Edna bricht aus - Test, Adventure, PlayStation4, NDS, iPad, Switch, PC

Edna bricht aus
08.08.2012, Jan Wöbbeking

Test: Edna bricht aus

Vier Jahre nach Daedalics Überraschungshit "Edna bricht aus (ab 14,99€ bei kaufen)" greift der Wahnsinn jetzt auf das iPad über. Schon im vergangenen Oktober erschien eine technisch saubere Special-Edition für den PC –ab morgen gibt es sie auch im AppStore zu kaufen. Vorhang auf für eines der albernsten Spiele aller Zeiten, welches 2008 von uns zum Adventure des Jahres gekürt wurde.

Nach der Flucht durch den Luftschacht gelangt Edna in den Gemeinschaftsraum...
Die Entschlackung des Codes war eine gute Idee: Auch die iOS-Umsetzung läuft deutlich runder als die Ur-Fassung, welche Jan Müller-Michaelis seinerzeit fast im Alleingang auf die Beine stellte. Vor allem das experimentelle Inventar-System sorgte damals für gelegentliche Hänger oder Abstürze – auf unserem iPad der ersten Generation flutschte dagegen alles ohne Probleme. Auch die aufs Touchpad zugeschnittene Steuerung geht gut von der Hand. Tippt man auf einen Gegenstand, erscheinen Icons für die bewusst altmodisch gehaltenen Verben-Optionen anschauen, nehmen, reden und benutzen. Hotspots und Inventar werden mit Symbolen am unteren Bildrand angezeigt.

Gelungene Umsetzung

Gegenstände zieht man einfach heraus oder platziert ein Exemplar in der Schnellwahlleiste am unteren Bildrand, um es kurz danach einzusetzen. Neu dabei ist sind außerdem eine alternative englische Vertonung, eine Facebook-Anbindung sowie einige Erfolge. Inhaltlich hat sich nichts geändert: Auch die iOS-Umsetzung balanciert äußerst elegant auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Wirklich jeder Charakter im Debüt-Adventure von Jan Müller-Michaelis hat ernsthafte psychische Probleme. Kein Wunder: Ich schlüpfe in den weißen Kittel von Edna, die mit Gedächtnisverlust in einer kuscheligen Gummizelle aufwacht. Meine Aufgabe ist natürlich, dem Wahnsinn der Anstalt zu entkommen.

...wo sie Droggelbecher, den Alumann und andere bizarren Figuren ausfragt.
"Hallo Tür, wie geht es dir heute?" - "Bestens, ich empfinde eine perfide Freude daran, dir den Weg zu versperren." - "Ich hasse dich, Tür!". So oder so ähnlich klingt eine der ersten Unterhaltungen, die ich in Edna bricht aus zu hören bekomme. Moment mal - ein Gespräch mit einer Tür? Ja, es hat schon gewisse Vorteile, sich nicht ganz zu Unrecht in einer Irrenanstalt aufzuhalten. Dazu gehört im Fall von Edna die Fähigkeit, mit ihrem Stoffhasen Harvey und sämtlichen Gegenständen ein Schwätzchen halten zu können. Fragt mich nicht, wann oder wie um alles in der Welt diese ganzen Dialogzeilen zu Papier gebracht und aufgenommen wurden. Sie sorgen aber dafür, dass weder Edna noch ich in den ersten Spielstunden die Einsamkeit fürchten muss.



Gesellige Gegenstände

Die in den Räumen verstreuten Objekte taugen nicht nur zu meiner Unterhaltung. Manche, wie das in der Abstellkammer stehende Gehirn in einem Glas, geben nicht nur ihre Lebensweisheiten an mich weiter, sondern mitunter wertvolle Tipps, mit denen ich eines der zahlreichen Rätsel löse. Kleptomanen werden hier auf Anhieb glücklich: Falls Edna ein Objekt nicht als unbrauchbar erachtet, kann sie sich die Kitteltaschen so voll stopfen, wie sie will. Und ich darf alles wild miteinander kombinieren. Ich will mein seelisches Leid mit einem Aktions-Kunstwerk ausdrücken? Kein Problem! Ich schnappe mir die Ketchup-Flasche und verpasse Sitzmöbeln und Gemälden einen expressionistischen tomatenroten Anstrich. Oder ich schneide das halbe Irrenhaus mit der Zackenschere entzwei. Unglaublich - nie hat es so viel Spaß gemacht, stundenlang mit dutzenden Objekten herumzuprobieren und..ähem..zu sprechen.

In Flashbacks lernt Edna wichtige Ausbruchstechniken wie das Öffnen von Schlössern mit Hilfe der eigenen Zehennägel.
Bevor ich derart schamlos durch das Haus randalieren kann, muss ich aber erst einmal der Enge der schneeweißen Gummizelle entfliehen.  Bereits dort komme ich mit ausdauerndem Einsatz der provisorischen Werkzeuge ans Ziel. Der genervte Wärter Stiesel verrät mir, dass der rettende Lüftungsschacht natürlich nicht direkt zu erreichen ist, sondern hinter den Polstern liegt. Hinter den ausgesprochen weichen Polstern. Nun ist es meine Aufgabe, den natürlichen Feind der quadratischen Wandkissen in der Zelle zu entdecken. Die ersten Rätsel fallen angenehm einfach und logisch aus - mit ein wenig Nachdenken und Probieren erarbeite ich mir schnell den Weg von einem Raum in den nächsten. Habe ich nach einigen Stunden den Zugang zu den meisten Räumen erschlossen, wird es allerdings kniffliger.

Raus aus der Zelle!

Dort treffe ich auf allerlei grenzgeniale Charaktere. Jeder von ihnen ist ein echtes Original und hat seine ganz eigene, liebenswerte Neurose. Hoti und Moti halten sich trotz unterschiedlicher Hautfarbe für siamesische Zwillinge und tragen daher den gleichen Pullover. Der mit norddeutschem Dialekt und einer gehörigen Portion Ordnungsliebe ausgestattete Kontrolleur sorgt dafür, dass nur Personen mit einem vorschriftsmäßigen Kleiderbügel-Ticket den Wäschelift als Transportmittel missbrauchen dürfen. Habe ich ihn überlistet, treffe ich auf Herrn Mantel, der sich für einen Gehrock hält und in einem Regenschirm durch den Wäschelift reist.

Was führt der finstere Dr. Marcel im Schilde?
Am unterhaltsamsten ist trotz seines geringen Wortschatzes ein anderer Insasse: der getreue Wächter des Aufenthaltsraum-Königs. Er artikuliert sich schlicht und einfach durch das unterschiedlich betonte Wiederholen seines eigenen Namens: Droggelbecher! Ich könnte noch seitenweise über die genial-verrückten Figuren und ihre Geschichten schreiben, doch am besten lernt ihr sie allesamt persönlich kennen. Sogar Entwickler „Poki“ taucht höchstpersönlich auf, und zwar in der trauten Runde einer Therapiegruppe für Spielentwickler, die ihre Sitzung rein zufällig in Ednas Anstalt abhält. "30.000 Zeilen allein im ersten Akt - was habe ich mir nur dabei gedacht?" erzählt eine vor Verzweiflung zitternde Stimme, während die Stirn des Edna-Schöpfers auf die Tischplatte knallt.



Droggelbecher!

Die Hand der genervten, Verständnis heuchelnden Therapeutin bewegt sich bei ihren Kommentaren skurril im Kreis. Jede der trashig gezeichneten Figuren hat sie - diese drei Animationsphasen, in denen sich ihr Mund, das komplette Gesicht oder eben irgendetwas anderes bewegt. Und obwohl es nur drei Variationen eines einzigen Bildes sind, wirkt jede davon angemessen albern. Als alter Hase fühlt man sich sofort an Klassiker wie Monkey Island und Maniac Mansion erinnert, die ganz unverhohlen als Vorbild dienten. Auf der Packung der PC-Version stand schließlich noch der augenzwinkernde Werbe-Sloagan „Von den Leuten, die Monkey Island gut finden!".

Das geräumige Inventar lässt sich auch per Touchscreen gut bedienen. Dank entschlacktem Code läuft das Spiel sogar sauberer als das Original.
In einen regelrechten inneren Zwiespalt gerate ich allerdings regelmäßig, wenn die Vertonung der Dia- bzw. Monologe erklingt. Wenn ich Ednas übernächtigter Psychopathenblick und ihre nicht selten zynischen, ausgeschriebenen Kommentare erblicke, höre ich in meiner Phantasie eine ganz andere Stimme als die von Alianne Diehl. Die macht ihren Job zwar nicht wirklich schlecht, klingt für meinen Geschmack aber viel zu brav. Im Nachfolger Harveys Neue Augen hat Daedalic die Vertonung deutlich besser hinbekommen. Dort gab es durch das vereinfachte Inventar- und Dialog-System allerdings auch viel weniger aufzunehmen. Andere Charaktere wie der Kontrolleur besitzen aber auch schon in Ednas erstem Abenteuer eine angenehme Stimme. Zum Glück lässt sich die Sprachausgabe jederzeit an- und abschalten.



Ich höre Stimmen...

Im Verlauf des Abenteuers treffe ich auf einige mysteriöse Figuren: Kann mir der düstere Schlüsselmeister, der wie Hannibal Lecter hinter Sicherheitsglas lauert, wirklich zur Freiheit verhelfen? Und in welchem Zusammenhang steht Ednas Aufenthalt in der Klappse mit dem bösen Anstaltsleiter Dr. Marcel und ihrem Vater? Um Licht ins Dunkel ihrer Amnesie zu bringen, unternimmt Edna an bestimmten Stellen des Abenteuers eine Gedankenreise in ihre Kindheit, im Fachjargon des Spiels "Tempomorphen" genannt. In diesen Szenen schlüpfe ich abwechselnd in die Rollen der jungen Edna und ihrem Hasen Harvey. Der flauschige Pyromane kann Objekte aus seiner Umgebung allein nicht an sich nehmen oder benutzen, sondern lediglich in eine Themenleiste am unteren Rand ziehen. Danach spricht er Edna auf eines dieser Objekte an. In einem der Flashbacks sperrt der Lehrer Edna in den Schrank, weil sich die Petze neben ihr wiederholt mit streberhaftem Schnippsen über ihre störenden Selbstgespräche beschwert hat. Harvey kommt selbst nicht an ein Dokument im Schrank heran, kann seiner eingesperrten Freundin aber vorschlagen, dieses zu lesen. Da es in dem Kabuff viel zu dunkel ist, schlüpfe ich in ihre Rolle und reiche Harvey das Schriftstück durch ein kleines Loch nach draußen. Habe ich eine Hand voll Rätsel in einer Flashback-Episode gelöst, kehre ich mit einer neu erlernten Fähigkeit zurück - z.B. die, Schrauben mit einem nicht besonders appetitlichen Trick zu lösen.

Fazit

Auch vier Jahre nach dem PC-Original hat Edna bricht aus nichts von seinem aberwitzigen Charme verloren. Das Spiel ist immer noch ein Musterbeispiel dafür, wie saucool ein Adventure sein kann, wenn ein kreativer Kopf wie Jan Müller-Michaelis sich ohne Kompromisse austoben kann. Die trashige Grafik, die genial albernen und trotzdem nicht flachen Dialoge, die durchgeknallten Rätsel und das Verben-System alter Schule: all das passt prima zusammen und lässt Adventure-Flair alter Zeiten aufkommen. Oft wird es sogar lustiger als in den großen Lucas-Arts-Vorbildern. Das langgezogene erste Kapitel wirkt im Vergleich zum flotten Erzähltempo des Nachfolgers allerdings ein wenig monoton. Einige Räume klappert man schließlich gleich dutzendfach ab. Andererseits bietet Daedalics Hommage an die Alte Schule auch ein ganz eigenes Spielgefühl, welches weder der Nachfolger noch die Konkurrenz zu bieten hat. Wo sonst kann man so viel Unsinn mit dem Inventar anzustellen und sich sogar mit sämtlichen Gegenständen unterhalten? Durch das experimentelle Rätsel-Design und Unmengen sammelbarer Gegenstände werden die Rätsel auf Dauer ziemlich knifflig - Anfänger sollten sich den Kauf also überlegen. Gelegentlichen Flashbacks lockern das Knobeln aber ein wenig auf. Die deutsche Vertonung wirkt nach wie vor etwas hausbacken, kann den Spaß aber auch nicht wirklich trüben. Wer eine Vorliebe für bizarren Humor besitzt und Deadalics Adventure-Klassiker auf dem PC verpasst hat, sollte unbedingt zuschlagen!

Pro

  • geisteskranker Humor
  • Unmengen an genialen Dialogen
  • bekloppte Charaktere
  • trashiger Comicstil passt prima
  • unterhaltsam erzählte Story
  • gut funktionierendes Verben-System
  • sämtliche Objekte lassen sich miteinander kombinieren
  • bewusstseinserweiternde Diskussionen mit Gegenständen
  • jede Menge selbstironische Kommentare
  • gut dosiertes Ansteigen des Schwierigkeitsgrades
  • experimenteller Glockenspiel-Jazz, garniert mit stilvollen Angstschreien
  • gut umgesetzte Touchscreen-Steuerung
  • Droggelbecher!

Kontra

  • nach ein paar Stunden zu viel Sammel
  • Routine
  • das riesige Inventar macht manche Rätsel übertrieben knifflig
  • das erste Kapitel zieht sich zu sehr in die Länge
  • schwankende Qualität bei der abschaltbaren Sprachausgabe
  • billige Soundeffekte

Wertung

iPad

Wahnsinn! Durchgeknallter als Ednas Gummizellenausbruch kann ein Adventure kaum werden!