Kentucky Route Zero - Test, Adventure, Mac, Linux, PlayStation4, PC, Switch, XboxOne

Kentucky Route Zero
23.01.2013, Jörg Luibl

Test: Kentucky Route Zero

Nicht einmal zehntausend Euro hatten die zwei Macher von Kentucky Route Zero nach der Kickstarter-Finanzierung zur Verfügung. Was kann man damit für ein Adventure entwickeln? Was kann man da schon hinsichtlich Atmosphäre und Spielspaß erreichen? Das zwingt jedenfalls zur Beschränkung auf das Wesentliche. Und manchmal ist genau das der Schlüssel für gute Unterhaltung. Mehr zur ersten von fünf Episoden im Test.

Irgendwo in Kentucky an einer Tankstelle sieht zunächst alles normal aus: Der Dieselmotor eines LKW wummert, der schlaksige Fahrer namens Conway steigt mit seinem Hund aus und unterhält sich mit einem alten Mann. Er fragt nach dem Weg, denn er hat eine Lieferung für den "Dogwood Drive", den er nicht findet. Grillen zirpen, die Sonne geht unter, Autos rauschen den Highway entlang - ein schöner, fast schon idyllischer Abend. Jetzt könnte ein ganz normales Adventure mit der Rätselsuche beginnen.

Ein ganz normaler Lieferservice?

Obwohl Kentucky Route Zero zunächst so wirkt, inszeniert es kein klassisches Point&Click-Erlebnis, sondern konzentriert sich auf ein Storytelling, das von Beginn an ein Netz aus interessanten Kleinigkeiten webt. Schnell bemerkt man seltsame Dinge: Wieso trägt der Hund eigentlich einen Strohhut? Warum kann ich ihn entweder Homer, Blue oder gar nicht benennen - hat das später Auswirkungen? Tatsächlich antwortet der Alte je nach Benennung des Hundes anders. Und weshalb sitzt er eigentlich in einem Queen-Anne-Ohrensessel zwischen den Zapfsäulen? Schon im ersten Gespräch bekommt der Schauplatz am Highway eine unwirkliche Note. Der Mann scheint auch irgendetwas zu wissen, quasselt von einer Route Zero. Oder ist der Typ einfach nur verrückt?

Ein Truck wummert, Grillen zirpen: Das Spiel beginnt an einer Tankstelle an einem Highway. Entwickler Cardboard Games inszeniert allerdings kein klassisches Point&Click mit Rätselfokus, sondern erzählt eine rätselhafte Story mit unwirklichem Flair - David Lynch lässt grüßen.
Immerhin will er hinsichtlich der Route helfen, aber dafür müsste man in der Tanke für Strom sorgen, damit der Computer läuft. Als Conway die Leiter in den finsteren Keller hinab steigt, zoomt die Kamera weiter heraus und zeigt einen unterirdischen Irrgarten, wo drei Leute an einem Tisch spielen und ihren Würfel verloren haben. Ob man den findet? Das Unwirkliche schleicht sich langsam an, denn die Situation wirkt genauso abstrus wie die Architektur. Das ist doch ein Rätsel? Also doch ein klassisches Adventure!? Ja, man zeigt und klickt auf interaktive Symbole. Aber nein, nicht ganz, denn man sammelt keine Gegenstände in einem Inventar, muss den Bildschirm nicht nach Items absuchen und begegnet später quasi keinen Aufgaben mehr.

Das Unwirkliche schleicht sich an

Nur dort unten muss Conway ein kleines Rätsel mit einer Lampe lösen: Und das tut dem Spiel richtig gut! Aber leider bleiben die Entwickler dieser Strategie nicht treu, sondern verlassen danach jegliche kombinatorische Anreize - schade. Irgendwann läuft der Rechner und man bekommt eine 2D-Karte der lokalen Routen. Auf dieser kann man seinen LKW per Klick los fahren lassen; sobald ein Symbol erscheint, kann man halten und einen der wenigen, aber stimmungsvoll ausgearbeiteten Schauplätze erkunden. Und es wird immer surrealer, denn als Conway den Alten auf diese Spieler im Keller anspricht, weiß der von nichts, das müsse man sich eingebildet haben! Was ist denn hier los? Ist man selbst verrückt, träumt man das Ganze? Erstmal den Hund füttern, den ich übrigens Homer genannt habe. Moment: Heißt die Tankstelle mit dem Pferdesymbol nicht "Equus Oils", gibt es etwa Anspielungen auf die antike Mythologie? Verwirrt und voller Fragen fährt man mit Conway weiter den Highway entlang...

Im Zentrum stehen weniger Rätsel oder Aktionen, sondern vielmehr skurrile Dialoge, bei denen man Entscheidungen treffen kann.
Der Regie gelingt es sehr schnell, einen in dieses mysteriöse Kentucky hinein zu ziehen und neugierig zu machen. Das liegt zum einen an der Inszenierung, denn die Beschränkung auf das Wesentliche hinsichtlich der Farben und Formen sorgt für scharfe Kontraste - so wirkt die Welt realistisch, aber auch nebulös und geheimnisvoll. Die Kamera offenbart mit sanften Zooms und tollen Überblendungen plötzlich ganz andere Blickwinkel mit neuen Schauplätzen. Hinzu kommt eine zurückhaltende, aber eindringliche Akustik, die manchmal nur die Tiere der Umgebung trällern lässt. Man kann die Inszenierung entfernt mit Superbrothers: Sword & Sworcery vergleichen, auch wenn der Pixel hier nicht so präsent ist, sondern eher markante Linien und Flächen, Hell und Dunkel.

Ungewissheit und Neugier

Zum anderen sorgen die Dialoge mit ihren plötzlichen Wendungen und Andeutungen dafür, dass Realität und Fiktion zu verschwimmen scheinen. Dabei schießen die Entwickler manchmal über das Ziel hinaus, wenn man nur unter obskuren Antworten wählen kann, ohne weiter auf das Thema eingehen zu können - man vermisst mehr Verschachtelungen und Erzähltiefe. Wer das Paradoxe eines David Lynch mag, wird hier dennoch seine Freude haben. Man wird in ein seltsames, überaus surreales Abenteuer hinein gezogen und muss unweigerlich an Twin Peaks & Co denken. Aber das Spiel wirkt nicht überdreht bizarr, denn die Story offenbart immer wieder alltägliche Probleme, so dass man unter den verrückten Ahnungen die knallharte Realität spürt - die Schulden einer Familie, das Schicksal von Minenarbeitern. So entsteht mitunter auch ein leicht schauriges Spielgefühl, das mit seiner ungewöhnlichen Gesprächsführung überrascht. Hier geht es allerdings nicht um Zeitdruck oder intensive Entscheidungen à la The Walking Dead, die sich direkt in der nächsten Szene auswirken. Dass man unter teilweise verwirrenden Antworten wählen kann, ist das eine. Aber hinzu kommt, dass man auch in die Rolle einer neuen Figur schlüpft.

Im ersten Akt gibt es nur eine Hand voll kleiner Schauplätze. Die Stimmung ist aufgrund der markanten Kontraste, der Kamerafahrten und gezielt eingesetzter Geräusche sehr intensiv.
Gerade eben hat man noch mit Conway geantwortet, dann übernimmt man Shannon und kann mit ihr aus ihrer Perspektive sprechen - ein toller Kniff, denn so muss man sich intensiver mit den Rollen und den schwer durchschaubaren Charakteren beschäftigen. Außerdem kann man in gewisser Weise die Story selbst erzählen, denn die Dialoge beschränken sich nicht immer auf Banales wie etwa die Art, in der man in ein Mikro spricht, sondern verlangen grundsätzliche Entscheidungen, die auch die Biographie der Charaktere beeinflussen. An einer Stelle muss Conway z.B. antworten, wer von seinen Eltern ihm in der Kindheit Fernsehverbot erteilt hat: Seine Mutter, weil sie Geister im TV sah? Sein Vater, weil er radioaktive Strahlung befürchtete? Oder geht er darauf gar nicht ein? Ähm: Warum wusste diese Shannon eigentlich davon?

Wechselnde Gesprächsführung

Noch kann man nicht abschätzen, wie sich die eigene Regie auf die folgenden Episoden auswirkt, aber mit jedem Schritt bemerkt man, dass einem das Spiel viele verlockende Angebote macht, den mysteriösen Nebenpfaden zu folgen oder eben dem realen Ziel treu zu bleiben und die verdammte Lieferung an den Mann zu bringen. Wo ist bloß der Dogwood Drive? Will man mehr über diese Familie erfahren, die sich hoch verschuldet hat und auf deren Privatfriedhof drei Gräber stehen? Hat das was mit der Mine zu tun? Und was soll der Hinweis, dass man seine Augen vor allem im Dunkeln offen halten soll?

Auf dieser Karte kann man relativ frei seine Route wählen. Sobald man an einen Schauplatz kommt, kann man ihn erkunden.
Ob man will oder nicht: Aus dieser Lieferung wird eine seltsame Odyssee, so dass zumindest der Hundename passt. Leider kann man die aktiv erkundbaren Schauplätze in diesem ersten Akt an einer Hand abzählen, so dass man recht schnell in maximal zwei Stunden alles gesehen hat; es gibt dort kaum etwas zu erkunden. Veteranen werden allerdings zu schätzen wissen, dass man manche Orte im Stile alter Adventures wie Zork erkundet - wie etwa ein Museum, in dem jeder Schritt und jede neue Entdeckung per Text beschrieben wird.

Schade ist, dass die zu Beginn an der Tankstelle eingesetzte Interaktion immer weiter in den Hintergrund gerät; ein paar kleine Rätsel hätten das Erlebnis auch an den anderen Schauplätzen aufgewertet. Wer das sehr kurze, maximal zwei Stunden dauernde Spiel mehrmals angeht, wird aber durchaus interessante Dinge bzw. Zusammenhänge entdecken.

Fazit

Stimmungsvoll, rätselhaft, interessant. Die Entwickler spielen in ihrem nebulösen Kentucky nicht nur geschickt mit Ahnungen und Andeutungen. Ihnen gelingt auch das Kunststück, mit einfachen Mitteln der Regie eine erzählerische Sogwirkung zu erzeugen. Dass all die aufgeworfenen Fragen auf dieser ersten Highway-Odyssee nicht beantwortet werden, ist klar; immerhin folgen noch vier Episoden, in denen sich das Storytelling beweisen muss. Wie wirken sich meine Antworten erzählerisch aus? Was das Spieldesign angeht, hätten diesem Adventure ausführlichere Dialoge sowie mehr Interaktionen an weiteren Schauplätzen sehr gut getan; der Einstieg an der Tankstelle hat das Potenzial leider nur kurz aufleuchten lassen. Dafür demonstrieren die Entwickler immer wieder ein Feingefühl für Beleuchtung und Sounds, so dass knisternde Situationen entstehen. Was wie ein klassisches Point&Click mit einem kleinen Rätsel beginnt, wird sehr schnell zu einem surrealen Lektüre-Trip für Freunde des Paradoxen. Noch werde ich nicht schlau aus dieser unwirklichen, viel zu kurzen Reise. Aber irgendetwas lauert da abseits der Realität auf Conway und seinen alten Hund. Und das macht mich neugierig.

Pro

  • dichte Atmosphäre
  • markantes Artdesign
  • interessante Charaktere
  • Multiple-Choice-Dialoge
  • Antworten beeinflussen Biographien & Story
  • viele rätselhafte Andeutungen
  • zwischendurch Textadventure-Flair
  • plötzlicher Figurenwechsel
  • viel Sinn für grafische Kleinigkeiten
  • tolle Kamera & Überleitungen
  • minimale Hardware-Anforderungen

Kontra

  • kaum Rätsel & Interaktionen
  • wenig Schauplätze
  • Dialoge nicht ausführlich genug
  • teilweise obskure Antwortmöglichkeiten
  • etwas holpriges Ende des ersten Aktes
  • sehr kurz (1
  • 2 Std.)
  • bisher nur auf Englisch

Wertung