SSX - Test, Sport, 360, PlayStation3
Ich lasse mich fallen, während mir der Pilot noch ein paar aufmunternde Worte über Funk zumurmelt. Ich nehme sie nicht mehr wahr. Mein Fokus liegt auf den Gefahren und den tödlichen Abzweigungen, die vor mir in der Dunkelheit lauern. Zum Glück habe ich eine Stirnlampe, die mir zumindest ansatzweise hilft, die düsteren Gewölbe zu erhellen. Ich muss nur ans Ziel kommen. Noch 2000 Meter. Woah, das war knapp, ich bin froh, dass ich ein Board gewählt habe, das eher auf Kontrolle denn auf Geschwindigkeit ausgelegt ist.
Verdammt gefährlich
Gut, die Rail habe ich erwischt, wieder 200 Meter weiter gekommen. Die Leuchtfackeln am Boden helfen, durch schwierige Passagen zu navigieren. Noch 500 Meter bis zum Ziel. Der Pilot feuert mich an. Angesichts des nahenden Erfolges werde ich allerdings übermütig. Ich springe über die nächste Kuppe, nicht wissend, was mich erwartet. Mist, ich habe mich verschätzt, kriege das Board nicht mehr unter Kontrolle und rutsche vom Grat in die daneben liegende Erdspalte, aus der glühende Lava leuchtet. Tja. Und nochmal. Alles auf Anfang.
Insgesamt neun dieser thematisch und spielerisch interessanten sowie adrenalinschwangeren Abfahrten im Kampf gegen die Natur und Umgebung warten in SSX (ab 5,00€ bei
Tödliche Abfahrten
Und das alles nur, um den Sieg für Team SSX gegen den abtrünnigen Boarder Griff einzufahren. Okay: Die Story ist um ein Vielfaches dünner als die Models, die bei Heidi Klum um Ruhm, Ehre und einen Agentur-Vertrag kämpfen. Aber sie wird verdammt cool und stylisch erzählt: Comic-Sequenzen, die im Gegensatz zum Rest des Spiels nicht ins Deutsche übersetzt wurden, sollen eine Verbindung zu den insgesamt neun Boardern aufbauen, mit denen man die gut 50 Startpunkte der Offline-Kampagne abgrast. Übrigens muss man hier immer mit dem für das jeweilige Gebiet vorgesehenen Schneespezialisten antreten.
Außer in den angesprochenen "Deadly Descents" muss man sein Können offline in Trickwettbewerben sowie in Rennen unter Beweis stellen. Bei Ersterem muss man das weitläufig offene sowie viele Routen offenbarende Terrain navigieren und möglichst optimal Sprünge, Grinds sowie Bodentricks zusammenfügen, um den Multiplikator und damit auch die Punktzahl zu steigern.
Ausrüsten, Rasen & Überleben
Aber ganz ohne Tricks kommen auch die Rennwettbewerbe nicht aus: Nur über Sprünge etc. kann man Boost aufbauen, der im richtigen Moment eingesetzt den Unterschied zu den CPU-gesteuerten Fahrern ausmachen kann. Da man in der Luft und bei Tricks jedoch
Der Arcade-Ansatz, der SSX schon immer auszeichnete und auch hier von Konkurrenz wie den Amped- oder Stoked-Serien absetzt, kommt voll zum Tragen: Die Steuerung ist sehr direkt, Kollisionen mit der Umgebung werden außer bei Frontalunfällen sehr weich berechnet und verzeihen dementsprechend einiges. Ist man nicht gierig und stoppt die Trickausführung rechtzeitig, sieht das Spiel einem auch die eine oder andere unglückliche Landung mit leicht quer stehendem Board nach, die bei anderen Titeln schon mal zum Sturz führt. Auch Sprünge in tiefe Abgründe sind kein Problem, solange man auf Schnee und nicht im Abgrund landet. Der Spaß an spektakulären Stunts und halsbrecherischer Geschwindigkeit bei Schneeabfahrten steht hier im Vordergrund - und das macht SSX so gut wie kein anderer Titel.
Veteranen können sich zur Trickausführung die klassische Steuerung alter SSX-Teile einstellen. Doch um die volle Trickdröhnung zu bekommen, empfehle ich die neue Steuerung über den rechten Analog-Stick (mit Modifikation über Schultertasten). Im Wesentlichen kann man diese als Mix aus Skate und Amped bzw. Stoked bezeichnen. Jeder Trick besteht aus zwei Stufen: Mit der ersten Bewegung gibt man die Hand an, mit der man das Board greift. Mit der zweiten die Seite, an der man das Brett manipulieren möchte. Ein Beispiel: Drückt man zuerst nach links und dann nach rechts, führt die linke Hand einen so genannten "Mute" aus. In entgegengesetzter Richtung führt die rechte Hand einen "Stale Fish" aus. Zusammen mit regulärer und "invertierter" Position (Goofy) kommt man so auf stolze 24 Tricks, die mit Salti und Schrauben zusätzlich aufgewertet werden können.
Klassisch, modern, übertricky
Das klingt zwar alles kompliziert, ist im Spiel aber sehr intuitiv zu bewerkstelligen. Die Steuerung leistet sich keine Aussetzer, so dass man sich auf das anständige Anforderungsprofil konzentrieren kann: Will man die Höchstpunktzahlen erreichen, muss man sich spätestens ab dem fünften Gebiet gehörig anstrengen und sollte auch wissen, wo man den Boost in Trickwettbewerben einsetzen muss, um an ganz besondere Stellen zu gelangen und z.B. über die Scheibe des Helikopters zu gleiten oder an seinen Kufen zu hängen, bevor man sich wieder in die Tiefe stürzt. Dass sich trotz des Umfangs die Tricks und Stunts irgendwann wiederholen und man sich etwas an ihnen satt gesehen hat, ist ebenso zwangsläufig wie bedauerlich. Doch auf die Gesamtmotivation hat es wenig Einfluss, da man alle Hände voll zu tun hat, um seine Kombokette aufzubauen.
Hilfe benötigt?
Überspringt man z.B. die Initialrennen jeder Region, bekommt man die Comic-Strips der einzelnen Boarder nicht zu Gesicht. Selbstverständlich gewinnt man beim Überspringen auch weder den ausgeschriebenen Geldpreis noch das Gros der Erfahrungspunkte. Und das sind zwei Faktoren, die bei SSX eine wichtige, miteinander verbundene Rolle spielen. Je höher die Stufe des Fahrers ist, desto bessere Ausrüstung kann er sich im spielinternen Shop für die schwer verdiente Währung besorgen. Boards z.B. haben die drei Eigenschaften Tricks, Boost und Geschwindigkeit, die sich gewaltig unterscheiden können, aber mitunter ein tiefes Loch in den Geldbeutel spülen. Aber auch die speziellen Ausrüstungsgegenstände wie Atemgeräte, Stirnlampen oder der Wingsuit haben unterschiedliche Attribute. Als Faustregel gilt je teurer, je besser, je effektiver. Sprich: Höhere Chancen auf den ersten Platz. Man schadet sich also letztlich selber, wenn man zu häufig von der "Vorspul-Funktion" Gebrauch macht.
Apropos vorspulen: Zurückspulen ist auch möglich, maximal etwa 30 Sekunden. Das ist für mich nicht einmal ein Kniefall vor dem Gelegenheitsspieler, sondern vielmehr eine weitere Möglichkeit, den zwangsläufig durch Ambition aufkommenden Frust auch für erfahrene Pad-Boarder zu minimieren. Irgendwann fährt man ständig am Limit, um die Höchstpunktzahl oder Bestzeit zu knacken, kleine Fehler können in diesem Fall zu entscheidenden Punktverlusten führen. Und um die Kombo aufrecht zu erhalten und den Absprung vielleicht noch optimaler zu erwischen (ganz abgesehen davon, dass ein Sprung in die endlose Tiefe sowie folgende Ladezeit zwecks Rücksetzen auf den Startpunkt dadurch vermieden werden kann), nehme ich die paar Sekunden gerne an. Zumal ich auch eine Strafe in Form eines Punktabzugs (die Höhe ist abhängig von der Dauer des Zurückspulens) bekomme.
Herrscher über Zeit und Raum
Bei Rennen ist diese Option ohnehin nur eingeschränkt nützlich. Denn während ich spule, fahren die anderen einfach weiter. Sprich: Der Abstand wird größer. Daher hat EA in diesem Fall alles richtig gemacht. Frustminimierung ohne Sieggarantie ist der ideale Kompromiss, um mit allen zur Verfügung stehenden (und: optionalen) Mitteln für gelungene Unterhaltung zu sorgen.
Spätestens, wenn es in den Explore-Modus geht, wird sich ohnehin die Spreu vom Weizen trennen. Denn die Offline-Story ist eigentlich nur die Pflicht, ein verlängertes Tutorial. Die Kür findet auf über 150 Drops in den neun Gebieten statt, also einer guten Verdreifachung der in der Geschichte zur Verfügung stehenden Abfahrten.
Die Welt ist meine Bühne
Der Clou: Alles, was man im Explore-Modus macht, hat eine Halbonline-Anbindung. Zwar fährt man in erster Linie weiterhin offline gegen drei Ghosts (stellvertretend für Entwickler des SSX-Teams) um Punkte bzw. gegen die Zeit, damit man sich im Bestfall die Goldmedaille schnappen kann. Doch ist man mit der Konsole online, wird die eigene Leistung als Ghost automatisch auf die Server geladen.
Da das Erfahrung- und Währungssystem übergreifend ist und spätestens hier Streckenkenntnis sowie persönliche Fähigkeiten eine große Rolle spielen, wird die "Überspring"-Mechanik der Story eingemottet. Es kommt auf mich und die Boarder-Ausrüstung an. Schade ist allerdings, dass man auch hier nur auf die vorgefertigten Sportler zurückgreifen und keine eigenen erstellen kann. Dank unzähliger Boards und Klamotten, die es teilweise auch wie bei Action-Rollenspielen in "seltenen" (und extrem teuren) Varianten gibt und die eine gegenseitige Wechselwirkung mit weiteren Boni haben können, findet zwar auch eine Personalisierung statt. Doch für mich wäre mit einem auch hinsichtlich des Aussehens editierbaren Avatars der Anreiz nochmal größer, den Kumpels online zu zeigen, was eine Harke ist.
Mit der Offline-Geschichte fertig? Der Explore-Modus hat seinen Reiz verloren? Vor allem Letzteres kann ich mir schwer vorstellen, doch wenn dies der Fall sein sollte, hat SSX ein Gegenmittel parat: Die globalen Events. Diese Wettbewerbe finden zwar ebenfalls größtenteils "asynchron" statt wie die Vergleiche im Explore-Modus, doch hier kämpft man nicht gegen Vorgaben des Entwicklerteams und nur eingeschränkt gegen Freunde. Stattdessen ist die gesamte SSX-Welt die Konkurrenz.
Der große Preis
Wer nur seine Freunde in einen Wettbewerb verwickeln möchte, kann dies ebenfalls innerhalb der Global Events: Mit allen zur Verfügung stehenden Einstellungsmöglichkeiten kann man schnell und unkompliziert private Sessions aufsetzen und seine Freunde sowie deren Freunde einladen. Man kann sogar festlegen, ob bis zum Schluss die Rangliste nicht eingesehen werden darf.
Mein Geotag, deine Herausforderung
Man hat einen waghalsigen Sprung hingelegt, bei dem man sicher ist, dass der nicht so schnell wiederholbar ist? Man möchte den anderen SSX-Spielern eine fiese Herausforderung hinterlassen? Dann nichts wie kurz die Rückspulfunktion angeschmissen und an der entsprechenden Stelle ein Geotag platziert und man hat der Welt seinen Stempel aufgedrückt. Das Besondere: So lange der Geotag nicht eingesammelt wird, generiert er Credits, die dem Konto gutgeschrieben werden, wenn man das nächste Mal online ist. Apropos: Auch ohne Online-Pass kann man an den Global Events teilnehmen. Die Gewinne werden jedoch erst ausgeschüttet, wenn man den Titel "aktiviert" hat.
Und weil wir gerade bei dem leidigen Thema Online-Aktivierung und Micro-Transactions sind: SSX bleibt wie viele andere EA-Titel (z.B. die NFS-Serie) nicht davon verschont. Hier kauft man sich allerdings keine Ausrüstung im PlayStation Store oder dem Xbox Live Marktplatz, sondern Spielwährung, die man wiederum einsetzen kann, um sich Zutritt zu teuren Globalwettbewerben zu verschaffen oder sich das seltene Ausrüstungsteil unter den Nagel zu reißen. Unter uns: Damit kann ich leben. Denn mir wird durch dieses System nichts vorenthalten, ich kann durch investierte Zeit ebenfalls an die entsprechende Kohle kommen.
Während die Mechanik erfolgreich das Gefühl der "alten" SSX-Spiele in die Gegenwart führt, ohne dabei den Ursprung der Serie außer Acht zu lassen, muss sich die Technik ganz anderen Herausforderungen stellen. Denn war SSX auf SD-Systemen das Maß aller Snowboard-Dinge, muss sich der Reboot den Vergleich mit Titeln wie der Amped-Serie, Shaun White Snowboarding oder Stoked gefallen lassen. Die sind zwar allesamt älter, haben aber das Genre geprägt.
Stillleben in Weiß?
Details vs. Geschwindigkeit
Und wenn man einmal über eine Klippe springt und geschätzte 100 Meter tief fällt, bevor man auf dem kühlen Weiß aufkommt, könnte einen fast Höhenangst oder Vertigo beschleichen. Das allerdings ist eher dem guten Geschwindigkeitsgefühl geschuldet, das die Engine mit ihrem Flirren bei Boost-Einsatz beinahe in Burnoutmanier auf den Bildschirm bringt.
Sicher: Der Schnee staubt nicht so schön und wischt nicht so eindrucksvoll durch die Landschaft, wie man es sich von einem Titel im Jahr 2012 wünschen würde und wie es andere Snowboard-Titel bereits praktizierten. Und im Detail lassen einige Texturen, vor allem Abgrenzungen von z.B. Felsen zu Schnee sowie Eistapeten zu wünschen übrig. Zudem kann man in vereinzelten Situationen nach einem Sprung zwischen zwei Felsen steckenbleiben, so dass nur noch die Rückspulfunktion oder ein Neustart der Strecke hilft. Dennoch: Angesichts des ungezügelten und über alle Modi hinweg sprudelnden Spaßes, den ich mit SSX bislang hatte, ist mir das beinahe egal. Selbst die in schnellen Kurven selten einbrechende Bildrate (auf der PS3 geringfügig häufiger) ist mir gleichgültig.
Während die deutsche Sprachausgabe zu einem Großteil für meinen Geschmack übertrieben cool wirkt, aber technisch in Ordnung geht, gibt es an der musikalischen Untermalung nichts auszusetzen. Das beginnt bei der Auswahl der gut 50 Tracks (davon fast 40 lizenzierte Songs) und hört erst bei der Abmischung auf. Denn wie beim allerersten SSX, das zum Start der PS2 erschien, verändert sich die Akustik abhängig vom Geschehen. Hebt man z.B. zu einem gewaltigen Sprung ab, wird die Musik schwächer, beim Carven kann die Melodie von rechts nach links (oder umgekehrt) faden, bei Grinds oder Boost-Verwendeung wird wiederum ein anderer Effekt eingesetzt, selbst bei Stürzen reagiert die akustische Untermalung. Mitunter sind die Unterschiede zwar nur subtil, aber das Ergebnis der live „remixten“ Musik ist gelungen. Man kann sogar seine eigenen Tracks hochladen und dann im Spiel verwenden.
Musikalisches Trick-Gewitter
Fazit
Cool, cooler, SSX: Der Snowboarding-Altmeister meldet sich eindrucksvoll zurück. Dabei profitiert er nicht nur davon, dass die letzten schneetreibenden Titel wie Amped 3, Stoked oder Shaun White Snowboarding ein Weilchen zurückliegen. Denn auch mit Konkurrenz im Nacken bräuchten sich EAs Boarder keine Gedanken um ihre Vormachtstellung machen. Die 150 Abfahrten in neun Gebieten sind zwar nicht ganz so offen wie bei anderen Titeln, bieten aber tonnenweise Geheimnisse und viele Wege, um ans Ziel zu kommen. Die Tricks gehen dank akkurater Steuerung locker von der Hand, die halbautomatische Justierung der Boarder unterstützt den Arcade-Charakter, ohne die Wettbewerbe zu verzerren. Letztlich kommt es auf die eigenen Fähigkeiten sowie die Boarder-Ausrüstung an. Und die "asynchronen" Online-Wettbewerbe gegen Freunde (und die ganze Welt), bei denen man ohne Lobby-Wartezeiten oder Lags quasi wie im Offline-Modus den Berg hinunter rauscht, sind eine ebenso simple wie geniale Idee - so müssen Ranglisten-Wettbewerbe aussehen! Technisch kann man zwar immer wieder schwache Texturen und harte Übergänge z.B. von Felsen zum Schnee entdecken. Doch die stören letztlich ebenso wenig wie die sporadischen Bildrateneinbrüche bei schnellen Wendungen. Was einem in Erinnerung bleibt sind die spektakulären Stunts, die halsbrecherische Geschwindigkeit, die gelungene Verbindung von Aktion und Musik sowie vor allem der ungezügelte Spaß.