Civilization 3 - Test, Taktik & Strategie, PC

Civilization 3
06.11.2001, Jörg Luibl

Test: Civilization 3

Der dritte Teil der Civilization-Reihe tritt ein schweres Erbe an: die Vorgänger hamsterten einen Award nach dem anderen, avancierten zu Meilensteinen der Computerspielgeschichte und begründeten den Ruhm von Chef-Designer Sid Meier. Fünf Jahre nach Teil 2 präsentiert das Team von Firaxis mit Civilization III eine grafisch verbesserte und spielerisch erweiterte Version des rundenbasierten Strategiespiels. In den USA sorgte der Historienschinken bereits für euphorische Höchstwertungen - ob wir mitjubeln erfahrt Ihr in unserem Test der US-Version!

Im Gegensatz zu den Vorgängern zeichnen sich die 16 wählbaren Zivilisationen durch charakteristische Merkmale und jeweils eine Spezialeinheit aus: Die Deutschen haben z.B. ihre Stärken im Bereich Wissenschaft und Militär und führen als Elite-Einheit den Panzer ins Feld, der beweglicher ist als die Konkurrenzvehikel. Die Engländer sind als Seefahrernation geborene Kolonisatoren und Händler - ihre Blütezeit manifestiert sich in der überlegenen Kriegsfregatte "Man-o-War", die in der Neuzeit auf der Produktpalette steht. Und wer es lieber exotischer mag, kann u.a. auf Irokesen, Azteken, Zulus oder Babylonier zurückgreifen. Die Spielziele wurden gegenüber den Vorgängern erweitert: Ein Ziel ist zwar immer noch der Weg ins All nach Alpha Centauri, aber hinzu kommen fünf weitere, darunter z.B. militärische, diplomatische oder kulturelle Dominanz.

Kampf der Kulturen

Noch lange bevor Homer seine Epen schrieb oder die Römer an der Wölfin nuckelten dürft Ihr den Grundstein Eurer frühgeschichtlichen Zivilisation legen. Hat sich erst mal ein idealer Platz auf der noch wenig erforschten Landkarte gefunden -möglichst mit Fluss, Rohstoffen (Gold, Nahrung, Schilde) in der Nähe- kann die erste Stadt gebaut werden. Jetzt sollte man ein Auge auf strategisch wichtige Ressourcen wie Pferde (Reiterkrieger) und Luxusgüter wie Seide oder Felle werfen. Im weiteren Spielverlauf kommen u.a. Eisen (Schwertkämpfer), Salpeter (Schießpulver) und Uran (Nuklearwaffen) hinzu. Sobald Ihr Eure Stadt und den Rohstoff mit einer Straße verknüpft, werden die Bodenschätze und Luxusgüter zugänglich. Und auch wenn Ihr mit den Computergegnern handeln wollt, muss zunächst eine verkehrstechnische Verbindung bestehen - zu Land oder zu Wasser.

Schichtbeginn: 4000 v.Chr.

Was einfach und überschaubar beginnt, entwickelt schon nach wenigen Spielrunden eine enorme Palette an strategischen und wirtschaftlichen Entwicklungsmöglichkeiten: Soll man zunächst viele Städte bauen und schnell Gebiete sichern? Oder zwischendurch eine Entdeckerpause einlegen und kulturelle Einrichtungen fördern? Oder lieber die Armee und Verteidigung auf Vordermann bringen? Und dann müssen die Arbeiter ja noch ein Straßensystem und Minen aufbauen...Fragen über Fragen, die über das Wohl Eurer Zivilisation entscheiden. Und natürlich seid Ihr nicht alleine in der Weltgeschichte unterwegs, sondern parallel mit den zufällig oder vorher ausgewählten Nationen, die schon auf der leichtesten Stufe beängstigend geschickt und zielstrebig vorgehen - die KI wirkt sowohl in Sachen Verhandlungen als auch beim Aufbaupart sehr überzeugend. Das tröstet ein wenig darüber hinweg, dass Firaxis auf einen Multiplayer-Modus verzichtet hat.

Schwerwiegende Entscheidungen

Das Herrliche an Civilization III ist die spielerische Freiheit, die es Euch überlässt, ob Ihr eher militärisch, diplomatisch, kulturell oder wissenschaftlich vorgehen wollt. Ein gesunder Mix ist -laut Handbuch- oftmals die beste Lösung, obwohl auch einseitige Spielweisen zum Erfolg führen können. Wer seine Armee nicht aufrüstet, sollte sich z.B. besonders intensiv um seine Außenpolitik kümmern, Bündnisse pflegen und Verträge schließen, denn Aggressoren fackeln nicht lange und können eine blühende Demokratie schnell in die Anarchie zurückwerfen.

Viele Wege führen zum Sieg

Diplomaten kommen dank der vielen neuen Verhandlungsfeatures voll auf ihre Kosten: Ihr könnt z.B. den Austausch von Rohstoffen mit der Bedingung einer einmaligen oder jährlichen Goldlieferung verknüpfen, oder mit einem Nichtangriffspakt, oder mit dem Austausch einer Technologie, die Ihr noch nicht kennt - jede Verhandlung mit dem Gegenüber wird so zum spannenden Poker werden, zumal die animierten Gesichtszüge eines Lincoln oder Bismarck viel über deren Befindlichkeit verraten. Doch Vorsicht: Manchmal können dreiste Forderungen eine Kriegserklärung nach sich ziehen...

Diplomatie, Kampf und Kultur

Sobald Ihr Euch im Kriegszustand befindet, solltet Ihr Eure Militäreinheiten strategisch gut postiert haben, bevor das Schere-Stein-Papier-Prinzip zur Geltung kommt. Ist der Gegner der Aggressor, entscheidet die Verteidigungsstärke Eurer Truppen über den Ausgang jeder einzelnen Schlacht - Speerkämpfer und Katapulte eignen sich hervorragend zur Abwehr einfacher Krieger; bei Bogenschützen wird`s schon heikler. Schön ist, das jede einzelne Einheit nach gewonnenen Kämpfen Erfahrung und somit Lebenspunkte gewinnt. Ist ein Rekrut erst mal zum Elitesoldaten aufgestiegen, fehlt nicht mehr viel, bis er zum Anführer avanciert, der ganze Armeen befehligen und beim Wunderbau helfen kann.

Aber auch friedliche Herrschernaturen können dank der mächtigen Einflusszonen neue Gebiete gewinnen: Ist z.B. eine gegnerische Nachbarstadt von Euren kulturellen Errungenschaften beeindruckt, kann es sein, dass die Leute rebellieren und zu Euch überlaufen - samt Minen, Wegesystem und Rohstoffen. Jedes Gebäude (Bibliotheken, Unis, Wunder etc.) bringt Euch Punkte auf dem Kulturkonto, das direkten Einfluss auf die Größe der Zone hat. Wie weit Eure kulturellen Errungenschaften reichen, wird optisch auf der Landkarte dargestellt.

Civilization III ist wie ein Mammut an Möglichkeiten und Spieltiefe: Bevor man als Einsteiger mit allen Facetten des Spielaufbaus vertraut ist, vergeht zwar eine Zeit, aber nach einigen Anläufen sollten sich selbst Genreneulinge dank der vorbildlichen und mit Stichwörtern verlinkten "Civilopedia" heimisch fühlen und gezielt Schwerpunkte im Zivilisationsaufbau setzen können. Und wenn noch etwas unklar bleibt, hilft das hervorragend strukturierte und mit Index versehene Handbuch. Diese beiden Hilfsmittel sind unverzichtbar, weil Euch Civilizations III mit einer Unmenge an Daten, Tabellen, Technologien und Einheiten konfrontiert, die gerade im späteren Spielverlauf erschlagende Ausmaße annehmen; immerhin stehen sechs Schwierigkeitsgrade zur Auswahl. Aber damit sich der Aufbauspaß nicht in Frust verwandelt, könnt Ihr in jeder Stadt einen Gouverneur mit Weiterentwicklung und Einheitenbau betreuen - die Schwerpunkte (Militär, Nahrung, Wissenschaft etc.) legt Ihr vorher fest. Auch die Arbeiter, die sich um Straßen, Bewässerung und Minen kümmern, können per Knopfdruck automatisch ans Werk gehen.

Tolles Handbuch, herrliche In-Game-Hilfen

Nach etwa 6000 Jahren wird mit Euren Aufbaufähigkeiten abgerechnet: Konntet Ihr Eure Computergegner in Verlegenheit bringen, oder verhöhnen Euch die Gegner mit Spott und dummen Witzen? Egal wie es ausgeht, am Ende wird Eure Punktzahl in der Highscore verewigt. Der hohe Schwierigkeitsgrad dürfte selbst Civilization-Fans vor eine neue Herausforderung stellen - bis man auf der dritten Stufe dominieren kann, muss man eine sehr effektive Strategie entwickelt haben. Ein herrliches Feature ist die Replay-Funktion, die Euch am Ende eines Spiels noch mal im Schnelldurchlauf die Ausbreitung Eurer und der gegnerischen Zivilisationen zeigt - ideal um die eigenen Stärken und Schwächen im Spielaufbau zu studieren.

Schichtende: 2050 n.Chr.

Die Grafik von Civilization III ist zwar streckenweise ansehnlich, aber insgesamt hätten die Designer einiges mehr an optischen Leckerbissen anbieten können. Auf der positiven Seite stehen die ansehnliche Benutzeroberfläche, die übersichtlichen Menüs, die hübsch animierten 3D-Einheiten, der Panoramablick auf Eure Städte und die bewegten Gesichter der verschiedenen Herrscher. Auch Eure diversen Berater zeigen Euch per Text und Mimik, wie sie kommende Aktionen einschätzen.

Brettspiel meets High-End-PC

Auf der negativen Seite stehen eindeutig zu wenig optische "Bonbons" bei Großereignissen und spärlich gesäte Animationen - man hätte mehr fürs Auge tun können: Warum bewegen sich Delphine, Wale, Kühe und Pferde auf der Landkarte nicht? Warum muss ich auf eine unbewegte Wasseroberfläche schauen? Wieso kann ich nicht in die Panoramasicht der Städte hineinzoomen? Am Ende bleibt jedoch ein sehr guter Gesamteindruck, weil sich die Grafik dem rundenbasierten Spielprinzip unterordnet und genau das schafft, was der Spieler spätestens nach einem Dutzend eigener Städte und zahlreicher Verbündeter braucht: Übersichtlichkeit. Dadurch bewahrt der dritte Teil auch im Zeitalter von GeForce 3 seinen charmanten Brettspielcharakter.

Zwar empfindet man die Hintergrundmusik zunächst als angenehme Begleitung, aber spätestens nach mehreren Spielstunden neigt man dazu, das langweilige und nur bei Beginn einer neuen Epoche wechselnde Begleitorchester abzustellen. Es ist zwar nicht störend, aber wenn auch noch Vogelgezwitscher in die Balladen gemixt wirkt, ertappt man sich gerade im späteren Spielverlauf zu Abschalt-Reflexen - hier hätte etwas mehr Abwechslung gut getan. Die Soundeffekte sind in einem rundenbasierten Strategiespiel zwar nicht besonders wichtig, dennoch können die passenden Kampf- und Jubelgeräusche überzeugen.

Weniger ist mehr?

Fazit


Civilization III ist ein Strategie-Epos mit Suchtgarantie, das jeden Genre-Fan in seinen Bann ziehen wird. Das Team von Firaxis ist trotz zahlreicher Gameplay-Änderungen und Grafik-Kosmetik kein Risiko eingegangen: Der dritte TeiI bietet Euch altbewährtes, rundenbasiertes Strategiefutter - und zwar aus der Feinschmeckerabteilung. Freut Euch auf Spieltiefe, Spieltiefe und nochmals Spieltiefe. Die neuen Diplomatie- und Kulturfeatures haben die Palette der strategischen Möglichkeiten enorm erweitert und garantieren monatelangen Spielspaß. Angesichts der aktuellen 3D-Echtzeit-Strategieschwemme wirkt der dritte Teil zwar optisch und spielerisch zunächst unspektakulär und angestaubt, entfacht aber erschreckend schnell das wohlbekannte Spielfieber, dem man sich nur mit Vitamintabletten, Koffein und Sonderurlaub hingeben sollte - Glückwunsch an Firaxis!

Pro

  • <li>enorme Spieltiefe</li><li>animierte Gesichter</li><li>fordernde Gegner-KI</li><li>hohe Langzeitmotivation</li><li>übersichtliche Landkarte</li><li>hervorragendes Handbuch</li><li>komplett mit Maus spielbar</li><li>vorbildliches In-Game-Lexikon</li><li>Replay-Feature wieder vorhanden</li><li>Tabellen und Statistiken en masse</li><li>ansehnliche Einheiten-Animationen</li><li>automatisierter Stadt- und Landausbau</li>

Kontra

  • <li>kein Multiplayer</li><li>unspektakuläre Grafik</li><li>zu wenig Animationen</li><li>lange Eingewöhnungszeit</li><li>eintönige Hintergrundmusik</li>

Wertung

PC