Journey - Test, Action-Adventure, PlayStation4, PC, PlayStation3

Journey
02.03.2012, Jörg Luibl

Test: Journey

Wüste, soweit das Auge reicht. Kilometerweit nur gleißender Sand. Irgendwo in der Ferne thront ein Berg. Die kleine Gestalt in roter Robe wandert weiter. Sie hinterlässt mit jedem Schritt einsame Spuren, die sich wie Schlangen hinter ihr winden. War da oben was? Langsam kämpft sie sich eine Düne hoch. Irgendetwas muss es doch zu entdecken geben! Wo ist das Leben? Sie blickt auf ein schattiges Tal und surft neugierig den Ruinen entgegen.

Verweht, zerbrochen, vermutlich uralt - die steinernen Überreste einer Zivilisation ragen aus dem Sand. Es könnte eine Stadt oder eine Tempelanlage gewesen sein. Man erkennt orientalisch anmutende Ornamente, aber kann sich keinen Reim darauf machen. Man sieht weder Pflanzen noch Tiere. Aber was ist das? Da hinten flattern Vögel, nein: Stoffe im Wind! Die kleine Gestalt nähert sich, plötzlich glimmen die roten Flicken silbrig, jagen auf ihren Schal zu - dort verschmelzen sie wie Runen oder Hieroglyphen. Aber was haben sie zu bedeuten? Aha: Ab sofort kann sie auf Knopfdruck fliegen.

Auf der Suche nach Leben

Künstlerische Inspiration aus Italien: Nicht nur ICO, auch Journey (ab 5,54€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) wurde grafisch von den Werken des "metaphysischen" Malers Giorgio de Chirico (1888 - 1979) inspiriert.
Allerdings nur für kurze Zeit, denn mit jedem Meter in der Luft verglühen die Symbole auf dem Schal. Man speichert nichts, man steigt nicht auf, man lässt sich quasi kurzfristig helfen. Könnte man damit nicht diese Plattform dort oben erreichen? Ja, und wenn man den Abstand zu den nächsten Stoffen richtig einschätzt, kann man ihn direkt zum Weiterfliegen nutzen. Falls nicht, versucht man es nochmal oder läuft einfach weiter. Man kann nicht springen, aber man darf auf den wabernden Bodenwellen im Sand surfen. Hey, der Schal wächst sogar mit der Zeit, das macht mich etwas schneller! Das Fliegen öffnet allerdings nicht nur ganz neue Wege in der Vertikalen, wenn man enorme Höhen in monumentalen Anlagen oder zerklüfteten Gebirgen erreicht, es sorgt auch für Begegnungen der genähten Art: Es gibt Lebewesen aus Stoff!

Man kann sich auch mit anderen Spielern auf den Weg zum Berg machen. Es gibt allerdings keine Lobby:  Wer online reist, begegnet plötzlich anderen Spielern - mit ihnen bewegt man sich schneller und kann manche exklusive Rätsel lösen.
Da wären zunächst die quallenartigen Wesen, die in der Luft schweben und die man als Plattform zum Aufladen seines Schals nutzen kann. Und manchmal fühlt man sich tatsächlich wie unter Wasser, wenn Stoffbahnen wie Algen nach oben schlängeln, bei jeder Berührung zucken und glitzern. Irgendwann lernt man zusätzlich zum Fliegen noch das Rufen: So kann man auf Knopfdruck viele Runen auf einmal einsammeln und sich in die Höhe katapultieren - je länger der Schal, desto größer der Radius. Noch interessanter sind die fliegenden Teppiche, die wie Mantas heran rauschen und in hohen Tönen wie Delphine kommunizieren. Sie scheinen die kleine Gestalt freundlich zu locken und zu leiten. Man kann mit ihnen fliegen, sich in der Luft aufladen und so noch länger Teil ihres Schwarms sein – ein tolles Gefühl.

Der majestätische Drachenteppich

Aber nicht so erhaben wie der Flug auf einem riesigen Wesen aus Stoff, der mit der kleinen Gestalt auf dem Rücken wie ein Drache durch die Luft gleitet. Es macht unheimlich Spaß, einfach mit ihm über die weiten Landschaften zu segeln, Ausschau nach interessanten Orten zu halten. Man hat keinerlei Missionsziel, doch es gibt immer wieder natürliche Fixpunkte, die einen magisch anziehen und kleine Aufgaben: Mal muss man lediglich eine Route finden, Stoffe durch Berührung aktivieren, eine mehrteilige Brücke aus Teppichen bilden oder einen gigantischen Turm in die Höhe bringen. Man kann auch Slalom durch einen Hindernisparcours fahren und immer wieder über diesen Sand staunen, der noch nie so feinkörnig, so zauberhaft in einem Videospiel aussah.

Trotz der theoretischen Freiheit gibt es einen Weg, denn an bestimmten Plätzen werden mit der Anwesenheit der kleinen Gestalt Statuen zum Singen und Leuchten gebracht, worauf sich hinter ihnen riesige Tore in die nächste Welt öffnen. Dann begegnet man den rätselhaften erzählerischen Elementen: Zum einen eine Art Traum, in dem die kleine Gestalt in grellem Licht viel größeren Wesen begegnet. Ihre Eltern? Ahnen? Götter? Zum anderen gibt es eine Art Wandteppich, auf dem der künftige Weg des Kapuzenwesens ikonographisch dargestellt wird. Schon dort wird schnell klar, dass der Weg zum Ziel nicht immer so leicht und beschwingt sein wird – düstere Wolken ziehen auf.

Rätselhafte Reise

Man muss einige Hindernisse überwinden und logische Rätsel lösen. Wie kommt man über diese Brücke? Nicht nur das Artdesign, auch die Technik ist fantastisch: Der Sand in Uncharted war schön, hier ist er schöner!
Auf schmalen Simsen im Gebirge muss man schon bald Schutz hinter Felsen suchen – ansonsten wird man über den Abgrund geweht. Und als die kleine Gestalt in einer kalt schimmernden Grotte an einer halb verschütteten Statue vorbei wandert, erwacht diese unter lautem Tosen zum Leben: Eine steinerne Kreatur, die aus dem Boden schießt und daraufhin wie ein Wächter durch die Höhle fliegt – ein klasse Moment in dieser so stillen Welt. Ihr blau funkelndes Auge sucht die Gegend ab, so dass man nicht mehr unbeschwert erkundet, sondern angespannt in Deckung flieht. Wird man von seinem Blick ertappt, stürzt sich der Drache auf die Gestalt und ihr magischer Schal, vielleicht schon auf eine stolze Länge angewachsen, wird gestutzt.

Es gibt zwar keinen Tod, keinen Kampf, aber die Reise wird so gefährlicher,

Es geht nicht nur idyllisch, sondern auch gefährlich zu: Lauert da etwas im Dunkeln? Ab und zu muss man sich verstecken.
spannender und beschwerlicher. Wo in der hellen Wüste noch die Unbeschwertheit sowie die Freude am Tanz mit den Stoffwesen regierte, muss man sich später nicht nur vor diesen Wesen in Acht nehmen, indem man Deckung und Schutz in kleinen Ruinen sucht: Gerade wenn man die Schneeregionen des Berges erreicht, huscht man wie ein Hase von Unterschlupf zu Unterschlupf, während mehrere der riesigen Jäger in der Luft kreisen . Ob man es schafft? Aber nicht nur diese sorgen für Gefahr und Spannung, vor allem die Natur wird immer gnadenloser, immer beeindruckender.

Gefährliche Odyssee

Schon in der Wüste hat man bemerkt, wie schwer es ist, eine steile Düne zu erklimmen. Mit jedem Schritt wurde man langsamer. Oder wie leicht man vom Wind hinweg gefegt wird, wenn man sich zu weit hinauf wagt – regelrechte Wellen wurden dann in den Sand getragen und man purzelte hinab. Noch gewaltiger wird das Ganze beim Aufstieg zum Gipfel, wenn man nicht mehr von Sand, sondern von Schnee und Frost umgeben ist, der sich dynamisch in den eigenen Mantel und auch alle anderen Stoffe frisst. Alles wird immer weißer und steifer. Man friert regelrecht ein, kann die glimmenden Runen nur noch ganz kurz aktivieren und spürt den nahenden Tod.

Fazit

Märchenhaft, beeindruckend, inspirierend - wie eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht! Man wird als kleiner Wanderer von der naturgewaltigen Landschaft regelrecht aufgesogen, durch ein Hoch und Tief an Stimmungen geführt, von der beschwingten Faszination zur schleichenden Angst. Die Welt erinnert in ihrer Monumentalität an ICO und Shadow of the Colossus, während das Spieldesign das geheimnisvolle Erleben à la Flower fortführt. Ähnlich wie in Dear Esther befindet man sich auf einer rätselhaften Reise, ist beschränkt auf das Wesentliche zweier Knöpfe. Die Welt kann genau so surrealistisch wie idyllisch, genau so gnadenlos wie gefährlich sein. Die Kapuzengestalt muss clever fliegen, einige Geheimnisse lüften und sich bei Gefahr verstecken. Auch hier werden auf künstlerisch wertvolle Art jene Grenzen überschritten, die eingefahrene Genres oder das Spielen an sich definieren. Und das ist eine wunderbare Bereicherung: Waffen, Feinde und Krieg überall – die Spielewelt kann so schrecklich gewöhnlich, so primitiv zerstörerisch sein. Wer abseits von Helden auf Rachefeldzügen nach interessanten Erlebnissen sucht, wird viel zu selten fündig. Es ist schon paradox: Die ewige Wiederkehr des Gleichen wird hier genau so durchbrochen wie philosophisch thematisiert. Wir brauchen mehr Abenteuer dieser Art!

Wertung

PlayStation3

Märchenhaft, beeindruckend, inspirierend - wie eine Geschichte aus Tausendundeiner Nacht!