Retro City Rampage - Test, Arcade-Action, 360, PS_Vita, PlayStation3, PlayStation4, Wii, PC, 3DS
Grand Theft Pixel
Retro City Rampage (RCR) ist das, was normalerweise in dem „Früher war alles besser“-Seufzer enthalten ist. Nur komprimiert und angereichert. Mein erster „Wat? Ernsthaft?“-Lacher überkam mich, als ich sah, dass das ganze Spiel gerade mal 28 MB groß ist. Ja, „Megabyte“, geschätzte Käufer von Terabyte-Platten! Instinktiv wollte ich zu meiner Diskettenbox greifen, habe dann aber doch gog.com bevorzugt. Man wird ja nicht jünger, und damit fauler.
Das beinhaltete auch, dass ich meinen 360-Controller an den PC hing, der von RCR auch anstandslos erkannt wurde (auch wenn ein Bug dafür sorgt, dass die Steuerung beim Taskswitch auf Tastatur resettet wird). Was sehr zu empfehlen ist, denn die Tastatur-Kontrolle ist träge und fummelig.
Was ist Retro City Rampage? In seinem Herzen ein pixeliges Grand Theft Auto. Wie das erste GTA, nur lange nicht so hübsch. Und nicht so interessant oder abwechslungsreich. Eigentlich ist RCR kein besonders gutes Spiel. Man jagt mit seinen Karren durch die große Stadt und überfährt dabei alles, was im Weg steht, liefert sich träge Ballereien mit Polizei, anderen Gangstern oder schlagkräftigen Zivilisten und klaut gelegentlich den einen oder anderen Fernseher. Super-simpel.
Die Mutter aller Referenzen
Mehr Filter! Mehr Filter! Wir lieben Filter!
Nach dem leicht chaotischen Einstieg, der mit seinen langen und übertrieben gehäuft auftretenden Cutscenes Erinnerungen an die MGS-Reihe weckt, öffnet sich Retro City Rampage und wird zum kleinen GTA: Man kann frei durch die Stadt brausen und für Schrecken sorgen, oder sich um Neben- und Hauptmissionen kümmern. Oder einen Blick in „Nolan’s Arcade“ werfen, in dem absurde Minispiele erschreckend viel Zeit fressen können (Highlight: „Virtual Meat Boy“, entweder in Augenkrebs-Rot oder im Blau/Rot-3D-Modus). Oder man verbringt Zeit mit den heisigen Alternativen der GTA-„Rampages“: In „Toast of the Town“ muss man in so viele Leute wie möglich in Brand versetzen und sich selbst noch Löschen, bevor das Zeitlimit den Exitus beschwört. In „Ill Mariachi“ möglichst viele Leute mit einer Klampfe kaputthauen. Bescheuert. Aber sehr unterhaltsam. Genau wie die putzigen Kleinigkeiten: Der Spieler heißt einfach nur „Player“, Entfernungen werden in Pixeln gemessen…
…aber das beste Feature für den Retro-Wahnsinnigen ist der schiere Overkill an Grafik-Optionen. Nein, keine Detailstufen oder Anti-Aliasing. Hier ist alles pixelig, klobig, farbarm und simpel. Vielmehr kann man nicht nur diverse Hintergründe wählen (Fernseher, Arcade-Kabinetts oder Game-Boy-Verschnitt), sondern vor allem auch mit verschiedenen Farbfiltern experimentieren. Und hier geht der Wahnsinn richtig los, denn an dieser Stelle dürften wirklich alle alten Säcke Pipi in den Augen haben: Der eine Filter lässt das Bild wie auf dem C-64 aussehen, der andere entspringt den rosa CGA-Zeiten, der nächste dem Virtual Boy, ein weiterer dem NES. Fantastisch!
Nicht ganz so fantastisch dagegen der Soundtrack: Ich finde es zwar putzig, dass man unter diversen Radiostationen wählen kann, aber aus allen der kleine SID-Spaß quillt. Aber irgendwie blieb mir während der vielen Stunden in Theftropolis keine einzige Melodie wirklich im Ohr. Handwerklich ist das Gedüdel absolut in Ordnung, aber die Melodien sind austauschbar.
Fazit
Retro City Rampage ist kein gutes Spiel. Es ist nett und unterhaltsam, aber gleichzeitig auch simpel, flach und hohl. Was es aber ist, ist eine verdammt gute Sammlung an Erinnerungen daran, was in den 80ern und 90ern irgendwie cool oder angesagt war, eine Liebeserklärung an die Ära der dicken Pixel und des Plastikpops. Die Unmengen an Anspielungen und Insiderwitzen sind kaum in Worte zu fassen, wer mit all dem Wahnsinn aufgewachsen ist, der hier an allen Ecken und Enden liebevoll durch den Kakao gezogen wird, kommt aus dem Gackern kaum heraus. Wer keinen Sinn für diese Ära hat, der kann und sollte die Finger von RCR lassen - das hier ist von einem Wahnsinnigen für viele Wahnsinnige gemacht, die sich die Passion Pixel teilen. Alleine mit den ganzen Grafikoptionen hier hatte ich mehr Spaß als mit der Gesamtheit von Resident Evil 6.
Pro
- absurd-großartige Retro-Präsentation
- präzise Gamepad-Steuerung
- beachtlicher Umfang
- tonnenweise Anspielungen und Insiderwitze
- viele Grafikoptionen
- putzige Minigames
- abwechslungsreiches Design
- witzige Dialoge und Einzeiler
Kontra
- belangloser Soundtrack
- fummelige, nicht verstellbare Tastatur-Steuerung
- erfordert viel Retro-Wissen für vollen Genuss