Edna bricht aus - Test, Adventure, PlayStation4, NDS, iPad, Switch, PC
Gelungene Umsetzung
Gegenstände zieht man einfach heraus oder platziert ein Exemplar in der Schnellwahlleiste am unteren Bildrand, um es kurz danach einzusetzen. Neu dabei ist sind außerdem eine alternative englische Vertonung, eine Facebook-Anbindung sowie einige Erfolge. Inhaltlich hat sich nichts geändert: Auch die iOS-Umsetzung balanciert äußerst elegant auf dem schmalen Grat zwischen Genie und Wahnsinn. Wirklich jeder Charakter im Debüt-Adventure von Jan Müller-Michaelis hat ernsthafte psychische Probleme. Kein Wunder: Ich schlüpfe in den weißen Kittel von Edna, die mit Gedächtnisverlust in einer kuscheligen Gummizelle aufwacht. Meine Aufgabe ist natürlich, dem Wahnsinn der Anstalt zu entkommen.
Gesellige Gegenstände
Die in den Räumen verstreuten Objekte taugen nicht nur zu meiner Unterhaltung. Manche, wie das in der Abstellkammer stehende Gehirn in einem Glas, geben nicht nur ihre Lebensweisheiten an mich weiter, sondern mitunter wertvolle Tipps, mit denen ich eines der zahlreichen Rätsel löse. Kleptomanen werden hier auf Anhieb glücklich: Falls Edna ein Objekt nicht als unbrauchbar erachtet, kann sie sich die Kitteltaschen so voll stopfen, wie sie will. Und ich darf alles wild miteinander kombinieren. Ich will mein seelisches Leid mit einem Aktions-Kunstwerk ausdrücken? Kein Problem! Ich schnappe mir die Ketchup-Flasche und verpasse Sitzmöbeln und Gemälden einen expressionistischen tomatenroten Anstrich. Oder ich schneide das halbe Irrenhaus mit der Zackenschere entzwei. Unglaublich - nie hat es so viel Spaß gemacht, stundenlang mit dutzenden Objekten herumzuprobieren und..ähem..zu sprechen.
Raus aus der Zelle!
Dort treffe ich auf allerlei grenzgeniale Charaktere. Jeder von ihnen ist ein echtes Original und hat seine ganz eigene, liebenswerte Neurose. Hoti und Moti halten sich trotz unterschiedlicher Hautfarbe für siamesische Zwillinge und tragen daher den gleichen Pullover. Der mit norddeutschem Dialekt und einer gehörigen Portion Ordnungsliebe ausgestattete Kontrolleur sorgt dafür, dass nur Personen mit einem vorschriftsmäßigen Kleiderbügel-Ticket den Wäschelift als Transportmittel missbrauchen dürfen. Habe ich ihn überlistet, treffe ich auf Herrn Mantel, der sich für einen Gehrock hält und in einem Regenschirm durch den Wäschelift reist.
Droggelbecher!
Die Hand der genervten, Verständnis heuchelnden Therapeutin bewegt sich bei ihren Kommentaren skurril im Kreis. Jede der trashig gezeichneten Figuren hat sie - diese drei Animationsphasen, in denen sich ihr Mund, das komplette Gesicht oder eben irgendetwas anderes bewegt. Und obwohl es nur drei Variationen eines einzigen Bildes sind, wirkt jede davon angemessen albern. Als alter Hase fühlt man sich sofort an Klassiker wie Monkey Island und Maniac Mansion erinnert, die ganz unverhohlen als Vorbild dienten. Auf der Packung der PC-Version stand schließlich noch der augenzwinkernde Werbe-Sloagan „Von den Leuten, die Monkey Island gut finden!".
Ich höre Stimmen...
Im Verlauf des Abenteuers treffe ich auf einige mysteriöse Figuren: Kann mir der düstere Schlüsselmeister, der wie Hannibal Lecter hinter Sicherheitsglas lauert, wirklich zur Freiheit verhelfen? Und in welchem Zusammenhang steht Ednas Aufenthalt in der Klappse mit dem bösen Anstaltsleiter Dr. Marcel und ihrem Vater? Um Licht ins Dunkel ihrer Amnesie zu bringen, unternimmt Edna an bestimmten Stellen des Abenteuers eine Gedankenreise in ihre Kindheit, im Fachjargon des Spiels "Tempomorphen" genannt. In diesen Szenen schlüpfe ich abwechselnd in die Rollen der jungen Edna und ihrem Hasen Harvey. Der flauschige Pyromane kann Objekte aus seiner Umgebung allein nicht an sich nehmen oder benutzen, sondern lediglich in eine Themenleiste am unteren Rand ziehen. Danach spricht er Edna auf eines dieser Objekte an. In einem der Flashbacks sperrt der Lehrer Edna in den Schrank, weil sich die Petze neben ihr wiederholt mit streberhaftem Schnippsen über ihre störenden Selbstgespräche beschwert hat. Harvey kommt selbst nicht an ein Dokument im Schrank heran, kann seiner eingesperrten Freundin aber vorschlagen, dieses zu lesen. Da es in dem Kabuff viel zu dunkel ist, schlüpfe ich in ihre Rolle und reiche Harvey das Schriftstück durch ein kleines Loch nach draußen. Habe ich eine Hand voll Rätsel in einer Flashback-Episode gelöst, kehre ich mit einer neu erlernten Fähigkeit zurück - z.B. die, Schrauben mit einem nicht besonders appetitlichen Trick zu lösen.
Fazit
Auch vier Jahre nach dem PC-Original hat Edna bricht aus nichts von seinem aberwitzigen Charme verloren. Das Spiel ist immer noch ein Musterbeispiel dafür, wie saucool ein Adventure sein kann, wenn ein kreativer Kopf wie Jan Müller-Michaelis sich ohne Kompromisse austoben kann. Die trashige Grafik, die genial albernen und trotzdem nicht flachen Dialoge, die durchgeknallten Rätsel und das Verben-System alter Schule: all das passt prima zusammen und lässt Adventure-Flair alter Zeiten aufkommen. Oft wird es sogar lustiger als in den großen Lucas-Arts-Vorbildern. Das langgezogene erste Kapitel wirkt im Vergleich zum flotten Erzähltempo des Nachfolgers allerdings ein wenig monoton. Einige Räume klappert man schließlich gleich dutzendfach ab. Andererseits bietet Daedalics Hommage an die Alte Schule auch ein ganz eigenes Spielgefühl, welches weder der Nachfolger noch die Konkurrenz zu bieten hat. Wo sonst kann man so viel Unsinn mit dem Inventar anzustellen und sich sogar mit sämtlichen Gegenständen unterhalten? Durch das experimentelle Rätsel-Design und Unmengen sammelbarer Gegenstände werden die Rätsel auf Dauer ziemlich knifflig - Anfänger sollten sich den Kauf also überlegen. Gelegentlichen Flashbacks lockern das Knobeln aber ein wenig auf. Die deutsche Vertonung wirkt nach wie vor etwas hausbacken, kann den Spaß aber auch nicht wirklich trüben. Wer eine Vorliebe für bizarren Humor besitzt und Deadalics Adventure-Klassiker auf dem PC verpasst hat, sollte unbedingt zuschlagen!
Pro
- geisteskranker Humor
- Unmengen an genialen Dialogen
- bekloppte Charaktere
- trashiger Comicstil passt prima
- unterhaltsam erzählte Story
- gut funktionierendes Verben-System
- sämtliche Objekte lassen sich miteinander kombinieren
- bewusstseinserweiternde Diskussionen mit Gegenständen
- jede Menge selbstironische Kommentare
- gut dosiertes Ansteigen des Schwierigkeitsgrades
- experimenteller Glockenspiel-Jazz, garniert mit stilvollen Angstschreien
- gut umgesetzte Touchscreen-Steuerung
- Droggelbecher!
Kontra
- nach ein paar Stunden zu viel Sammel
- Routine
- das riesige Inventar macht manche Rätsel übertrieben knifflig
- das erste Kapitel zieht sich zu sehr in die Länge
- schwankende Qualität bei der abschaltbaren Sprachausgabe
- billige Soundeffekte