Wonderbook: Das Buch der Zaubersprüche - Test, Adventure, PlayStation3
Der Übergang in die Welt der Zauberer führt nicht über das Gleis Neundreiviertel oder die Winkelgasse, sondern das eigene Wohnzimmer: PlayStationEye einschalten, Move-Controller anschließen und das geschlossene Wonderbook so auf den Boden legen, dass es zusammen mit dem abenteuerlustigen Muggel, der am besten im Schneidersitz davor hockt, von der abwärts geneigten Kamera erfasst wird. Allerdings darf man nicht im Dunkeln zaubern, sondern muss den Raum so gut wie möglich erhellen. Kommentar eines Siebenjährigen: Hä, wieso zaubern wir im Hellen?
Magische Momente
Das Tutorial ist vorbildlich und führt Kinder sowie Eltern behutsam durch die Einrichtung. Ist alles installiert und kalibriert, verwandelt sich das graublaue Buch mit den dicken Seiten und kryptischen Zeichen in ein Zauberbuch mit feinen vergilbten Seiten. Zunächst wählt man einen von drei Zauberstäben, die zwischen steif und biegsam reichen sowie aus unterschiedlichem Material bestehen. Danach darf man sich aussuchen, ob man als Lehrling für die Slytherins, Gryffindors, Ravenclaws oder Hufflepuffs ausgebildet wird. Hier riecht es noch nach Harry Potter, was bei den Fans auf unserer Couch noch zu hitzigen Debatten über die Wahl führte, aber später ebbte das Fachsimpeln immer mehr ab.
Arkane Ausbildung
Worum geht es? Gute Frage. Denn so richtig geheimnisvoll oder episch wirkt die Geschichte trotz der märchenhaften Kulisse samt schwebenden Buchstaben nicht. Ziel ist es schlichtweg, alle Zauber zu erlernen und selbiger zu werden. Dabei soll einem natürlich das vorliegende Buch helfen, das in fünf Kapitel unterteilt ist. Der Storyrahmen wird von dessen Verfasserin Miranda Habicht errichtet, die sich neben dem Erzähler immer wieder mit kleinen Anekdoten und Hinweisen meldet oder Rätselreime zum Besten gibt. Aber all das wirkt eher anekdotenhaft als zusammenhängend, so dass nicht nur Kinder und Potterfans die kleinen Geschichten recht zügig überspringen wollen, um endlich aktiv zaubern zu können.
20 Zauber in fünf Kapiteln
Wer einen Zauber wirken möchte, muss zunächst das betreffende Zeichen mit dem Move-Controller in den Bildschirm malen: Etwa eine Welle für den Wasserzauber. Wurde einmal korrekt gemalt, was dank der toleranten Abfrage meist funktioniert, kann man daraufhin einfach auf Knopfdruck das Nass aus dem Stab fließen lassen. So lassen sich z.B. Kessel oder Brunnen füllen. Die grafischen Effekte sind sehr gut: Der Bildschirm oder das Buch werden nass, so dass man Letzteres z.B. aufrecht hinstellen und abschütteln muss; sehr schön sind auch die Stellen, wo man in Brunnen oder Abgründe hinein blicken soll, indem man das Buch entsprechend in die Kamera hält.
Abschlusstest am Kapitelende
Nach der ersten Dreiviertelstunde beherrscht man z.B. die vier Zauber Schweben, Wasser, Öffnen und Licht. Dann kommen das Schrumpfen und Vergrößern, das Entzünden, Entdecken sowie der Vogelschwarm hinzu. Aber schon nach zwei Kapiteln fragt man sich, wann denn das Abenteuer anfängt? Wann kann man mal freier mit den Zaubern hantieren und experimentieren? Das Zauberbuch fühlt sich eher an wie ein nicht enden wollendes Tutorial. Auch die Kinder (zwischen sieben und vierzehn), die es sich im Rahmen unseres Tests angeschaut haben, nervte irgendwann dieses Korsett: Wann kann ich denn mal alleine losgehen?
Immerhin: Am Ende eines Kapitels wartet jeweils eine Abschlussprüfung, in der man alles Erlernte meist zusammen anwenden muss. Die Kamera schwenkt dann von einem kleinen Schauplatz zum nächsten, wo man Kisten öffnen, Zahnräder einfügen, Teufelsschwingen abwehren und schließlich Zaumzeug einsetzen muss, um einen wilden Wasserdämon zu zähmen. Aber bis man das erneut machen darf, muss man wieder für vier Zauber in die Schule gehen – sehr redundant.
Alohomora, Aguamenti - oder einfach: Arschbombe!
Die Erkennungstechnik ist aber letztlich nicht so toll wie es scheint, denn die Aussprache spielt keine Rolle: Wenn man z.B. vom Erzähler aufgefordert wird, den Namen des Wasserzaubers, also Aguamenti“, deutlich nachzusprechen, woraufhin auch noch ein Countdown läuft, kann man einfach irgendwas wie „Schalke“ oder „Arschbombe“ brabbeln (was ein siebenjähriger Witzbold ohne Fußballverstand oder gar Anstand tatsächlich tat) und wird dafür noch gelobt – selbst Kinder durchschauen den faulen Trick schnell (und wiederholen den Ausstoß von Vokabeln entsprechend oft). Und so beginnt die magische Fassade weiter zu bröckeln.
Kleine Irritationen
Und trotz der Mitarbeit von J.K. Rowling steckt so wenig Harry Potter im Wonderbook, dass es auch eine eigene Fantasywelt sein könnte; trotz einiger Hintergrundinformationen und Freischaltbaren werden Potterfans kaum satt werden. Und das Rätsel, das die britische Autorin extra für dieses Spiel verfasst hat, wirkt bis zum fünften Kapitel wie ein Fremdkörper, denn es wird nicht gut genug in die Interaktion eingebunden. Immerhin: Im Finale öffnet sich das Abenteuer ein wenig und man darf etwas freier hantieren.
Fazit
Auf den ersten Blick faszinierend, auf den zweiten ernüchternd: Noch steckt die erweiterte Realität als digitales Erlebnis in den Kinderschuhen. Wonderbook deutet immerhin an, welche Potenziale in der Verschmelzung von Kamera, Bewegungserkennung und Spiel schlummern. In seinen besten Momenten sorgt es tatsächlich für etwas Magie – allerdings eher visuell als spielerisch. Denn so toll die ausgelösten Zauber und vor allem manche grafischen Überleitungen vom schnöden Wohnzimmer zu einem verwunschenen See aussehen, so wiederholungsanfällig und linear geht es dort voran. Spätestens wenn der stimmungsvolle Erzähler zum Nachsprechen eines Zaubers auffordert, man dabei auch "Arschbombe" oder „Schalke“ statt „Aguamenti“ sagen kann (was ein siebenjähriger Witzbold ohne Fußballverstand tatsächlich tat) und dafür noch gelobt wird, riecht auch der PlayStationEye-Zauber faul. Ernüchternder als die fehlende Spracherkennung ist allerdings das Spieldesign: Warum nimmt man Kinder und ihre Fantasie nicht etwas ernster, indem man ihnen mehr Freiräume zum Experimentieren und mehr Anspruch bei den Rätseln gönnt? So werden sie für eine Hand voll Stunden an ganz enger Leine bei immer gleichen Abläufen durch die Kapitel gezerrt, während sie überflüssiges Zeugs freischalten und sich kaum austoben oder gar über die Rätselhaftigkeit der virtuellen Welt wundern können - das ist eher Frontalunterricht als Abenteuer. Selbst die eingefleischten Potterfans haben in unseren Spielsitzungen irgendwann abgewunken, weil es zu wenig interessante Bezüge zur Welt von Rowling gibt und die Story eher anekdotenhaft vor sich hin plätschert. Hoffentlich werden die kommenden Wonderbooks offener und besser geschrieben.
Pro
- sehr gutes Tutorial
- sehr gute deutsche Sprecher
- saubere Kamera-Erfassung
- märchenhafte Kulissen, tolle Tiefeneffekte
- Potenziale der Augmented Reality werden deutlich
- nette Fotospielereien
- 20 Zaubersprüche erlernen
- Texte vorspulen
Kontra
- streng linearer Ablauf
- nie enden wollender Tutorialcharakter
- wenig Spieltiefe, viele Wiederholungen
- nur vorgegaukelte Spracherkennung
- nur zwei simple Zaubermechaniken
- keine kreativen magischen Rätsel
- wenig Raum zum Experimentieren
- nur eine Hand voll Stunden Spielzeit
- kaum Wiederspielwert
- zu wenig Harry Potter-Flair
- ab und zu ungenaue Steuerung
- nervige Rüffel trotz korrekter Aktionen