Retro City Rampage - Test, Arcade-Action, 360, PS_Vita, PlayStation3, PlayStation4, Wii, PC, 3DS

Retro City Rampage
12.10.2012, Paul Kautz

Test: Retro City Rampage

Wenn ihr älter als 30 Jahre alt seid: Kauft dieses Spiel! Wer wie ich einen brauchbar großen Teil seiner Videospieljugend in 8-Bit-Welten verbracht hat, der wird hier aus dem Referenzgackern nicht rauskommen. Wer jünger ist: Ihr werdet Retro City Rampage vermutlich hassen.

Im Grunde seines Herzens ist RCR ein Simpel-GTA: Einen beachtlichen Teil seiner Zeit verbringt man damit, in Fahrzeugen herumzurasen oder zu Fuß um sich zu ballern.


Grand Theft Pixel

Retro City Rampage (RCR) ist das, was normalerweise in dem „Früher war alles besser“-Seufzer enthalten ist. Nur komprimiert und angereichert. Mein erster „Wat? Ernsthaft?“-Lacher überkam mich, als ich sah, dass das ganze Spiel gerade mal 28 MB groß ist. Ja, „Megabyte“, geschätzte Käufer von Terabyte-Platten! Instinktiv wollte ich zu meiner Diskettenbox greifen, habe dann aber doch gog.com bevorzugt. Man wird ja nicht jünger, und damit fauler.

Das beinhaltete auch, dass ich meinen 360-Controller an den PC hing, der von RCR auch anstandslos erkannt wurde (auch wenn ein Bug dafür sorgt, dass die Steuerung beim Taskswitch auf Tastatur resettet wird). Was sehr zu empfehlen ist, denn die Tastatur-Kontrolle ist träge und fummelig.

Aber in erster Linie ist das Spiel eine ausufernde Sammlung von Videospiel- und Popkultur-Referenzen. Allein in diesem Bild...
Und nicht verstellbar, was bei Aktionen wie dem Deckungssystem ärgerlich ist - denn die Taste dafür ist das „Z“, was auf amerikanischen Keyboards Sinn ergibt, hierzulande aber zum ständigen Umgreifen einlädt.

Was ist Retro City Rampage? In seinem Herzen ein pixeliges Grand Theft Auto. Wie das erste GTA, nur lange nicht so hübsch. Und nicht so interessant oder abwechslungsreich. Eigentlich ist RCR kein besonders gutes Spiel. Man jagt mit seinen Karren durch die große Stadt und überfährt dabei alles, was im Weg steht, liefert sich träge Ballereien mit Polizei, anderen Gangstern oder schlagkräftigen Zivilisten und klaut gelegentlich den einen oder anderen Fernseher. Super-simpel.

Die Mutter aller Referenzen

Ja, es gibt auch eine Handlung. Die aber ziemlich unnötig ist.
Aber jedem, der auch nur einen Blick auf das Spiel werfen konnte, dürfte klar sein, dass man sich das nicht für die tiefschürfende Handlung oder den überwältigenden Augenzucker zulegt. Sondern für denselben Grund, aus dem man auf dem Flohmarkt nach alten NES- und Master-System-Modulen sucht: Retro-Spaß Reloaded! Sowie natürlich Referenzen und Insiderwitze. Tonnen davon. Es ist im Grunde völlig unmöglich, eine auch nur ansatzweise vollständige Liste all das mehr oder weniger subtilen Anspielungen abzuliefern, die sich in RCR verstecken. GTA, Mario, Rambo, Frogger, Sonic, Bionic Commando, Metal Geaer Solid, Punch-Out, TMNT, Paperboy, MegaMan - selbst John Romero kommt in Form eines Cheat-Lieferanten vor! Nicht zu vergessen die Massen an Filmverweisen, von Zurück in die Zukunft über Bill & Ted und Ghostbusters bis zu Batman und A-Team. Wirklich alles, was in den 80ern/Anfang 90ern irgendwie Teil der Populärkultur war, findet sich mit Sicherheit in RCR. Und das ist eine verdammt beeindruckende Leistung!

Mehr Spaß als eine Hose voller Wiesel: Das Herumexperimentieren mit den vielen, vielen Grafikfiltern!


Mehr Filter! Mehr Filter! Wir lieben Filter!

Nach dem leicht chaotischen Einstieg, der mit seinen langen und übertrieben gehäuft auftretenden Cutscenes Erinnerungen an die MGS-Reihe weckt, öffnet sich Retro City Rampage und wird zum kleinen GTA: Man kann frei durch die Stadt brausen und für Schrecken sorgen, oder sich um Neben- und Hauptmissionen kümmern. Oder einen Blick in „Nolan’s Arcade“ werfen, in dem absurde Minispiele erschreckend viel Zeit fressen können (Highlight: „Virtual Meat Boy“, entweder in Augenkrebs-Rot oder im Blau/Rot-3D-Modus). Oder man verbringt Zeit mit den heisigen Alternativen der GTA-„Rampages“: In „Toast of the Town“ muss man in so viele Leute wie möglich in  Brand versetzen und sich selbst noch Löschen, bevor das Zeitlimit den Exitus beschwört. In „Ill Mariachi“ möglichst viele Leute mit einer Klampfe kaputthauen. Bescheuert. Aber sehr unterhaltsam. Genau wie die putzigen Kleinigkeiten: Der Spieler heißt einfach nur „Player“, Entfernungen werden in Pixeln gemessen…

Zusätzlich zu den Missionen kann man sich die Zeit auch mit kleinen "Rampages" sowie putzigen Minigames vertreiben.

…aber das beste Feature für den Retro-Wahnsinnigen ist der schiere Overkill an Grafik-Optionen. Nein, keine Detailstufen oder Anti-Aliasing. Hier ist alles pixelig, klobig, farbarm und simpel. Vielmehr kann man nicht nur diverse Hintergründe wählen (Fernseher, Arcade-Kabinetts oder Game-Boy-Verschnitt), sondern vor allem auch mit verschiedenen Farbfiltern experimentieren. Und hier geht der Wahnsinn richtig los, denn an dieser Stelle dürften wirklich alle alten Säcke Pipi in den Augen haben: Der eine Filter lässt das Bild wie auf dem C-64 aussehen, der andere entspringt den rosa CGA-Zeiten, der nächste dem Virtual Boy, ein weiterer dem NES. Fantastisch!

Nicht ganz so fantastisch dagegen der Soundtrack: Ich finde es zwar putzig, dass man unter diversen Radiostationen wählen kann, aber aus allen der kleine SID-Spaß quillt. Aber irgendwie blieb mir während der vielen Stunden in Theftropolis keine einzige Melodie wirklich im Ohr. Handwerklich ist das Gedüdel absolut in Ordnung, aber die Melodien sind austauschbar.

Fazit

Retro City Rampage ist kein gutes Spiel. Es ist nett und unterhaltsam, aber gleichzeitig auch simpel, flach und hohl. Was es aber ist, ist eine verdammt gute Sammlung an Erinnerungen daran, was in den 80ern und 90ern irgendwie cool oder angesagt war, eine Liebeserklärung an die Ära der dicken Pixel und des Plastikpops. Die Unmengen an Anspielungen und Insiderwitzen sind kaum in Worte zu fassen, wer mit all dem Wahnsinn aufgewachsen ist, der hier an allen Ecken und Enden liebevoll durch den Kakao gezogen wird, kommt aus dem Gackern kaum heraus. Wer keinen Sinn für diese Ära hat, der kann und sollte die Finger von RCR lassen - das hier ist von einem Wahnsinnigen für viele Wahnsinnige gemacht, die sich die Passion Pixel teilen. Alleine mit den ganzen Grafikoptionen hier hatte ich mehr Spaß als mit der Gesamtheit von Resident Evil 6.

Pro

  • absurd-großartige Retro-Präsentation
  • präzise Gamepad-Steuerung
  • beachtlicher Umfang
  • tonnenweise Anspielungen und Insiderwitze
  • viele Grafikoptionen
  • putzige Minigames
  • abwechslungsreiches Design
  • witzige Dialoge und Einzeiler

Kontra

  • belangloser Soundtrack
  • fummelige, nicht verstellbare Tastatur-Steuerung
  • erfordert viel Retro-Wissen für vollen Genuss

Wertung

PC

Eine wahnwitzige Liebeserklärung an die Ära der großen Pixel - von Retro-Fanatikern für Retro-Fanatiker!