The Lost Chronicles of Zerzura - Test, Adventure, PC

The Lost Chronicles of Zerzura
09.02.2012, Jan Wöbbeking

Test: The Lost Chronicles of Zerzura

Deutsche Entwickler haben offenbar ihre Vorliebe für Zungenbrecher entdeckt. Daedalic nennt sein kommendes Adventure DSA: Satinavs Ketten, Cranberry Production kontert mit dem nicht minder sperrigen Titel Lost Chronicles of Zerzura. Die Abenteuerreise führt den Spieler zur Zeit der Inquisition kreuz und quer durch den Mittelmeerraum.

Auf dem Dach seiner Werkstatt bastelt Feodor an seiner Flugmaschine.
Die Hannoveraner haben sich den exotischen Titel nicht selbst ausgedacht: Zerzura ist der arabische Name einer sagenumwobene Stadt mit weißen Mauern, welche sich der Überlieferung nach irgendwo im Tal des Nils zwischen Lybien und Ägypten befunden haben soll. In der realen Welt sind sämtliche Expeditionen dorthin gescheitert - im Spiel bekommen der junge Erfinder Feodor Morales aus Barcelona und sein Bruder Ramon Wind von der Legende.

Auf der Suche nach der weißen Stadt

Ich schlüpfe in die Haut von Feodor, welcher mit Hochdruck an der Erfindung einer Flugmaschine arbeitet. Inmitten der Aufbruchstimmung der Renaissance fürchtet die Kirche um ihre Macht; daher befindet sich auch Katalonien im Würgegriff der Inquisition. Während ich durch die beschaulichen Gassen Barcelonas streife, höre ich immer wieder Schauergeschichten über verschleppte und hingerichtete Ketzer. Auch die Brüder Morales befinden sich im Fadenkreuz der Kirche: Ihre Arbeit an abenteuerlichen Konstruktionen hat sich herumgesprochen und am Hafen haben bereits frische Inquisitoren angelegt, welche sich auf die Jagd nach den Erfindern machen.  Auch der Geldgeber der Brüder – ein raffgieriger Graf – droht damit, sie zu verpfeifen.

Als die Häscher ein seltenes Amulett beim Bruder Ramon entdecken, entführen sie

Die Vorbliebe für mystische Artefakte treibt seinen Bruder Ramon in die Fänge der Inquisition.
ihn kurzerhand – und ich begebe mich wie in Uncharted 3 auf eine Rettungsmission. Technisch kann das Adventure bei weitem nicht mithalten, Schauplätze und Handlung erinnern aber ein wenig an das Spiel von Naughty Dog: Es geht quer durch Spanien, zu geheimen Insel-Stützpunkten der Korsaren, nach Tripolis und in die nordafrikanische Wüste. Als Mann der Wissenschaft verlässt sich Feodor allerdings auf seinen Grips statt auf Gewalt. Selbst, wenn er einen Säbel in die Hände bekommt, hilft er ihm mangels Talent und Ausbildung nicht wirklich weiter.



Ein Uncharted für die grauen Zellen?

Stattdessen rafft er wie im Genre üblich jede Menge Utensilien zusammen und bastelt nützliche Apparaturen daraus. Die Konstruktionsrätsel sind die große Stärke des Spiels und sehr glaubwürdig in die Handlung eingebunden. Feodor ist schließlich Tüftler – und zwar ein Tüftler in der Zeit der Renaissance, als einfache aber clevere Ideen erstaunliche Erfindungen hervorbrachten. Es ist ungemein motivierend, in der Werkstatt oder unterwegs allerlei Gegenstände miteinander zu kombinieren, wieder zu trennen oder am Zeichenbrett neue auszuarbeiten. Zu Beginn muss erst einmal die Flugmaschine fertiggestellt werden, damit Feodor auf dem Luftweg aus der Stadt flüchten kann.

Auch Gefälligkeiten wirken weniger aufgesetzt als bei der Konkurrenz: Da der

Die Geschichte wird in schlicht gehaltenen Zeichnungen weitererzählt.
Protagonist Tag und Nacht an seinen Ideen feilt, ist er chronisch pleite und muss bei der Material-Beschaffung improvisieren. Für einen großen Korb fehlt z.B. das nötige Kleingeld. Also bastle ich meinem Nachbarn erst einmal eine Maschine, welche seinen in der Mittagshitze stehenden Marktstand kühlt. In der Werkstatt bohre ich ein Loch in einen Eimer, stecke einen Schlauch hinein und bringe ein paar weitere Feinheiten an. Et voilà: schon habe ich eine kleine Hand-Wasserpumpe, mit dem der Nachbar seine Markise befeuchten kann und von der Verdunstungskälte profitiert.



Glaubwürdige Freundschaftsdienste

Die Bastel-Experimente gehen meist so einfach von der Hand wie der Rest der Steuerung: Wenn ein Objekt zu einem anderen passt, färbt sich der Mauszeiger rot (allerdings etwas zu langsam). Ergibt das Experiment keinen Sinn, gleitet der Gegenstand zurück ins Inventar – ganz ohne Kommentare wie „das funktioniert so nicht“. Standard-Features wie Schnellreise per Doppelklick oder Hotspot-Anzeige mit der Leertaste sind ebenfalls an Bord. Der Großteil der Aktionen wird mit der linken Maustaste gestartet, also je nach Symbol anschauen, nehmen oder sprechen. Da die erreichbaren Areale nur jeweils ein paar Bildschirme groß sind, habe ich mich nur selten verfranst. Der Schwierigkeitsgrad ist allgemein eher auf Einsteiger und Fortgeschrittene zugeschnitten als auf knallharte Adventure-Profis. Dank der üppigen Rätsel-Anzahl dauert die Abenteuerreise trotzdem rund 15 Stunden.

Gelegentlich werden die Experimente aber auch von umständlichen 

Piratin Jamila unterstützt Feodor auf seiner Reise.
Lösungswegen in die Länge gezogen. Als ich z.B. meinen frisch gebasteltes Luftschiff aufpumpen wollte, musste ich exakt die von den Entwicklern vorgesehene Reihenfolge einhalten: Zuerst ein Schlauchende in den Ballon stecken, dann auf die Luke zum Dach klicken und erst dann die andere Seite an den Blasebalg anschließen – nur auf diese Weise klappt es. Wenn man den Schlauch wie ich zuerst an den Blasebalg anschließt, muss man zunächst einmal eine ganze Weile ahnungslos durchs Spiel irren. Glücklicherweise bleiben solche Probleme die Ausnahme, denn der Großteil der Puzzles ist logisch gestrickt. Zusätzlich geben die Notizen im Tagebuch oft nützliche Denkanstöße oder ein Gespräch hilft auf die Sprünge.

Der Lösungsweg ist das Ziel

Manchmal helfen auch Verbündete weiter: Die selbstsichere, rotzige Kapitänstochter Jamila z.B. besiegt einen Fechtkämpfer, damit der ein gutes Wort beim Anführer der Korsaren für mich einlegt. Und sie lässt sich mit mir zusammen als Sklavin in einen Palast einschleusen. Jamila lässt zwar ab und an einen flapsigen Spruch vom Stapel, wirklich albern wird das Spiel aber selten. Der weder lustige noch todernstere Ton des Spiels passt genau so gut zur Abenteuergeschichte wie die nur sehr dezent eingesetzte Gitarrenmusik. Schön auch, dass die Hauptfiguren professionell vertont wurden. Vor allem Louis Friedemann Thiele passt perfekt zum neugierigen, rationalen Feodor.

Die grünbraunen Hügel in Katalonien sehen genau so aus, wie ich sie aus einem

Auch Tripolis befindet sich im Würgegriff der Inquisition.
Urlaub in Erinnerung habe und auch der Rest der gezeichneten Kulissen wirkt zwar etwas bieder, aber sehr authentisch. Hinter der Steilküste plätschern sanft animierte Wellen und auch in Afrika sorgen Passanten, Vögel und andere Feinheiten für ein lebendiges Bild. In die Polygon-Charaktere ist weniger Mühe geflossen: Sie staksen oft ein wenig ungelenk durch die Kulissen. Auch die Gesichter sind Welten vom Detailreichtum eines Memento Mori 2 entfernt.



Ruhige Entdeckungsreise

Während des Spiels fällt das allerdings nur selten auf, da man das Geschehen fast immer mit einem gewissen Abstand betrachtet. Nähere Einstellungen wie in Telltales Zurück in die Zukunft gibt es kaum - sie hätten deutlich mehr Dynamik ins Spiel bringen können. Vor allem in der ersten Spielhälfte plätschert die Geschichte nämlich recht gemächlich vor sich hin, da das mystische Artefakt und die legendäre Stadt zu Beginn kaum eine Rolle spielen. Das ist aber kein Beinbruch, denn ich hatte trotzdem viel Spaß daran, in die Geschichte der Region einzutauchen und auf Entdeckungsreise zu gehen. Ob es nun Piraten oder Feodors abenteuerliche Erfindungen waren – das Spiel hat immer wieder dazu animiert, auf Wikipedia in der Geschichte der Region zu stöbern. Für eine willkommene Abwechslung sorgen auch die gelegentlich eingestreuten, überspringbaren Minispiele. Mal setze ich am Reißbrett gefundene Objekte zusammen, später bestimme ich auf einem havarierten Schiff mit Fernglas und Seekarte meinen Standort.

Fazit

Lost Chronicles of Zerzura ist wie ein Uncharted für die grauen Zellen. Die Abenteuergeschichte um die verschollene Wüstenstadt kommt zwar nur langsam in Fahrt - trotzdem hat es mir Spaß gemacht, mich auf die Suche nach Feodors verschlepptem Bruder zu machen. Hübsche Kulissen und glaubwürdige Figuren lassen das Zeitalter von Renaissance und Inquisition lebendig werden. Das Highlight sind aber die Konstruktions-Experimente der Hauptfigur Feodor: Mir ist bisher kein anderes Adventure untergekommen, bei dem die Rätsel so logisch und glaubwürdig in die Handlung eingebundenen wurden. Schade, dass die Entwickler nicht ähnlich viel Mühe in das Aussehen der Charaktere, ihre Bewegungen und die Kameraregie haben fließen lassen. Auch ein paar umständliche Lösungswege nerven. Wer über die kleinen Schwachpunkte hinwegsieht und Spaß am Basteln hat, bekommt aber eine inspirierende Abenteuerreise in klassischem Point-and-Klick-Gewand.

Wertung

PC

Unterhaltsame Entdeckungsreise durch den Mittelmeerraum der Renaissance mit glaubwürdig eingebundenen Rätseln.