Beyond: Two Souls - Test, Adventure, PlayStation4, PC, PlayStation3
Habe ich nicht gerade noch ein kleines Mädchen gespielt? Nun bin ich eine Frau? Dann wieder eine Jugendliche? Jetzt wieder ein Kind? David Cage erzählt die Geschichte der übersinnlich begabten Jodie Holmes nicht chronologisch, sondern verwebt die 26 Kapitel auf den ersten Blick recht wirr miteinander – es entsteht ein Flickenteppich aus Schauplätzen und Altersstufen. Gerade im Einstieg fällt es einem noch schwer, sich in bestimmte Situationen mit Jodie hinein zu versetzen, weil man sie einfach nicht gut genug kennt. Man weiß nur, dass sie ein unsichtbares Wesen namens „Aiden“ rufen kann, das über eine Art Nabelschnur mit ihr verbunden ist – und das macht natürlich neugierig: Was hat es mit diesem Geist auf sich? Diese Frage wird im Verlauf der knapp zehn Stunden beantwortet.
Chronologische Achterbahnfahrt
Aber was Freunde und Familie angeht, wird man zunächst ins kalte Wasser geworfen. Wie kalt das für eine Heranwachsende sein kann, die „anders“ ist als ein normaler Teenager bekommt man recht schnell zu spüren: Jodie muss mit ständiger Ablehnung und Misstrauen leben – selbst „Hexe“ wird sie genannt. Nicht nur, dass der eigene Vater ein unsensibler Klotz ist, auch die Altersgenossen erweisen sich auf einer Party als hinterhältige Mobber. Schön ist, dass man in dieser und vielen anderen Situationen frei entscheiden kann: Darf Jodie Bier trinken? Lege ich Rock oder Pop auf? Tanze ich mit dem Jungen? Lass ich seine Hand an der Hüfte hinab weiter tasten? Küsse ich ihn? Hier wirkt das Spiel noch angenehm alltäglich, versucht das soziale Verhalten in einem Milieu abzubilden – und damit zu experimentieren, macht zunächst Spaß.
Situative Freiheit ohne spürbare Konsequenzen
Richtig gut wäre dieses Beyond, wenn der skrupellose Einsatz der übersinnlichen Fähigkeiten auch die Entwicklung von Jodie als Persönlichkeit beeinflussen würde. Aber ob man jetzt die Mobber fast erwürgt und das halbe Haus aus Wut abfackelt oder einfach ohne Rache nach Hause geht, hat keinerlei spürbare Folgen – vor allem nicht auf ihre Psyche. Zumal einen das nächste Kapitel vielleicht wieder in die Rolle als Kleinkind oder Erwachsene wirft. Warum begegnet man einem der eingeschüchterten Teenager nicht nochmal in einem späteren Kapitel? Warum wird Aiden nicht frecher und mächtiger, wenn ich seine Kraft mehrmals so ausnutze? Immerhin hat er harmlose, defensive und aggressive Fähigkeiten.
Dein Freund, der Poltergeist
Auch als Jodie verzweifelt versucht, einen Schrank umzukippen, lohnt sich ein Wechsel: Aiden kann über eine Art Stromschlag mehr ausrichten und auch ein Gitter an einem Luftschacht lösen. Allerdings darf sich Aiden nicht komplett frei bewegen, sondern ist per blau leuchtender Schnur lokal an Jodie gebunden – auch hier erlauben sich die Entwickler allerdings willkürliche Änderungen je nach Situation. Man bleibt jedenfalls immer zusammen, wobei das Interface über dezente Punkte anzeigt, wo man mit wem interagieren kann. Dort muss man manchmal nicht nur den Analogstick drücken, sondern auch mal drehen oder eine Bewegung nachahmen. Das wirkt bei gewöhnlichen Aktionen etwas aufgesetzt.
Die Frage des festen Charakters
Dabei wäre es hoch spannend gewesen, je nach eigener Spielweise eine andere Jodie und damit eine andere Geschichte zu formen. Immerhin hat man einen gewissen Einfluss auf die Beziehung zu einem Verehrer, aber auch dort lässt Beyond viele Möglichkeiten liegen. Zumal manche Situationen einfach nicht glaubwürdig wirken, weil die Figuren fast schon Märchen-Klischees bedienen: Als Jodie halb verdurstet einen alten Hof findet, macht ihr Keanu Reeves, sorry: ein junger Indianer, die Tür auf. Hinter ihm der gutmütige Vater, die blinde Oma und der zwielichtige Bruder - künstlicher geht es nicht! Es ist ja schön, dass ich irgendwann mit ihm in der Prärie reiten oder später in anderer Situation auf Skiern durch den Schnee waten kann, aber auch komplett überflüssig für die Geschichte. Oder ist es gerade Mode, dass man in Spielen unbedingt jedes Klima und jeden Galopp mitnehmen muss, damit die Engine ausgelastet wird? Wichtiger als die Technik ist doch die
Diese Art des wirklich interaktiven, also durch den Spieler zu beinflussenden Storytellings bleibt ja nicht nur für David Cage Zukunftsmusik, aber ihm hätte ich zumindest eine bessere Illusion zugetraut. Denn nur weil er bereits auf einem guten Weg in diese Richtung war, wirkt diese lineare Leine enttäuschend konservativ. Zumal es auch Rückschritte gibt: Konnte man sich nach Heavy Rain noch angeregt darüber unterhalten, diese oder jene Szene auch aufgrund eines Scheiterns vielleicht gar nicht erst erlebt zu haben, fällt das hier weg. Und statt mehr Rätselflair oder Beziehungsdrama gibt es mehr Action.
Das Tor zur Actionwelt
Und das können andere Entwickler einfach besser. Gerade der militärische Abstecher nach Somalia wird so schwach inszeniert, was die Motivation von Jodie, das extrem passive Gegnerverhalten und die Willkür der Geistaktionen angeht (warum darf ich diesen Soldaten mit Aiden übernehmen, jenen nur meucheln und muss andere ignorieren?), dass es einfach keinen Spaß macht. Viel zu einfach und viel zu vorgezeichnet! Warum kann ich nicht darüber entscheiden, ob es ein Massaker gibt? Jodie grätscht in Deckung, knockt Feinde aus und wirkt wie Sam Fishers Tochter. Dass es kein Game Over gibt, ist okay. Aber dass es in Extremsituationen nicht mal Zeitlimits gibt, führt die Spannungsmomente ad absurdum: Spätestens wenn man verletzt und umzingelt in einem Haus hockt, das von Dutzenden schwer bewaffneten Milizen bestürmt wird, und so lange nix passiert, bis man mit Aiden eine Luke im Dach öffnet, fühlt man sich versichert und verarscht. Und was die Regie angeht: Die versucht den Einsatz in Somalia schon vorher mit einem kleinen Jungen aufzuwerten, aber das Ganze ist so künstlich inszeniert und so vorhersehbar in den Konsequenzen, dass die Emotionen danach einfach schal wirken – das ist Tränendrüse mit plumpem Anlauf.
Schaurige Potenziale
Sobald man zum Geistwesen wechselt, kann man gegen die anderen Geister kämpfen, indem man sie kurz per L1 fixiert und dann die Analogsticks auseinander bewegt – puff, einer weniger. Das funktioniert genauso wie bei Stühlen oder Monitoren. Das macht man zigmal, bis der Spuk vorbei ist. Selbst wenn dutzende Dämonen umher schwirren, kann Jodie letztlich nix passieren. Obwohl hier visuell sehr ansehnlich eine Gefahr aufgebaut wird, entsteht kein Herzklopfen, weil man sich zu sicher und zu klar wehren kann. Und warum ist es leichter, diese fremden Wesen zu vernichten als einen Soldaten?
David Cage schafft sich diese Probleme selbst, indem er klassische Actionsituationen inszeniert. Aber widerspricht das nicht der eigenen Prämisse? Er sagte ja: „Ich möchte nicht die Finger der Spieler fordern, sondern ihren Verstand.“ Das ist lobenswert! Aber dann muss man das Design auch darauf auslegen, dass sich das Nachdenken und Kombinieren auch lohnt. Denn viel Verstand braucht man für dieses Beyond leider nicht.
Jodie neben Clementine und Ellie
Dabei ist die visuelle Darstellung der unterschiedlichen Altersstufen von Jodie verblüffend: Wenn sie sich bewegt, spricht oder wütend wird, sieht das unglaublich natürlich aus. Aber was fehlt, ist auch eine weitere Altersstufe, eine reifere Frau – Jodie wirkt auch als Erwachsene immer wie ein Teenager. Als sie ihr Date mit einem Verehrer hat, sieht das fast so aus, als würde ein Mann ein Kind in den Arm nehmen. Trotzdem ist die schauspielerische Leistung der wesentlichen Charaktere bemerkenswert gut und die deutsche Lokalisierung einfach ausgezeichnet. Ich habe selten so gute Sprecher gehört. Was stört, sind allerdings die Probleme in der Tonabmischung, wenn es plötzlich leise, dann wieder laut wird.
Kooperatives Erlebnis?
Allerdings erkennt man nicht immer den Unterschied zwischen Oben, Mitte oder Unten. Das funktioniert in den Nahkämpfen trotzdem ganz gut, auch wenn es immer wieder unpassend anmutet, wenn ein schmächtiges Mädchen mit einem Trupp Agenten oder Soldaten aufräumt. Trotzdem kann einem auch bei mehreren Fehlschlägen nichts passieren. Interessant ist, dass der aktive Spieler beim kooperativen Spielen die Steuerung abgeben muss. Sprich: Der passive Spieler kann nicht selbstständig über Knopfdruck loslegen, sondern muss kommunizieren und vielleicht erklären, warum man gerade wechseln sollte. Es gibt kooperativ keinen Splitscreen und leider nur feste Rollenvorgaben auf einem Bildschirm; also keine kooperativen Aktionen, in denen sich Mensch und Geist abstimmen müssten.
Fazit
Als nach knapp zehn Stunden der Abspann läuft, sitze ich ratlos auf der Couch. Schön ist, dass ich kurz vor dem Finale mal etwas entscheiden durfte. Ärgerlich ist, dass man auf dem Weg dorthin wenig beeinflussen kann und in ein enges Korsett gezwungen wird. Da hat man ein halbes Leben mit Jodie und ihren paranormalen Fähigkeiten verbracht, hat sie leiden, kämpfen, weinen und lieben sehen, aber man fühlt sich über weite Strecken nur wie ein Zuschauer - kein Vergleich zur emotionalen Anbindung an Clementine in Walking Dead oder Ellie in The Last of Us. Obwohl es bewegende Momente gibt und die Technik nahezu fotorealistische Mimik dazu liefert, kann mich dieses Abenteuer nicht fesseln. David Cage hat seinen Designstil mit spürbaren Konsequenzen nicht weiter, sondern zurück entwickelt und sich dem Bedürfnis der Action angebiedert. Ja, das Orchester spielt pompös auf. Und das sieht mitunter klasse aus. Aber Cage begibt sich in einigen Kapiteln auf ein Terrain, das Quantic Dream einfach nicht beherrscht. Was soll oberflächliche Military-Action in einem Mystery-Thriller, in dem einem selbst in der heikelsten Situation nix passieren kann? Genauso wild wie die Zeiten und Schauplätze wechseln, schwankt auch die Qualität des Spiels zwischen nervig und spannend, festgefahren und offen, belanglos und bewegend. Unterm Strich wurde ich mit allen Höhen und Tiefen noch auf solidem Niveau unterhalten. Aber wenn ich daran denke, wie mich Heavy Rain vor drei Jahren gefesselt hat, ist das bisher meine Enttäuschung des Jahres.
Pro
- interessante Mystery-Story
- starke schauspielerische Momente
- Mensch & Geist mit anderen Fähigkeiten
- nahezu fotorealistische Mimik
- einige freie situative Entscheidungen/Antworten
- abwechslungsreiche Situationen/Konflikte
- viele unterschiedliche Schauplätze
- stellenweise beeindruckende Kulisse
- sehr gute deutsche Lokalisierung
- stimmungsvolle Musikuntermalung
- kooperativ mit Gamepad/Mobiltelefon spielbar
- zwei Schwierigkeitsgrade (leicht/sehr leicht)
Kontra
- wild wechselnde Zeitstruktur verwirrt
- Jodies Entwicklung ist vorgegeben
- zu wenig Entscheidungen mit Konsequenzen
- spielerisch schwache Stealth-Action-Abschnitte
- einige unglaubwürdige und aufgesetzt wirkende Momente
- viel zu einfache, ständig gleiche Geist-Kämpfe & Aktionen
- kaum kreative oder anspruchsvolle Herausforderungen
- willkürlich wirkende Aktionsmöglichkeiten als Geist
- in vielen Situationen unrealistisches KI-Verhalten
- sehr enge, teilweise starre Kamera
- Probleme mit der Tonabmischung (laut/leise)
- keine koordinierten Aktionen als Duett
- dritter Schwierigkeitsgrad "mittel" fehlt