Yesterday - Test, Adventure, iPhone, iPad, Android

Yesterday
08.03.2013, Jan Wöbbeking

Test: Yesterday

Im letzten Jahr beschritt Pendulo endlich neue Wege. Nach fünf komödiantisch angehauchten Pärchen-Adventures widmeten sich die Spanier einem diabolischen Psycho-Thriller im Stil einer Graphic Novel. Mittlerweile ist das Abenteuer auch auf Android und iOS aufgetaucht – unter dem neuen Titel „Yesterday“.

Der vom Tod seines Sohnes traumatisierte Ex-Banker Boris hält Millionär Henry White in Schach - wenn er nicht gerade mit imaginären Gesprächspartnern telefoniert.
Die Geschichte gleicht der des PC-Originals. Als immer mehr Obdachlose verbrannt aufgefunden werden, soll Sekten-Experte John Yesterday das Geheimnis eines dämonischen Kults enträtseln. Sein Problem: Er kann sich nicht einmal an die eigene Vergangenheit erinnern. Allzu originell ist die Vorgeschichte mit dem Gedächtnisverlust natürlich nicht. Das Schöne an ihr ist aber, dass ich mich richtig unwohl in Johns Haut und in Anwesenheit seiner angeblichen Freunde fühle. Die gespielte Freundlichkeit meiner Mutter und meines Auftraggebers, mein Selbstmordversuch mit Quecksilber, all das wirkt irgendwie inszeniert und unheimlich. Unterstützt wird das mulmige Gefühl vom seltsamen Design: Ich laufe per Antippen durch die Kulisse, welche deutlich detailärmer gezeichnet wurde als The Next Big Thing vom gleichen Entwickler.

Berufskrankheit Amnesie

Die dreidimensionalen Charaktere wirken so, als wäre das Design irgendwo auf halbem Weg zwischen den düsteren Kulissen und dem alten Comic-Stil von Runaway hängen geblieben. Der übertrieben bullige Cooper und ein Killer mit extrem hoher Stirn wollen nicht so recht in die Welt passen, andere Figuren dafür umso besser: Am besten gelungen ist Henry White. Der geheimnisvolle Rotschopf hat das Konzern-Imperium seines Vaters geerbt und lässt einen Teil seines Vermögens in die Obdachlosenhilfe fließen.

Auf den ersten Blick wirkt er nicht gerade wie ein selbstloser Menschenfreund – dafür hat Pendulo ihm zu egoistische Gesichts- und Charakterzüge verpasst. In seine Rolle schlüpfe ich im Prolog; ein paar Jahre bevor John sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit macht. Zusammen mit seinem Kommilitonen Cooper sucht Henry nach Obdachlosen, um sie vor dem Serienkiller zu warnen und ihnen Unterstützung anzubieten. Praktisch ist, dass Henry sofort ans Ziel „gebeamt“ wird, wenn ich z.B. auf einen im Geröll liegenden Koffer klicke. Wie in einer Graphic Novel blenden die Entwickler damit unwichtige Elemente wie Laufanimationen aus.



Rätselhafter Philantrop

Was führt Henry im Schilde?
Im Gegenzug wird die Gedankenwelt der Protagonisten oft in Comicform visualisiert. Als der im Auto wartende Cooper Henry zur Hilfe eilen soll, bekommt er Angst vor der Dunkelheit. Wie immer in solchen panischen Situationen erscheint ihm sein Pfadfinder-Ausbilder aus Kindheitstagen und staucht ihn nach Strich und Faden zusammen. Das traumatische Erlebnis spukt immer wieder in seiner Wahrnehmung herum. Auch die Realität wirkt nicht viel beruhigender, denn statt auf harmlose Vagabunden trifft das Duo auf einen bewaffneten und offenbar wahnsinnigen Sekten-Guru, welcher theatralische Reden vor seiner Armee aus Schaufensterpuppen hält.

Wie die Begegnung im Detail ausgeht, verrate ich nicht. Nur so viel: Henry White hat sie überlebt, denn im zweiten Kapitel treffe ich ihn wieder. Diesmal ist er mein Auftraggeber. In der Rolle von John soll ich versuchen, mein Gedächtnis wiederzuerlangen und dem satanischen „Orden des Fleisches“ auf die Schliche zu kommen. Ich untersuche z.B. das Pariser Hotelzimmer, in dem John sich angeblich umbringen wollte, treffe in einem Antiquariat auf eine junge Frau, welche offenbar ein Verhältnis mit John hatte und bereise diverse andere Länder.

Runde 2

Die nicht all zu schweren Puzzles beschränken sich auf kleine Areale von wenigen Bildschirmen. Ich muss die Bedeutung christlicher Symbole enträtseln, mit Alchemie-Zutaten experimentieren und geheime Botschaften dechiffrieren. Auf einem Buch über den geheimnisvollen Orden befindet sich z.B. ein Gummiband, welches nach der Bestrahlung mit einer UV-Lampe einen wirren Mix aus Buchstaben zeigt. Erst als ich das Band um einen eckigen Holzstab wickle, formen sie einen Text und geben mir einen wichtigen Hinweis.

Neben den Erzähler-Texten gibt auch die Hilfe-Funktion nützliche Hinweise. Das Freischalten ist seltsam geregelt: Einfach wahllos ein paar Dinge antippen und schon steht der nächste Tipp zur Verfügung.
Neue Ideen stecken zwar kaum in den Rätseln, sie wurden aber meist glaubwürdig in die Handlung eingebunden. Zu Beginn des Spiels muss Henry z.B. meist auf seinen Grips zurückgreifen, um etwa eine alte Getränkedose mit einem Messer zu einem Dietrich umzufunktionieren. Cooper ist dagegen der Mann fürs Grobe: Er kann ein eingestürztes Mauerstück einfach mit Muskelkraft zur Seite hieven. Ich kann übrigens nicht frei zwischen den Figuren wechseln - stattdessen spiele ich je nach Story-Verlauf einen der Charaktere. Je tiefer ich in die Geheimnisse des Ordens eintauche, desto mehr Erinnerungs-Fetzen werden aus den Tiefen von Johns Gedächtnis zu Tage gefördert. Manche drehen sie sich um Folterpraktiken mit Stromschlägen, spitzen Gegenständen oder andere sadistische Gemeinheiten. Sie tauchen nur in Form kurzer Schnipsel auf und werden bei weitem nicht so explizit dargestellt wie in Saw oder ähnlichen Horrorfilmen. Für eine angenehm unbehagliche Stimmung  sorgt auch der Soundtrack: Die unheilvollen Piano-Melodien werden in spannenden Momenten immer wieder vom metallisch quietschenden Synthesizer durchschnitten.

Auf den Spuren von Robert Langdon

Schade ist, dass die aufgebaute Spannung ab und zu durch schlecht platzierte Rückblenden durchbrochen wird. Als z.B. Johns alte Freundin mit einer Pistole bedroht wird, kann ich mir nicht einfach das Katana von der Wand schnappen und aus dem Hinterhalt zuschlagen. Stattdessen versetzt sich John in einem Flashback zurück in seine Lehrzeit bei einem asiatischen Kampfkunstmeister. Statt meine bedrohte Geliebte zu retten, muss ich also erst einmal durch die karge Bergwelt schlurfen und ein paar willkürliche Aufgaben für den Meister erledigen, bis der mich endlich in die Kunst des Schwertkampfes einweist. Die Episoden mit Johns altem Meister spielen zwar auch später noch eine wichtige Rolle, werden aber in den falschen Momenten eingestreut.

Öde: In seinen Flashbacks muss John z.B. eine seltene Blume und andere Dinge für seinen blinden Schwertkampf-Meister beschaffen.
Die Steuerung profitiert vom Touchscreen: Auf dem Tablet lässt sich das Spiel deutlich flüssiger spielen als auf dem PC mit der umständlich designten Inventar-Bedienung. Hier tippe ich einfach das Ziel, Gesprächspartner und Gegenstände an, ziehe sie einfach in die obere Inventarleiste oder wieder heraus.  Die Hotspots erscheinen per Klick aufs entsprechende Icon. Schade sind dagegen die Sound-Abstriche, welche vermutlich die Dateigröße der App klein halten sollen. Es fehlt z.B. der gelungen synchronisierte Erzähler, welcher die Aktionen auf dem PC noch mit geheimnisvoller Stimme kommentierte. Auf dem Tablet erscheinen seine Worte nur als deutscher Text. Außerdem ist die deutsche Synchro nicht mehr dabei – stattdessen gibt es nur noch englische Sprachausgabe und wahlweise Untertitel auf Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch oder Spanisch. Schließlich klingt der stimmungsvolle Soundtrack mitunter etwas kratzig.

Tablet-Umsetzung nur teilweise gelungen

Auf Android kamen leichte Stabilitätsprobleme hinzu: Das Speil stürzte auf dem  Nexus 7 gelegentlich ab – zudem lassen sich in der Google-Fassung die Zwischensequenzen nicht überspringen. Ärgerlicher ist aber, dass sich die Premium-Version nicht freischalten ließ, der entsprechende Link  führte stets ins Nichts. Die ständig eingeblendeten Werbebanner sind zwar kein Beinbruch, stören aber die düstere Atmosphäre.

Fazit

Pendulo befindet sich auf dem richtigen Weg: Der Richtungswechsel zum Verschwörungs-Thriller hat den Spaniern gut getan. Die ungewöhnliche Vielschichtigkeit der Story hat mich überrascht. Nach und nach taucht man immer tiefer in das Rätsel um Johns Vergangenheit und die satanische Sekte ein. Einige Wendungen wirken zunächst unglaubwürdig, werden zum Schluss aber schlüssig aufgelöst. Die Rätsel sind konservativ, passen mit Dechiffrier-Einlagen und Alchemie-Puzzles aber gut in die Geschichte. Manche Flashbacks bremsen allerdings die Spannung aus: Vor allem die öden Gefälligkeiten für Johns alten Kampfkunst-Meister wirken wie ein Streckmittel für das rund sieben Stunden kurze Abenteuer. Schade auch, dass für die Umsetzung die Sprachausgabe beschnitten wurde und die deutsche Synchronisation nicht mehr enthalten ist. Auf Android kommen kleine technische Mankos wie Abstürze und Probleme bei der Freischaltung der Premium-Version dazu. Im Gegenzug funktioniert die Touchscreen-Steuerung deutlich besser als das eigenwillige Inventar-System im PC-Original. John Yesterday erzählt eine ungewöhnlich komplexe Geschichte - und deshalb wird mir das Abenteuer trotz einiger Macken in guter Erinnerung bleiben.

Pro

  • spannende Verschwörungsgeschichte
  • Puzzles gut ins Spiel eingebunden...
  • stimmungsvolle Musik
  • ungewöhnliche Wendungen
  • geschickt verwobene Episoden unterschiedlicher Protagonisten
  • gelungene Touchscreen-Steuerung

Kontra

  • manche öden Flashbacks bremsen das Spiel aus
  • ...nur konservativ gestrickte Rätsel ohne Überraschungen
  • deutsche Synchro und Erzähler-Stimme fehlen
  • kleine Bugs (Android)

Wertung

iPad

Der Verschwörungs-Thriller erzählt eine spannende Geschichte, einige öde Passagen und Sound-Einschnitte dämpfen aber den Spaß.

Android

Auch in der Android-Version steckt ein erzählerisch starkes Adventure, welches aber durch kleine Bugs ausgebremst wird.