Divinity: Original Sin - Test, Rollenspiel, Linux, XboxOne, Mac, PlayStation4, PC

Divinity: Original Sin
04.07.2014, Benjamin Schmädig

Test: Divinity: Original Sin

"Schnick, Schnack, Schnuck!"

Taktische Schere-Stein-Papier-Duelle – ich hab' mir das immer anders vorgestellt. Zumindest dachte ich nicht, dass ich mal ganz buchstäblich Schnick, Schnack, Schnuck spielen müsste. Jetzt stehe ich jedenfalls da, es geht um Leben oder Tod, und wie entscheiden die Streithähne darüber? Genau: "Schnick, Schnack, Schnuck!" Warum sie das tun? Weil es im Rollenspiel Divinity: Original Sin (ab 29,99€ bei kaufen) immer um Entscheidungen geht. Nicht nur im Streitgespräch, sondern auch im Kampf und beim Aufdecken eines geheimnisvollen Mordes.

Bevor ich mich in dieser Welt Rivellon so richtig wohl gefühlt habe, sind allerdings ein paar Stunden ins Land gezogen. Denn obwohl mir eine kurze Einführung erklärt, dass es einen Mord gab und dass ich ein Jäger bin, der gefährliche Magier jagt: Plötzlich stehe ich einfach so an einem Strand, soll auf den Boden klicken (um mich fortzubewegen) und das war's. Ich werde ins kalte Wasser geworfen, ohne mit mir und der Welt vertraut zu sein. Eine Welt, deren hübsche Steinmauern und rot strahlende Dachziegel nach oberflächlichem Fantasy-Mittelmaß müffeln. Nein, das ist kein guter Einstieg!

Wer bin ich, wieso und wo?

Überhaupt ist eine klassische Erzählung über Filmszenen und gut geschriebene Dialoge nicht die Stärke dieses Abenteuers; "kaum vorhanden" trifft es eher. Stattdessen wühle ich mich über tausende Textzeilen mühevoll ins Eingemachte. Eine Geschichte vor Divine Divinity wird hier erzählt, ohne dass man einen der Vorgänger kennen muss. Mühsam ist es nicht etwa, weil mir lesen zu retro wäre. Mühsam ist es deshalb, weil viele Figuren das Gleiche sagen – mal mit den Worten ihrer Vorredner, mal mit anderen. Mühsam auch, weil die Texte zwar mit Herz geschriebene Dialoge sind, die aber vorrangig um Informationsvermittlung statt um menschliche Zwischentöne bemüht sind.

Allerdings gelingt ihnen dabei etwas, das andere Spiele vergeblich versuchen: Sie vermitteln das Bild eines komplexen Universums, in dem der Mordfall nur der Auslöser eines Problems ist, das bald die ganze Welt bedroht.

Orks, Untote und malerische Ansichten: Original Sin sieht gut aus, wirkt im Vergleich zu moderner Fantasy aber zunächst oberflächlich.
Über die Unterhaltungen lerne ich die Menschen und ihre Macken kennen, so dass ich mir von wichtigen Personen bald ein Bild mache, das mindestens zwei Seiten hat. Nicht durch das Erzählen, sondern das Wissen um interessante Kleinigkeiten öffnet sich hier ein vielschichtiger Schauplatz.

Schwarz, Weiß – und ganz viel Grau

Ein alter Elf heuert mich etwa an, um einen Ork zu töten: den Nachwuchs jener Krieger, die sein Volk vor vielen Jahren nahezu ausgelöscht haben. Er will Rache und sein Motiv ist nachvollziehbar. Dummerweise lebt der Ork als friedliches Wesen unter den Menschen – was soll ich also tun? Diese Kurzgeschichte ist nur ein kleines Beispiel für die Ambivalenz in Rivellon. Tatsächlich konnte ich fast jeden Auftrag auf mindestens zwei verschiedenen Wegen lösen.

"Wegen", wohl gemerkt. Ich rede nicht von herkömmlichen Entscheidungen für oder gegen den Tod eines Übeltäters, sondern von unterschiedlichen Herangehensweisen. Der anfängliche Mordfall ist ein Paradebeispiel, denn ob ich die Geständnisse im Gespräch erzwinge, mich heimlich in verschlossene Räume schleiche (beobachteter Diebstahl und Einbruch werden geahndet) oder anderweitig an Hinweise gelange, bleibt mir überlassen. Je mehr ich mich mit dem Fall befasste, desto kniffliger wurden die Verwicklungen, desto interessanter die Beteiligten.

Das schwere Urteil

Ich kann Beweise sogar zurückhalten und einen Verdächtigen sofort verhaften lassen, wenn ich genug Indizien gefunden habe. Indizien, wohl gemerkt, es müssen keine Beweise sein. Dann muss ich lediglich mit mir selbst abmachen, ob ich den entscheidenden Schritt gehen oder weiter suchen will.

Wichtig sind die zahlreichen Grauzonen auch deshalb, weil ich mich vor und nach vielen Ereignissen mit meinem Partner unterhalten kann. Ich bin ja nicht alleine unterwegs: Roderick und Scarlett sollen den Mordfall gemeinsam aufklären und ich spiele beide. Die aktive Figur kann ich dabei jederzeit wechseln und ich wähle für beide Charaktere die nächsten Stichpunkte in Unterhaltungen. So wollte ich es jedenfalls. Ich könnte einen der beiden auch automatisch zufällige Antworten geben oder loyal auftreten lassen.

Divinity: Original Sin wurde ins Deutsche übersetzt - gesprochenes Englisch wird dann von deutschen Untertiteln begleitet. Die Schrift enthält allerdings kleine Fehler und nicht jeder Text wurde bislang lokalisiert.
Und ich könnte sowohl per LAN- als auch Onlineverbindung mit einem Freund spielen.

Pragmatisch oder romantisch?

Falls sich Roderick und Scarlett jedenfalls nicht auf eine Meinung einigen, erspielen sie das Ergebnis über eine Runde Schere, Stein, Papier. Ich wähle dann für die jeweils aktuelle Figur und hoffe auf Glück – Charakterwerte bestimmen, wie viele gewonnene Runden eine Figur zum Sieg benötigt. Diplomatische Fähigkeiten wirken sich deshalb spürbar aus. Nach jedem Rededuell entwickeln sich Attribute wie Gerechtigkeit, Kühnheit oder Mitgefühl in eine positive oder negative Richtung.

In manchen Gesprächen mit den Bewohnern Rivellons ist das Minispiel ebenfalls die letzte Möglichkeit, eine wichtige Information zu erhalten. Aber ist es nicht albern, wichtige Themen durch schnibbeln zu bestimmen? Natürlich ist das unrealistisch! Es löst allerdings argumentative Konflikte, ohne stur von den  Charakterwerten abzulesen. Und es passt in die verspielte Fantasywelt.

Denn was dieses Divinity an erwachsener Fantasy, filigraner Erzählung und leider auch einem mitreißenden Soundtrack fehlt, macht es durch seine Liebe zum klassischen Pen&Paper-Rollenspiel wett – eine Art Rollenspiel, das durch viele Handlungsmöglichkeiten das verspielte Alter Ego weckt. Ein Alter Ego, das sich Kisten einfach schnappt und durch die Gegend schmeißt. Das einen Kürbis als Kopfschutz missbraucht. Und das Wasserpfützen herbei zaubert, sie durch Hitze zum Dampfen bringt, mit einem elektrisch geladenen Pfeil drauf schießt und sie so zu statischen Fallen macht. Hossa!

Alte Fantasy, moderne Physik

Ich kann kochen, muss Waffen reparieren, Ausrüstung herstellen: Das erklärte Vorbild von Swen Vincke, dem Gründer des Entwicklerstudios Larian, ist Ultima 7 und dessen spielerisch offene Welt. Angestaubt wirkt Original Sin deshalb lange nicht, denn zum einen sind die damals etablierten Werte aktueller denn je – herrlich, wie ich Wegpunkte durch Lesen des Tagebuchs aufspüren muss, anstatt einem Dauerpfeil zu folgen – und zum anderen verleiht ihm die Physik einen modernen Anstrich. Das gilt für Rätsel, in denen Feuer oder Wasser Wege öffnen.

Das gilt vor allem aber für taktische Kämpfe, in denen die Elemente mächtigen Schaden anrichten können. Mit Öl oder Gift gefüllte Fässer sind z.B. eine große Gefahrenquelle. Und falls kein Öl vorhanden ist, zaubere ich eben eine Pfütze herbei. Jeweils einen Begleiter dürfen beide Helden zudem anheuern, der sie so lange begleitet, bis er das Zeitliche segnet oder aus der Gruppe entlassen wird.

Stellungstaktik

Die Anzahl der Kämpfer ist wichtig, weil ihre Stellung zum Feind die Höhe des angerichteten Schadens beeinflusst. Flinke Attentäter können ihre Gegner sogar umlaufen, um ihnen mit Messerstichen in den Rücken zu fallen. Ganz allgemein hilft schon das Umklammern eines Gegners

Außerhalb eines Kampfes kann man schleichen: Sichtkegel zeigen an, wohin Gegner blicken.
mit mindestens zwei Figuren.

Wer wann eine Aktion ausführt, entscheidet die Schnelligkeit. Angriff, Bewegung und Zauber darf ich dann beliebig kombinieren – je mehr Aktionspunkte einem Kämpfer zur Verfügung stehen, desto mehr kann er tun. Nicht verbrauchte Punkte spart er für die nächste Runde. Der interessanteste Kniff ist aber: Das Spiel läuft für Roderick oder Scarlett in Echtzeit weiter, falls nur ihr Partner in einen Kampf gezogen wird. Unheimlich gerne lasse ich deshalb einen von beiden Gegner auf sich ziehen und umlaufe mit dem anderen das Areal. Erst wenn sie nah genug ist, wird auch die zweite Figur ins Gefecht gezogen, könnte aber auch jederzeit fliehen.

Auf dem kürzesten Weg...

Sichtlinien beeinflussen die Erreichbarkeit von Zielen, unglückliche Charaktere "fangen" schlecht gezielte Zauber ab, Anführer stärken die Moral der Truppe: Taktisch ist das Abenteuer ebenso abwechslungsreich wie fordernd und besonders durch die vielseitige Physik motivierend. Verärgert habe ich allerdings Verbündete beobachtet – keine Mitglieder meiner Gruppe – die auf dem kürzesten Weg zum Feind wie Lemminge durch ein Feuer laufen. Mit Brandherden, Wasserdampf oder giftigen Nebeln haben Gegner zudem Schwierigkeiten. Gelegentlich wollen sie die Gefahrenquellen umgehen, laufen kurz darauf aber wieder drauf zu. Meist stellen sich die Widersacher taktisch sinnvoll auf, Glanzleistungen vollbringen aber weder Freund noch Feind.

Nach einem Sieg kann man übrigens zahlreiche Ausrüstungsgegenstände und Zutaten aufsammeln. Wenn ich auf längeren Ausflügen mein Ziel schon gespannt vor Augen habe, geht mir das langwierige Auflesen, Vergleichen und Sortieren zwar auf den Senkel. Im Gegenzug freue ich mich aber über jeden bitter benötigten Gegenstand. Denn mein Abenteuer entpuppte sich nach leichtem Einstieg als ausgesprochen schwierig. Natürlich hätte ich jederzeit den Schwierigkeitsgrad senken können, aber wo kämen wir denn da hin?

Kleine Schritte

Wer seinen Helden anfangs frei der Nase nach Fähigkeiten zuweist, für den könnten frühe Gegner jedenfalls zum kaum überwindbaren Hindernis werden. Dass Roderick und Scarlett von Beginn an theoretisch die gesamte Welt bereisen dürfen, verschärft den Eindruck der eigenen Schwäche nur. Ich musste deshalb lange beißen, habe einzelne Feinde an meine Gruppe heran teleportiert und bin geflohen, sobald ich die Erfahrungspunkte für ihren Tod eingeheimst hatte. Ich musste überlegen, welche kleinen Aufgaben ich schon erledigen konnte, um auch dadurch Punkte zu sammeln und Erfahrung mit anderen Taktiken zu gewinen.

Ein zähes Spiel? Ja. Aber ein gutes! Ich bin nämlich kein Freund der glatten Spielbalance, wie sie häufig gepriesen wird. Ich will mich in ein Abenteuer hinein fuchsen, um notfalls durch eine krumme List einen Weg zu finden – anstatt zu wissen,

In den ersten Stunden kann das Abenteuer schwer sein. Wer auf der sicheren Seite sein will, wählt vorgefertige Helden gewöhnlicher Klassen oder stellt die Schwierigkeit auf Leicht.
dass es sowieso klappen wird. Es gefällt mir zwar nicht, dass es Fallen gibt, die meine Helden ohne Vorwarnung töten. Doch lieber nutze ich das Schnellspeichern, als mich ständig treiben zu lassen.

Die vielen Gegenstände haben aber noch einen ganz anderen Vorteil: Aus ihnen baue ich eigene Ausrüstung und braue Tränke oder koche Lebensmittel für Statusverbesserungen. Selbstverständlich finde ich auch starke Waffen, während ich nutzlose Ausrüstung verkaufe. Schwerter könnte ich allerdings einschmelzen, um das gewonnene Roheisen in einer Axt zu verarbeiten. Hacke ich mit dieser ein Stück Holz, erhalte ich Knüppel, die nützliche Waffen sein können. Und falls sich noch ein paar Nägel finden, um den Knüppel zu veredeln...

Handgemacht

Dieses Divinity ist richtig stark, wenn es um die Reparatur und Verbesserung sowie Herstellung eigener Ausrüstung geht. In der heutigen Zeit erinnert das altmodische Rollenspiel deshalb nicht nur an Ultima 7oder Baldur's Gate, sondern auch an moderne Überlebensspiele im Stil eines DayZ. Diese Möglichkeiten sowie die physikalischen Kämpfe verleihen ihm große spielerische Tiefe. Klingt es seltsam, dass Rivellon vor allem dank der schieren Menge an Materialien und Gegenständen lebendig wirkt? Es ist nicht das Leben in den weitläufigen Bethesda-Schauplätzen oder das hinter den tief blickenden Charakterzeichnungen bei BioWare; hier treibt mich das umfangreiche spielerische Tun zum Entdecken der faszinierenden Welt an.

Ohne Makel ist das Sammeln, Basteln, Kochen, Handeln allerdings nicht. Denn das Umherschieben in den Rucksäcken der bis zu vier Figuren ist mitunter eine Geduldsprobe. So ist es zwar schön, dass ich beliebig viele Gegenstände in Beuteln sortieren kann.

Die Position von Fenstern merkt sich das Spiel nur selten und der Handel ist umständlich.
Die Position einzelner Fenster merkt sich das Spiel jedoch nicht, weshalb ich vor vielen Griffen meine Sortierung neu herstellen muss.

Überquellen statt Quell der Freunde

Richtig umständlich ist der Verkauf, denn während des Handels kann ich Gegenstände nicht mehr von einer Person zur nächsten schieben. Auch weil ich nicht aus Beuteln heraus verkaufen darf und weil die Gegenstände anders sortiert sind als im Rucksack, muss ich mich in jedes Verkaufsfenster erst hineindenken. Und obwohl ich zwischen den Sammlungen aller Gruppenmitglieder wechseln darf, vergleicht das Spiel die Eigenschaften eines Objekts stets mit der aktiven Ausrüstung des Charakters, der das Gespräch mit dem Händler begonnen hat. Ich kann Gegenstände sogar so bearbeiten, dass ich einen besseren Preis rausschlage – doch all das mindert meine Vorfreude aufs Geldverdienen so sehr, dass ich lieber warte, bis die Rucksäcke fast überquellen.

Falls ich ihre Kraft erhöhe, kann die Figur natürlich mehr tragen. Das ist allerdings einfacher gesagt als getan. Stufenaufstiege sind in diesem Abenteuer nämlich selten. Gut so, denn so verlieren oberflächliche Belohnungen an Wert. Problemlösungen stehen im Vordergrund, das Stärkerwerden ist nur eine willkommene Nebenwirkung. Das Erhöhen der Grundwerte ist ohnehin nicht mit jedem Aufstieg möglich: Es wechselt sich mit dem Verbessern von Fertigkeiten und dem Erlernen ganz spezieller Eigenschaften ab.

Politiker oder Wissenschaftler?

Zu den Fertigkeiten zählen Schleichen, das Knacken von Schlössern, die Handhabung verschiedener Waffen sowie Magie unterschiedlicher Elemente. Die besonderen Eigenheiten umfassen neben einem besseren Schutz vor Verletzungen oder einer schnelleren Fortbewegung viele einfallsreiche Attribute wie die Heilung in Blutlachen. Die ist für Nahkämpfer ein Segen, denn bei jedem Treffer heilen sie sich umgehend mit ihrem eigenen Blut. Meinen Bogenschützen lasse ich hingegen so stinken, dass ihn nicht nur die Einwohner Rivellons meiden, sondern selbst feindliche Angreifer Abstand halten. Mir gefällt auch die Eigenschaft "Politiker": Sie verleiht zusätzliches Charisma, zieht aber Intelligenz ab.

So verfügt jede Figur nicht nur über zahlreiche Grundwerte, Fähigkeiten sowie ganz spezielle Eigenheiten. Die Merkmale aller Kategorien sind auch so angelegt, dass ich ganz bestimmte Fähigkeiten auf verschiedene Weise

Sag' ich doch!
stärken kann. Viele Merkmale sind dabei so verlockend, dass die Wahl oft zur Qual wird – im besten Sinne.

Enttäuscht bin ich jedoch von den Auswirkungen der Entscheidungen meiner Helden, denn die wirken sich weder erzählerisch noch im Sinne einer echten Charakterbildung aus. Freunde und Feinde reagieren auf einen mutigen Helden nicht anders als auf einen vorsichtigen. Ob man Übeltäter verurteilt oder verschont, tut nichts zur Sache; nur selten greift die Geschichte einige meiner Entscheidungen auf. Eine Entwicklung zur "egoistischen" Person bringt mir lediglich eine Wertsteigerung beim Handeln, "spirituelle" Helden sind immun gehen Angst.

Glaube vertreibt die Furcht

Ich habe deshalb Schwierigkeiten mit dieser Art Auswirkung, weil die Unterhaltungen dadurch an Wert verlieren. Es besteht die Gefahr, dass das Verkörpern gewünschter Charakterzüge von der Suche nach taktischen Vorteilen verdrängt wird. Damit sollten Dialoge aber nichts zu tun haben. In dieser Beziehung vermisse ich auch die Möglichkeit Charakterzüge festzulegen, die das Auftreten des wahlweise vom Spiel gesteuerten Partners bestimmten. Die Wahl zwischen zufälligen Antworten und einem loyalen Begleiter ist mir zu wenig, wenn ich mal nicht beide Helden übernehmen will.

An Brisanz gewinnen die Zwiegespräche natürlich im LAN- und Onlinespiel, denn obwohl man sich absprechen kann, weiß man ja nie, welchen Standpunkt der Partner vertreten will. Überhaupt haben sich Swen Vincke und sein Larian-Studio viele Gedanken um das gemeinsame Abenteuer gemacht. So können beide Helden weitestgehend alleine losziehen und werden auch nicht in Gespräche gezogen, die der jeweils Andere beginnt. So verpassen Gemeinsamspieler zwar manchen Streit, ihr Abenteuer fühlt sich aber auf eine gute Art angenehm offen an.

"Pass doch auf!"

Als Solist freue ich mich übrigens, dass die Helden sogar Kleinigkeiten kommentieren. Da beschwert sich Roderick etwa, wenn Scarletts Zauber ihn aus Versehen ebenfalls verletzt. Soll er gefälligst besser aufpassen oder tut ihr das Ganze furchtbar leid?

Es sind interessante Nuancen in einer Erzählung, die viele Handlungsstränge geschickt miteinander verbindet und in einem interessanten Mysterium zusammenführt. Es ist aber auch eine Erzählung, deren Geschichte allzu

Vielschichte Figuren werfen interessante Fragen auf, die Geschichte dient allerdings als herkömmlicher Wegweiser durch den vertraut wirkenden Themenpark.
vertraut wirkt: Die alte magische Macht, die Rivellon zu zerstören droht, hat das doch längst in anderen Fantasyschinken versucht. So ambivalent manche Figur auftritt, so sehr dient der Plot vor allem dem Setzen von Wegpunkten.

Rivellons Attraktionen

Und so sehr ich die vielen Anspielungen auf ältere Rollenspiele („You must gather your party before venturing forth“) sowie einige gelungene Scherze auch mag: Original Sin nimmt sich nicht ernst genug und ist nicht eigenständig genug, um mich vollends zu vereinnahmen. Es wirkt wie ein Themenpark, an dessen Attraktionen ich auch nach Dutzenden Stunden noch Spaß habe. Der mich aber nie wie packendes Epos in seinen Bann zieht.

Fazit

Divinity: Original Sin nimmt sich viel Zeit, die Facetten einer vielseitigen Fantasywelt aufzubauen. Ihr hervorstechendes Merkmal sind die physikalischen Eigenschaften der natürlichen Elemente: Mithilfe von Luft, Wasser, Feuer sowie taktischem Stellungsspiel entbrennen ebenso fordernde wie unterhaltsame Scharmützel. Aus den Waffen der Gegner schmieden die Helden neue Ausrüstung, aus Kräutern und anderen Zutaten entstehen Tränke oder Lebensmittel. So umständlich die Menüführung sein kann, so zahlreich sind die spielerischen Möglichkeiten. In der umfangreichen Charakterentwicklung spezialisieren sich Abenteurer mit einzigartigen Fähigkeiten und nach getaner Arbeit plauschen sie über Gott und die Welt oder geraten im moralischen Streit aneinander – wahlweise sogar im gemeinsamen Onlinespiel. Schade, dass sich ihre Entscheidungen im Gespräch erzählerisch kaum auswirken. Überhaupt liegt die Schwäche des Abenteuers vor allem in der Erzählung, denn der farbenfrohe Schauplatz wirkt trotz düsterer Töne und vielschichtiger Figuren wie ein Themenpark: Seine Attraktion sind die spielerischen Möglichkeiten – die allzu vertraute Geschichte dient nur als Wegweiser.

Pro

  • Feuer, Wasser, Luft usw. reagieren auf verschiedene Art miteinander
  • etliche Kombinationsmöglichkeiten beim Herstellen eigener Ausrüstung
  • viele Aufgaben auf verschiedenen Wegen lösbar
  • fordernde Rundenkämpfe mit taktischem Stellungsspiel
  • spannender Mordfall baut interessantes Mysterium auf
  • vielschichtige Figuren zwingen zu moralischen Entscheidungen
  • Helden unterhalten sich über kleine und große Ereignisse
  • umfangreiche Charakterentwicklung mit vielen sinnvollen Fähigkeiten
  • keine automatische Zielmarkierung - Informationen in Büchern
  • gemeinsames Spiel über LAN und Internet

Kontra

  • Figuren und Geschichte bedienen sich bei vielen Fantasyklischees
  • Erzählung dient vor allem dem Vermitteln von Informationen
  • Handhabung der Ausrüstung ist oft umständlich
  • Entscheidungen in Dialogen wirken sich kaum erzählerisch aus
  • vom Spiel gesteuerter Partner gibt nur loyale oder zufällige Antworten

Wertung

PC

Erzählerisch herkömmliches, spielerisch offenes Rollenspiel mit aufwändiger Physik.