Mars: War Logs - Test, Rollenspiel, 360, PlayStation3, PC

Mars: War Logs
07.08.2013, Eike Cramer

Test: Mars: War Logs

Bereits im Mai haben wir uns durch die Kriegstagebücher vom Roten Planeten geprügelt. Nun ist das Action-Rollenspiel Mars: War Logs (ab 11,90€ bei kaufen) auch im PSN und auf XBLA erschienen. Bleibt es bei dem befriedigenden Eindruck der PC-Version?

Das Erste, was dem jungen Innocence Smith nach seiner Gefangennahme im Krieg blüht, ist alles andere als angenehm. Nach einem langen Transport in das endlose Niemandsland des Mars ist es ein widerlicher Mitgefangener, der dem „Frischfleisch“ die harten Regeln des Lagers beibringen will. Neue Insassen sind seine „Schlampen“ und wer sich ziert, der wird von ihm vergewaltigt. Glücklicherweise mischt sich in diesem Moment ein älterer Veteran ein und kann den Jungen vor dem Missbrauch bewahren.

Willkommen in Lager 19

Diese einleitende Szene von Mars: War Logs ist dreckig, brutal und kommt aus dem Nichts. Angedeutete sexuelle Gewalt mag in Filmen ein stereotypes Mittel sein, um Gut und Böse klar zu definieren. Aber hier, in einem Action-Rollenspiel, werde ich von der Intensität des Moments überrascht. Roy wird auf diese Weise zum Beschützer des unerfahrenen Innocence und zeigt dem Übeltäter in den nächsten Minuten, wie es sich anfühlt mit einem gleichstarken Gegner in den Nahkampf zu gehen. Subtil ist diese Einführung sicher nicht, aber sie reicht aus um mein Interesse für die Charaktere zu wecken. Wer ist dieser Mann? Und wie ist dieser unschuldige Junge überhaupt in den Krieg geraten?

Die Kulisse wirkt auf den Konsolen etwas unsauberer als unter DirectX
Das Hauptmotiv ist der Konflikt zwischen den Konzernen Abundance und Aurora, die um Territorien kämpfen, in denen sich einige der wenigen Quellen befinden. Erstere sind Autokraten, dazu die ältere sowie mächtigere Fraktion und militärisch eigentlich überlegen – wären da nicht die zahlreichen Cyber-Magier, hier „Technomanten“ genannt,  in den Reihen der mystisch angehauchten Aurora, deren Mitglieder ausnahmslos Tugendnamen tragen. Mehr erfährt man nicht über den Konflikt, der aber ohnehin nur als unscharfes Bild im Hintergrund existiert. Die Geschichte von Mars: War Logs findet nämlich durchgehend weit ab der Front statt.

Aurora und Abundance

Lager 19 ist zu Beginn der zentrale Punkt der Handlung. Die Kriegsgefangenen arbeiten an einer alten Wassermine irgendwo in den Weiten der Marswüste und eine Flucht scheint unmöglich. Entsprechend lax sind auch die Sicherheitsmaßnahmen und die Wachen sind geplagt von Traumata, Langeweile und der Angst vor dem unerbittlichen Vorsteher, dem Technomanten Sean und seiner Schülerin Mary. Somit kann sich Roy relativ frei bewegen – und fasst zusammen mit Innocence einen Plan zur Flucht.

Starre Gesichtsanimationen und mäßiges Voiceacting wollen keine Atmosphäre aufkommen lassen.
Im Laufe des ersten Aktes bereiten Roy und Innocence intensiv ihre Flucht vor und müssen dabei für Lagerinsassen und Wachen Aufgaben erledigen, um ihr Ziel zu erreichen. Oft werde ich dabei vor Entscheidungen gestellt, die sich später unterschiedlich stark auswirken. So kann ich etwa alle Wachhunde, die an einer mysteriösen Krankheit leiden umbringen lassen, um eine Infektion der Insassen zu verhindern - oder ich investiere etwas mehr Zeit und lasse ein Heilmittel herstellen. In diesen Momenten suggeriert mir Mars: War Logs Handlungsfreiheit, auch wenn viele der Entscheidungen nur wenig oder keinen Einfluss auf die Story haben.

Gesprengte Ketten

Die Quests sind allesamt mit vollvertonten Gesprächen und teilweise interessanten Hintergründen verknüpft, sodass ich mich zwar auf die typischen Bring-mir-X-mal-Objekt-Y-Suchen begebe, hierbei aber fast immer einen Charakter als Auftraggeber habe, der ein persönliches Anliegen mitbringt. Dennoch ermüdet das erneute Besuchen der frei zugänglichen Gefängnisareale mit der Zeit, denn die Anzahl der Schauplätze in Lager 19  ist begrenzt. Zudem macht mir die Kulisse oft einen Strich durch die Rechnung, denn viele der Bereiche sind zu steril und statisch, um eine dichte Atmosphäre erzeugen zu können.

Die Bosskämpfe sind schwach in Szene gesetzt und schwanken zwischen unfair und viel zu einfach.
Spannender ist da schon die Möglichkeit, dass viele der Nebenaufgaben durch Unterhaltungen gelöst werden können. Dies ist zwar oft eine reine Trial-and-Error-Übung, lockert den Spielverlauf aber ungemein auf. Allerdings reißen mich maskenhafte Gesichtszüge und eine grenzwertige Vertonung, die zudem nur sehr grob den Lippenbewegungen entspricht, zu oft aus der Magie des Moments – hier wäre mehr drin gewesen.



Sammeln ist Silber, Reden ist Gold

Dementsprechend verbringt man in den ersten Stunden deutlich mehr Zeit mit Herumlaufen und Gesprächen als mit dem dynamischen und flott von der Hand gehenden Kampfsystem. So trifft man zwar sporadisch auf Gruppen von streitlustigen Gesellen, oder schlägt sich in den Minen mit den nacktmullartigen Maulwürfen herum, aber die Action bleibt angenehm zweitrangig und ist zunächst nur ein Spielelement von vielen.

Der Ausbruch aus Lager 19 bildet die Rahmenhandlung des ersten Aktes.
Durch einen geschickten Kniff vermeiden die Entwickler, dass das Spiel in Kämpfen zu einem simplen Shooter wird, ohne dafür auf Fernkampfwaffen verzichten zu müssen. Diese werden nämlich, einmal ausgerüstet, als Fähigkeit im komfortabel zu bedienenden Kreismenü angeboten und können nur entsprechend limitiert eingesetzt werden. Der Fokus liegt also auf dem Nahkampf und den selbst herstellbaren Waffen, die mittels eines recht umfangreichen Crafting-Systems aus Gegenständen wie Elektroschrott und kaputten Rohren zusammengedengelt werden können.

Hauen und Stechen

Die Kämpfe sind schnell und fordernd, denn die Gegner teilen ordentlich aus und sind in der Lage sich auf den Stil des Spielers einzustellen. Somit muss man seine Angriffe geschickt mit den erlernbaren Fähigkeiten verbinden, die Ausweichrolle intensiv nutzen und Kombinationen aus einfachem Schlag und Blockbrecher ins Ziel bringen. Mit dem Erreichen höherer Stufen können außerdem neue aktive und passive Begabungen in drei Klassen (Kampf, Abtrünniger und Technomantie) freigeschaltet werden, die Einfluss auf die spannenden Auseinandersetzungen haben.  Die Steigerung der Charaktereigenschaften ermöglicht außerdem neue Waffenmodifikationen oder eine bessere Ausbeute beim Plündern der Gegner.

Die KI-Kameraden sind im Kampf nicht wirklich zu gebrauchen.
Die im Verlauf der Geschichte mehrfach wechselnden KI-Kameraden sind mir im Kampf allerdings keine große Hilfe -  ich kann ihnen über ein Kreismenü zwar rudimentäre Befehle erteilen, aber sie stellen sich blöd an und sinken oft schon nach wenigen Schlägen in den Staub. Zudem kann ich meinen Begleitern keine neue Ausrüstung zuteilen, sodass sich Innocence lange mit seiner zerrissenen Gefangenenkleidung in Auseinandersetzungen begibt. Der K.O. ist hier vorprogrammiert, zum Glück aber nicht dauerhafter Natur.



Verletzliche Unschuld

Am Ende eines Schlagabtausches stehe ich ab einem bestimmten Punkt vor der Wahl: Töte ich meine Gegner für ein wenig „Serum“, das ich dem Körper des Besiegten mit einer Spritze entziehe, oder lasse ich sie leben? Beides hat angeblich Auswirkungen auf meinen Ruf, der jedoch selbst bei eindeutig guten Entscheidungen die neutrale Position nicht verlassen möchte und somit ad absurdum geführt wird.

Die Städte auf dem Mars sehen sich verdammt ähnlich.
Bis zum Ende des ersten Aktes hat mich Mars: War Logs positiv überrascht. Zwar hat es vor allem auf der technischen Seite mit vielen Defiziten zu kämpfen, konnte mich aber mit seinem rauhen Charme in seinen Bann ziehen. Der dramaturgische Abstieg im Übergang zum zweiten Akt bringt jedoch die große Ernüchterung mit sich. Es bleiben viel zu viele Fragen des ersten Abschnitts offen und die Konsequenzen aus den Quests völlig außen vor. Zudem wird die Chance vertan, die Beziehung zwischen den beiden Hauptcharakteren mit einer längeren Cutscene oder einem Gespräch zu vertiefen. Stattdessen folgt ein liebloses Video, in dem sehr willkürlich mit der Hintergrundgeschichte und dem Antagonisten umgegangen wird – nur um mich im Anschluss in ein neues Areal zu werfen, das viel weniger kohärent wirkt als das Gefangenenlager zuvor.

Das Drama mit der Dramaturgie

Der Actionanteil steigt hier erheblich und so unterhaltsam die Prügeleien sind, so oft stellt sich mir die Frage, warum manche Gegner überhaupt die Hand gegen mich erheben. Die Kämpfe werden mehr und mehr zum Selbstzweck, was mein Bild des handlungsgetriebenen Rollenspiels zum Bröckeln bringt. Die immer beliebiger wirkenden Quests machen daraus bald ein Brechen, denn die zuvor äußerst zielstrebige Handlung  verliert ihre klare Richtung und damit viel von ihrer Faszination.

Mit fortschreitender Spielzeit nimmt die stereotype Charakterzeichnung, auch des Protagonisten Roy, immer weiter zu.
Spätestens ab der Hälfte wird deutlich, dass die Entwickler zu viele Elemente gleichzeitig in der Geschichte verbinden wollten. Die Storysprünge wirken obskur und es wird zu hastig erzählt. Dies steigert sich im letzten Drittel, zusammen mit einem zunehmend oberflächlichen Umgang mit vormals wichtigen Charakteren und tilgt damit den guten Ersteindruck. Eine langsame Entwicklung der Handlung, mit der Beziehung von Roy und Innocence im Zentrum der Aufmerksamkeit, hätte dem ersten Akt besser Rechnung getragen, als die hanebüchenden Verwicklungen um die Technomancer.



Weniger wäre mehr gewesen.

Die miserabel inszenierten Bosskämpfe, die zwischen unfair und viel zu einfach schwanken, runden dieses Bild ab. Und warum unbedingt furchtbar aufgesetzte und mehr als unpassende Liebesszenen integriert werden mussten, wissen vermutlich selbst die Entwickler nicht. Mass Effect als mögliches Vorbild hin oder her, hier hätte man sich einfach auf das Wesentliche konzentrieren müssen.

Fazit

Auch auf der Konsole tritt Mars: War Logs als ambitioniertes Action-Rollenspiel an und kann mich mit der Eröffnung sowie seinem unverbrauchten Szenario durchaus faszinieren. Das Kampfsystem funktioniert gut und geht mit dem Controller gut von der Hand, während mich das interessante Crafting-System stets mit Waffennachschub versorgt. Die scheinbar interessante Erzählung wird jedoch im Verlauf des Spiels zu einem obskuren, schlecht erzählten und langweiligen Wirrwarr aus löchrigen Handlungssträngen. Es gibt bald keine markanten Charaktere mehr und Dinge passieren oft einfach so. Zudem krankt das Spiel an einer schwachen Kulisse, die nicht durch eine dichte Atmosphäre ausgeglichen werden kann und auf der Konsole insgesamt etwas unsauberer wirkt als auf dem PC. Außerdem ähneln sich die schmalen Areale insgesamt zu sehr. Hätten sich die Entwickler auf das Wesentliche der Handlung, nämlich die Beziehung und Hintergründe der beiden Hauptcharaktere, konzentriert, würde ich an dieser Stelle vermutlich eine spannende Reise auf dem Mars beschreiben. Unterm Strich ein gerade noch befriedigendes Action-Rollenspiel mit dem Vorbild Mass Effect, das deutlich hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt.

Pro

  • motivierender Einstieg
  • unverbrauchtes Setting
  • gutes, dynamisches Kampfsystem
  • solide Rollenspielelemente
  • ordentliche Dialoge
  • nettes Craftingsystem

Kontra

  • oberflächliche Charakterentwicklung
  • schwache Kulisse und Gesichtsanimationen
  • grenzwertiges Voiceacting
  • ab dem zweiten Akt merkwürdige Storyentwicklung
  • insgesamt schwache und langweilige Erzählung
  • inkonsequenter Umgang mit Hauptcharakteren
  • redundante Nebenquests
  • unnötige und aufgesetzte Liebesszenen
  • teils massives Backtracking
  • miserable Bosskämpfe

Wertung

360

Inhaltlich identisch zur PC-Version, allerdings wirkt die Kulisse etwas unsaubererer.

PlayStation3

Inhaltlich identisch zur PC-Version, allerdings wirkt die Kulisse etwas unsaubererer.