Richard & Alice - Test, Adventure, PC

Richard & Alice
08.03.2013, Benjamin Schmädig

Test: Richard & Alice

Typisch, Schreiberlinge: Reden Spiele schlecht, anstatt es besser zu machen. So oder so ähnlich liest man gelegentlich. Hin und wieder versuchen die Schreiberlinge allerdings tatsächlich es besser zu machen – in diesem Fall Ashton Raze sowie Lewis Denby. In ihrem ersten Abenteuer schreiben sie über die Menschlichkeit und das Ende der Welt.

Sie schreiben tatsächlich, Raze und Denby. Denn obwohl sie spielerisch ein waschechtes Point&Click-Adventure erstellt haben, erzählen sie seine Geschichte in vielen, vielen Dialogen. Ich habe zwar Besenstiele mit Klebeband kombiniert und in Dialogen den

Durch Gitterstäbe getrennt lernen sich Alice und Richard kennen - trotzdem nehmen die Rückblenden der neuen Insassin den größten Platz ein.
Gesprächsverlauf bestimmt. Die meiste Zeit aber habe ich Richard und Alice dabei zugehört, wie sie sich näher kommen und wie Alice in Rückblenden von ihrer Vergangenheit erzählt. Das heißt, gehört habe ich nur die wenigen Stücke des Soundtracks, denn auf eine Vertonung verzichtet das Independent-Abenteuer.

Das Lesespiel

Und sowohl die Unterhaltungen als auch die wenigen Monologe sind richtig gut geschrieben. Irgendwann in der Zukunft ist die Welt von Richard und Alice von einer ständigen Schneeschicht bedeckt. Gesellschaftliche und politische Ordnung gibt es nicht mehr – der Alltag ist ein Kampf ums Überleben. Die Suche nach Nahrung, Medizin und einer Unterkunft bestimmen den Alltag. Richard sitzt eine Gefängnisstrafe ab, als Alice in die gegenüberliegende Zelle geworfen wird. Wer ist die Neue und wieso ist sie hier?

Das Schöne...

Die Sträflinge bauen eine Beziehung fernab jedes romantischen Kitsches auf, wobei ich in Richards Rolle schlüpfe, um z.B. mein Familienfoto durch die Gitterstäbe über den Gang zu schieben. Später versuche ich Alice meine Zelle zu zeigen, ohne dass sie hineinsehen könnte. Den Großteil des Spiels machen aber Alice' Rückblenden aus, die ich mit ihr erlebe

Bevor der Schnee fiel, war Richards Welt in Ordnung.
– gemeinsam mit ihrem Sohn schlage ich mit durch die weiße Einöde. Die einfachsten Dingesind in dieser trostlosen Kälte ein Problem: Der Nachwuchs will ein Spielzeug, er braucht etwas zu essen und ein sauberes Heim. Um z.B. ins obere Stockwerk eines kleinen Hauses zu klettern, muss ich eine Leiter entrosten. Auch in dieser Erzählebene nehmen die Unterhaltungen zwischen Alice und ihrem Sohn den größten Raum ein.

Doch so gut die Texte auch sind: Das Spiel kommt zu kurz. Dabei müssen es keine herkömmlichen Rätsel sein, auch auf Minispiele oder andere Elemente kann ich verzichten. Ich habe das Herumlaufen in Dear Esther ebenso genossen wie die farbenfrohe Proteus-Insel. In The Walking Dead habe ich mich trotz eingeschränkter Handlungsmöglichkeiten wie ein zentraler Teilnehmer lebhafter Unterhaltungen gefühlt. Diese Spiele sind interaktive Welten, die ich aktiv erschließe. Genau das fehlt Richard & Alice aber; das Adventure ist starr wie ein Buch mit Bildern. Im ganz ähnlich veranlagten To the Moon gab es mehr zu entdecken, es war musikalisch abwechslungsreicher und inhaltlich umfangreicher.

... und das Spiel

Richard & Alice wirkt wie Kurzgeschichte mit statischen Bildern und wenigen Animationen – sogar die in Unterhaltungen gezeigten Portraits der Sprecher sind trotz der wichtigen und wechselnden Emotionen stets dieselben. Vor allen Dingen aber sind die Rätsel den

Kulissen und Figuren sind spartanisch gezeichnet. Die Geschichte wird fast ausschließlich in Dialogen erzählt.
Namen kaum wert, die Lösung ist fast immer ganz offensichtlich. Die spielerische beste Element sind kleine, scheinbar unbedeutende Entscheidungen, die zum Glück nicht als solche markiert werden. Denn das sind Entscheidungen, die über den Ausgang der Geschichte mitbestimmen.

Die Stärke der beiden Entwickler ist ihre durchdachte, erwachsene Geschichte: Sie sprechen philosophische und humanistische Themen an, ohne den Inhalt zu zerreden. Sie stimmen nachdenklich, machen traurig, wecken Verständnis. Und sie haben es geschafft, dass ich immer neugierig war, obwohl ein wichtiger Teil der Handlung vorhersehbar ist: In den richtigen Augenblicken lassen sie kleine und große Geheimnisse entstehen – die geschickt konstruierte, bewegende Erzählung ist die größte Stärke dieses Kurz-Adventures.

Das Kurz-Adventure

Fazit

Spielerisch steht Richard & Alice auf einem wackeligen Fundament, weil es sich kaum wie ein interaktives Erlebnis anfühlt. Es erzählt weder über die Kulissen noch über die Aktionen des Spielers. Die Animationen wirken starr, die stimmungsvolle Musik wiederholt sich mit wenigen Stücken – fast die gesamte Handlung steckt in langen Unterhaltungen und Monologen. Dabei ist gerade die emotionale Geschichte der Dreh- und Angelpunkt, wenn sie gleichzeitig starke Emotionen weckt und nachdenklich stimmt. Ihre zentralen Figuren sind glaubwürdige Personen mit nachvollziehbaren Motiven; mit kleinen Entscheidungen beeinflusst man sogar ihr Schicksal. Wo der "Überlebenskampf" anderer Spiele als Rechtfertigung für explosiven Dauershowdown herhalten muss, erzählen Ashton Raze und Lewis Denby im Stil reifer Autoren. Und deuten mit ihrem ersten Spiel tatsächlich an, wie man es besser machen kann.

Pro

  • ernste Geschichte über Schicksal und Menschlichkeit
  • bodenständige, logische Rätsel...
  • kleine Entscheidungen führen zu verschiedene Enden
  • glaubwürdige Figuren

Kontra

  • kaum nennenswerte Interaktionsmöglichkeiten
  • ... die allerdings viel zu einfach sind
  • wenige Animationen & nur eine Portraitmine pro Figur

Wertung

PC

Erzählerisch starkes Adventure, das auf spielerisch schwachen Füßen steht.