Journey - Test, Action-Adventure, PlayStation4, PC, PlayStation3
Verweht, zerbrochen, vermutlich uralt - die steinernen Überreste einer Zivilisation ragen aus dem Sand. Es könnte eine Stadt oder eine Tempelanlage gewesen sein. Man erkennt orientalisch anmutende Ornamente, aber kann sich keinen Reim darauf machen. Man sieht weder Pflanzen noch Tiere. Aber was ist das? Da hinten flattern Vögel, nein: Stoffe im Wind! Die kleine Gestalt nähert sich, plötzlich glimmen die roten Flicken silbrig, jagen auf ihren Schal zu - dort verschmelzen sie wie Runen oder Hieroglyphen. Aber was haben sie zu bedeuten? Aha: Ab sofort kann sie auf Knopfdruck fliegen.
Auf der Suche nach Leben
Der majestätische Drachenteppich
Aber nicht so erhaben wie der Flug auf einem riesigen Wesen aus Stoff, der mit der kleinen Gestalt auf dem Rücken wie ein Drache durch die Luft gleitet. Es macht unheimlich Spaß, einfach mit ihm über die weiten Landschaften zu segeln, Ausschau nach interessanten Orten zu halten. Man hat keinerlei Missionsziel, doch es gibt immer wieder natürliche Fixpunkte, die einen magisch anziehen und kleine Aufgaben: Mal muss man lediglich eine Route finden, Stoffe durch Berührung aktivieren, eine mehrteilige Brücke aus Teppichen bilden oder einen gigantischen Turm in die Höhe bringen. Man kann auch Slalom durch einen Hindernisparcours fahren und immer wieder über diesen Sand staunen, der noch nie so feinkörnig, so zauberhaft in einem Videospiel aussah.
Trotz der theoretischen Freiheit gibt es einen Weg, denn an bestimmten Plätzen werden mit der Anwesenheit der kleinen Gestalt Statuen zum Singen und Leuchten gebracht, worauf sich hinter ihnen riesige Tore in die nächste Welt öffnen. Dann begegnet man den rätselhaften erzählerischen Elementen: Zum einen eine Art Traum, in dem die kleine Gestalt in grellem Licht viel größeren Wesen begegnet. Ihre Eltern? Ahnen? Götter? Zum anderen gibt es eine Art Wandteppich, auf dem der künftige Weg des Kapuzenwesens ikonographisch dargestellt wird. Schon dort wird schnell klar, dass der Weg zum Ziel nicht immer so leicht und beschwingt sein wird – düstere Wolken ziehen auf.
Rätselhafte Reise
Es gibt zwar keinen Tod, keinen Kampf, aber die Reise wird so gefährlicher,
spannender und beschwerlicher. Wo in der hellen Wüste noch die Unbeschwertheit sowie die Freude am Tanz mit den Stoffwesen regierte, muss man sich später nicht nur vor diesen Wesen in Acht nehmen, indem man Deckung und Schutz in kleinen Ruinen sucht: Gerade wenn man die Schneeregionen des Berges erreicht, huscht man wie ein Hase von Unterschlupf zu Unterschlupf, während mehrere der riesigen Jäger in der Luft kreisen . Ob man es schafft? Aber nicht nur diese sorgen für Gefahr und Spannung, vor allem die Natur wird immer gnadenloser, immer beeindruckender.Gefährliche Odyssee
Schon in der Wüste hat man bemerkt, wie schwer es ist, eine steile Düne zu erklimmen. Mit jedem Schritt wurde man langsamer. Oder wie leicht man vom Wind hinweg gefegt wird, wenn man sich zu weit hinauf wagt – regelrechte Wellen wurden dann in den Sand getragen und man purzelte hinab. Noch gewaltiger wird das Ganze beim Aufstieg zum Gipfel, wenn man nicht mehr von Sand, sondern von Schnee und Frost umgeben ist, der sich dynamisch in den eigenen Mantel und auch alle anderen Stoffe frisst. Alles wird immer weißer und steifer. Man friert regelrecht ein, kann die glimmenden Runen nur noch ganz kurz aktivieren und spürt den nahenden Tod.
Fazit
Märchenhaft, beeindruckend, inspirierend - wie eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht! Man wird als kleiner Wanderer von der naturgewaltigen Landschaft regelrecht aufgesogen, durch ein Hoch und Tief an Stimmungen geführt, von der beschwingten Faszination zur schleichenden Angst. Die Welt erinnert in ihrer Monumentalität an ICO und Shadow of the Colossus, während das Spieldesign das geheimnisvolle Erleben à la Flower fortführt. Ähnlich wie in Dear Esther befindet man sich auf einer rätselhaften Reise, ist beschränkt auf das Wesentliche zweier Knöpfe. Die Welt kann genau so surrealistisch wie idyllisch, genau so gnadenlos wie gefährlich sein. Die Kapuzengestalt muss clever fliegen, einige Geheimnisse lüften und sich bei Gefahr verstecken. Auch hier werden auf künstlerisch wertvolle Art jene Grenzen überschritten, die eingefahrene Genres oder das Spielen an sich definieren. Und das ist eine wunderbare Bereicherung: Waffen, Feinde und Krieg überall – die Spielewelt kann so schrecklich gewöhnlich, so primitiv zerstörerisch sein. Wer abseits von Helden auf Rachefeldzügen nach interessanten Erlebnissen sucht, wird viel zu selten fündig. Es ist schon paradox: Die ewige Wiederkehr des Gleichen wird hier genau so durchbrochen wie philosophisch thematisiert. Wir brauchen mehr Abenteuer dieser Art!