Europa Universalis 4 - Test, Taktik & Strategie, PC, Mac, Linux
Wie fühlt es sich an, die Verantwortung für eine von über 200 Nationen zu übernehmen? Nicht für eine mickrige Legislaturperiode, sondern über ganze Epochen? Faszinierend und frustrierend zugleich. Dieses vierte Europa Universalis spielt sich etwa so, als würde man ein antikes Automobil voller exotischer Schalthebel sowie blinkender Anzeigen fahren. Obwohl man Gas geben kann, hat man gerade in den ersten Jahrzehnten nicht die volle Kontrolle über das Lenkrad und damit die Richtung – man steuert scheinbar ins Ungewisse. Aber keine Bange: Hinter zig Wimpeln, Knöpfen und verwirrenden Menüs könnt ihr Entscheidungen treffen, die eure Nation in der Spur halten. Aber was mache ich bloß wann? Und wie reagiere ich am besten auf Geisterfahrer wie Revolutionen oder Eroberer?
Aller Anfang ist schwer
Der Einstieg ist gepflastert mit Fragezeichen und Ernüchterungen. Wer nach der Praxis der vom Allgemeinen zum Besonderen strukturierten, aber letztlich zu oberflächlichen Tutorials einfach mal das Nötigste macht und die Zeit beschleunigt, wird immer wieder ins Abseits geschleudert. Selbst, wenn man auf die Empfehlung der Weltkarte hört und
- spürbare KriegsfolgenOttomanen, Kastilien oder Frankreich wählt, die „ideal für Neueinsteiger“ sein sollen. Als (vermeintlich) erfahrener Spieler habe ich bei meinen Versuchen erst die Hanse und dann Venedig gegen die Wand gefahren. Hamburg & Co habe ich nach 50 Jahren in den Ruin gewirtschaftet, weil ich zu schnell Berater und Einheiten produzierte; dann lief es zwar mit den Italienern etwas besser, aber plötzlich standen Österreicher vor Mailand und die Türken fluteten die Adria – keine Chance mehr für das von zwei Seiten bedrängte Venedig. Was hatte ich falsch gemacht? Viel, sehr viel. Es fehlte vor allem die diplomatische und wirtschaftliche Vorbereitung auf diese äußeren Bedrohungen. Es fehlte die strategische Planung.
- eine zoombare 3D-Weltkarte
- neues Machtpunkte/Forschungssystem
- neues Handelssystem
- König kann Feldherr sein
Im Gegensatz zur Sicherheit und stufenweisen Ausbreitung eines Civilization, wo man von
Ein Zahnrad im historischen Getriebe
Egal für welche Epoche man sich entscheidet: Die Zukunft ist nicht offen, sondern gespickt mit zufälligen, aber auch festen historischen Ereignissen wie religiöse Verfolgungen, plötzlichen Epidemien oder politische Unruhen. Mal muss man Wendungen wie den Tod des Regenten inkl. sinkender Stabilität ertragen, mal darf man sich zwischen Pest und Cholera entscheiden – sehr selten bekommt man einfach nur etwas geschenkt. Aber dann freut man sich riesig: Etwa wenn man über die Einstellung eines Hofmalers recht günstig die Stabilität des Landes erhöhen kann. Man übernimmt quasi ein Zahnrad, das sich im riesigen Gewinde der Geschichte dreht. Wenn man mit Ulm oder Münster startet, bekommt man ein ganz neues Gefühl für Winzigkeit, wenn Napoleon durchrauscht und die liebevoll gepflegte „Nation“ nebenbei hinwegfegt - mit diesen kleinen Staaten hat man militärisch keine Chance und spielt eigentlich nur gegen die Zeit. Wie lange kann man sich halten? Selbst wenn man die vermeintlich starken Briten mit ihrer mächtigen Flotte begleitet, befindet man sich mitten im Hundertjährigen Krieg, hat überall Feinde sowie enorme laufende Kosten. Außerdem sind da diese verflixt aufmüpfigen Schotten! Nicht zu vergessen die Iren. Und die eigenen Adligen.
Der Weg ist das Ziel
Irgendwann entwickelt sich trotz aller Rückschläge dieser Ehrgeiz, es immer wieder zu versuchen. Und das, obwohl Europa Universalis einen widerborstigen Panzer voller Stacheln trägt: Der Einstieg schmerzt nicht nur, weil nach den Übungen und Hinweisen zu viel von der Spielmechanik offen bleibt. Die ersten Schritte fallen auch deshalb schmerzhaft aus, weil hinter dieser wunderschönen Weltkarte, die mit stufenlosem Zoom, Echtzeitschatten, Wasserspiegelungen sowie leicht animierten Einheiten punktet, so eine schwach designte und überfrachtete Benutzeroberfläche lauert.
Viele Fragen, wenig Hilfekomfort
Dass einen gefühlte hundertsechsundzwanzig kleine Knöpfe, Zahlen und Schaltflächen zunächst überfordern, lässt sich erst mit der Gewöhnung verschmerzen, zumal man vieles ein- oder ausblenden kann. Je länger man spielt, desto mehr weiß man einige der zusätzlichen Informationen zu schätzen: Oben rechts erkennt man z.B. sein Personal sowie Flotten und Armeen – so sieht man auf einen Blick, dass der Diplomat noch ein paar Wochen braucht, um aus den Highlands nach Madrid zurückzukehren. Und es gibt nicht nur die sechs angezeigten, sondern vierzehn (!) weitere Kartenmodi, die vom Versorgungslimit bis zur Mannstärke die ganze Welt mit grafischen Statistiken überziehen. Weniger, aber dafür hilfreicher wäre hier mehr gewesen. Aber viel interessanter und wichtiger als der mühsame Einstieg sowie die Benutzeroberfläche ist die auf drei Säulen ruhende Spielmechanik – und die hat es in sich, weil sie mit ihren Wechselwirkungen für große Motivation sorgt und einem doch das Gefühl der politischen Steuerung vermittelt.
Die drei Säulen der Macht
Man hat je fünf Ideen wie z.B. „Seemacht“, „Innovation“ oder „Aristokratie“ in den drei Bereichen Administration, Diplomatie und Militär zur Auswahl, wobei jede wiederum sieben Boni bzw. Errungenschaften wie weniger Kosten oder mehr Prestige, zusätzliches Personal, höhere Koloniereichweite oder Kampftechniken freischaltet. So kann man im Laufe der Zeit mit acht installierten Ideen seinen speziellen Technologiebaum pflanzen und nicht nur seine eher friedliche, wirtschaftliche oder aggressive Spielweise unterstreichen. So kann man auch die andere Geschichte Preußens, Russlands oder Englands schreiben! Gleichzeitig wird ein wenig historische Authentizität dadurch gewahrt, dass man mit diesen Ideen auch sieben exklusive nationale Merkmale freischaltet: Die Spanier bekommen bei zwei Ideen z.B. „Die Reconquista“ und damit einen zusätzlichen Kolonisten sowie mehr Disziplin.
So viel zu tun, so wenig Machtpunkte!
Schon lokale Gefechte gegen das kleine Aragon bringen mich in eine Bedrouille, denn sie halten mich auf und zehren an meiner Macht: Für Aufstände und Sturmangriffe brauche ich MM. Aber will ich endlich mal mehr als zwei Händler aussenden, damit sich die Kasse füllt, brauche ich 400 DM! Außerdem wird meine Bevölkerung so langsam kriegsmüde.
Und nur mit ihr kann ich gerade eroberte in Kernprovinzen umwandeln. Man muss nämlich darauf achten, dass zu viele fremde Gebiete nicht die eigene Nation bedrohen und immer wieder zu Spannungen an der Grenze führen. Habe ich schon erwähnt, dass es Leitkulturen gibt? Zum Beispiel Kastilisch als Untergruppe des Iberischen, wozu auch Katalanisch, Galizisch, Andalusisch, Portugiesisch und Maltesisch gehört. Krieg ist teuer, aber raumgreifende Eroberungen sind noch teurer und müssen langfristig geplant werden, denn wenn unterschiedliche Kulturen und Religionen aufeinander treffen, kann man sich ein riesiges Pulverfass bauen - Österreich und seine Vielvölkerprobleme lassen grüßen. Europa Universalis gelingt es hervorragend, diese potenziellen Konflikte zu simulieren.
Kostspielige Entwicklungen
Man kann zunächst allerdings kaum etwas bauen, denn es fehlt an der entsprechenden Stufe administrativer, diplomatischer oder militärischer Technologie. Diese zu erhöhen kostet wiederum Machtpunkte der entsprechenden Kategorie: Wer die „Nationalen Ideen“ freischalten will, um endlich auf die vierte administrative Stufe zu gelangen, muss satte 600 AM investieren. Für Tempel braucht man die fünfte Stufe, für die Spionage-Agentur die elfte Stufe, für die Kathedrale die achtzehnte Stufe. Man sieht schon: In Europa Univeralis baut man relativ wenig über eine sehr lange Zeit und zahlt dafür sehr viel – und man muss genau wissen, was man will. Trotzdem wirkt gerade das Bauen stellenweise extrem unrealistisch, was den Preis angeht, und schlecht durchschaubar, was den Nutzen
Der Handel wird nicht aktiv über Abkommen oder Einkäufe bzw. Exporte, sondern recht seltsam inszeniert. Man schickt seine Vertreter zu einem Umschlagplatz, um dort entweder einen Anteil am Umsatz direkt abzuzweigen. Der richtet sich nach dem eigenen Einfluss vor Ort, der am einfachsten über das Entsenden möglichst vieler leichter Schiffe erhöht werden kann, die die Route absichern - allerdings kosten diese natürlich Geld. Oder man schickt seinen Vertreter zu einem Umschlagplatz, um Waren von dort zu einem anderen, möglichst einem mit hohem eigenen Einfluss, weiterzuleiten. Wie der Handel fließt, wird zwar anhand einer schönen Karte mit Pfeilen dargestellt, aber wie ich daraus am meisten Profit schlagen kann, bleibt unverständlich. Außerdem fehlt einem zunächst einfach das Personal, um mehrere Handelsplätze auszunutzen. Schön ist wiederum, dass man die Reichweite und Effizienz seines Handels über Ideen wie "Marktplatz & Docks" erhöhen kann.
Ohne Moos nix los
Wie kommt man schneller an Geld? Berater, Truppen und Schiffe entlassen. Besser: Die Stabilität steigern! Das kostet mit knapp 100 relativ wenig AM, bringt aber pro Stufe mehr Handelseinfluss und Steuern. Man kann diese nämlich erst mittelfristig vor allem über Gebäude erhöhen. Etwaige Steuern werden also nicht manuell pro Provinz oder Reich festgelegt – lediglich im Krieg kann man eine Steuer auf Knopfdruck verlangen. Ansonsten bekommt man Geld über positive Ereignisse oder, falls man denn so viel Druck ausüben kann, über Abgaben bzw. Friedenszahlungen kleinerer Nationen. All das kann man nicht einfach so verlangen, sondern muss Diplomaten auf die Reise schicken, von denen man erstmal nur zwei hat. Hinzu kommen Missionare für Konvertierungen und später Kolonisten, die neue Länder besiedeln - wenn das gelingt, kann man natürlich auf weitere Steuern zählen.
Kleine und große Missionen
Zwischendurch muss man immer wieder Entscheidungen nach Ereignissen treffen: Härte zeigen oder Milde walten lassen? Wirtschaftliche Reformen einleiten oder am Plan festhalten? Hier muss man auf die Konsequenzen achten, denn Ersteres würde zwar einen Prägemeister der dritten Stufe bringen, aber einen Verlust an Stabilität bedeuten, was für Unruhen und weniger Einnahmen sorgt. Schade ist, dass man hier nicht immer über die Boni für das Risiko belohnt wird, denn einen Prägemeister der dritten Stufe hätte man ohnehin schon zu besseren Konditionen (!) auf dem Arbeitsmarkt bekommen. Also entscheidet man sich eher für Letzteres, was wiederum die Inflation um empfindliche drei Punkte erhöht.
Widersprüche und Inkonsequenzen
Trotzdem bietet die Diplomatie eine Fülle an Möglichkeiten: Zwar wird nicht persönlich verhandelt, es gibt also keine Portraits oder Animationen von Herrschern, aber dafür hat man auf acht Kategorien inklusive Spionagetätigkeit verteilt so viele Optionen wie in kaum einem anderen Spiel. Man kann Bündnisse und Gegenbündnisse organisieren, Frieden in fremden Konflikten erzwingen, Garantien proklamieren, zum Kreuzzug aufrufen oder eine Exkommunikation aussprechen, man kann beleidigen, schmeicheln oder drohen, man kann Staatsehen einfädeln oder eine Vasallierung anbieten, Unmut schüren, Throne beanspruchen, den Ruf sabotieren oder Ansprüche fingieren, Darlehen anbieten oder Provinzen verkaufen. Und all das beeinflusst das überaus komplexe Verhältnis zwischen Staat A und B.
Ein Schwachpunkt von Europa Universalis ist traditionell die fehlende militärische Taktik im Gelände: Wenn zwei Armeen aufeinander treffen, sieht man nur ein kleines grafisches Schlachtfeldfenster mit grober Aufstellung und herunter zählenden Verlusten, wobei man nichts beeinflussen kann. Lediglich bei Belagerungen kann man zum verlustreichen Sturmangriff blasen. Es geht also in erster Linie um die zahlenmäßige Überlegenheit, was ja nach Clausewitz ebenfalls eine relevante Strategie ist. Und um diese herzustellen, muss man im Vorfeld von Konflikten seine Armeen clever positionieren bzw. zusammen fassen. Erst wenn man neben der Infanterie auch Kavallerie und Artillerie aushebt, kann man über das Verhältnis dieser Waffengattungen auch die Schlagkraft der Armee erhöhen, die aus mehreren Regimentern zu je 1000 Mann besteht. Natürlich kann ein Anführer auch sehr nützlich sein. Neu ist, dass selbst der aktuelle Herrscher die Armeen mit großen Moralboni ins Feld führen kann.
Militärische Taktik im Krieg?
Überhaupt gelingt es Europa Universalis sehr gut, all die schwierigen Voraussetzungen eines Krieges abzubilden, darunter neben der Organisation und Versorgung auch der Nachschub an Truppen. Hier kann man seine Männer nicht verheizen, denn es gibt je nach Land eine bestimmte Mannstärke, die quasi die Reserve für Auffrischungen darstellt - je
Einerseits agiert die Feind-KI recht gut, indem sie Häfen blockiert, ihre Armeen tief ins Land schickt und auch bündelt - wenn auch nicht immer so effizient wie es möglich wäre. Andererseits kann man sich im Kriegsfall nicht auf die KI der Bündnis-Partner verlassen: Obwohl sie mit Truppen zu Hilfe eilen, bleiben sie ohne erkennbare Strategie entweder im Hinterland stehen oder ziehen sinnfrei umher; es gibt auch kleinere Bugs wie nicht vollendete Lande-Operationen, die in animierter Endlosschleife stecken bleiben. Es ist auch sehr schade, dass man über Diplomatie nicht zumindest für kurze Zeit das Kommando der Alliierten übernehmen kann, denn so kann man seine militärische Schwäche kaum über starke Bündnispolitik ausgleichen. Obwohl die Entwickler einiges an Komfort anbieten, was z.B. Teilungen der Armee angeht, ist das Transportieren über See immer noch zu fummelig und nach einem Friedensschluss gar nicht mehr möglich. Es kann sein, dass man Truppen auf einer Insel hat, dann Frieden schließt und diese nicht annektiert, aber seine Männer nicht mehr nach Hause bekommt, weil die eigenen Transportschiffe den Hafen nicht anlaufen dürfen - sehr ärgerlich.
Fazit
Wie fühlt es sich an, über Jahrhunderte eine Nation zu führen? Faszinierend und frustrierend zugleich. Man übernimmt ein Zahnrad, das sich im riesigen Gewinde der Geschichte dreht - man kann Großes bewegen, aber auch von Kleinigkeiten zermalmt werden. Aufgrund der schwachen Tutorials sowie der überfrachteten Benutzeroberfläche ist der Einstieg unheimlich zäh, aber je länger man sich mit dem Prinzip der dreigeteilten Macht befasst, desto tiefgründiger wird das Erlebnis. Wer administrativ, diplomatisch oder militärisch handeln will, muss immer zwischen kurzfristigen und langfristigen Vorteilen abwägen. Auch wenn man scheinbar ohne direkte Kontrolle durch die Historie schlittert und des Öfteren scheitert, offenbaren sich viele strategische Möglichkeiten, die sich aus geschickter Diplomatie sowie der Erforschung neuer Ideen ergeben - der Krieg ist zwar auch ein Mittel, aber aufgrund der schwerwiegenden Folgen sollte man sich das dreimal überlegen. Es gibt zwar einige unlogische Widersprüche und Komfortschwächen in der Bedienung, außerdem bleibt vieles undurchsichtig, aber irgendwann erntet man doch die Früchte seiner Planung. Trotz der Ecken und Kanten lohnt es sich, Zeit in dieses angenehm komplexe Spiel zu investieren.
Pro
- epische Strategie über Jahrhunderte
- behutsame Planung bringt Erfolge
- sehr gute Verzahnung von Geld, Macht, Prestige & Stabilität
- komplexe, angenehm offene Spielmechanik
- authentische Kriegs- & Eroberungsfolgen
- Handel, Verwaltung, Diplomatie & Militär
- kleine und große Missionen bringen Boni
- sehr ansehnliche Weltkarte mit zig Filtern
- inkl. Missionierung, Kolonisierung etc.
- viele historische Ereignisse mit Entscheidungen
- Startepochen von 1444 bis 1792 wählbar
- jederzeit speicherbar, diverse Beschleunigungen
- stimmungsvolle Hintergrundmusik
- Multiplayer-Modus für bis zu 32 Spieler
- Spiel ist offen für Modifikationen
Kontra
- oberflächliche Tutorials erschweren Einstieg
- überfrachtete Benutzeroberfläche
- undurchsichtiges passives Handelssystem
- Schrift zu klein, sprengt oftmals Menügrenzen
- teilweise schlechte bis lückenhafte Übersetzung
- einige unlogische Reaktionen/Ereignisse
- dumme Militär-KI von Bündnispartnern
- man hat kaum taktischen Einfluss auf Schlachten
- Hilfe-Icon bringt oftmals keine Information
- unnötig fummelige Bemannung von Schiffen