Legends of Dawn - Test, Rollenspiel, PC

Legends of Dawn
17.07.2013, Mathias Oertel

Test: Legends of Dawn

Eine offene, isometrische Welt. Keine Klassenbeschränkungen. Man folgt keinem vorgegebenen Pfad, sondern erlebt ein Abenteuer, in dem man sich alles selbst erarbeiten muss. Mit dem teilweise über Kickstarter finanzierten Legends of Dawn (ab 19,98€ bei vorbestellen) möchte Dreamatrix Elemente von Rollenspielen alter Schule mit modernen Hack&Slay-Aspekten verbinden. Kann das Ergebnis überzeugen?

Der Fantasy-Kontinent Narr hat schon bessere Zeiten gesehen. Gezeichnet von einem Jahrhunderte langen Krieg scheint der nächste Angriff eines unaussprechlichen Bösen die Bevölkerung auf eine letzte Probe zu stellen. Doch es gibt eine Rettung: Ein altes, in viele Teile zerschmettertes Artefakt namens Dawn soll die dunklen Mächte aufhalten können. Und natürlich ist es die Aufgabe des Spielers, dieser stereotypen Story gerecht zu werden und die Dawn-Teile aufzuspüren. Leider schafft man es nicht, mit Überraschungen oder Wendungen das Vorhersehbare der Geschichte aufzubrechen. Auch die verschiedenen politischen oder wirtschaftlichen Fraktionen, denen man begegnet, spielen nur eine untergeordnete Rolle als Questgeber und lassen sich z.B. nicht gegeneinander ausspielen.

Wer und wo bin ich?

Nach der trockenen Charaktergenerierung, in der man aus drei Rassen mit Vor- und Nachteilen wählt und dann 15 Punkte auf die üblichen Werte wie Gesundheit, Geschicklichkeit etc. verteilt, landet man mit einem Schiff in der verlassen wirkenden Stadt Korden’s Fall. Und das ist im Wesentlichen alles, was man weiß. Alles andere muss man sich erarbeiteten. Man bekommt in einem Gespräch einen ersten Auftrag, der sich um das Töten von Spinnen dreht - kreativ ist anders. Doch das war es dann mit Informationen. Wo sind die Spinnen? Wo kriege ich weitere Aufträge? Wie kann man zaubern? Wozu dienen die Tränke? Was kann man mit diesen oder jenen Zutaten machen? Wie zum Teufel kriege ich die verschlossenen Schatztruhen auf? Fragen über Fragen, zu denen sich auch die nach den sozialen, historischen oder wirtschaftlichen Strukturen Narrs gesellen.

Um Kisten zu öffnen, muss man mit gefundenen Runen den Sperrzauber überbrücken.
Legends of Dawn verfolgt damit einen interessanten Weg: Durch die Reduzierung der Informationen auf das Nötigste (es gibt nichts, was auch nur im Entferntesten an ein Tutorial erinnert) wird anfänglich die Neugier geweckt. Man möchte mit den Leuten reden - auch wenn sich bald herausstellt, dass ihre Gesprächsbereitschaft nach ein paar Sätzen in den linearen sowie momentan nur Englisch verfügbaren Multiple-Choice-Dialogen erschöpft ist, die zudem keine sich gegenseitig ausschließenden Verzweigungen anbieten. Denn zum einen bekommt man hier immer wieder kleine erzählerische Puzzleteile, die helfen, die verschiedenen Gruppierungen wie Rebellen, Wirtschaftsgilden und imperiale Truppen zu identifizieren, die alle miteinander in Konflikt zu stehen scheinen. Ein weiter reichendes Bild bekommt man über „Informationssteine“ sowie über 100 Einträge in den so genannten Zwergchroniken, die man in der großräumig angelegten Welt finden kann.

Selbst ist der Abenteurer

So interessant das Zusammensetzen dieses erzählerischen Mosaiks ist, so mühsam kann es langfristig sein. Übersieht man bei der Erforschung der Welt die eine oder andere Markierung, kann verdammt viel Zeit vergehen, in der man ohne neue Information seinem Tagwerk nachgeht. Und dann stellt sich natürlich noch die Frage, ob man wirklich nochmal in jedem noch so abgelegen scheinenden Winkel auf der Karte nachschauen möchte, ob man nicht irgendetwas vergessen hat. Und irgendwann gehen die großen Zusammenhänge verloren. Anstatt die Missionen wenigstens rudimentär in den erzählerischen Bogen der düsteren Bedrohung einzubinden, werden die üblichen "Hilf-mir-bei-meinem-Problem"-Geschichten unabhängig vom Hauptstrang erzählt und laufen bis auf zu wenige Ausnahmen auf "Finde-Dies", "Gehe-Dorthin"  oder "Töte-Jenes" (ggf. auch in Kombination) hinaus. Hier rennt Legends of Dawn wie in zahlreichen anderen Bereichen den eigenen Ansprüchen hinterher. Denn anstatt ein klassisches Rollenspiel-Erlebnis in ein modernes Gewand zu packen, ist das Ergebnis nur wenig mehr als ein unzugängliches Hack&Slay.

Dass man die Hardcore-Rollenspieler ansprechen möchte, die früher vermutlich mit einem Blatt Karopapier die Karten in Bard’s Tale gezeichnet haben oder ganze Bücher mit Ultima-Notizen vollgekritzelt haben, ist nicht per se schlecht.

Eines der herausragenden Merkmale in Legends of Dawn ist die freie Erstellung eigener Zauber.
Dass es möglich ist, alte Elemente wunderbar mit neuen zu verknüpfen, ohne an Faszination einzubüßen, haben Titel wie Legend of Grimrock oder die Etrian-Odyssey-Serie bewiesen. Und auch hier hat man einige interessante Ideen, deren Auswirkung man sich allerdings wieder selbst erarbeiten muss. Die Bemerkenswerteste ist das Erstellen eigener Zauber: Bis zu sechs erbeutete oder gefundene Runensteine, die stellvertretend für aktive oder passive Angriffe oder Verteidigungen, Widerstände oder Boni stehen, können frei kombiniert und der dadurch entstehende Zauber mit eigenem Namen versehen werden. Allerdings sollte man nicht zu enthusiastisch an die Sache herangehen und glauben, dass man omnipotente Megamagie wirken kann. Denn jeder zusätzliche Runenstein kostet beim Einsatz der Zauber kostbares Mana - und das ist vor allem in der Anfangsphase knapp.

Sperrig oder alte Schule?

Weitaus weniger gelungen ist das System der Tränke: Immer wieder findet man Flaschen, in denen geheimnisvolle Flüssigkeiten aufbewahrt werden. Ob das Getränk nun positive oder negative Auswirkungen hat, muss man selbst herausfinden. Das ist gut - und bis zu einem gewissen Grad auch spannend! Weniger gut ist, dass weder die Auswirkungen als bekannt gekennzeichnet werden noch ob man von diesem oder jenem Gesöff schon probiert hat. Man muss mühselig selbstständig Buch führen. Und das ist für mich nicht der Inbegriff von „alter Schule“, sondern von Sperrigkeit. Ja, ich möchte experimentieren. Aber dann sollten die Ergebnisse auch vom Spiel festgehalten werden. So viel Komfort kann auch bei „Oldschool“ angeboten werden.  Zwischen diesen beiden „Systemen“ reiht sich das Handwerk ein: Man kann zwar sehen, was man benötigt, um diese oder jene Waffe, Rüstung oder Mahlzeit anzufertigen. Doch wo man die Zutaten bekommt, bleibt offen.

Dass man dem Spieler im Inventar mehrere Taschen anbietet, die insgesamt genug Platz für beinahe alles bieten, was man im Laufe der Zeit in Narr findet, ist gut - Beschränkung gibt es nur durch das maximal zulässige Gewicht.

Die Kulisse ist als Standbild noch passabel, in Bewegung fällt sie weniger durch Details als vielmehr durch eine unterdurchschnittliche Bildrate auf.
Ich als Ordnungsfanatiker in Rollenspielen (in Skyrim hatte ich alles, was ich in meinen Häusern verstaut habe, kategorisiert und in Kisten geordnet) habe mich sehr darüber gefreut, dass ich in dem einen Beutel meine Kräuter, in dem anderen die Tränke, im dritten die Waffen (und Rüstungen), im vierten die Zauberrunen usw. verstauen konnte. Allerdings führte dieser Ordnungswahn dazu, dass ich beim Aufnehmen von neuer Beute stets Zeit verloren habe, weil ich immer erst Sortieren musste. Doch beim „Neusortieren“ werden hier leider alle bislang angelegten Ordnungen wieder über den Haufen geschmissen und alles stringent von oben nach unten gefüllt.

Inventar-Probleme

Auch hier wäre ein Minimalkomfort gewesen, für jede Tasche beim Aufnehmen festlegen zu können, für was sie primär benutzt wird – es sei denn, andere Behältnisse sind bereits gefüllt. Das mag sich nach einem Luxusproblem anhören, wird aber zum einen in Ansätzen auch von Titeln wie Guild Wars 2 praktiziert. Zum anderen ist dies stellvertretend für das große Manko, das viele Elemente in Legends of Dawn betrifft: Anspruch und sinnvolle Umsetzung stehen in einem Widerspruch, der für ein unnötig sperriges Spielgefühl sorgt.  Wenn mir schon unterschiedliche Taschenplätze angeboten werden, dann sorgt doch bitte auch dafür, dass ich sie sinnvoll nutzen kann. Ein weiteres Beispiel: Manche Kisten kann z.B. man nur öffnen, wenn man bestimmte Runen gefunden hat, mit denen sie verschlossen wurden –  was durch eine farbliche Codierung zusätzlich erschwert wird. Wenn jetzt bei der Autosortierung zwar alle Runen aneinandergereiht, aber farblich zusammengewürfelt werden, wird die Suche nach der richtigen Rune für die richtige Kiste zusätzlich erschwert.  

Doch über viele dieser kleinen Mankos könnte ich als Kloppmist-Fan sogar noch hinwegsehen - von dem Gedanken, hier ein isometrisches Echtzeit-Gegenstück zu Legends of Grimrock & Co zu bekommen, habe ich mich an dieser Stelle bereits verabschiedet. Im Kern macht das offene Prinzip, bei dem man auch auf freie Charakterentwicklung setzt, vieles  richtig und heizt meinen Entdeckerdrang an.

Man kann seine Figur vollkommen frei entwickeln, ist aber durch den Hack&Slay-Fokus größtenteils auf Kampfboni beschränkt.
Durch das freie Verteilen der Punkte auf insgesamt gut 40 Fähigkeiten in sechs Bereichen ist man an keine Klasse gebunden und kann seine Figur den eigenen Vorlieben entsprechend entwickeln. Doch mit Ausnahme des Handwerks oder des Rohstoffsammelns sind alle Fähigkeiten auf den Kampf fokussiert. Man überlegt, auf welche Waffentypen man sich konzentriert und wertet diese auf. Man entscheidet, gegen welche Gegner man im Gefecht Vorteile genießt. Spannend wäre es an dieser Stelle gewesen, wenn man gleichzeitig gegen bestimmte Feinde mit Nachteilen fertig werden müsste. Doch darauf wurde verzichtet. Und man kann sich aussuchen, gegen welche Elementarkräfte man gefeit ist - wiederum ohne Malus-Option. Obwohl sie hier sogar noch logischer gewesen wäre als bei den Gegner-Bevorteilungen. Entscheidet man sich, seine Feuerresistenz hochzusetzen, hätte man als Malus einen verringerten Kältewiderstand hinnehmen müssen. Aber dies sucht man ebenfalls vergeblich.

Die freie Hack&Slay-Entwicklung

Wie auch einige andere Elemente, die für ein klassisches Rollenspiel wichtig gewesen wären. Was ist mit verbalen Fähigkeiten wie Überzeugungskraft oder Handelsgeschick? Fehlanzeige! Was mit "diebischen" Optionen wie Stehlen, Schleichen oder Meucheln? Ebenfalls Fehlanzeige! So ist Legends of Dawn nur wenig mehr als ein Hack&Slay, das sich bemüht, "anders" zu sein als die großen Produktionen wie Sacred, Dungeon Siege oder Kingdoms of Amalur. Und es gibt auch Momente, in denen das Konzept aufgeht und ich mich tatsächlich gerne durch Narr bewege und versuche, dem Geheimnis von Dawn auf die Spur zu kommen.

Doch was gar nicht geht und dringend verbessert werden muss, ist das technische Grundgerüst. Es ist löblich, dass Dreamatrix mit einer eigenen Engine eine beachtlich umfangreiche isometrische Welt ohne Nachladen mit zoom- sowie schwenkbarer Kamera darstellen möchte, deren Größe in Relation selbst Himmelsrand in Gefahr bringen könnte. Es gibt über 150 Monstertypen sowie Tag- und Nachtwechsel, die sich auf das Verhalten der Gegner auswirken, die man in beinahe klassischer Klick-Drauf-Und-Weg-Manier ergänzt durch abkühlende Zauber bekämpft.

Das Gegnerdesign liegt zwar im Rahmen der Genrestandards, ist aber gelungen.
Und es gibt unterirdische, teilweise mit Fallen und leichten Umgebungs- bzw. Schlüssel-Rätseln gespickte Verliese, in denen nicht nur wertvolle Schätze, sondern auch fiese Gegner lauern, deren KI allerdings meist ebenso mickrig agiert wie die ihrer Oberwelt-Kollegen. Dementsprechend wird auch Taktik seitens des Spielers nicht forciert - es sei dann, man bezeichnet den strategischen Rückzug (aka Weglaufen) als taktisches Element.

Kulisse als Stolperstein

Immerhin kommt in den Dungeons ein flüssiges Spiel zustande. Da man jedoch den Großteil der Zeit draußen verbringt, braucht man ein verdammt dickes Fell, um die viel zu häufig selbst auf runtergepegelten Details in einstellige Bereiche abstürzende Bildrate ignorieren zu können. Zumal die Kulisse keinen besonders großen Bildabschnitt wiedergibt und nicht wesentlich besser aussieht als das mittlerweile beinahe fünf Jahre alte Sacred 2. Es ruckelt, es zuckelt, es gibt schlimmen Plopprasen, die Zaubereffekte wirken  auch nicht zeitgemäß. Wenn man zu schnell läuft, kann es sogar passieren, dass die umliegende Geometrie wie Gebirgszüge oder Hauswände erst mit großer Verspätung eingeblendet werden, während man sich noch wundert, wieso die Figur jetzt nicht weiter läuft - egal ob man die WASD- oder die mit dem Patch 1.05 hinzugefügte Click&Run-Steuerung verwendet. Wenn Dreamatrix diese Probleme mit dem Landschafts-Streaming adressiert und vielleicht sogar irgendwann komplett ausradieren kann, könnte die Suche nach den Dawn-Fragmenten eine interessante, wenngleich sperrige Alternative zu den Hochglanz-Hack&Slays werden. In dieser Form ist Legends of Dawn aber immer wieder nahe am Rand der Unspielbarkeit.

Fazit

Schade, Dreamatrix. Legends of Dawn beinhaltet einige interessante Ideen, die eine Brücke zwischen schnellem Hack&Slay-Vergnügen auf der einen und klassischen Rollenspiel-Inhalten auf der anderen schlagen könnten. Die Erzählung muss man sich ebenso selbst erarbeiteten wie viele Fähigkeiten, Zaubersprüche oder Finessen der Mechanik, die vom Kampf bis hin zum Handwerk reichen. Es gibt eine klassenungebundene Figurenentwicklung, die Welt ist groß und sowohl unterirdisch als auch an der Oberfläche gibt es viel zu entdecken sowie haufenweise Geheimnisse. Allerdings sorgen trotz guter Ansätze die fehlenden Komfortfunktionen für einen sperrigen Spielfluss. Doch während ich über die grottenschlechte KI innerhalb des oberflächlichen Kampfsystems noch hinwegsehen kann, sorgt die Technik immer wieder dafür, dass der Ausflug nach Narr einfach nervt. Die Streaming-Technologie ist derart unausgereift, dass es immer wieder zu einstelligen Bildwiederholraten kommt. Zweistellig hingegen ist mitunter die Wartezeit in Sekunden, bis bestimmte Teile der Geometrie wie Gebirgszüge oder Häuser aufgebaut werden.  Irgendwo unter dem Stück Kohle schimmert ein ungeschliffener Kloppmist-Diamant, der mit seinem Konzept durchaus neugierig macht. Doch Dreamatrix muss noch einige Patches nachschieben, bis man wirklich Spaß mit Legends of Dawn haben kann.

Pro

  • erzählerische Zusammenhänge der Welt muss man sich selbst erarbeiten
  • offene Charakterentwicklung
  • Inventar mit viel Platz
  • Erstellung individueller Zauber
  • umfangreiche, offene Welt
  • Tag-/Nachtwechsel
  • viel zu entdecken
  • Verliese mit Fallen und Rätseln

Kontra

  • größtenteils beschränkt auf typische Hol&Bring
  • bzw. Tötungs-Missionen
  • fehlende Minimal-Komfortfunktionen stören Spielfluss erheblich
  • unzeitgemäße Kulisse sehr hardwarehungrig
  • massive Bildratenprobleme
  • schwache Gegner-KI
  • Story wird mitunter zu fragmenthaft erzählt
  • Charakterentwicklung mit zu starkem Kampffokus

Wertung

PC

Statt einer gelungen Verbindung von Elementen alter Rollenspiel-Schule mit modernem Hack&Slay ist Legends of Dawn in diesem unfertig wirkenden Zustand nur sperriger Kloppmist mit massiven Engine-Problemen.