Wargame: European Escalation - Test, Taktik & Strategie, PC

Wargame: European Escalation
24.02.2012, Jörg Luibl

Test: Wargame: European Escalation

Was wäre passiert, wenn der Kalte Krieg konventionell eskaliert wäre? NATO und Warschauer Pakt hätten auch ohne Atomwaffen ein Schlachtfeld aus Deutschland gemacht: In Wargame geht es um diesen hypothetischen Konflikt vor dem Fall der Mauer. Man führt abwechselnd Truppenverbände der beiden mächtigen Militärbündnisse zwischen 1975 und 1985.

Das Spiel startet im Dezember 1975, als ostdeutsche Truppen über die Grenze eindringen. Warum? Weil sich die Bundesrepublik weigert, einen ehemaligen Soldaten der DDR namens Weinhold auszuliefern, der zwei Kameraden erschossen hat und dann in den Westen geflüchtet ist. Schon in der ersten Mission kämpfen Bundeswehr und Briten also gegen die NVA, die bereits Brückenköpfe bildet. Deutsche gegen Deutsche, eine Welt vor dem atomaren Desaster – da müsste doch tragische Spannung  in der Kampagne aufkommen!

Der Fall Werner Weinhold

Nein, man bewegt seine Truppen schon nach wenigen Missionen ohne Regung, denn die Präsentation ist schrecklich steril. Es geht auch nicht um Krieg im großen Maßstab mit hunderten Einheiten, sondern um regionale Konflikte. In denen befehligt man etwas mehr als ein Dutzend Einheiten im begrenzten Gelände, ohne dass man Einfluss auf die militärische Situation in Europas Mitte hätte – schade, dass es keine übergeordnete geostrategische Ebene gibt. Trotz des interessanten Konfliktes und deutscher Sprachausgabe will jedenfalls keine Atmosphäre aufkommen.

Trotz kleiner Filmschnipsel will keine Stimmung aufkommen - die Präsentation ist zu steril.
Das liegt nicht nur daran, dass keine Personen auf der Bühne des Kalten Krieges erscheinen, weder Politiker noch Militärs – man hat es quasi mit einem anonymen Befehlsgeber sowie außenpolitischen Nachrichten zu tun, die unspektakulär in der Leiste eines Hauptquartiers durchlaufen. Selbiges ist übrigens ein Armutszeugnis für das Artdesign und hinsichtlich der Übersicht ein Graus: Ein statischer Riesenraum ohne Animationen mit zig Monitoren, der sich noch nicht mal farblich verändert, wenn man von der NATO zum Warschauer Pakt wechselt. Und nach einem Sieg begrüßt einen kein General, sondern eine Tabelle mit Zahlen.

Dass die Kampagne nicht wirklich motiviert liegt auch daran, dass manche Elemente der Story wie historisches Patchwork, aber eben nicht glaubwürdig erzählt wirken: Warum sollte die NVA für einen Soldaten den Dritten Weltkrieg riskieren? Und wieso sollten sich die Russen raushalten, wenn es zu Gefechten an der deutschen Grenze kommt? Mit diesem fiktiven Rahmen kann man sich zwar arrangieren, aber innerhalb des Spiels sorgt der billige, sich viel zu oft wiederholende Sprechfunk der deutschen Truppen ebenfalls für Kopfschütteln – als würden Offiziere im Angesicht des Dritten Weltkriegs  noch dumme Sprüche wie „Ein guter Feind ist ein toter Feind!“ klopfen und ihre Feinde als „Ratten“

Das statische Hauptquartier versprüht den Charme einer Exceltabelle.
beschimpfen.  All das sorgt nicht gerade für authentische Kommandostimmung; gut, dass später Russisch gesprochen wird.

Ideologischer Seitenwechsel

Schön ist, dass man im Laufe der Kampagne auch die Seiten wechselt: Nachdem man die NVA abgewehrt und tatsächlich ein Frieden in Stockholm geschlossen wird (bei dem sich die NATO laut Story komplett vom Gebiet der Bundesrepublik zurückzieht, was vollkommen abstrus ist), brodelt es in den 80er-Jahren in Polen: Lech Walesa, Arbeiteraufstände, Angriffe auf russische Kasernen. In dieser Phase übernimmt man dann in mehreren Missionen den sowjetischen Gegenstoß, um die Aufständischen niederzuschlagen. Hat man das gemeistert, führt man die Amerikaner an, bevor es zum letzten Kapitel einer zähen Kampagne geht, in der sich die Fraktionen zu ähnlich spielen.

Die Satellitenansicht erinnert umgehend an RUSE - man kann hinunter bis zum Soldarten zoomen.
Das liegt daran, dass die nationalen Eigenheiten hinsichtlich Technik, Waffen und Verhalten nicht markant genug in der Schlacht herauskommen. Man kann Truppen aus der USA, Frankreich, BRD, Großbritannien, Sowjetunion, DDR, Polen und Tschecheslowakei anführen. Beide Bündnisse, NATO und Warschauer Pakt, können auf dieselben sieben Waffengattungen (Logistik, Aufklärer, Panzer, Infanterie, Unterstützung, Fahrzeug, Hubschrauber) zurückgreifen - Jäger oder Bomber gibt es nicht. Man bemerkt zwar authentische Namen wie Marder, Luchs, Gepard und Leopard auf Seiten der Bundeswehr sowie nationale Schwerpunkte (die Amerikaner haben die besten Hubschrauber), aber im Feld sind die Unterschiede eher marginal.

Konventionelle Gefechte im Gelände

Die Missionen selbst bieten all das auf, was man kennt: Gebiete erobern, auf Zeit Stellungen halten oder schnell vorstoßen. Meist hat man ein Hauptziel sowie mehrere Nebenziele, für deren Bewältigung man Sterne gewinnt. Diese kann man wiederum einsetzen, um Einheiten freizuschalten. Man beginnt z.B. mit dem schwächsten Typ des Leopard 2 und kann sukzessive verbesserte Versionen mit den Sternen aktivieren oder selbige in ganz andere Truppentypen investieren. Etwas seltsam ist, dass man die mit der NATO gewonnenen Sterne auch in die Mission des Warschauer Paktes übernimmt – auch hier geht die Identifikation mit einem Bündnis flöten.

Leider können die Details nicht begeistern: Die Kulisse zeigt bei näherem Hinsehen nur Mittelmaß.
Die Strategie auf der Karte ähnelt der Gebietseroberung aus R.U.S.E.: Um einen Sektor zu halten, muss man eine Kommandotruppe dort stationieren – sobald der Feind diese zerstört oder eine eigene dort platziert, wechselt der Status auf neutral. Kontrolliert man jene Sektoren am Kartenrand mit einem Pfeil, darf man sich von dort Nachschub ins Zentrum schicken lassen. Das Schlachtfeld zeigt aus der Satellitensicht alle relevanten Zonen in Farben. Das hat optimistisch gestimmt, denn die Poker-Strategie vom selben Entwickler hatte erst kürzlich Gold erobert. Und im Vorfeld schien dieser Nachfolger vor allem mehr militärische Komplexität zu bieten: Alles deutete auf modernere und hinsichtlich der Gefechte vielleicht authentischere Echtzeit-Strategie als noch in World in Conflict.

Sektoren sichern à la RUSE

Dieser Krieg sollte trotz der umfangreichen Schauplätze bis ins kleinste Detail inszeniert werden – inklusive hoch auflösender Truppen und Fahrzeuge, dynamischem Wetter, realistischen Lichtverhältnissen sowie physikalischen Auswirkungen, Moral und Reichweite, Munition und Treibstoff. Aber da wurde viel zu viel versprochen, sowohl technisch als auch inhaltlich: Wargame sieht selbst bei höchsten Details nur mittelmäßig aus. Feuer lässt zwar Wälder brennen, was genauso wie Regen oder Matsch den Vormarsch verlangsamt; außerdem ist jede Deckung wichtig. Hört sich alles gut an, wurde aber nicht gut umgesetzt.

Oftmals wird um Brücken gekämpft - man kann sie allerdings nicht zerstören.
Schon der Himmel ernüchtert als statische Textur und das Wetter spielt letztlich kaum eine Rolle. Man kann zwar stufenlos zoomen, von der weit entfernten Vogelperspektive bis hin zur Panzerkette. Aber wenn man das nutzt, zeigen sich die vielen hässlichen Seiten:  Soldaten rennen wie Roboter durch Zäune, Gebäude oder Fahrzeuge und gehen nicht animiert in Stellung, wenn man sie z.B. in die Deckung des Waldes schickt. Und warum hat man die Städte als Verschanzung für die Infanterie so oberflächlich eingesetzt? Die Soldaten nutzen sie genauso wie Wälder, stehen einfach dort rum. Es gibt Clippingfehler en masse und die Kollisionsabfrage scheint nur für spezielle Objekte zu gelten. Um es kurz zu machen: Wo ist der Feinschliff? Wo ist die Liebe zum Detail?

Wenig Kriegssimulation, viel Arcade-Feuer

Dass die 300 Einheiten des Spiels alle ein realistisches Verhalten zeigen sollen, ist natürlich maßlos übertrieben. Aber man kann bei Moralverlust immerhin auch die Flucht beobachten – sehr schön. Die KI ist jedoch im kleinen taktischen Bereich eine Enttäuschung: Da werden Truppen in dummer Kanonenfutterart verheizt, indem der Computer sie teilweise einzeln und hintereinander in das Schussfeld weit überlegener Einheiten schickt. Außerdem ignoriert er immer wieder die Möglichkeit, sich ungesicherte Zonen in einem Handstreich anzueignen.

Der Nachschub ist wichtig: Ohne Reparaturen sowie Munition und Treibstoff ist man schnell besiegt.
Das heißt nicht, dass Wargame gar nicht fordert, denn man kann nicht einfach alles markieren und ohne Deckung losrollen – so wird man schnell zusammen geschossen. Es gibt auch Flankenangriffe und fiese Vorstöße der KI direkt auf die eigene Kommandoeinheit. Man muss auf die Deckung, den Feuerschutz und vor allem den Nachschub achten: Nur wenn man Transporter oder Hubschrauber in die Nähe beschädigter  Einheiten bringt, werden diese repariert und vielleicht später zu Veteranen. Aber man kann meist relativ ungestört expandieren, ohne sich um das Hinterland zu kümmern. Außerdem scheint die KI nicht auf die eigene Produktion zu reagieren: Warum schickt sie nicht mehr Panzerabwehr, wenn ich lediglich Panzer baue?

Schön ist, dass die Truppen an Erfahrung gewinnen und dass sie begrenzt sind:  Wer acht Leopard-Panzer der höchsten Stufe freischaltet, sollte sie nicht verheizen. Leider hat deren Feuerkraft nicht immer realistische physikalischen Auswirkungen. Zwar werden Siedlungen in Trümmerhaufen verwandelt, aber selbst wenn vier Leopard 2 eine Brücke unter Beschuss nehmen, gibt es nicht einmal einen Kratzer. Und wenn einer dieser Stahlkolosse über Bäume fährt, knicken sie nicht etwa ein, sondern ihr Laub wechselt von Grün zu Grau – was soll das?

Veteranen & Physik

Das ist im Jahr 2012 armselig und lädt nicht gerade zum Zoomen ein. Zwar gibt es aus der Nähe auch etwas zu sehen, z.B. die Schneisen, die Kettenfahrzeuge durch Felder ziehen

Die Panzer sehen gut aus und ziehen Schneisen durch die Felder - die Rotoren von Hubschrauber haben keinerlei Effekt.
oder all den Rauch und das Feuer bei Zerstörungen, aber gerade Letzteres sieht mager aus. Und wenn schwere Kampfhubschrauber bei der Landung nicht mal die Weizenfelder aufpeitschen, kann von feinen Details keine Rede mehr sein. Wer eine explosive oder hoch detaillierte Inszenierung sucht, wird hier nicht fündig.

Dafür gibt es mehr Statistiken und mehr Schadensmeldungen als noch in RUSE: Fahrzeuge haben z.B. Panzerungswerte an allen Seiten, Treibstoff sowie Munition sind begrenzt  und je nach Untergrund kann es dazu kommen, dass schwere Fahrzeuge stecken bleiben oder dass mal eine Kette reißt – es gibt quasi jede Minute eine neue Schadensmeldung. Dann erscheinteine rote Anzeige, die die Verzögerung in Sekunden anzeigt. Diese Feinheiten sorgen immerhin für etwas Simulationsflair.

Die Steuerung ist nicht komfortabel genug: Versorgungsradien werden angezeigt, aber die Reichweite der Waffen nur umständlich angezeigt.
Die Taktik im Gelände wird allerdings von der fummeligen Steuerung beeinträchtigt: Warum müssen so übergroße rote Warnicons erscheinen, wenn ich irgendwo keine Einheit platzieren kann? Warum ignoriert man so viele Standards in der Bedienung? Wenn ich z.B. einen Nachschub von sechs Panzern ins Feld platziere, kann ich später nicht mit der Maus zwei davon markieren und schnell auf die rechte Flanke schicken – ich muss sie erst umständlich mit zwei Klicks über die rechte Schaltfläche umgruppieren! Und nur deshalb, weil sie direkt als Verband und nicht einzeln platziert worden sind.

Steuerung & Sichtlinien

Nervig ist auch, dass man sich nicht umgehend Sicht- und Schussweite seiner Einheiten anzeigen kann: Erst wenn ich meinen Leopard-Panzer anklicke und dann einen Feind anvisiere, erscheint die effiziente Reichweite als mehrstufiger Pfeil – alles im grünen Bereich kann unter Beschuss genommen werden. Warum werden mir die möglichen Distanzen nicht umgehend auf einen Klick als Radius präsentiert? Stattdessen darf ich mir die überachteten Einheiteninfos im Gefecht anzeigen lassen, die letztlich viel zu viele unbrauchbare Statistiken beinhalten, die ich für kommende Befehle nicht brauche. Wargame sieht damit nur komplexer aus als es ist, denn unter dem Strich ist es Arcade-Strategie.

Apropos Sichtlinien: Das System ist inkonsequent. Zwar ist es lobenswert, dass Hügel und Plateaus eine taktische Rolle spielen, denn ich muss meine Panzer z.B. an ihren Rand bewegen, um den darunter fahrenden Feind zu treffen. Allerdings scheint die direkte Sicht total willkürlich beschnitten zu werden: Hinter manchen Gebäuden sind Feinde quasi unsichtbar, weil Panzer nicht durch sie hindurch schießen. Aber hinter oder in so manchem Waldstück werden sie – trotz blockierter Sicht – direkt unter Beschuss genommen. Die explosiven Projektile pfeifen manchmal durch Baum, Mauer und Freund. Außerdem vermisse ich wenigstens grundlegende Formationen oder eine optionale einheitliche Marschgeschwindigkeit für kleine Verbände. So bilde ich eine gemischte Gruppe aus Aufklärer, Panzer und Flugabwehr, die ich nicht ruhigen Gewissens losschicken kann, weil der schnelle Luchs vielleicht direkt ins Schussfeld fährt. Also heißt es: Babysitting!

Wer nach der durchwachsenen Kampagne noch Lust auf Wettbewerb hat, kann auch über das Internet mit den acht Nationen in zwei Blöcken antreten – die Server sind bereits gut besucht, mehr als zweitausend Spieler online. Man darf öffentliche und private Schlachten für bis zu acht Spieler anlegen, wobei man eine bestimmte Punktzahl in seine Truppen investiert. Es stehen aktuell elf Karten zur Verfügung - für zwei, vier, sechs sowie acht Teilnehmer. Außerdem kann man zum Trainieren auf drei Schwierigkeitsgraden (auch im Team) gegen die KI spielen - spezielle Verhaltensweisen (eher defensive oder offenesive KI, eher auf Infanterie, Panzer oder Luft- und Artillerie-Kampf fixiert) gibt es allerdings nicht.

Der große Online-Krieg

Es wird ausgiebig Statistik betrieben: Neben dem eigenen Rang (in der Beta gab es schon Veteranen mit Level 38), einer Bewertung, einem Trend, Siegesserien und Spielzeit gibt es Erfahrungspunkte, Aufstiege und 840 Sterne für besondere Leistungen, wobei jene aus der Kampagne mitgezählt werden. Mit ihnen kann man bis zu 300 Truppentypen freischalten.

Man kann Starterdecks nutzen oder spezialisierte Decks für die NATO oder den PAKT anlegen. Diese sind in die sieben Truppentypen der Kampagne unterteilt und können über Filter zusammen gestellt werden.  Das ist allerdings genauso fummelig wie in der Kampagne: Das Hin- und Herschieben der gewünschten Truppen braucht zu viele Klicks – das hätte man intuitiver lösen können. Man erkennt immerhin auf Anhieb Preis, Tech-Level sowie die wichtigen Details wie Reichweite, Tempo, Genauigkeit, Munition oder Treibstoff. Die teuerste Einheit insgesamt: Der amerikanische Kommandohubschrauber UH-1A mit  300 Punkten; ein deutscher Leopard 2A4 schlägt mit 145 zu  Buche. Einfache Transporter wie der MD Jupiter oder „Heimatschutzen“ kosten nur 15 Punkte.

Fazit

Was für eine Ernüchterung! Da habe ich mich im Vorfeld auf ein anspruchsvolles Kriegsspiel in unverbrauchtem Szenario gefreut, aber das war verfrüht: Die Kampagne ist schrecklich steril, die Präsentation nur Mittelmaß, die Steuerung fummelig und die Gefechte im Gelände können nur kurzfristig motivieren, lassen aber langfristig zu viele Wünsche offen, die in diesem Genre längst Standard sind. Obwohl man an der Oberfläche vieles richtig macht, obwohl Sichtlinien und Deckung, Munition und Treibstoff eine Rolle spielen, will kein authentisches militärisches Flair entstehen. Da fühlt sich vieles zu oberflächlich an, sowohl hinsichtlich der Inszenierung, des teilweise dummen Computerverhaltens als auch der eingeschränkten Truppenführung. Vor allem im Zoom offenbaren sich böse Clippingfehler und physikalische Inkonsequenzen - von technischer Faszination kann keine Rede sein. Gegen das kreative und hinsichtlich des Artdesigns markanteren R.U.S.E. wirkt Wargame wie ein Prototyp, dem noch ein Jahr Entwicklungszeit fehlt. Wer explosive Taktik im Gelände sucht, findet für ein, zwei Schlachten im Multiplayer eine Herausforderung, wird aber von dem alten World in Conflict wesentlich besser unterhalten. Wer militärisch gefordert werden will, sollte besser Panzer Corps spielen.

Wertung

PC

Mehr Masse als Klasse: Trotz vieler guter Ansätze wird der Kommandospaß von zu vielen Mängeln ausgebremst.