Wargame: European Escalation - Test, Taktik & Strategie, PC
Das Spiel startet im Dezember 1975, als ostdeutsche Truppen über die Grenze eindringen. Warum? Weil sich die Bundesrepublik weigert, einen ehemaligen Soldaten der DDR namens Weinhold auszuliefern, der zwei Kameraden erschossen hat und dann in den Westen geflüchtet ist. Schon in der ersten Mission kämpfen Bundeswehr und Briten also gegen die NVA, die bereits Brückenköpfe bildet. Deutsche gegen Deutsche, eine Welt vor dem atomaren Desaster – da müsste doch tragische Spannung in der Kampagne aufkommen!
Der Fall Werner Weinhold
Nein, man bewegt seine Truppen schon nach wenigen Missionen ohne Regung, denn die Präsentation ist schrecklich steril. Es geht auch nicht um Krieg im großen Maßstab mit hunderten Einheiten, sondern um regionale Konflikte. In denen befehligt man etwas mehr als ein Dutzend Einheiten im begrenzten Gelände, ohne dass man Einfluss auf die militärische Situation in Europas Mitte hätte – schade, dass es keine übergeordnete geostrategische Ebene gibt. Trotz des interessanten Konfliktes und deutscher Sprachausgabe will jedenfalls keine Atmosphäre aufkommen.
Dass die Kampagne nicht wirklich motiviert liegt auch daran, dass manche Elemente der Story wie historisches Patchwork, aber eben nicht glaubwürdig erzählt wirken: Warum sollte die NVA für einen Soldaten den Dritten Weltkrieg riskieren? Und wieso sollten sich die Russen raushalten, wenn es zu Gefechten an der deutschen Grenze kommt? Mit diesem fiktiven Rahmen kann man sich zwar arrangieren, aber innerhalb des Spiels sorgt der billige, sich viel zu oft wiederholende Sprechfunk der deutschen Truppen ebenfalls für Kopfschütteln – als würden Offiziere im Angesicht des Dritten Weltkriegs noch dumme Sprüche wie „Ein guter Feind ist ein toter Feind!“ klopfen und ihre Feinde als „Ratten“
Ideologischer Seitenwechsel
Schön ist, dass man im Laufe der Kampagne auch die Seiten wechselt: Nachdem man die NVA abgewehrt und tatsächlich ein Frieden in Stockholm geschlossen wird (bei dem sich die NATO laut Story komplett vom Gebiet der Bundesrepublik zurückzieht, was vollkommen abstrus ist), brodelt es in den 80er-Jahren in Polen: Lech Walesa, Arbeiteraufstände, Angriffe auf russische Kasernen. In dieser Phase übernimmt man dann in mehreren Missionen den sowjetischen Gegenstoß, um die Aufständischen niederzuschlagen. Hat man das gemeistert, führt man die Amerikaner an, bevor es zum letzten Kapitel einer zähen Kampagne geht, in der sich die Fraktionen zu ähnlich spielen.
Konventionelle Gefechte im Gelände
Die Missionen selbst bieten all das auf, was man kennt: Gebiete erobern, auf Zeit Stellungen halten oder schnell vorstoßen. Meist hat man ein Hauptziel sowie mehrere Nebenziele, für deren Bewältigung man Sterne gewinnt. Diese kann man wiederum einsetzen, um Einheiten freizuschalten. Man beginnt z.B. mit dem schwächsten Typ des Leopard 2 und kann sukzessive verbesserte Versionen mit den Sternen aktivieren oder selbige in ganz andere Truppentypen investieren. Etwas seltsam ist, dass man die mit der NATO gewonnenen Sterne auch in die Mission des Warschauer Paktes übernimmt – auch hier geht die Identifikation mit einem Bündnis flöten.
Sektoren sichern à la RUSE
Dieser Krieg sollte trotz der umfangreichen Schauplätze bis ins kleinste Detail inszeniert werden – inklusive hoch auflösender Truppen und Fahrzeuge, dynamischem Wetter, realistischen Lichtverhältnissen sowie physikalischen Auswirkungen, Moral und Reichweite, Munition und Treibstoff. Aber da wurde viel zu viel versprochen, sowohl technisch als auch inhaltlich: Wargame sieht selbst bei höchsten Details nur mittelmäßig aus. Feuer lässt zwar Wälder brennen, was genauso wie Regen oder Matsch den Vormarsch verlangsamt; außerdem ist jede Deckung wichtig. Hört sich alles gut an, wurde aber nicht gut umgesetzt.
Wenig Kriegssimulation, viel Arcade-Feuer
Dass die 300 Einheiten des Spiels alle ein realistisches Verhalten zeigen sollen, ist natürlich maßlos übertrieben. Aber man kann bei Moralverlust immerhin auch die Flucht beobachten – sehr schön. Die KI ist jedoch im kleinen taktischen Bereich eine Enttäuschung: Da werden Truppen in dummer Kanonenfutterart verheizt, indem der Computer sie teilweise einzeln und hintereinander in das Schussfeld weit überlegener Einheiten schickt. Außerdem ignoriert er immer wieder die Möglichkeit, sich ungesicherte Zonen in einem Handstreich anzueignen.
Schön ist, dass die Truppen an Erfahrung gewinnen und dass sie begrenzt sind: Wer acht Leopard-Panzer der höchsten Stufe freischaltet, sollte sie nicht verheizen. Leider hat deren Feuerkraft nicht immer realistische physikalischen Auswirkungen. Zwar werden Siedlungen in Trümmerhaufen verwandelt, aber selbst wenn vier Leopard 2 eine Brücke unter Beschuss nehmen, gibt es nicht einmal einen Kratzer. Und wenn einer dieser Stahlkolosse über Bäume fährt, knicken sie nicht etwa ein, sondern ihr Laub wechselt von Grün zu Grau – was soll das?
Veteranen & Physik
Das ist im Jahr 2012 armselig und lädt nicht gerade zum Zoomen ein. Zwar gibt es aus der Nähe auch etwas zu sehen, z.B. die Schneisen, die Kettenfahrzeuge durch Felder ziehen
Dafür gibt es mehr Statistiken und mehr Schadensmeldungen als noch in RUSE: Fahrzeuge haben z.B. Panzerungswerte an allen Seiten, Treibstoff sowie Munition sind begrenzt und je nach Untergrund kann es dazu kommen, dass schwere Fahrzeuge stecken bleiben oder dass mal eine Kette reißt – es gibt quasi jede Minute eine neue Schadensmeldung. Dann erscheinteine rote Anzeige, die die Verzögerung in Sekunden anzeigt. Diese Feinheiten sorgen immerhin für etwas Simulationsflair.
Steuerung & Sichtlinien
Nervig ist auch, dass man sich nicht umgehend Sicht- und Schussweite seiner Einheiten anzeigen kann: Erst wenn ich meinen Leopard-Panzer anklicke und dann einen Feind anvisiere, erscheint die effiziente Reichweite als mehrstufiger Pfeil – alles im grünen Bereich kann unter Beschuss genommen werden. Warum werden mir die möglichen Distanzen nicht umgehend auf einen Klick als Radius präsentiert? Stattdessen darf ich mir die überachteten Einheiteninfos im Gefecht anzeigen lassen, die letztlich viel zu viele unbrauchbare Statistiken beinhalten, die ich für kommende Befehle nicht brauche. Wargame sieht damit nur komplexer aus als es ist, denn unter dem Strich ist es Arcade-Strategie.
Apropos Sichtlinien: Das System ist inkonsequent. Zwar ist es lobenswert, dass Hügel und Plateaus eine taktische Rolle spielen, denn ich muss meine Panzer z.B. an ihren Rand bewegen, um den darunter fahrenden Feind zu treffen. Allerdings scheint die direkte Sicht total willkürlich beschnitten zu werden: Hinter manchen Gebäuden sind Feinde quasi unsichtbar, weil Panzer nicht durch sie hindurch schießen. Aber hinter oder in so manchem Waldstück werden sie – trotz blockierter Sicht – direkt unter Beschuss genommen. Die explosiven Projektile pfeifen manchmal durch Baum, Mauer und Freund. Außerdem vermisse ich wenigstens grundlegende Formationen oder eine optionale einheitliche Marschgeschwindigkeit für kleine Verbände. So bilde ich eine gemischte Gruppe aus Aufklärer, Panzer und Flugabwehr, die ich nicht ruhigen Gewissens losschicken kann, weil der schnelle Luchs vielleicht direkt ins Schussfeld fährt. Also heißt es: Babysitting!
Wer nach der durchwachsenen Kampagne noch Lust auf Wettbewerb hat, kann auch über das Internet mit den acht Nationen in zwei Blöcken antreten – die Server sind bereits gut besucht, mehr als zweitausend Spieler online. Man darf öffentliche und private Schlachten für bis zu acht Spieler anlegen, wobei man eine bestimmte Punktzahl in seine Truppen investiert. Es stehen aktuell elf Karten zur Verfügung - für zwei, vier, sechs sowie acht Teilnehmer. Außerdem kann man zum Trainieren auf drei Schwierigkeitsgraden (auch im Team) gegen die KI spielen - spezielle Verhaltensweisen (eher defensive oder offenesive KI, eher auf Infanterie, Panzer oder Luft- und Artillerie-Kampf fixiert) gibt es allerdings nicht.
Der große Online-Krieg
Es wird ausgiebig Statistik betrieben: Neben dem eigenen Rang (in der Beta gab es schon Veteranen mit Level 38), einer Bewertung, einem Trend, Siegesserien und Spielzeit gibt es Erfahrungspunkte, Aufstiege und 840 Sterne für besondere Leistungen, wobei jene aus der Kampagne mitgezählt werden. Mit ihnen kann man bis zu 300 Truppentypen freischalten.
Man kann Starterdecks nutzen oder spezialisierte Decks für die NATO oder den PAKT anlegen. Diese sind in die sieben Truppentypen der Kampagne unterteilt und können über Filter zusammen gestellt werden. Das ist allerdings genauso fummelig wie in der Kampagne: Das Hin- und Herschieben der gewünschten Truppen braucht zu viele Klicks – das hätte man intuitiver lösen können. Man erkennt immerhin auf Anhieb Preis, Tech-Level sowie die wichtigen Details wie Reichweite, Tempo, Genauigkeit, Munition oder Treibstoff. Die teuerste Einheit insgesamt: Der amerikanische Kommandohubschrauber UH-1A mit 300 Punkten; ein deutscher Leopard 2A4 schlägt mit 145 zu Buche. Einfache Transporter wie der MD Jupiter oder „Heimatschutzen“ kosten nur 15 Punkte.
Fazit
Was für eine Ernüchterung! Da habe ich mich im Vorfeld auf ein anspruchsvolles Kriegsspiel in unverbrauchtem Szenario gefreut, aber das war verfrüht: Die Kampagne ist schrecklich steril, die Präsentation nur Mittelmaß, die Steuerung fummelig und die Gefechte im Gelände können nur kurzfristig motivieren, lassen aber langfristig zu viele Wünsche offen, die in diesem Genre längst Standard sind. Obwohl man an der Oberfläche vieles richtig macht, obwohl Sichtlinien und Deckung, Munition und Treibstoff eine Rolle spielen, will kein authentisches militärisches Flair entstehen. Da fühlt sich vieles zu oberflächlich an, sowohl hinsichtlich der Inszenierung, des teilweise dummen Computerverhaltens als auch der eingeschränkten Truppenführung. Vor allem im Zoom offenbaren sich böse Clippingfehler und physikalische Inkonsequenzen - von technischer Faszination kann keine Rede sein. Gegen das kreative und hinsichtlich des Artdesigns markanteren R.U.S.E. wirkt Wargame wie ein Prototyp, dem noch ein Jahr Entwicklungszeit fehlt. Wer explosive Taktik im Gelände sucht, findet für ein, zwei Schlachten im Multiplayer eine Herausforderung, wird aber von dem alten World in Conflict wesentlich besser unterhalten. Wer militärisch gefordert werden will, sollte besser Panzer Corps spielen.