Tearaway - Test, Plattformer, PS_Vita
Media Molecule muss versessen aufs Basteln sein. Auf alles, das mit Schere, Kleber und Ideen geformt wird. Schon mit LittleBigPlanet erschuf das Studio Materialien, deren Oberflächen der Wirklichkeit verblüffend nahe kamen: Stoffe und Holz konnte man beinahe greifen. Und in Tearaway ist es das Papier. Nicht das weiche Weiß eines normalen DIN-A4-Ausdrucks, sondern die dicken Flächen bunter Bastelbögen. Clever: Weil die Objekte mit wenigen Animationsphasen in Bewegung gebracht werden, sieht Tearaway aus wie ein Stop-Motion-Film. Das verstärkt den Eindruck des plastischen Selbstgebauten.
Auf dem Weg zum Du
Ich bin übrigens ein Umschlag, ein Briefumschlag. Und ich soll... ach, nein... ich selbst bin nicht der Umschlag, ich bin das Gesicht in der Sonne, das die Kamera der Vita mitten ins Spiel projiziert. Ein "Du", wie mich die Wesen der Papierwelt nennen. Und der Briefumschlag – Atoi oder Iota für einen männlichen oder weiblichen Helden – soll mir eine geheimnisvolle Botschaft überbringen. Also helfe ich dem Botschafter und bewege ihn oder sie durch ein geradliniges Action-Abenteuer auf dem Weg zur Sonne.
Meine Atoi läuft, springt und kugelt sich also durch die famose Papierkulisse. Dabei sammelt sie Konfetti, findet in versteckten Kisten noch mehr davon und bekämpft kleine fiese Pappkartons, die ihr in den Weg kommen. Das passiert in den ersten Stunden leider
Schieben, ziehen, drücken...
Der Kampf ist nicht die Stärke des Spiels, gefällt mir aber besser als das Klettern in LittleBigPlanet. Das Glanzlicht allerdings sind die vielen Arten, mit denen ich ins Spiel buchstäblich eingreife. Konfettikisten öffne ich etwa, indem ich das Geschenkband auf dem Touchscreen abziehe. Auf ähnliche Weise rolle ich Klebebänder auf, über die Atoi sogar an Wänden läuft. Tippe ich auf die Rückseite der Vita, wird die Heldin von Sprungfeldern in die Höhe geworfen und halte ich bis zu vier Finger fest unter die Touchoberfläche, brechen sie vorne ins Bild durch. So werfe ich Gegner um oder bewege Gegenstände. U.a. schiebe ich Brücken dorthin, wo Atoi einen Graben überwinden muss.
So etwas geht natürlich nur an vorgesehenen Stellen – trotzdem macht mich Tearaway auf eine Weise zum aktiven Teil des Abenteuers, wie ich es auch auf Nintendos Handhelds noch nicht erlebt habe. Es sind Kleinigkeiten wie das Herunterdrücken vieler nicht fest auf den Boden geklebter Papierstücke, wenn ich dort auf den Bildschirm tippe. Sogar in den Menüs drehe und schiebe ich so selbstverständlich auf dem Touchscreen, dass sich der Handheld im besten Sinne wie ein reales Werkzeug anfühlt. Als erstes Spiel zeigt es in
Und es hört nicht bei den kleinen Rätseln und kniffligen Geschicklichkeitstests auf, denn ich darf auch basteln, muss sogar. Schließlich öffnen sich manche Türen erst, wenn ich einem König eine Krone ausgeschnitten oder ein Schwein mit Aufklebern verziert habe. Auch Atoi darf ich neue Augen verpassen, die Nase auf den Rücken pappen, ein Röckchen an den Rucksack heften und was mir sonst noch einfällt. Tearaway lädt mich zum albern ein – weil es geht und weil es Laune macht.
Weil es geht!
Ich klebe ja nicht nur, ich greife auch selbst zur Schere. Auf ein kleines Reißbrett ziehe ich dafür Papier einer beliebigen Farbe, schneide eine Form zurecht, schiebe die Reste zur Seite, fertig. Jetzt könnte ich andere Farben nehmen, um den Grundriss mir Accessoires zu veredeln... Die Anzahl der Schnitte sowie die überschaubaren Papiere schränken die Kreativität zwar ein und das genaue Markieren einer Schnittlinie ist mit der relativ dicken Fingerkuppe oft ein Glücksspiel. Aber klebt die Kreation erst einmal in der Spielwelt, wiegt sie die Mühe meist auf.
Mitunter muss ich zum Vorankommen außerdem Schnappschüsse von mir, von der Umgebung oder von Atoi schießen, wofür ich etliche Linsen und Filter kaufen darf.
Nur für den Augenblick
Einen kleinen Haken hat das Kreativsein aber: Ich darf nur an dafür vorgesehenen Punkten zu Schere und Kleber greifen. Atoi kann ich zwar bekleben, wie und wann ich will. Alle anderen Basteleien sind jedoch vorgegebene Aufgaben, ohne die es zunächst kein Weiterkommen gibt. Einen anderen Zweck erfüllen meine Werke nicht und irgendwann habe ich deshalb die Lust daran verloren, schon wieder irgendeinen Kürbis oder ein Herz auszuschneiden.
Fazit
Könnte ich mit diesem kreativen Schneiden, Ziehen, Zeichnen, Drehen, Kleben doch nur mehr anstellen als es in einem Foto festzuhalten! Tearaway hätte nach LittleBigPlanet der nächste Geniestreich von Media Molecule sein können. Es ist ja auch so ein famoses Abenteuer: Aus unsauber aneinander gesteckten Papierschnitten entstehen wunderschöne plastische Schauplätze, die ich auf einzigartige Art und Weise unmittelbar beeinflusse. Ob ich versteckte Höhlen aufrolle, meinem Finger von hinten durchs Bild stecke oder klopfend und schiebend gefährliche Augenblicke überstehe – ich kann diese faszinierende Papierbühne immer irgendwo anfassen und verändern. Und wo sonst darf ich mit Eichhörnchen Volleyball spielen? Ja, mitunter passiert lange nichts, in den Kämpfen gegen Pappkartons kann mir nichts passieren und das Basteln erfüllt meist nur einen kurzen Selbstzweck. Das macht Tearaway allerdings mit so viel Witz und Einfallsreichtum wett, dass ich sowohl als Zuschauer als auch als Spieler immer wieder mit mächtig breiten Mundwinkeln in diese Welt hinein grinse.
Pro
- alles sieht aus, bewegt sich und klingt wie Papier
- sinnvolles Einbinden der Touchoberflächen
- Ausschneiden und Bekleben eigener Bastelstücke
- etliche Kamerafilter, -linsen und Verzierungen
- zahlreiche versteckte Geheimnisse
- Sammeln und Herunterladen von Papiermodellen
Kontra
- Basteln um Zugänge zu öffnen verliert schnell an Reiz
- häufiger Leerlauf ohne fordernde Aufgaben
- gelegentliche „Zeitlupen“ statt flüssigem Ablauf