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07.09.2012, Jörg Luibl

Test: Home

Hört ihr das? Die Technikschraube dreht sich wieder, sie wird geölt und poliert. Alle Welt wartet auf den Start der neuen Engines und die Power der Konsolen von Microsoft oder Sony. Aber selbst wenn so mancher Trailer die Macht und so mancher Geschäftsführer gar das Gefühl des Polygons propagiert, feiert das kleine Pixel ein stilles Comeback. Und manchmal erzählen ein paar geschickt angeordnete Bildpunkte sogar die besseren Geschichten als das High-Definition-Kino.

Man hat zu Beginn nur eine Taschenlampe und viele Fragen. Wie kam man in dieses verdammte Haus? Das sollte man sich in einem Durchlauf (60 bis 90 Min.) beantworten, denn man kann nicht frei speichern.
Wer sich auf dieses Abenteuer einlässt, wird seinen Augen zunächst nicht trauen: Läuft da ein Emulator für ein C-64-Spiel? Nein, dieser rothaarige Mann in der blauen Pixelhose, der in der unteren rechten Ecke des Bildschirms wartet, stammt aus dem Jahr 2012. Er sieht aus heutiger Perspektive nicht nur verdammt schlecht aus, er fühlt sich aus so – Kopfschmerzen, Übelkeit, Gedächtnisverlust. Aber immerhin hat er eine Taschenlampe in der Hand, mit der ein wabernder Kreis um ihn herum erleuchtet wird.

Das böse Erwachen

Was sieht er da? Weitere Pixel, die ganz grob einen Flur und ein Fenster andeuten.  Außerdem hört er Donner in einiger Entfernung grollen, während er durch die Düsternis vorwärts geht. Ah, da ist ja eine Tür! Und die geht knarzend  mit einer kleinen Animation à la Resident Evil auf. Dann wird ein Schwarzweiß-Fenster wie in einem Stummfilm eingeblendet: „That house…where was I?“ Kaum geht der Mann ein paar Schritte weiter, findet er einen bunten Haufen, den er näher untersuchen kann: „There was a body…lying on the floor. Who was it?“

Ab und zu kann man mit Gegenständen oder Apparaturen interagieren, aber die Rätsel bleiben auf einfachem Niveau.
Der Amnesie folgen natürlich die Fragen und die machen einen mit jedem Schritt neugieriger, weil man immer nur Puzzleteile findet. Warum ist man verletzt und schmutzig? Was hat es mit den verbarrikadierten Türen auf sich? Man will den Mann irgendwie nicht allein lassen, denn er scheint Hilfe zu brauchen. Und obwohl die Kulisse nur aus groben Bildpunkten besteht, verströmt sie nicht nur eine nostalgische Anziehungskraft, die an alte Zeiten erinnert.

Die unheimliche Neugier

Sie wirkt aufgrund ihrer Kleinigkeiten überraschend lebendig: Eine Katze verschwindet miauend, es tropft von der Decke oder pfeift aus dem Keller. Es gibt keine Musik, so dass man sich komplett auf die wenigen Geräusche konzentriert. Hat man eine aufmerksame Viertelstunde mit Kopfhörer hinter sich, entfaltet sich gerade aufgrund des minimalistischen Designs ein knisterndes Herrenhausflair mit unheimlichen bis blutigen Entdeckungen. Man erforscht Korridore, Keller, Wassertürme, Häuser und findet immer mehr Hinweise, die auf ein grausiges Verbrechen hindeuten.

Im Zentrum steht die Geschichte. Und je nachdem, wie man sich entscheidet, kann sie sich ganz anders entwickeln...
Die Steuerung ist denkbar simpel: Man braucht lediglich die Pfeiltasten und Space. Es gibt keine Action in Form von Sprüngen oder Kämpfen. Und die einzige optionale Bewegung ist das Heben der Taschenlampe, um Verborgenes an der Decke sichtbar zu machen – was sich übrigens lohnen kann. Man muss auch nichts mit der Maus absuchen: Sobald man irgendwo interagieren darf, wird ein weißer Rahmen um die Pixel sichtbar und man drückt Space, um etwas zu durchwühlen, zu öffnen oder zu drehen.

Keine Action, leichte Interaktion

Es gibt einige Rätsel, logische Verknüpfungen und man muss auch mal Mechanismen mehrteilig in Gang bringen, aber das läuft alles auf einem einfachen Niveau ab – Schlüssel finden und benutzen, Seil an Leiter anwenden. Es gibt also keine mehrteiligen Inventar-Rätsel, die das gezielte Kombinieren von Gegenständen verlangen. Man sammelt einfach alles ein und kann es bei Bedarf automatisch anwenden.

Aber hier beginnt manchmal die Qual der Wahl: Nimmt man das Foto des fremden Ehepaars, das blutige Messer oder die Pistole wirklich auf? Selbst, wenn der Mann sein Unbehagen ausdrückt: „I hated guns. I didn’t take it, did I?“ Hier und an vielen anderen Stellen muss man sich für Yes oder No entscheiden. Kann es sein, dass man die Geschichte gar nicht erlebt, sondern über diese Aktionen erzählt?

Auch wenn es zu Beginn gewöhnungsbedürftig aussieht: Die Pixelkulisse sorgt für Stimmung, knarzende Türen erinnern an Resident Evil.
Genau das ist das Faszinierende an diesem Adventure, denn das Storytelling steht im Vordergrund. Hier folgt man nicht einem Drehbuch, sondern kann es bis zu einem gewissen Grad selbst schreiben, obwohl Szenario und Ausgangslage vorgegeben sind. Und dieses gleichzeitige Erleben und Erzählen gelingt mit diesen einfachen Mitteln sehr gut, sonst würde man nicht unbedingt das bzw. sein Finale sehen wollen. Trotzdem muss man der Geschichte ankreiden, dass das Motiv der Amnesie alles andere als einfallsreich ist und dass man nach etwa mehr als einer Stunde durch ist.

Einfaches, aber vielschichtiges Erlebnis

Doch dann erkennt man nicht nur, dass man gar nicht alles an Geheimnissen entdeckt hat: Was ist z.B. mit diesem Safe? Und was ist bloß auf dem VHS-Video zu sehen? Man ahnt im letzten Drittel auch, dass man dieses Abenteuer vielleicht ganz anders erlebt hätte, denn plötzlich werden einem Fragen gestellt, die eine Antwort auf all die Indizien verlangen. Und es war doch so, dass dieses Verbrechen ganz klar von…oder etwa doch nicht? Moment, man wollte es doch selbst so erzählt wissen oder hat man sich da in etwas reingepixelt, was man gar nicht wollte? Verflixt aber auch.

Fazit

Lust auf einen Hauch Edgar Allan Poe für 2,50 Euro? Auf ein leises, aber vielschichtiges Erlebnis? Dann schlagt zu und begleitet diesen Mann durch das unheimliche Haus mit seinen knarzenden Türen. Aber erwartet weder blutige Action noch Kopfnüsse, sondern lasst euch im Dunkeln bei fest sitzendem Kopfhörer auf diese mysteriösen Flure und das offene Storytelling ein. Hier demonstriert ein kreativer Entwickler, welche atmosphärische Kraft im Pixel steckt und wie man mit einfachen Mitteln dafür sorgen kann, dass man in einem Spiel versinkt. Unterm Strich kann Home hinsichtlich des Horrors zwar nicht mit Lone Survivor mithalten, das fast schon wie ein Silent Hill in 2D anmutete - es ist eher eine morbide Detektivgeschichte. Außerdem vermisst man anspruchsvollere Rätsel, die einen wenigstens etwas fordern. Aber dafür punktet das Abenteuer mit seiner charmanten Inszenierung, die ohne großes Getöse für Nachdenklichkeit sorgen kann. Macht man sich etwa mit schuldig, wenn man das blutige Messer aufnimmt? Hat man gerade die Geschichte verändert? Kann man den Schrecken des Helden etwa auf verschiedene Art erleben? Ja! Denn mit jeder Entscheidung erlebt und erzählt man. Wer gute Geschichten mag, wird auch diese bis zu all ihren Enden verfolgen müssen.

Pro

  • interessantes, offenes Storytelling
  • es gibt nicht "das" Ende und "die Geschichte"
  • stimmungsvolle Pixelkulisse
  • Entscheidungen treffen
  • kleinere Rätseleinlagen
  • gut verknüpfte Schauplätze
  • hoher Wiederspielwert

Kontra

  • zu leichte Rätsel
  • nach 60 bis 90 Min. leider Schluss
  • nur englische Texte
  • kein freies Speichern

Wertung

PC

Ein stimmungsvolles Pixel-Abenteuer mit offenem Storytelling und einem Hauch Edgar Allan Poe.