Dragon Age 2 - Test, Rollenspiel, 360, PC, PlayStation3
Die historische Perspektive ist noch verlockend: Ich kann immerhin ein ganzes Jahrzehnt in diesem Rollenspiel erleben und mit meinen Entscheidungen prägen. Von der Flucht aus Ferelden über die beschwerlichen Anfänge in der Fremde bis hin zu den tragischen Ereignissen rund um sowie unter der Stadt Kirkwall. Das alles wird chronologisch erzählt, wobei sich aktuelle Missionen oder Konflikte auf vergangene Taten beziehen können.
Ein offenes Jahrzehnt
So wachsen über drei Akte einige exklusive Queststränge neben einer fünfzehn- bis zwanzigstündigen Hauptgeschichte, die nur schleppend in Gang kommt und gegenüber der Erzählung rund um die Grauen Wächter des Vorgängers den Kürzeren zieht. BioWare macht es einem zu Beginn sehr schwer, sich mit den Charakteren zu identifizieren, weil man sich keine Zeit für ihre Einführung lässt. Dafür hat man sich auf kleine persönliche sowie große innenpolitische Konsequenzen konzentriert, die das spätere Erlebnis durchaus dramatisieren.
Wer vor Jahren jemandem aus der Patsche geholfen oder übel mitgespielt hat, wird sie spüren. Man kann Übeltäter laufen lassen, Minderheiten verraten oder Eide brechen - man sollte sich der langfristigen Folgen allerdings bewusst sein. Verbrechen und Rassismus, politische und familiäre Intrigen sowie der Hass zwischen Magiern und Templern werden sehr geschickt verflochten. Diese vielfältigen Themen und diese Zeitspanne motivieren vor allem ab dem zweiten Akt, während die doppelte Erzählperspektive sofort neugierig macht.
Das Verhör der Cassandra Pentagast
BioWare angelt Rollenspieler mit seiner Erzählperspektive zunächst sehr geschickt. Man muss natürlich anbeißen, denn man spielt ja die Karriere dieses mysteriösen "Champions" über ein Jahrzehnt nach. Was das wohl für Möglichkeiten hinsichtlich des Plots bietet? Viele! Jedenfalls theoretisch. Aber obwohl man quasi mit jedem Klick die Geschichte manipuliert, die der Zwerg gerade der Sucherin erzählt, hat man diesen Schwenk in die Gegenwart praktisch zu selten genutzt. Auch wenn diese Struktur erzählerisch kreativ ist: Es folgt nicht nur der schlechteste Einstieg in ein Spiel von BioWare, den ich bisher erlebt habe. Man erlebt eher einen Rückschritt als einen Fortschritt gegenüber Dragon Age. Im kompletten ersten Drittel will man seinen Augen kaum trauen.
Das erste Gemetzel
Aber Schnitt in die Zukunft: Cassandra durchschaut dieses Märchen, regt sich immer öfter auf und fordert den Zwerg auf, die wahre Geschichte zu erzählen. Genau die kann man dann selbst interpretieren. Und dann wird aus dem schnell verschwundenen Drachen plötzlich eine alte Bekannte. Na also, es geht doch etwas mysteriöser und stimmungsvoller! Das war übrigens Ironie. Denn obwohl man Kennern des Vorgängers hier ein durchaus interessantes Wiedersehen spendiert, will angesichts der plump wirkenden Action und offiziell verwandten, aber fremd wirkenden Figuren auch beim zweiten Mal keine Freude aufkommen.
Ich habe nichts gegen Gewalt in Rollenspielen - im Gegenteil: Wenn man Fantasy für Erwachsene inszenieren will, gehört sie dazu. Aber es kommt immer darauf an, wie man sie darstellt. Es geht also nicht um eine moralische, sondern um eine ästhetische Frage. Hier wird einfach billig Blut über die Figuren gespritzt. Nicht etwa nur bei besonders brachialen Schlägen, nicht etwa nachvollziehbar oder je nach Waffentyp dosiert, sondern von Beginn an nahezu immer und überall. Warum hat man das nach Dragon Age nicht verbessert, also an Situationen angepasst und bereichert? Warum sind die Designer so unfassbar plump?
Überall Windpocken
Immerhin kann ich etwas Entwarnung an alle geben, die mit einem Rollenspiel mehr verbinden als Splatter: Es wird besser. Es wird taktischer. Es wird sogar anspruchsvoller. Der Prolog und die Demo sind kein Spiegel des kompletten Abenteuers. Aber sie deuten leider an, was man in satten ersten zehn Stunden so erlebt. Und sie sind ein Indiz für die Philosophie eines Spieldesigns, das nicht mehr den leidenschaftlichen Hardcore-Rollenspieler anspricht, der sich in eine Welt voller Geheimnisse hinein wühlen will, sondern den Mainstream-Rollenspieler, der mal schnell was Cooles erleben will.
Schwache Technik
Auch Kleinigkeiten hindern mich als Rollenspieler daran, richtig warm mit Hawke und seinem familiären Anhang zu werden. Dass das reduzierte Menüdesign genauso steril wirkt wie die Kodextexte, die nicht etwa auf Schriftrollen oder altem Papier, sondern einfach nur auf schwarzem Hintergrund erscheinen, lässt sich verschmerzen - das Artdesign der Benutzeroberfläche folgt eher einem modernen Stil. Das funktioniert auch hinsichtlich der Wandmalereien , die kantige mythische und figürliche Motive zeigen, die es so auch in mancher U-Bahn von Berlin bis Hamburg geben könnte.
Steriles Flair
Man begegnet selbst auf dem Rechner zu vielen matschigen Texturen an Wänden und Böden, so dass die Hoffnung auf technische Brillanz schnell schwindet - BioWare behandelt seine Fantasy immer noch stiefmütterlich. Obwohl man detailliertere Gesichtszüge sowie zusätzliche Animationen und Zaubereffekte eingebaut hat, sieht das Spiel insgesamt weder so gut aus wie Mass Effect 2 noch wie The Witcher 2; die Landschaft und die Charaktere wirken im Vergleich zur hauseigenen und polnischen Konkurrenz grob.
Es ist nicht so, dass die Spielwelt schlecht aussieht: Vor allem die Kleidung kann aus näherer Sicht überzeugen, wenn man die Glieder eines Kettenhemdes genauso gut erkennt wie die Fasern der Stoffe. Auch einige Farb- und Lichtspiele in der Stadt und den Katakomben sorgen für ansehnliche Momente, zumal die Architektur teilweise reizvolle Blickfänger in der Distanz bietet - mehr als im Vorgänger. Aber unterm Strich ist die Technik nur durchschnittlich, wenn man dagegen die Pracht eines Castlevania: Lords of Shadow stellt.
Mutter ohne Mütterlichkeit
Wer auch immer für das Charakterdesign der Mutter verantwortlich zeichnet, hat komplett versagt, denn man begegnet ihr nicht nur öfter, sie tritt auch als Ratgeberin und Mahnerin auf. Nur kann man sie nicht ernst nehmen, weil sie mit ihren 90-60-90 fast genauso aussieht wie die eigene Schwester Bethany, wie die Templerin, wie die Gastwirtin oder wie die Prostituierte im Bordell. Nichts gegen hübsche Frauen wie in The Witcher, aber die weibliche Welt der Kanadier bietet die Vielfalt einer Monotittenkultur, die man sonst nur Shootern zutraut. Man trifft quasi keine Alten, Gebeugten oder Fettleibigen.
Hawke oder eigener Chartakter?
Das zeigt sich auch innerhalb der Fähigkeiten, die zwar eine große Auswahl in Form von Talentbäumen und Spezialisierungen bieten, aber trotzdem keine Rollenspielvielfalt. Selbst beim Schurken verbergen sich hinter "Täuschung", "Sabotage" oder "Halunke" nicht etwa die Option auf Diebstahl, Fallenbau, Schlösser knacken oder Ähnliches, sondern lediglich unterschiedliche Kampfmanöver. Natürlich ist das ein Eldorado für alle jene, die ihren Kämpfer, Magier oder Schurken so trimmen wollen, dass er möglichst viel Schaden anrichtet - auch die Gefährten kann man individuell besser entwickeln als in Dragon Age. Aber die martialische Beschränktheit der Karriere erinnert eher an Diablo als an große Rollenspiele.
Gut ist BioWare die logische Verknüpfung der Spiele gelungen, so dass sowohl Kenner des Vorgängers als auch Neulinge die Welt bzw. die Reaktion auf den Helden bereits im Vorfeld etwas beeinflussen können. Man kann ohne frühere Spielstände eine von drei möglichen Vergangenheiten wählen mit gutem, tragischen und rücksichtslosem Ende: "Held von Ferelden",
"Der Märtyrer" oder "Keine Kompromisse". In Ersterer wurde das Reich tugendhaft gerettet, dazwischen hat sich der Held geopfert und Letzteres ist eher die skrupellose Variante. Man kann aber auch seine Spielstände aus Dragon Age: Origins als Grundlage nutzen. Je nachdem für was man sich entscheidet, wird man in der Welt nicht nur anders angesprochen (z.B. direkt auf die Rettung des Arls), sondern bekommt auch andere Nebenquests (hat man den Elfen gegen die Werwölfe geholfen?) oder Tagebucheinträge.Das Dialogsystem wurde vereinfacht: Zwar kann man auch mal Themen vertiefen und nachfragen, aber jetzt zeigen jeweils drei Symbole an, ob man eine gute, neutrale oder böse Antwort gibt. Auch hier fühlt man sich als Rollenspieler nicht ernst genommen. Wozu diese Farbkrücken? Trotz dieser optischen Anbiederung an lesefaule Actionspieler können die Dialoge selbst, vor allem in den späteren Quests des zweiten Aktes, vollauf überzeugen. Es lohnt sich also immer noch, sich in die Gespräche zu vertiefen, weil die Konflikte einfach reizvoll sind und erneut an das Gewissen appellieren. Aber sind sie besser als in Dragon Age? Nein. Der Vorgänger wirkte in nahezu allen Bereichen stimmungsvoller.
Gefährten, Dialoge & Konflikte
Man bekommt zwar weiterhin direkte Reaktionen auf seine Antworten oder sein Handeln, wenn man z.B. mit seiner Gier einen Gefährten enttäuscht oder ihn mit einem Geschenk entzückt - dann fällt oder steigt ähnlich wie in Dragon Age umgehend der Grad der Freundschaft. Und je nach Temperatur kann das nicht nur zu eindeutigen Bemerkungen, sondern auch zu Romanzen oder blutigen Konflikten führen. Diese lebendige Partyinteraktion kennt und schätzt man seit Jahren. Aber BioWare kann damit weder überraschen noch spürbar vorwärts kommen.
Vom sanften Heiler zur zickigen Schurkin
Schön ist, dass man in manchen Situationen auch ihre Art nutzen kann, um in einem Gespräch schneller zum Ziel zu kommen. Sprich: Anstatt noch weiter zu diskutieren, schickt man sie vor, damit sie bei einem ängstlichen Händler etwas Magie in den Händen oder eine Klinge an seinem Hals aufblitzen lassen. Das sorgt für spontane Dynamik in den Dialogen.
Schade ist, dass es kein zentrales Lager mehr gibt, in dem man die Gefährten gezielt ansprechen kann. Jetzt hat jeder einen Unterschlupf irgendwo in der Stadt, so dass man ihn separat aufsuchen muss, um evtl. die Beziehung zu stärken und dadurch eine Charakterquest zu erhalten. Ist zwar auch okay, aber es fehlt nicht nur das kollektive Partygefühl, man erfährt auch deutlich weniger über seine Gefährten als in Dragon Age, weil man einfach nicht so weit reichende Gespräche mit ihnen führen kann.
Düstere Charaktere, gute Quests
Ab und zu blitzt die Textqualität auf, die auch Dragon Age so auszeichnete - gerade in den Zwischensequenzen mit Dialogen, in denen die Mimik von der Kamera voll eingefangen wird. Und natürlich genießt man die komplette deutsche Sprachausgabe (man kann sich vor dem Spielstart auch für den Originalton entscheiden), die allerdings nicht bei allen Charakteren immer überzeugt.
Der Vorgänger war auch markanter, was die Figuren und vor allem die Story anging, die erst ab dem zweiten Akt vor allem politisch Fahrt aufnimmt und selbst die Entwicklung der Stadt von Entscheidungen des Spielers abhängig macht. Bevor die Dramaturgie der Hauptgeschichte in Gang kommt, vergehen aber zu viele, fast ein Dutzend Stunden - auch deshalb, weil der Schwenk zur Verhörszene in die Gegenwart zu selten vorkommt. Die guten Quests sind jedoch auch hier das Salz in der
Suppe: Das stupide Holen und Bringen steht nur ganz selten im Vordergrund, es geht von der Eifersucht über Habgier, Mord und Rache, Rassismus und Patriotismus um nahezu alles, was eine Tragödie ausmachen kann.Tötet man einen brutalen Triebtäter in einem Akt der Selbstjustiz oder glaubt man ihm, dass er von Dämonen heimgesucht wird? Immerhin könnte sich seine Schonung auch auszahlen, denn er ist der Sohn des Magistrats. Nahezu jede psychologische Zwickmühle wird thematisiert. Man kann rechtschaffen und menschenfreundlich, nach eigenem Vorteil schwankend oder brutal und böse spielen.
Tot oder lebendig?
Da es keine universelle Moral gibt, hat das eigene Handeln keine direkten Konsequenzen für die eigene Karriere. Aber je nachdem wie man agiert, bekommt man unmittelbar nach einer Antwort oder Tat mehr oder weniger Sympathie bei seinen Gefährten. Wer seiner Schwester das richtige Bild schenkt gewinnt, wer in Anwesenheit der konservativen Aveline mehr Profit aus einer Quest ziehen will, verliert. Hier bleibt BioWare seinen starken Tugenden treu, hier wird man gut unterhalten, was Charakterinteraktion und Dialoge angeht. Trotzdem vermisst man mehr Leben in der modular aufgebauten und teilweise zu stark begrenzten Spielwelt, die nur eine Stadt präsentiert.
Die modulare Spielwelt
Auch diesmal teilt BioWare seine Stadt in Viertel auf, die man nicht zu Fuß an einem Stück, sondern über Klicks erreichen kann - selbst das kleine Haus des Helden sowie eine Taverne werden als einzelne Module präsentiert. So kann natürlich kaum ein Gefühl für die Größe Kirkwalls entstehen, denn man teleportiert sich immer nur von Schauplatz zu Schauplatz. Und diese sind leider nicht so designt, dass genug Raum für Erkundungen oder genug Reize für Entdeckungen entstehen. Warum nutzt man nicht den Vorteil der detaillierten Ausschmückung abgeschlossener Bereiche, wenn man schon auf eine offene Welt verzichtet? Und was ist mit der Oberfläche, mit den freien Marschen? Warum wirkt auch das alles wie modulares Stückwerk ohne Weite? Soll das etwa alles mit DLC aufgefüllt werden? Es gibt ja nicht mal eine vernünftig gezeichnete Karte mit Wegen, Gebirgen etc.! Ich erinnere mich noch an den Moment, als sich in Dragon Age oder Mass Effect die Karte öffnete - das sorgte umgehend für Neugier, selbst wenn sich die Größe manchmal als Illusion erwies. Die Spielwelt wirkt hier einfach nicht wie aus einem Guss, sondern wie eine Szenariokette.
Stadt bei Tag und bei Nacht
Aber all das wurde auf den zweiten Blick nicht besonders liebevoll gestaltet, so dass man kaum Lust zum Verweilen hat - man rast von Quest zu Quest wie in einem Online-Rollenspiel auf der Jagd nach XP. Man würde ja gerne stöbern, aber man wird dazu nicht animiert. So klappert man all das ab, was irgendwo funkelt. Man richtet sein Auge nur auf glitzernde Kisten, Säcke und Truhen. Und warum findet man darin tatsächlich so viel nichts sagenden Plunder, der auch noch als solcher verkauft werden kann?
Nebenbei klickt man Podeste mit Aushängen oder Schriftrollen an, die dann den Kodex vervollständigen. Das, was dort über die historischen und machtpolitischen Hintergründe zu lesen ist, wäre ja durchaus interessant. Aber die Art und Weise, wie all das Hintergrundmaterial in die Spielwelt integriert wird, ist zu lieblos. Man hakt einen Eintrag nach dem anderen ab und hetzt zur nächsten Quest, denn die Lektüre spielt keine Rolle. Warum nutzt man die Informationen innerhalb der Kodexseiten nicht mal für kreative Rätsel, für zusätzliche Dialogoptionen? Dann würde man auch darin stöbern!
Statische Reaktionen der NPCs
Warum gehen sie nicht wenigstens vor Angst in die Knie? Warum rennen sie nicht weg? BioWare lässt seine Spielwelt abseits der sehr emotionalen Hauptfiguren zu einer kalten Bühne für Kämpfe verkommen, anstatt Kirkwall wirklich interessant und lebendig zu gestalten. Das Figurenverhalten ist teilweise so inkonsequent, dass selbst NPCs mitten in Kämpfen stehen, die eigentlich um ihr Leben fürchten müssten - erst wenn das Gefecht vorbei ist, machen sie einen auf Angst und Panik. Das ist einfach inkonsequent. Und das ist kein Fortschritt gegenüber Dragon Age.
Auch die Tavernen und Bordelle sind eine Enttäuschung: Viele Leute kann man gar nicht ansprechen und selbst ein Charakter mit dem Namen "Gesprächiger Mann" oder "Verdächtige Dame" läuft nach einem Klick auf das Interaktionsicon einfach weiter. Was soll das? Wieso animiert man mich nicht dazu, mit den Leuten zu quatschen? Lediglich die Questgeber sind zu Gesprächen bereit.
Wenn man sich wenigstens an der Choreographie der Kämpfe ergötzen könnte. Aber abseits der explosiven Magie sind die Gefechte keine martialische Augenweide. Jedenfalls nicht, wenn man einigermaßen elegante Ausweich- und Angriffsmanöver sehen will, die auf Skills und Ausrüstung beruhen. Man kann zwar beobachten, dass der Schurke eher à la Erroll Flynn auf elegante Attacken setzt und dass Kämpferin Aveline das rustikalere Draufhauen bevorzugt.
Die Choreographie als Explosivmatsch
Aber man muss zusehen, wie selbst Feuer einen Feind zweiteilt oder man mit kleinen Dolchen ganze Körper zerfetzt. Nahezu jede Attacke wird dermaßen übertrieben dargestellt, dass ein Gefecht nicht selten zu einer Saltosprunghieborgie à la Hongkongkino mit gleißendem Feuerballgewitter kommt. Auch die Umgebung, die Deckung oder Abstände spielen nahezu keine Rolle.
Das Kampfsystem
Vieles wirkt zu automatisiert. Man muss sich als Schurke auch nicht aktiv im Schatten verstecken, um einen hinterhältigen Angriff auszuführen. Man drückt einfach das Symbol, dann den Feind an und verschwindet plötzlich im Boden, um hinter ihm wieder aufzutauchen. So wirkt der Schurke nur wie ein Magier. So verschwinden auch die Unterschiede der drei spielbaren Klassen immer weiter; eigentlich sind alle Kämpfer. BioWare verschenkt hier viel Potenzial zur Differenzierung und Einbindung der Umgebung, denn es gibt in den Kulissen so viele Möglichkeiten für Hinterhalte, Hindernisse oder Höhenvorteile.
Viel Feuerballfutter
Es geht im Kampf oftmals nur darum, möglichst effiziente Zauber und Angriffe abzuspulen und zwischendurch mal Heil-, Mana- oder Ausdauertränke einzuwerfen. Immerhin schiebt man der Dauergenesung einen Riegel vor, indem alles auch eine gewisse Abkühlphase hat - man kann also nicht zwei, drei Tränke hintereinander schlucken. Und der erste Eindruck eines Hack'n Slays täuscht. Die Kämpfe werden spätestens mit dem Abstieg in die Tiefen Wege und ab dem zweiten Akt fordernder. Auch wenn in den gewöhnlichen Gefechten schnelle Action anstatt überlegte Partyaktionen regieren, kommt es immer öfter zu hitzigen Duellen gegen mächtigere Gegner wie den Drachen, die nicht nur eine clevere Koordination der Gruppe, sondern auch eine optimale Ausrüstung und Magieeinsatz verlangen.
Später Taktikfortschritt
Und spätestens ab dem zweiten Akt werden die Handwerker mit ihren Giften und Bomben sowie die vielen Runen einigermaßen sinnvoll. Aber die vorgefertigten bzw. frei belegbaren Handlungsketten braucht man trotzdem nicht, um erfolgreich zu sein: Man kann seine Gefährten normal, aggressiv, passiv oder defensiv sowie auf Fernwaffe oder Brecher ausrichten. Wer es genauer haben will, kann jeder Aktion eine Reaktion folgen lassen: Wenn der Schurke von mind. drei Wesen umgeben wird, soll er das miasmische Fläschchen werfen? Kein Problem.
Fazit
Was ist das denn, BioWare? Ich war aufgrund der interessanten Erzählperspektive zunächst neugierig. Und ich habe trotz der bösen Omen der gamescom auf eine Einsicht gehofft, was die Kamera auf dem PC sowie die Taktik im Gelände angeht. Aber ich bin letztlich enttäuscht von diesem Nachfolger! Die schwache Technik ist nicht mal schlimm. Aber nach Dragon Age war eine Entwicklung hin zu noch mehr Rollenspiel wünschenswert, nicht diese Kastration und diese Anbiederungen an schnelle Action. Wer hat denn bitte dieses 08/15-Frauendesign und das lächerliche Blutgespritze zu verantworten? Wer hat bloß diese 90-60-90-Mutter entworfen, die wie 20 aussieht? Immerhin darf man nach der schrecklichen Demo aufatmen: Wenn der katastrophale Einstieg sinnbildlich für die kommenden fünfundzwanzig Stunden gewesen wäre, wäre das ein Verriss geworden - so viel Oberflächlichkeit ist man von den Kanadiern nicht gewohnt. Aber die guten Quests, die spürbaren Konsequenzen, die sehr guten Dialoge und vor allem ein Kampfsystem, das zwar zunächst stark nach Hack`n Slay riecht, aber spätestens ab dem zweiten Akt taktisch cleveres Partymanagement fordert, retten dieses Abenteuer in den befriedigenden Bereich. Ja, es hat dramatische Höhen, aber auch so viele Tiefen. Dass es nicht für eine gute Wertung reicht, liegt auch an einer ebenso kleinen wie sterilen Spielwelt, die mit roboterhaften Bewohnern, seelenlosen Tavernen und fehlenden Erkundungsreizen zu einer Abklapper-Kulisse degradiert wird. Und trotz der fehlenden Weite recycelt Bioware auch noch Höhlen - das ist arm. Ja, die Spezialisierungen der Gefährten sind jetzt verzweigter! Aber man bemerkt gar keinen Unterschied, ob man nun einen Schurken, Magier oder Kämpfer spielt - alle müssen nur effizient Schaden verteilen, keiner hat besondere Rollenspieltalente! Es bleibt auch deshalb ein fader Nachgeschmack, weil die Kanadier auf diesen "mutigen" Stil auch noch "enorm stolz" sind. Sie bemerken gar nicht, dass sie damit an dem vorbei entwickeln, was sich Rollenspieler alter Schule (alle anderen sollen WoW und Sacred zocken) eigentlich wünschen. Es geht dabei nicht um endlose Statistiken und Skilltabellen, es geht um mehr Tiefe, mehr Geheimnisse, mehr Seele! BioWare ist auf dem PC mit seinen Epen groß geworden, sie haben ein Genre jahrelang bereichert. Jetzt jetzt sind sie als Entwickler kleiner geworden, ihre Magie ist verflogen. Hoffentlich können The Witcher 2 und The Elder Scrolls V: Skyrim die Lücke füllen.
Zum Video-Fazit!
Zur Kolumne: Das Phänomen Rollenspiel
Pro
- + clevere Erzählperspektive
- Rollenspiel mit vierköpfiger Party
- einige interessante Charaktere
- zehn Jahre Geschichte beeinflussen
- taktisches Party-Management
- viele moralische & politische Konflikte
- Handlungen mit Konsequenzen
- viele Talente & Spezialisierungen
- große Gegner fordern gute Taktik
- sehr gute Dialoge mit Sprachausgabe
- gute Mimik und ansehnliche Kleidung
- Moralsystem ohne Gut-Böse-Kitsch
- amüsante Zickereien in der Party
- Magiesystem mit Immunitäten
- gute deutsche Sprecher
- gutes Gift-/Runensystem
Kontra
- <P>
- schrecklicher Einstieg
- zu viele Kanonenfutterkämpfe
- schwache Hauptgeschichte
- plumper Blutspritzautomatismus
- Kisten öffnen/Taschendiebstahl ohne Konsequenzen
- Wachen/Passanten reagieren nicht auf Kämpfe
- schwache Landschaft und matschige Texturen
- kleine Gebiete mit künstlichen Grenzen ohne Erkundungsreize
- einige geklonte Höhlen/Katakomben
- unübersichtliche Kämpfe
- Umgebung spielt kaum taktische Rolle
- nur eine Stadt, keine Weltkarte
- erhöhte Perspektive gestrichen (PC)</P>