Child of Eden - Test, Arcade-Action, 360, PlayStation3
Wer sich zum ersten Mal in den Farbrausch stürzt, wird sich vermutlich vorkommen, als hätte er auf dem Rave das falsche Glas erwischt. Hinter der Mattscheibe wuseln die aberwitzigsten Wesen durcheinander, während die in sämtlichen Farben des Regenbogens leuchtende Kulisse wild im Takt pulsiert. Doch das Chaos hat Methode, sein System erschließt sich auf den zweiten Blick. Child of Eden gehört wie der Sega-Klassiker Panzer Dragoon zu der Gattung klassischer Rail-Shooter; die Mission führt auf vorgegebenen Wegen durch eine Schar von Feinden. Statt mich um die Fortbewegung zu kümmern, kann ich also in Ruhe die Show genießen – und mich natürlich mit Hilfe meiner Raketen darum kümmern, dass mich keines der Biester ins Jenseits befördert.
Web 2.0
Die glühenden Wale und Manta-Rochen sind nicht von Grund auf böse, sondern wurden von einem Virus korrumpiert, welches sich in ihrer Welt eingenistet hat. „Eden“ ist das Internet der Zukunft. In dem futuristischen Netzwerk sind sämtliches Wissen und alle Erinnerungen der Menschheit gespeichert. Sogar ein komplett virtuelles Wesen wurde in der digitalen Bilderbuch-Idylle geboren. Zu Beginn des Spiels sieht man die Schönheit aus Bits und Bytes barfuß über die Blumenwiese spazieren – bis finstere Viren vom Himmel regnen, um sie und ihre Welt unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie ist das Namen gebende Kind des Netzwerks, das Child of Eden. Gespielt wird sie von der Sängerin von Mizuguchis Band Genki Rockets, welche auch einen großen Teil des Soundtracks beisteuert.
Virenscannen mal anders
Doch zunächst einmal gehe ich an meine Arbeit als Anti-Virus-Programm. Während ich in der Ego-Perspektive durch die rhythmisch vibrierende Welt fliege, tauchen auch schon die ersten Gegner auf. Noch verhalten sie sich relativ ruhig. Doch wenn ich sie zu lange vor meinen Augen herumwuseln lasse, schicken sie mir einige pinkfarbene Projektile entgegen, welche beim Einschlag meine Energieleiste empfindlich schrumpfen lassen. Also komme ich ihnen zuvor und markiere sie mit meinem Fadenkreuz. Bis zu acht Gegner kann ich aufschalten. Dann lasse ich den Knopf los und genau so viele zielsuchende Raketen zischen ihnen entgegen. Im Notfall bereinigt eine gleißende Smartbomb das Chaos.
Rez-Spieler kennen die Technik natürlich - neu daran ist ein rhythmischer Kniff: Wenn ich den Knopf im Takt der Musik loslasse, gilt das als Kombo. Die Technik funktioniert ähnlich wie in einem Musikspiel: Erwische ich den Beat perfekt, steigt der Punkte-Multiplikator auf einen Wert von bis zu acht Zählern. Verfehle ich ihn nur leicht, bleibt er immerhin auf der gleichen Stufe. Wenn ich ihn komplett verpasse oder z.B. nur sieben Gegner erwischt habe, sinkt er wieder.
Taktvolle Action
Das Punktescheffeln nützt nicht nur zum Angeben in den Leaderboards. Auch wer sich einfach nur durch die bunte Welt ballern will, sollte auf den Rhythmus achten. Im Ranking nach dem Level taucht nämlich nicht nur die Dauer der Runde, die Zahl erledigter Gegner und gesammelter Items, sondern auch die Punktzahl auf. Bei einer guten Leistung regnet es Sterne - und die brauche ich zum Freischalten neuer Levels.
Manch ein Archiv musste ich also zweimal angehen - auch wenn ich es auf Anhieb geschafft hatte. Grund dafür ist wieder einmal die Kürze des Spiels: Trotz Vollpreis hatte ich in nur rund vier Stunden alle Levels gesehen. Die Redundanz ist aber kein Beinbruch, weil sich das Farbinferno sehr abwechslungsreich präsentiert: Innerhalb weniger Sekunden passiert derart viel, dass es mir auch beim fünften Durchzocken für die Leaderboards nicht langweilig wurde. Es macht richtig Spaß, mein Spiel nach und nach immer mehr zu perfektionieren.
Kurztrip
Neben dem organischeren Design hat Mizuguchi sich einen weiteren Design-Schwerpunkt gesetzt: Immer wieder treffe ich auf leuchtende Sonnensegel, auf denen wie in Guitar Hero weiße Quadrate entlang laufen. Passend zum Thema kann ich hier besonders hohe Kombos aufbauen, während immer wieder kurze Gitarrenriffs aus den Boxen dröhnen. Auch der Rest der Musik hat sich im Vergleich zu Rez japanischer Popmusik angenähert.
Rock Band lässt grüßen
Mizuguchis Band steuert einige gesanglastige Stücke bei. Wer eine Allergie gegen Vocal Trance oder euphorische Melodien hat, wird mit der Untermalung natürlich nicht glücklich; mir hat der Sound aber ausgezeichnet gefallen, denn er passt immer perfekt zum Geschehen. Zu kitschig wird es jedenfalls nicht, weil die kurzen Gesangs-Parts immer wieder in mystische und hypnotische Elektronik-Passagen eingebettet werden. Es ist ein ständiges Hin- und Her – wie in der visuellen Umsetzung.
Auch der Subwoofer bekommt gut zu tun: Wenn ich in einen Level abtauche, bringt der gewaltige Tiefbass die Möbel zum Knarzen. Schaltet unbedingt in den Spiel-Optionen den 5.1-Sound an – standardmäßig ist er deaktiviert. Das gilt auch für die Punkteanzeige, welche vermutlich deshalb ausgeschaltet wurde, um Anfänger zu Beginn nicht noch mehr zu verwirren.
Techno-Aquarium
Schon bei der Ankündigung von Child of Eden auf der letztjährigen E3 legte Publisher Ubisoft den Fokus auf die Kinect-Unterstützung und laut Packungsrückseite soll sie sogar völlig neue "Erlebnisdimensionen" eröffnen. Ganz einhalten kann die Bewegungssteuerung das Versprechen nicht. Sie funktioniert deutlich besser als im Großteil der Konkurrenz, die Präzision der Pad-Kontrolle erreicht sie aber nicht. Das ist offenbar auch den Testspielern aufgefallen, denn die Entwickler haben dem Kinect-Modus ein deutlich dickeres Fadenkreuz spendiert. Auch die Leaderboards sind in neue und konventionelle Handhabung aufgeteilt.
Neues Spielgefühl durch Kinect?
Fazit
Es ist schwer, die Schönheit von Tetsuya Mizuguchis Farbspektakel in Worte zu fassen, deshalb solltet ihr unbedingt auch einen Blick auf das Video-Fazit werfen. Viele psychedelische Arcade-Shooter haben sich in den vergangenen elf Jahren von Rez inspirieren lassen, doch das Design des Originals ist auch im zweiten Teil noch eine Klasse für sich. Anspannung und Euphorie, Licht und Schatten, Laute und leise Töne wechseln sich hier derart schnell ab, das man in einen regelrechten Rausch gerät. Obwohl die organischeren Wesen und Pop-Einflüsse ein wenig massentauglicher wirken als im technoideren Vorgänger, passt das Ergebnis perfekt zum Gesamtkunstwerk. Child of Eden verkörpert das futuristische Design und die Aufbruchstimmung der frühen Techno-Jahre immer noch besser als jedes andere Spiel. Mizuguchi wagt zwar nur behutsame Änderungen, doch das rhythmische Kombo-System sowie die neue Waffe verleihen der Action trotzdem mehr Tiefgang. Das zeigt sich spätestens dann, wenn man einen Level zum fünften mal angeht, um noch ein paar Punkte mehr abzustauben. Der größte Kritikpunkt ist wieder die Kürze: Nach rund vier Stunden hat man bereits alle Archive gesehen – und es gibt nicht einmal einen Multiplayer. Immerhin sorgen Bonus-Levels, massig freischaltbare Goodies und die Highscore-Jagd für massig Extra-Motivation. Schon das zeitlose Rez wurde wie ein guter Wein jedes mal besser, wenn man es nach ein paar Jahren wieder für eine Session aus dem Regal holte.
Pro
- wunderhübsch glühende technisch-organische Traum-Kulissen
- gelungener Sound-Mix aus elektronischen und Pop-Elementen
- beeindruckendes Zusammenspiel aus Licht und Ton
- Tiefbass der 5.1-Abmischung lässt die Wände wackeln
- optionale Kinect-Steuerung bringt Abwechslung ins Spiel...
- stark motivierende, gut ausbalancierte Arcade-Action
- hoher Wiederspielwert durch Wertungen und Highscorejagd
- jede Menge freispielbare Goodies, Effekte und Bonus-Levels
- neue Waffe und Rhythmus-Kombo passen prima ins Konzept
- Extra-Schwierigkeitsgrade zum Chillen und für Profis
- nach Kinect und Controller sortierte Leaderboards
Kontra
- Hauptspiel nur rund vier Stunden kurz
- nur dezente Neuerungen
- weder Extra-Waffen noch anderes Aufrüsten
- kein Multiplayer
- ...reagiert aber nicht so präzise wie das Pad