Tales of the Abyss - Test, Rollenspiel, PlayStation2, 3DS

Tales of the Abyss
15.12.2011, Jens Bischoff

Test: Tales of the Abyss

3DS-Besitzer konnten ihren Rollenspielhunger bisher nur mit herkömmlichen DS-Titeln stillen. Mit Tales of the Abyss (ab 69,95€ bei kaufen) steht nun das erste reine 3DS-Rollenspiel parat. Zwar handelt es sich dabei lediglich um die Portierung eines sechs Jahre alten PS2-Oldies, aber dass alte Kamellen nach wie vor vorzüglich munden können, hatte ja kürzlich erst Ocarina of Time 3D eindrucksvoll bewiesen. Trifft das auch auf den hierzulande nie veröffentlichten Namco-Klassiker zu?

Es ist schon schade, dass Namco Bandai seiner Tales-Saga nur so wenige Auftritte in Europa genehmigt - und das trotz allen Lobs für Ausnahmen wie Tales of Symphonia oder Tales of Vesperia. Auch Tales of the Abyss konnte man bislang nur als Japan- oder US-Import beziehen. Wer einen 3DS sein Eigen nennt, kann sich diesen Umweg nun jedoch sparen und freut sich nicht nur über immens verkürzte Ladezeiten, sondern bekommt das Spiel auch noch in 3D serviert.

Licht und Schatten

Allerdings ist der Effekt alles andere als gelungen und kann mit seiner unruhigen Darstellung sowie geringen Blickwinkelakzeptanz schon nach kurzer Zeit für Augen- und Kopfschmerzen sorgen. Die Bildrate lässt aber selbst in 2D oftmals zu wünschen übrig und dass der Titel komplett auf Englisch daher kommt und selbst das Handbuch nur eine fünfseitige deutsche Starthilfe beinhaltet, dürfte für viele, vor allem jüngere Spieler ebenfalls enttäuschend sein.

Wer damit kein Problem hat, erwartet jedoch ein nach wie vor episches Abenteuer, das einen unzählige Stunden an den Handheld fesselt: Protagonist Luke wurde als kleines Kind entführt und leidet seit seiner Rückkehr unter Amnesie. Seit diesem traumatischen Erlebnis sind mittlerweile sieben Jahre vergangen, die er aus Sicherheitsgründen völlig abgeschirmt im herzoglichen Anwesen seiner Eltern verbracht hat. Auch wenn es ihm hier an nichts mangelt, fühlte er sich inzwischen wie ein Gefangener, der gelangweilt in den Tag lebt.

Eine Reise ins Ungewisse

Protagonist Luke ist ein naiver, verwöhnter Bengel, dem die Welt jenseits seines goldenen Käfigs völlig fremd ist.
Eines der wenigen Highlights seines behüteten Daseins sind die Trainingsstunden mit Schwertkampflehrer Van. Auch heute kann er es kaum abwarten, mit ihm die Übungsklingen zu kreuzen. Doch dann taucht plötzlich eine mysteriöse Frau auf, die Lukes Lehrmeister nach dem Leben trachtet. Das Attentat wird allerdings in letzter Sekunde durch eine gewaltige magische Entladung vereitelt, nach der sich Luke zusammen mit der Attentäterin auf einer einsamen Waldlichtung wieder findet.

Was ist geschehen? Wieso wollte die Frau Van umbringen? Und wohin hat es die beiden verschlagen? Völlig überfordert mit der Situation schließt sich Luke der Frau, die ihm selbst nichts Böses zu wollen scheint, an, um wieder nach Hause zu finden. Doch unterwegs erfährt Luke von Dingen, die Zweifel an vielem aufkommen lassen, was er bisher gelernt und geglaubt hat. Er taucht in eine Welt ein, die ihm völlig fremd ist. Eine Welt, die durch militärische Intrigen, skrupellose Wissenschaftler und religiöse Fanatiker in den Abgrund zu stürzen droht...

Nach bestimmten Ereignissen kann man Unterhaltungen initiieren, in denen man mehr über die Ansichten und Sorgen seiner Wegbegleiter erfährt - leider ohne Ton.
Auch dem Spieler stellen sich viele Fragen, die gekonnt Spannung aufbauen und immer wieder für Überraschungen sorgen. Man ist sich nie ganz sicher, wer welche Ziele verfolgt und warum, wem man tatsächlich trauen kann und was richtig oder falsch ist. Trotz verhängnisvoller Entscheidungen und tragischer Momente, kommt aber auch der Humor nicht zu kurz. Vor allem die serientypischen Gruppengespräche, die man nach bestimmten Ereignissen aktivieren kann, bringen einen immer wieder zum Schmunzeln. Wo sonst wird schon über Spezialkräfte verleihende Bärte oder nachwachsende Stühle gefachsimpelt?

Packendes Drama

Überhaupt wirken die Charaktere trotz aller Klischees ungemein charmant und sympathisch - selbst Luke überzeugt als naiver, verwöhnter Großkotz, der eigentlich nichts für sein Benehmen kann und sich mit Veränderungen lange Zeit ungemein schwer tut. Dabei leisten auch die eingeflochtenen Anime-Sequenzen und englischen Synchronsprecher gute Arbeit. Schade ist nur, dass nicht alle story-relevanten Dialoge vertont wurden und die zahlreichen Gruppengespräche nach wie vor gänzlich ohne Sprachausgabe auskommen müssen.

Auf dem Schlachtfeld erweisen sich die Helden hingegen als ungemein redselig, was die in Echtzeit ablaufenden Gefechte angenehm lebendig wirken lässt. Man selbst steuert dabei immer nur Luke direkt - wie üblich kann man seinen bis zu drei Gefährten aber jederzeit Anweisungen erteilen und später auch selbst in deren Rollen schlüpfen. Auch Ausrüstungswechsel sind jederzeit möglich. Ansonsten agieren die Mitstreiter gemäß vorher festgelegter Verhaltensregeln und Aktionsfreigaben. Im PS2-Original konnte man die Geschicke der anderen Partymitglieder alternativ auch in die Hände von Freunden legen, was auf dem 3DS aber leider nicht mehr möglich ist.

Auf in die Schlacht

Die Kämpfe laufen in Echtzeit ab und bieten mit der Zeit immer mehr Facetten und Anpassungsmöglichkeiten.
Dass auf dem Handheld zudem weniger Tasten zur Verfügung stehen, ist hingegen kein Handicap, da entsprechend verknüpfte Aktionen problemlos via Touchscreen ausgeführt werden können. Wer will, kann seine Gruppe sogar völlig eigenständig kämpfen lassen und nur im Notfall eingreifen - gerade bei schwachen Gegnern eine durchaus brauchbare und willkommene Option. Doch egal, ob man selbst Hand anlegt oder auf die oft etwas zögerliche KI vertraut, mit der Zeit lernen die Akteure nicht nur neue Zauber und Attacken, sondern auch eine ganze Reihe an aktiven und passiven Spezialfertigkeiten, die das Kampfsystem stetig erweitern und bereichern.

Interessant ist dabei vor allem die Möglichkeit durch den Einsatz von Elementarmagie entstandene Energiekonzentrationen auf dem Schlachtfeld zu nutzen, um besonders verheerende Angriffe vom Stapel zu lassen. Zudem kann man jede Fertigkeit mit verschiedenen Bonuseffekten belegen und diese durch regelmäßige Anwendung gezielt verstärken. Wer Kämpfe vermeiden will, kann potentiellen Gegnern auch versuchen aus dem Weg zu gehen, was aber nicht immer einfach ist, da sie bei Sichtkontakt sofort die Verfolgung aufnehmen. Je agiler der Anführer, um so leichter kann man sie jedoch abschütteln und zur Not kann man ihre Wahrnehmung auch mit speziellen Gegenständen vorübergehend trüben.

Die Spielwelt lässt sich anfangs nur zu Fuß erkunden. Neben Kutschen und Fähren erhält man später aber auch Zugriff auf eigene Fortbewegungsmittel.
Gereist wird in Tales of the Abyss über eine klassische, ebenfalls von Gegnern bevölkerte, aber leider teils sehr stark ruckelnde Weltkarte. Diese kann man anfangs nur zu Fuß, später jedoch auch zu Wasser und aus der Luft frei erkunden, um seltene Sammelobjekte und neue Orte zu entdecken. Die Gestaltung der über die Karte erreichbaren Schauplätze ist sehr abwechslungsreich und auch das aus vorgegebenen Kamerawinkeln eingefangene Leveldesign begeistert. Neben dem Bewältigen von Rätseln und Hindernissen, lohnt es sich auch nach versteckten Schätzen und Geheimbereichen Ausschau zu halten.

Ständig auf Achse

Dabei muss man immer wieder auf die Fähigkeiten von Schlappohr Mieu zurückgreifen, einem trotz aller Affronts seines Herrchens treuen Begleiter, der auf Kommando Feuer spuckt, Rammattacken ausführt oder sich in die Lüfte schraubt. Mit Mieus Hilfe kann man aber nicht nur lästige Hindernisse aus dem Weg räumen, sondern auch aufwändigere Aufgaben erledigen, wie mit geschickten Timing herab fallende Öltropfen entzünden, die dann entsprechend positionierte Fässer in Brand setzen, um im Dunkeln liegende Schalttafeln bedienen zu können. Auch zum Ablenken von Wachen oder Betäuben von Gegnern kann man ihn einsetzen.

Da sich Mieus Aktionsrepertoire erst nach und nach voll entfaltet, lohnt es sich selbst vertrauten Orten mehrere Besuche abzustatten. Die Schauplätze präsentieren sich insgesamt zwar sehr kompakt, bieten aber dennoch genügend Verzweigungen, Erkundungsreize und Interaktionsmöglichkeiten. In manchen Abschnitten hätte man sich sogar durchaus eine Kartenfunktion gewünscht. Speicherpunkte sind jedoch ausreichend vorhanden und selbst der Schwierigkeitsgrad lässt sich während des Abenteuers jederzeit anpassen.

Viel zu entdecken

Die einzelnen Schauplätze präsentieren sich zwar recht kompakt, warten aber mit gelungenen Erkundungsreizen und Interaktionsmöglichkeiten auf.
Wer gern auf Entdeckungsreise geht, findet auch abseits der Dungeons viel Beschäftigung. Neben einer Karriere im Kolosseum oder einem Besuch im Kasino, kann man auch sein Geschick als Kellner, Schmied oder Koch unter Beweis stellen, geheime Kampftechniken lernen, legendäre Waffen aufspüren und viele andere optionale Aufgaben erfüllen. Allein für die Story sollte man mindestens 50 Stunden einplanen, wobei man problemlos auch doppelt so viel Zeit mit Luke & Co verbringen kann. Selbst Anreize für mehrfaches Durchspielen sind vorhanden.

Schön ist auch, dass man immer wieder Objekte findet, die neue Aktionsmöglichkeiten mit sich bringen oder für zusätzlichen Spielkomfort sorgen. So lernt man beispielsweise neue Steuerungsvarianten, steigert die Effektivität bestimmter Gegenstände, erhält Zugriff auf weitere Menüoptionen oder baut sein Fortebewegungsmittel aus. Zudem füllt man mit der Zeit diverse Datenbanken mit Informationen an, kann vor Reiseantritt das Angebot ortsansässiger Händler überprüfen oder verschiedene Spielrekorde einsehen. Selbst mit verliehenen Titeln kann herum experimentiert werden, um deren Auswirkungen herauszufinden - ein wahres Dorado für Tüftler, Sammler und Perfektionisten.

Fazit

Tales of the Abyss ist auch auf dem 3DS ein klasse Rollenspiel in typischer Tales-Tradition, das seit seinem PS2-Debüt vor sechs Jahren kaum an Faszination eingebüßt hat - und das trotz gestrichener Koop-Funktion, fragwürdigen 3D-Effekts und fehlender Lokalisierung. Aber allein schon, dass man während des epischen Abenteuers mehrere Stunden weniger vor schwarzen Ladebildschirmen verbringt, stimmt versöhnlich. Wer das Original kennt, kann sich die inhaltsgleiche Handheld-Adaption natürlich sparen, aber alle anderen freuen sich auf eine packende Story voller Tragik, Komik und Überraschungen in einer Welt voller Geheimnisse. Hinzu kommt ein Kampfsystem, das ständig neue Facetten gewinnt. Klar hätte man sich für das Comeback ein paar Extras wie zusätzliche Anime-Sequenzen, vertonte Gruppendialoge, ein Schlachtfeldradar à la Star Ocean oder eine Kartenfunktion in Dungeons gewünscht, aber auch ohne jegliche Überarbeitung kann dieses Abenteuer wochenlang bestens unterhalten - und das nicht nur mangels Konkurrenz.

Wertung

3DS

Ein phantastisches Action-Rollenspiel im Anime-Stil, das trotz kleinerer Abstriche zu begeistern weiß.