Der Herr der Ringe: Der Krieg im Norden - Test, Rollenspiel, 360, PC, PlayStation3

Der Herr der Ringe: Der Krieg im Norden
09.11.2011, Benjamin Schmädig

Test: Der Herr der Ringe: Der Krieg im Norden

Wie Litfaßsäulen harren sie stur am Platz: Legolas, Frodo, Gimli, Elrond, Arwen - fast alle sind sie da. Und werden zu Stichwortgebern, wenn man sie anspricht, zu Touristenführern in Sachen Mittelerde, Sauron oder Ringgeister. Niemand sonst hält sich dort auf, wo Tolkien das prachtvolle Bruchtal beschrieb. Die Lizenzfiguren sind eindimensionale Staffagen in einer leblosen Kulisse. Wie Denkmäler mahnen sie vor den Folgen ideenloser Lizenzarbeit - symbolisch für das gesamte Spiel.

Das Studio heißt Snowblind? Das sind doch - genau! Mit Baldur's Gate: Dark Alliance und Champions of Norrath haben die Entwickler einst das geschafft, was Bungie mit Halo vollbrachte: Sie machten Gamepad-Spielern eine PC-Domäne zugänglich. Bei Bungie war es der Ego-Shooter, bei Snowblind das Action-Rollenspiel. Der Action kam dabei eine besondere Bedeutung zu, denn der relativ müde Mausklick musste auf ein aktives Spiel mit den Gamepad-Tasten übertragen werden. Snowblind gelang das und im Laufe der Jahre gewannen Nachfolger und Nachahmer immer mehr Schwung - die Kamera schaut den Helden längst über die Schulter und ist so viel intensiver dran als die starren Vogelperspektiven eines Torchlight oder Diablo 3.

Moderne Action?

Moderne Action - dazu gehört auch das gemeinsame Erleben des Abenteuers. Am besten online oder offline, am besten jederzeit, am besten immer mit dem im eigenen Spiel aufgebauten Charakter. Also gedacht, getan: Dank Schulterblick sind die Entwickler ganz nah dran und ans kooperative Spiel haben sie ebenfalls gedacht. Und sonst? „Vertraut uns, wir sind Snowblind, mit Action-Rollenspielen kennen wir uns aus“, hörte man sie in den vergangen Monaten auffallend oft sagen. Völlig egal, ob es um Charakterentwicklung, den Kampf oder das Verteilen gefundener Gegenstände ging.

Und wie sie sich auskennen! Denn das geradezu unheimliche Motivationswunder „Action-Rollenspiel“ funktioniert auch diesmal ganz vorzüglich: Erfahrungspunkte klicken im Sekundentakt den Zähler rauf, bessere Waffen und stärkere Rüstung ratschen mit einem befriedigenden Klirren an den Leib des Kriegers. Der eigene Kämpfer wird ständig stärker und lernt bis zu drei Spezialfähigkeiten, die man um je sechs Eigenschaften erweitern darf. Klar beschränkt sich die spielerische Finesse darauf, gelegentlich eine dieser mächtigen Fähigkeiten auszulösen - abgesehen davon hämmert man sich durch Knopf-Knopf-Knopf-Knopf-Knopf-Knoooopf. Macht aber nichts, weil die Droge nicht die Inszenierung, sondern die unablässige Zufuhr von Erfolgserlebnis ist.

Die Handschrift des Experten

Und wie sie sich damit überschätzt haben! Denn obwohl die Inszenierung nicht im Vordergrund steht: So monoton wie im Norden Mittelerdes darf banales Kloppmisten nicht wirken. Zwar stehen die drei Helden fast immer ganzen Gegnerhorden gegenüber, es fliegen Köpfe und der Todesstoß trennt Beine ab. Doch das Trio hackt und säbelt und sticht mit einer Gleichförmigkeit auf das immer gleiche Fußvolk ein, dass es einfach keine Freude ist. Mächtige Attacken verpuffen wie der wütende Stampfschritt eines bockigen Dreijährigen. Einfallsreiche Angriffsmuster gibt es nicht, spielerische Finessen sucht man vergebens. Die Kamera blickt gerne überall und nirgends hin, die Fokussierung funktioniert nicht. Einsame Nuance: Tötet man einen strauchelnden Feind mit einem schweren Hieb, erhält man etwas mehr Erfahrungspunkte. Zeitgemäße Action? Nur in der Gewaltdarstellung.

Auskennen? Das war einmal...

Überschätzt hat sich Snowblind auch mit der Inszenierung. Denn so interessant eine Erzählung ist, die parallel zu den Abenteuern der Bücher verläuft. So schön der Besuch bekannter Orte auch sein mag: Die furztrockene Aneinanderreihung erklärender und beschreibender und hinweisender und mahnender Textreihen übertrifft locker manch japanische Dialogwüste. Schade um die guten deutschen und besseren englischen Sprecher! Immerhin darf man die Unterhaltungen offen gestalten und erfährt auf Wunsch viel Wissenswertes über die Geschichte und den Zustand Mittelerdes.

Trotz unterschiedlicher Fähigkeiten bleiben die Helden leider blass. Nur die Elbin tut sich als Zauberin ein wenig hervor.
Zu allem Überfluss haben die Autoren allerdings den Figurenaufbau aus dem Drehbuch herausgeschrieben - anders ist die komplette Abwesenheit jedweder Charakterdarstellung nicht zu erklären: Die drei Helden, ein Dunedain genau wie Aragorn, ein Zwerg und eine Elbe, bleiben jedenfalls so blass wie Gandalfs weißer Umhang. Sie haben weder eine Geschichte noch eine Beziehung zueinander. Sie reden kaum miteinander und von Spannungen zwischen Zwergen und Elben haben diese drei noch nie gehört...

Nicht einmal als Spielfiguren tun sie sich mit Bestimmtheit hervor: Die Elbin zaubert zwar, der Zwerg wütet im Nahkampf und der Mensch kann sich einige Sekunden lang unsichtbar machen, doch unterm Strich beherrschen sie alle dieselben Fertigkeiten, lassen sich auf ähnliche Art entwickeln. Ihre wenigen Spezialfähigkeiten sind zu unscheinbar, als dass sie sich darüber auszuzeichnen könnten. Nur die Elbin tut sich mit Heil- und Schutzzaubern hervor - doch selbst sie ist fast immer am Knopf-Knopf-Knopfen. Richtig witzlos sind sogar die sekundären Sinne, mit denen der Zwerg schwache Mauern und die Elbin magieanfällige Wände, der Mensch hingegen Dunedain-Verstecke aufspürt. So findet man mit jeder Figur eben eine andere Schatztruhe... Was soll man sagen?

Bleichgesichter

Glück im Unglück: Beim gemeinsamen Erleben treten die Eigenheiten natürlich deutlicher hervor, denn man freut sich nun mal über eine dreimal so große Ausbeute. Und man kann sich im Gefecht besser aufeinander abstimmen. Ein Trio, das sich von Beginn an als Team entwickelt, erlebt die Kämpfe aus einer ganz anderen Perspektive.

Brachiale Scharmützel im großen Mittelerde: Krieg im Norden atmet den Geist von Baldur's Gate: Dark Alliance - moderner Zeitgeist hätte ihm besser gestanden.
Keine Frage - die Möglichkeiten sind da. Als Elbe braut man etwa aus Kräutern Tränke und verteilt sie an Kameraden. Spielt man als Zwerg alleine, denkt die Dame jedoch nicht einmal daran. Überhaupt kommt das Zusammenspiel mit vom Spiel gesteuerten Begleitern kaum zum Tragen. Sie blockieren dann gerne enge Durchlässe und setzen ihre besonderen Fähigkeiten nur zaghaft ein.

Wie soll man Snowblind also das Vertrauen schenken, das sie immer und immer eingefordert haben? Man darf nicht einmal ein gewähltes Ausrüstungsstück mit dem gegenwärtig angelegten Gegenstand vergleichen - eigentlich die leichteste Pflichtübung für Rollenspiel-Macher. Eine ähnlich leichte Übung wie das zufällige Ausschütten jener Edelsteine, die einem Gegenstand besondere Fähigkeiten verleihen. Weil man aber viel zu schnell bedeutend stärkere Waffen findet, lohnt es sich überhaupt nicht, die aktuelle mit einem Bonus zu versehen - man wird sie ohnehin bald ablegen.

Fundament statt Stuck

Und als wollten sie ihr kraftloses Tun noch einmal unterstreichen, knallen die Entwickler schließlich von der Geschichte losgelöste Herausforderungen auf die Landkarte, in denen das Trio in bekannten Kulissen wie Osgiliath gegen etliche Feindwellen kämpft. Völlig egal, dass diese Helden dort nichts zu suchen haben. Völlig egal, dass die Schauplätze kleine Arenen sind, in denen eine Gegnerwelle nach der nächsten jede Lust am brachialen Scharmützel vernichtet. Zum Aufleveln ist das super. Inhaltlich ist es Schindluder. Nein, so sehr sich das Traditionsstudio auch auf seine Stärken verlässt: Nach fünf Jahren sind diese Stärken in ihrer Urform nur noch ein stabiles Fundament. Ein starkes Spiel sieht heute anders aus.

Fazit

Die Webseite ist längst offline, eine alte Version unserer Redaktionssoftware zeigt aber heute noch die letzte Startseite für PlayStation 2-Inhalte an: Das fünf Jahre alte Justice League Heroes wird da beworben, das letzte Snowblind-Spiel vor Krieg im Norden. Und genau wie die Startseite hat sich Snowblind seitdem praktisch nicht vom Fleck bewegt. Es scheint, als hätten die Entwickler ihre Hubschrauberkamera von damals auf moderne Schulterhöhe gesenkt - aber vergessen, mit dem Detailzoom auch die Inszenierung zu verfeinern. Keine mächtige Spezialfähigkeit rockt so sehr, dass man dem Heldentrio den „Helden“ abkauft. Blickt man in die steifen Gesichter der Akteure, sieht man der letzten Technikgeneration sogar direkt in die Augen, während sie mit jedem Wort ihrer langen, langen Monologe ein Stückchen Atmosphäre ersticken. Was Snowblind gut macht, haben sie vor fünf Jahren schon gut gemacht: Monsterjagd und Schatzsuche motivieren punktgenau, so wie sie es sollen. In den offenen Unterhaltungen erfährt man viel über Mittelerde, trotz der schwachen Technik genießt man idyllische Ausblicke und immerhin haben die Entwickler nach einem halben Jahrzehnt auch das Spiel mit bis zu drei Online-Abenteurern für sich erschlossen. Das Wichtigste verpassen sie allerdings: Sie gewinnen dem Action-Rollenspiel, das sie einst groß rausgebracht haben, keine eigenständige Facette mehr ab. Und fünf Jahre sind eine verdammt lange Zeit...

Pro

  • viele brachiale Scharmützel
  • gemeinsames Online.Erleben der Geschichte
  • viele Informationen über Herr der Ringe-Universum

Kontra

  • eindimensionale Kämpfe, unspektakuläre Spezialfähigkeiten
  • dröge Inszenierung mit trockenen Dialogen
  • keine echten Geheimnisse, kaum Nebenmissionen
  • Figuren unterscheiden sich spielerisch kaum
  • erzählerisch sinnfreie, spielerisch ermüdende Herausforderungen
  • umständliches Wühlen im Inventar

Wertung

360

Unterhaltsames, aber trotz des gemeinsamen Onlinespiels furchtbar einfallsloses Action-Rollenspiel ohne eigenen Ideen.

PC

Am PC sieht Mittelerde naturgemäß ein wenig schärfer aus - hat spielerisch allerdings keine Vorteile.

PlayStation3

Unterhaltsames, aber trotz des gemeinsamen Onlinespiels furchtbar einfallsloses Action-Rollenspiel ohne eigenen Ideen.