The Book of Unwritten Tales: Die Vieh Chroniken - Test, Adventure, PC

The Book of Unwritten Tales: Die Vieh Chroniken
07.10.2011, Jan Wöbbeking

Test: The Book of Unwritten Tales: Die Vieh Chroniken

Ein echtes Vieh kann nichts erschüttern: Zwei Jahre nach der Insolvenz des Publishers HMH bekommt der flauschige Star aus unserem Adventure des Jahres 2009 endlich sein Serien-Spin-off. In den eisigen Nordlanden trifft Abenteurer Nathanial „Nate“ Bonnett sogar auf ein ganzes Rudel der wandelnden Bettvorleger – und auf die Weltherrschaftspläne des finsteren Hexers Munkus.

Retter wider Willen

Mit der rechten Maustaste begutachtet man Inventar-Objekte, mit der linken benutzt man sie. Wurde ein Gegenstand ausgewählt, lässt er sich nur mit sinnvollen Dingen benutzen.

Wie immer gerät der selbstgefällige Han-Solo-Verschnitt nur per Zufall zwischen die Fronten. Die Geschichte nimmt den Spieler mit auf eine Reise in die Zeit vor dem ersten Teil und erzählt, wie das dynamische Duo aus Mensch und Vieh sich kennenlernte. Nate hat sich mit gezinkten Karten ein Luftschiff ergaunert und wird nun von der resoluten Ork-Kopfgeldjägerin Ma’Zaz verfolgt. Sie wird äußerst passend von Whoopie Goldbergs deutscher Stimme Regina Lemnitz vertont. Auch Nate besitzt mit Dietmar Wunder (spricht u.a. Daniel Craig und Adam Sandler) wieder einen prominenten Sprecher, der nach ein paar Betonungs-Patzern zu Beginn einen tollen Job abliefert. Der Soundtrack stammt ebenfalls von einem alten Bekannten: Benny Oschmann steuerte schon im ersten Teil seine Melodien bei und auch diesmal passen die Orchester-Klänge prima zum Geschehen. Ein paar Lieder wurden allerdings recycelt.

Zu Beginn schlüpfe ich erst einmal in die Rolle des frisch gebackenen Luftschiff-Kapitäns, der mit seinem neuen Schätzchen über den Wolken der Fantasy-Welt schwebt. Im Universum des Spiels leben Menschen, Magier, diverse tolkien‘sche Fabelwesen sowie die technikbegeisterten Gnome mehr oder weniger friedlich zusammen. Nate versucht stets, seinen Vorteil aus all dem Kuddelmuddel zu ziehen. Meist hindern ihn aber seine Ungeschicktheit und seine Gutmütigkeit daran, ein erfolgreicher Gauner zu werden. Auch diesmal hat er die Rechnung ohne den Wirt gemacht: Kaum hat er seinen Monolog über die frisch gewonnene Freiheit über den Wolken beendet, erscheint neben ihm auch schon das wendige Kampfschiff der Kopfgeldjägerin Ma’Zaz, um das Luftschiff wieder einzukassieren.

Da die latent genervte Ork-Frau das Objekt ihrer Begierde möglichst ohne Kratzer nach Hause bringen möchte, versucht sie erst einmal, Nate mit Worten zur Aufgabe zu überreden. Er wiederum denkt natürlich gar nicht daran, sein neu gewonnenes Schätzchen abzugeben. Schon hier wird deutlich, dass Jan Theysen sich beim Schreiben der Dialoge noch mehr Mühe gegeben hat als im ohnehin lustigen Vorgänger: Die beiden liefern sich ein urkomisches Wortgefecht nach dem anderen.

Humor +1

In manchen Szenen wirkt es dank fehlender Schatten so, als schwebten die Figuren über dem Eis. Davon abgesehen sehen Kulissen und Figuren aber wieder prima aus.
Da die Luftschiff-Kanone leer ist und Nate nicht einmal weiß, wie man das fliegende Ungetüm steuert, helfe ich ihm auf klassische Adventure-Art auf die Sprünge. Während die Verfolgerin geduldig neben ihm her schwebt, suche ich das Schiff nach mehr oder weniger nützlichen Hilfsmitteln ab: Watte, ein Schlauch, zwei Karnevalströten und anderer Krimskrams wandert in mein überschaubares Inventar. Es lässt sich bequem am unteren Bildrand öffnen, indem ich den Mauszeiger dorthin führe. Auch darüber hinaus flutscht die Handhabung meist problemlos. Per Leertastendruck lassen sich die (im Menü deaktivierbaren) Hotspots und eine stichpunktartige Zusammenfassung der aktuellen Hauptaufgabe einblenden. Nach einigen gelösten Puzzles habe ich Pulver und eine glimmende Zigarre organisiert; also lasse ich Nate einfach die Watte ins Kanonenrohr stopfen. Und tatsächlich - er lässt sich zu meiner Schnapsidee überreden: „Meine Theorie ist, dass die Watte durch den Luftdruck dermaßen komprimiert wird, dass sie beim Aufprall auf Zazis Schiff hart wie Stein ist.“ Schon klar. Immerhin bringt die Verzweiflungstat meine grimmige Verfolgerin derart in Rage, dass sie ihrerseits eine Kanonenkugel herüber feuert. Glücklicherweise besitzt Nate mehr Dusel als Verstand, daher perforiert das Geschoss nicht den Schiffsrumpf, sondern landet stattdessen auf meinem Deck. Schönen Dank auch!

All zu viel nützt das Nate übrigens trotzdem nicht. Letztendlich führt sein Gekabbel mit Ma’Zaz dazu, dass er über den Nordlanden abstürzt, wo er das Vieh und seine Artgenossen kennenlernt. Die meisten von ihnen haben übrigens bereits erstaunlich gut die Spreche von Menschen, Orks & Co erlernt. Nur das Vieh verständigt sich nach wie vor mit den albern klingenden Gutturallauten seiner Vorväter – und nimmt damit einen ähnlichen Außenseiterstatus ein wie Nate.

Praktisch: Das knuffige Baby-Vieh ahmt aufgeschnappte Satzfetzen genauer nach als jeder Papagei.


Und nun zurück zum Sport!

Der coolste Charakter ist übrigens das Baby-Vieh: Statt zu plärren, ahmt der Wonneproppen wie ein Papagei die Worte anderer Personen und Satzfetzen aus dem Fernsehen nach. Die Viecher sind nicht die einzigen skurrilen Gestalten in der Polarlandschaft. Neben ihnen lungert auch die fanatische Tierschutzaktivistin Petra in der Eiswüste herum. Die für sie geschriebenen Wollpullover-Plattitüden sind zwar bei weitem so lustig wie der Rest des Spiels, aber immerhin komme ich durch sie an „Schwitzwolle“ und andere nützliche Utensilien. Deutlich unangenehmer fällt der finstere Hexenmeister Munkus auf: Er belagert die armen Viecher in der Nähe ihres Unterschlupfes, um ihnen ein mystisches Artefakt abzujagen, welches ihm bei seinen Weltunterjochungsplänen helfen soll.

Da Nate Hilfe bei der Reparatur seines Luftschiffs benötigt, arbeitet er fortan mit den technisch versierten Viechern zusammen. Von nun an wechsle ich per Mausklick zwischen Nate und dem Vieh. Natürlich können die beiden auch Gegenstände austauschen. Dank seines biegsamen Körpers kann mein kleiner Protagonist sich z.B. durch schmale Röhren quetschen, an denen Nate nicht weiter kommt. Ganz nebenbei versucht das Vieh übrigens, das Herz seiner weiblichen Artgenossin Leyla zu erobern – und deren gesundheitlich angeschlagenen Vater zu retten.

Helluratach!

Per Doppelklick auf das Icon wechselt man flott zwischen Nate und Vieh. Im verwirrenden Turm des Erzmagiers müssen sie gut zusammenarbeiten.

In einem späteren Kapitel verschlägt es das Duo in den verwirrenden Turm des Erzmagiers. Dort müssen  sie besonders gut zusammenarbeiten, um das „Unmöglichkeitssicherheitssystem“ zu umgehen.  Die Gemälde von MC Escher diente als Inspirationsquelle für das Bauwerk - es quillt geradezu über vor optischen Täuschungen, magischen Tricks und Fallen wie wegklappenden Treppenstufen. Hier erweist sich der Blasebalg vom Kamin als nützlich: Einfach Balg mit Vieh benutzen und schon schwebt das aufgeblasene Multitalent fröhlich glucksend an die Decke. Dort kann es nach Herzenslust umher watscheln, um skurrile Bilder, magische Schlangentöpfe und andere Dinge zu untersuchen – oder sie bei Bedarf in seinem unförmigen Rachen zu bunkern. Diese Abschnitte erinnern an die guten alten Gobliiins – schließlich gibt auch das Vieh nur Laute in seiner eigenen Sprache von sich. Ähnlich wie im französischen Klassiker geht es oft darum, mit allen erreichbaren Dingen herumzuexperimentieren.

Meist macht das Knobeln Spaß, doch mitunter haben die Entwickler in der Welt und den Dialogen zu wenige Hinweise eingebaut. Gelegentlich kommt man also nur durch wildes Ausprobieren auf die Lösung. Hier ein kleines Beispiel (wer sich das Rätsel nicht spoilern möchte, sollte den Rest dieses Absatzes überspringen): Ich benötige eine weiße Leinwand, welche zwischen diversen Gemälden in einer Galerie hängt. Der auf den weißen Hintergrund gemalte Engel kann sich aber (ganz wie bei Harry Potter) bewegen und krallt sich mit aller Macht am Rahmen fest. Also muss ich das daneben hängende Schwein mit einer Flöte aus seinem Gemälde hinüber zum Engel scheuchen. Dazwischen hängt aber eine optische Täuschung – also rennt der quietschende Eber munter im Kreis. Darum muss ich in einem anderen Raum ein Bild mit einer Axt von der Wand schlagen und es über die optische Täuschung hängen. Erst dann ist der Weg für das galoppierende Borstenvieh frei, der Engel verscheucht und die Leinwand gehört mir. Für derart skurrile Aktionen gibt es aber leider kaum Hinweise.

Zu viel Trial & Error

Schlechtes Timing: Der fette Hexenmeister Munkus bedroht den Vieh-Ältesten, das Vieh und seine Flamme Leyla.
Insgesamt sind die Kopfnüsse nicht nur knackiger, sondern auch weniger logisch geraten als im Vorgänger. Einsteiger sollten also zu Beginn den einfachen Schwierigkeitsgrad mit weniger Rätseln auswählen. Ein weiteres Problem ist, dass man in den rund neun Spielstunden nur an wenigen Schauplätzen mit etwa 15 scrollenden Hintergründen unterwegs ist. Der Vorgänger bot deutlich mehr Abwechslung – und auch doppelt so viel Spielzeit. Wer möchte, kann Die Vieh-Chroniken übrigens in einer Special Edition kaufen, in der neben einem Artbook und Soundtrack-CD auch der Vorgänger steckt.

Richtig gut sind die wenigen Minispiele gelungen: Auf der weißen Leinwand muss ich z.B. mit den passenden Farben ein Stillleben ausmalen – oder ich versuche mich mit einem Metallstift und feinen Mausbewegungen als Schlossknacker. Ein paar ausgelagerte Symbol-Puzzles sind auch dabei. Ebenfalls ein Highlight sind die Kulissen: Der Mix aus urigen Render-Hintergünden und ansehnlich animierten Polygon-Charakteren macht wieder einen äußerst hübschen Eindruck. Offenbar hatte King Art diesmal aber weniger Zeit für das Beleuchtungssystem, welches die Figuren im Vorgänger erstaunlich realistisch mit den Kulissen verschmelzen ließ. Im ewigen Eis etwa besitzen manche Figuren nicht einmal einen Schatten; und auch ein paar von Petras Animationen wirken noch ziemlich ruckartig.

Bob Ross wäre stolz

Fazit

Man merkt den Vieh Chroniken deutlich an, dass King Art nicht mit der gleichen Sorgfalt bei der Sache war wie beim großartigen Vorgänger. Beim Knobeln ist etwas mehr Trial & Error nötig und anders als beim Konkurrenten Harveys Neue Augen wurden zu wenige Hinweise in die Dialoge eingebunden. An einigen Orten fehlen sogar noch die Schatten diverser Figuren. Offenbar hatten die Entwickler nicht mehr genug Zeit oder Ressourcen, um dem lange auf Eis liegenden Spiel den letzten Schliff zu geben. Trotzdem ist auch der zweite Teil der Reihe ein richtig unterhaltsames und vor allem lustiges Adventure geworden. Der Großteil der Rätsel macht Spaß, die Charaktere besitzen liebenswerte Eigenheiten und die urige Fantasy-Welt sieht trotz der kleinen Fehler wieder richtig klasse aus. Die Dialoge sind diesmal sogar deutlich lustiger und bissiger geraten. Das gilt vor allem für die von einer herzlichen Hassliebe geprägten Streitgespräche zwischen Nate und Ma’Zaz.

Pro

  • unterhaltsame Abenteuer-Geschichte
  • urige Fantasy-Welt
  • liebenswerte Charaktere
  • mehr Viecher
  • noch mehr treffsichere Gags als im Vorgänger
  • lustige Anspielungen auf Rollenspiele und Romane
  • gelungener Mix aus Render-Bildern und Echtzeit-Figuren
  • detailverliebte Kulissen
  • professionelle Synchronisation
  • gelungene Musikbegleitung
  • ausgezeichnete Soundeffekte und Umgebungsgeräusche
  • zwei Schwierigkeitsgrade
  • komfortable Bedienung
  • motivierende, vorbildlich eingebundene Minispiele

Kontra

  • zu oft Trial & Error statt Logik gefragt
  • es mangelt an Hinweisen
  • nur wenige Schauplätze
  • Spielzeit wird zu sehr durch Rätsel gestreckt
  • Beleuchtung, Schatten und Animationen wirken oft unfertig
  • seltener Bug lässt benutzbare Objekte verschwinden

Wertung

PC

Nicht ganz so geschliffen wie der Vorgänger, aber trotzdem ein lustiges und unterhaltsames Fantasy-Adventure rund um Abenteurer Nate und das vielseitige Vieh.