Ryse: Son of Rome - Test, Action-Adventure, PC, XboxOne

Ryse: Son of Rome
21.11.2013, Michael Krosta

Test: Ryse: Son of Rome

Ursprünglich als reiner Kinect-Titel für die Xbox 360 angekündigt, krempelte Crytek das Konzept von Ryse: Son of Rome (ab 13,49€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) im Laufe der Jahre gehörig um: Aus dem potenziellen Gefuchtel in Egosicht wurde nicht nur ein Controller-Gemetzel mit cineastischer Inszenierung. Auch die Xbox One wurde als neue Plattform auserkoren, um gleich zum Start die technischen Möglichkeiten zu demonstrieren. Was steckt unter der auf Hochglanz polierten Oberfläche?

Crytek kann Technik! Aber das ist nichts Neues, zeigte das Frankfurter Studio doch schon mit Far Cry, Crysis & Co, welche Leistung man mit der entsprechenden Technologie aus Grafikchips herauskitzeln kann. Mit Ryse öffnen die Mannen um Cevat Yerli, der hier sogar in die Rolle des Game Directors schlüpft, das nächste Kapitel für die hauseigene CryEngine 3: Wenn man mit dem römischen Zenturio Marius Titus durch die dichten Wälder Britanniens streift, die ehrwürdigen Mauern der Stadt York vor heranstürmenden Barbaren verteidigt oder den Glanz Roms erlebt, hält man gerne einen Moment inne, um die Pracht auf dem Bildschirm zu genießen. Viele Texturen, allen voran von diversen Felsformationen, sind knackscharf und lassen sogar feinste Strukturen erkennen. Atmosphärische Licht- und Partikeleffekte sind eine Augenweide und vor allem in den Zwischensequenzen kommen die fantastisch modellierten Figuren zur Geltung, deren Gestik und Mimik meist großartig eingefangen wird. Selbst beim Betrachten der Rüstung des Protagonisten stellt sich schon ein gewisser Wow-Faktor ein: Einen so detaillierten Zenturio sieht man sonst höchstens in einem Museum. Auch hier hauen einen die kleinen Feinheiten in den Strukturen und das glänzende Zusammenspiel mit Lichtreflektionen vom Hocker. Bei diesem Anblick sind die Diskussionen über die verringerte Auflösung schnell vergessen: Auch wenn kein natives FullHD geboten wird, leistet der Skalierer hervorragende Arbeit. Das Bild ist gestochen scharf, die Qualität vieler Texturen ein Genuss und die Komposition der Schauplätze überwiegend fantastisch, auch wenn die Darstellung in vereinzelten Situationen von kleinen Rucklern heimgesucht wird und viele Animationen zu abgehakt wirken. In manchen Situation scheint es sogar so zu sein, dass die Figuren plötzlich von einer Stelle zur anderen „gebeamt“ werden. Trotzdem: Was die Entwickler hier technisch auffahren, kann sich sehen lassen und gibt schon einen schönen Vorgeschmack auf das, was die Xbox One zu leisten imstande ist. Honos reddaturus dignis.

Was für eine Pracht!

Die Barbaren stehen vor den Toren Yorks.
Ja, Crytek kann Technik. Aber was das Studio nicht kann, ist Spieldesign – zumindest, wenn man sich abseits der vertrauten Shooter-Pfade bewegt. Und diesen Schuh muss sich im Fall von Ryse besonders Studioleiter und Mitbegründer Cevat Yerli anziehen, der als Regisseur auch für das Konzept der Sandalen-Action verantwortlich zeichnet. Das geht schon beim Kampfsystem los, dem es nicht nur an Komplexität, sondern auch an Dynamik fehlt: Zwei Tasten stehen für Angriffe zur Verfügung. Hält man sie länger gedrückt, fallen die Attacken entsprechend stärker aus. Eine weitere ist für das Blocken mit dem Schild reserviert, wobei ein perfektes Timing Chancen für einen Konter eröffnet. Alternativ weicht man auf Tastendruck mit einer Rolle aus. Ein Kombosystem sucht man vergeblich – stattdessen bleibt man von Anfang bis zum Ende der kurzen, etwa sechsstündigen Kampagne auf das lächerlich kleine Schlagrepertoire beschränkt. Positiv ist die Möglichkeit, jederzeit zwischen den Belohnungen für erfolgreiche Tötungen über das Digipad umschalten zu können, wobei hier Gesundheit, das Auffüllen der Fokus-Anzeige, mehr Erfahrungspunkte für Rangaufstiege und den Zugriff auf Verbesserungen sowie stärkere Angriffe zur Auswahl stehen.

Grausiges Spieldesign

An den brutalen Hinrichtungen in Zeitlupe hat man sich schnell satt gesehen.
Aber warum sollte man auch mehr Variationen bieten? Immerhin sind die Angriffsmuster der Gegner so simpel gestrickt, dass man nicht mehr braucht. Oft metzelt man sich mit wildem Knopfgehämmer durch und auch die Barbaren mit Schilden sind schnell geknackt, wenn man mit einem schweren Angriff ihre Deckung öffnet. Erst später mischt ein weiterer Typ mit, bei dem mehrere gut getimte Blocks nötig sind, um die Serie an Schlägen abzuwehren. Aber auch hier ist das Muster genauso schnell durchschaut wie bei den wenigen unspektakulären Bosskämpfen. Und zur Not lässt sich bei voller Fokus-Anzeige ja noch die Zeitlupe aktivieren, mit der die Kämpfe endgültig zum Kinderspiel werden. Doch es geht noch anspruchsloser: Wie schon bei der ersten Demonstration auf der E3 negativ aufgefallen ist, spielt es auch in der finalen Version bei Hinrichtungen keine Rolle, ob man die Reaktionstests meistert oder nicht. Selbst wenn man die Folge von Knopfdrücken komplett verweigert, werden die brutalen Tötungssequenzen erfolgreich beendet. Mal ganz abgesehen davon, dass sich die Szenen trotz der optionalen Freischaltung neuer Variationen ständig wiederholen, ist diese Mechanik einfach nur lächerlich und wird nur noch von den grausigen Geschützsequenzen und dem völlig überflüssigen Befehlssystem unterboten. Ryse ist von Anfang bis Ende primitive, dumme und flache Action mit einem furchtbar monotonen Spielablauf, von dem man nach einer halben Stunde schon genug hat. Tatsächlich hat man in dieser Zeit auch schon fast alles gesehen, denn egal ob die spaßfreien Kämpfe mit Schwert oder Speer (inkl. automatischer Zielerfassung), dem spannungsfreien Vormarsch im Schildpanzerverband oder das Verteidigen von Stellungen: Fast alles, was man im ersten der acht Kapitel zu sehen bekommt, wird später einfach immer und immer wieder aufgegriffen und erneut durchgenudelt. An Redundanz und Langeweile ist Ryse kaum zu überbieten.

Die Hauptfiguren sind exzellent modelliert und überzeugen durch eine lebensechte Gestik und Mimik.
Die Gestaltung der barbarischen und römischen Gegner trägt ihren Teil zum Dauergähnen bei: Meine Güte, sind denn hier nur Inzest-Opfer unterwegs? Immer wieder trifft man auf die gleichen Fratzen in ihren Einheitsklamotten, die teilweise sogar als Zwillings- oder gar Drillingspaar gemeinsam auftreten – egal ob in den Straßen Roms, in York oder den dunklen Wäldern Britanniens. Ständig werde ich von „alten Bekannten“ eingekreist und attackiert. Es ist erschreckend und gleichzeitig peinlich, wie wenig Wert man bei Crytek auf Variationen beim Gegnerdesign gelegt hat.

Barbaren aus der Klonfarbrik

Ein glücklicheres Los haben die Hauptcharaktere gezogen, die sehr viel aufwändiger und individueller gestaltet wurden. Dabei bedient sich Crytek zwar an historischen Figuren wie Kaiser Nero, Commodus, Barbaren-König Oswald oder der rebellischen Boudica, wirft dabei aber sämtliche Fakten über Bord und mischt sie passend zur fiktiven Handlung nach eigenen Vorstellungen zusammen, die Historikern angesichts dieser „kreativen Freiheiten“ vermutlich einen Brechreiz bescheren dürften. Eigentlich egal, denn die Story zählt genauso wenig zu den Stärken wie das Spieldesign und strotzt nur so voller Klischees rund um Verrat und Rache. Ihren Tiefpunkt erreicht sie allerdings durch das Einstreuen von göttlichen Charakteren, die in die Handlung eingreifen und ihr dadurch einen übernatürlichen Touch verpassen, der hier völlig deplatziert wirkt. Dazu gesellen sich teilweise unterirdische Dialoge, die nicht nur schlecht abgemischt wurden, sondern den Situationen sogar eine gewisse Slapstick-Komik verleiht – und das in einem Spiel, das sich selbst an allen Ecken und Enden viel zu ernst nimmt und sich gerade dadurch lächerlich macht.    

Meist ist man von Gegnern umringt - Hilfe von seinen Kameraden darf man nicht erwarten.
Bei den Mitstreitern, die ab und zu an der Seite von Marius kämpfen, sieht es nicht viel besser aus. Wobei sich auch ihre Unterstützung in Grenzen hält: Meist stehen die römischen Unterstützungseinheiten nur dumm in der Gegend herum und sehen mir dabei zu, wie ich mich mit vier oder mehr Barbaren alleine herumschlagen muss. Bei der Erstürmung von York sind sie sogar zu blöd, selbst mal auf die Idee zu kommen, die Leitern umzustoßen, mit denen die Wilden die Mauern erklimmen. Nein, ich muss mich hier um alles selbst kümmern – es sei denn, es wird ein Skript ausgelöst. Ganz schlimm war eine Mission, in der ich römische Gefangene aus den Käfigen der Barbaren befreien musste, bevor diese abgefackelt werden. Ein Schwerthieb reichte im ersten Lager noch aus, um die Tür zu öffnen. Aber das diente offenbar nur zu Demonstrationszwecken, denn in den darauf folgenden Camps musste ich erst Wellen von Fackelläufern und Standard-Bastarden ausschalten, bevor meine Schläge auf die Käfigtüren von Erfolg gekrönt waren. Auch hier standen meine zuvor befreiten Landsleute übrigens genauso passiv in der Gegend herum wie in den Kämpfen. In solchen Situationen würde ich angesichts des unterirdischen Missionsdesigns und dieser traurigen Situationskomik am liebsten sofort laut schreien.

Dumm und dümmer

Die kooperativen Arena-Kämpfe sind ein kleiner Lichtblick im drögen Römer-Alltag.
Ein trauriger Trend, den auch Crytek aufgreift: Mikrotransaktionen, der Fluch der heutigen Spielewelt, der mit dem Start der neuen Konsolengeneration anscheinend neue Höhen erreicht. Wer keine Ehre mehr hat, greift eben zum Portemonnaie, um z.B. seine Gesundheits- oder Fokus-Anzeige aufzupeppen. Kann man zweideutig verstehen, ich weiß. Denn zum einen handelt es sich bei der Ehre um die Ingame-Währung, mit der man Zeug freischaltet. Und zum anderen kann ich nur an alle Spieler und deren Ehre appellieren, diesen Mist nicht mitzumachen und Entwicklern damit zu zeigen, wie gerne wir uns von ihnen über den Tisch ziehen lassen. Es ist schon schlimm genug, dass man im kooperativen Mehrspielermodus reales Geld in Klamotten und Ausrüstung pumpen kann. Pecunia non olet. Aber mittlerweile werden auch immer mehr Kampagnen von dieser Pest infiziert – so wie hier. Allerdings kann man Crytek und Microsoft (noch) zugute halten, dass man im Rahmen von Marius' Rachefeldzug nicht zwingend auf die Investitionen in Mikrotransaktionen angewiesen ist und sich alle Verbesserungen auch mit Ehre freischalten lassen – es braucht halt nur etwas mehr Zeit. Trotzdem: Dieser Weg, den die Entwickler hier einschlagen, ist Besorgnis erregend und lässt mich skeptisch in die Spielezukunft blicken. Immerhin machen die gemeinsamen Arena-Kämpfe im Duett mit wechselnden Aufgaben und einem Kolosseum mit Holodeck-Anleihen mehr Spaß als die verkorkste Solo-Tour, auch wenn die Spielmechanik hier genauso flach ausfällt. Trotzdem ist der Mehrspieler-Ansatz nicht mehr als ein netter Bonus, der die große Enttäuschung über Cryteks Start-Titel nur minimal lindern kann.

Gold statt Ehre

Fazit

Alea iacta est: Ryse: Son of Rome ist das perfekte Beispiel dafür, was man als Grafikblender bezeichnet. Betrachtet man einzig die abwechslungsreichen Kulissen und blendet dabei die leichten Probleme der Bildrate aus, ist Cryteks Start-Titel mit seinen knackscharfen Texturen, den wunderschön gestalteten Schauplätzen und der famosen Beleuchtung eine Wucht, die einen imposanten Vorgeschmack auf das liefert, was wir grafisch von der neuen Konsolengeneration erwarten können. Es ist eine Tech-Demo, wie man sie sich nur wünschen kann – reduzierte Auflösung hin oder her. Aber Grafik allein ist nicht alles, auch das dazugehörige Spiel muss überzeugen! Und hier versagt Crytek mit ihrem Chef Cevat Yerli als Game Director: Dem Kampfsystem mangelt es an Tiefe und Dynamik, die Klon-Gegner mit ihren beschränkten Angriffsmustern sind mindestens so peinlich wie die passiven KI-Dummbrote. Der redundante Spielablauf ist zudem so unfassbar öde, dass man schnell die Lust am Gemetzel mit seinen inflationären und anspruchslosen Hinrichtungen sowie grausigen Geschützsequenzen verliert. Von der klischeebehafteten Geschichte mit unfreiwilliger Situationskomik und der verabscheuungswürdigen Einbindung von Mikrotransaktionen will ich erst gar nicht anfangen. Einzig die kooperativen Gladiatorenkämpfe im Holodeck-Kolosseum sind einen kleinen Abstecher ins virtuelle Rom wert, verlieren aber ebenfalls schnell an Reiz. Leben oder Tod? Ich senke meinen Daumen!

Pro

  • stellenweise fantastische & abwechslungsreiche Pracht-Kulissen
  • großartig modellierte Gesichter / Figuren
  • vier Belohnungsarten im Kampfsystem
  • unterhaltsamer Koop-Modus

Kontra

  • ödes Kampfsystem ohne Dynamik und Kombos
  • furchtbar redundantes Spieldesign
  • vereinzelte Ruckler / Slowdowns
  • mitunter abgehakte Animationen
  • Widersacher aus der Klonfabrik
  • inflationäre & repetitive Hinrichtungen in Zeitlupe
  • ätzende Mikrotransaktionen für Kampagne & Mehrspieler
  • überflüssiges Befehlssystem
  • Mitstreiter-KI agiert viel zu passiv bzw. dumm
  • kaum vorhandene Variationen bei Angriffsmustern
  • lächerliche Götter-Einbindung in Klischee-Geschichte
  • kurze Kampagne (kann auch als Pro-Punkt aufgefasst werden)
  • dämliche Geschützsequenzen
  • z.T. starke Lautstärkeschwankungen bei Dialogen
  • sinnlose Sammelaufgaben (Sehenswürdigkeiten, Schriftrollen etc.)
  • kein Versagen bei Hinrichtungen möglich

Wertung

XboxOne

Grafik hui, Spieldesign pfui: Ryse ist eine beeindruckende Tech-Demo, doch die famosen Kulissen können das erschreckend öde und spielerisch flache Gemetzel nicht retten.