben. Mit unendlich vielen Leben fliegt sie entspannt durch die ersten vier Levels und kann so ungestört entspannen und die Grafik genießen. Ihre spontanen Interpretationen müsst ihr dann allerdings alleine ertragen. Zitate finden sich einige in der Welt von Rez. Ein Endgegner erinnert mit seiner großen glühenden Säule in der Mitte unweigerlich an den riesigen Mainframe aus Tron. Eine andere Parallele erwähnen die Entwickler sogar im Abspann: Mit dem Design der Gegner wollen die Entwickler den abstrakten Bildern von Wassily Kandinsky huldigen.

Für Belustigung unter den REZ-Fans sorgte seinerzeit der »Trance Vibrator«, der nur in Japan für die PS2-Version zu haben war. Ähnlich wie der Controller sandte das Kästchen Vibrationen aus, allerdings stärker und in einem anderen Rhythmus. Die leicht eckige Form sollte offenbar symbolisieren, dass das es mehr als skurriles Gimmick denn für andere Zwecke gedacht war. Wer in Besitz des raren Gerätes ist, darf es trotz USB-Port nicht an die Xbox 360 anschließen. Statt dessen vibrieren bis zu drei weitere Pads während des Spiels gleichzeitig - 

Das strahlende Kästchen ist ein Level-Ausgang: Schießt nicht zu schnell alle acht Projektile ins Portal, sonst entgehen euch wertvolle Gegner.
und zwar ebenfalls unabhängig vom ersten Exemplar. Haltet ihr z.B. die A-Taste gedrückt, schüttelt ihr das zweite Pad ununterbrochen durch. In einem anderen Level-Abschnitt funktioniert der Effekt nicht mehr - dafür spürt ihr an einem Controller die Schüsse und am zweiten den Rhythmus. Schließt eure Pads am besten per Kabel oder Play & Charge-Kit an, denn sonst schalten sie sich nach einer Weile aus.

Good Vibrations

Eine weitere Neuerung ist natürlich die behutsame Anpassung der Grafik an das HD-Format. Die Levels sehen im Grunde aus wie früher, doch die Schärfe und Detailfülle werten das Bild deutlich auf. Außerdem kommen Besitzer einer 5.1-Anlage auf ihre Kosten. Es gibt zwar keine bombastischen Surround-Effekte, aber die Vorhandenen erklingen subtil aus unterschiedlichen Richtungen. Dazu gesellt sich ein nettes Replay-Kino, mit dem ihr eigene Videos auf der Festplatte speichert. Hochladen wie bei Halo 3 dürft ihr sie allerdings nicht. Immerhin könnt ihr die Aufzeichnungen der besten 20 Spieler jeder Highscore-Attacke herunterladen und euch so wertvolle Kniffe abschauen.       

Fazit

Wow - es ist schon erstaunlich, wie sehr mich Tetsuya Mizuguchis audiovisuelles Meisterwerk selbst nach sieben Jahren noch in seinen Bann zieht. Rez ist eines dieser zeitlosen Spiele, die man immer wieder aus der Schublade holen und stundenlang zocken kann. Wer einmal durch die faszinierende Welt aus organisch-technischen Gebilden geflogen ist, kann sich dem bunt leuchtenden Treiben auf dem Bildschirm nicht so schnell wieder entziehen. Um so erfreulicher, dass sich jetzt auch Xbox360-Besitzer durch den Cyberspace ballern dürfen – und das für läppische 800 Punkte. Neue Levels gibt es zwar nicht und außerdem haben geübte Spieler nach nur zwei Stunden den Endboss zum ersten mal besiegt. Doch danach es ist ungemein motivierend, noch viele Abende lang den Assault-Modus sowie die versteckten Levels mit allen möglichen Grafik- und Sound-Modifikationen zu meistern. Das Design und die Musik-Tracks des Originals wurden zum Glück nicht angetastet. Doch die auf eine hohe Auflösung aufpolierte Grafik steht dem Spiel gut zu Gesicht und auch die subtile 5.1-Abmischung ist gelungen. Außerdem könnt ihr euch neuerdings mit Mitspielern und Freunden aus aller Welt in der Highscore-Attacke messen und euch Spielaufzeichnungen anschauen. Also, wenn ihr nicht gegen Shooter oder Techno-Ästhetik allergisch seid, solltet ihr schleunigst den Live-Marktplatz ansteuern. Gute Reise!

Pro

  • <P>
  • einzigartiger Grafikstil
  • Vielfalt an fantastisch designten Gegnern und Cyberspace-Kulissen
  • traumhafter elektronischer Soundtrack
  • ideal platzierte, rhythmische Pad-Vibrationen
  • simples, aber hoch motivierendes Spielprinzip
  • allerlei Modi, Grafik- und Sound-Extras zum Freispielen
  • »Reise«-Variante mit unendlich vielen Leben zum Chillen
  • Replay-Kino
  • Original-REZ enthalten</P>

Kontra

  • <P>
  • sehr schnell durchgespielt</P>

Wertung

360

Auch in HD zeitlos gut: Atemberaubend designter und motivierender Trip in den Cyberspace.