WRC 4 - FIA World Rally Championship - Test, Rennspiel, 360, PC, PS_Vita, PlayStation3
Legacy-Editionen – so nennt Electronic Arts neuerdings seine Versionen von FIFA und dem Fußballmanager, bei denen man lediglich die Trikots auf den aktuellen Stand gebracht und sonst keine Veränderungen am Spiel vorgenommen hat. Milestone ist auf dem besten Wege, bald auch seiner WRC-Reihe diesen Stempel aufdrücken zu dürfen. Warum? Weil ein Großteil der 78 Etappen innerhalb der 13 Rallyes bereits aus dem Vorgänger bekannt ist – und schon dort betrieben die Italiener im großen Stil Copy & Paste von WRC 2. Das könnte man verzeihen, würde man hier Originalstrecken im Stil der Formel Eins oder lizenzierte Pisten möglichst originalgetreu umsetzen wollen. Doch dem ist nicht so: All die Kurse, von den Schnee bedeckten Straßen Schwedens über die staubigen Schotterpisten Mexikos bis hin zu den asphaltierten Serpentinen durch die Mosel-Weinberge der Rallye Deutschland, stammen aus dem Baukasten von Milestone und basieren lediglich auf den realen Kursen, sind aber letztlich nur Fantasiestrecken. Wäre es da zu viel verlangt, für die jährlichen Fortsetzungen wenigstens neue Etappen zu designen anstatt sie immer wieder zu recyceln? Immerhin: Zwei Rallyes wurden runderneuert, aber das ist zu wenig, zumal auch sämtliche Super Special Stages gestrichen wurden, in denen bei WRC 3 sich noch zwei Spieler packende Duelle in den Arenen lieferten! Hinzu kommt, dass die Gesamtanzahl der meist viel zu kurzen Läufe weiter überschaubar bleibt, da selbst innerhalb der Rallyes immer noch fleißig Wiederverwertung betrieben wird – sei es durch identische Teilabschnitte innerhalb der Etappen oder Kunstgriffe, indem man die Rückwärts-Variationen als neue Pisten anpreist. Um diese Tatsache weiter zu verschleiern, übernehmen die Entwickler zwar die Bezeichnungen für die Etappen aus dem Vorjahr, weisen ihnen aber einfach andere Streckenabschnitte zu, damit das Recycling nicht auf den ersten Blick ins Auge fällt – was für eine Verarsche!
Legacy-WRC
Uns war es nicht möglich, die PC-Verkaufsfassung von WRC 4 zu testen, da sich unser PC jedes Mal beim Start oder kurz danach aufgehängt und / oder mit einem Bluescreen verabschiedet hat. Wir vermuten einen Zusammenhang mit dem verwendeten Kopierschutz-Treiber von Solidshield, da die Instabilität unseres Systems erst nach der Installation von WRC 4 und dem anschließenden Neustart auftrat. Nach der Deinstallation des Spiels funktionierte unser Test-Rechner wieder ohne Probleme! Auch unser zweiter Versuch war nicht von Erfolg gekrönt: Kaum war WRC 4 inklusive Kopierschutz wieder auf der Festplatte, kam es erneut zu Abstürzen von Windows. Erst mit der Steam-Version, bei der auf diesen Kopierschutz verzichtet wird, konnten wir problemlos unsere Testfahrten durchführen.Auch die Technik bleibt in diesem Jahr ein Sorgenkind, denn obwohl die Entwickler ihre hauseigene Engine weiter modernisiert haben, fährt man der Konkurrenz wie Codemasters, Polyphony oder Turn 10 immer noch meilenweit hinterher, was Kulisse und Wagendetails angeht. Hätte der erste WRC-Titel unter der Regie von Milestone im Jahr 2010 so ausgesehen, wäre man noch halbwegs konkurrenzfähig gewesen, denn mittlerweile sehen die frisch texturierten Landschaften gar nicht mehr so hoffnungslos veraltet aus und vor allem hinsichtlich der Beleuchtung sind die grafischen Fortschritte in diesem Jahr erkennbar. Trotzdem darf man sich Grafikfehler wie Blitzer an den Texturrändern, Flackerschatten und eine grauenhafte Wasserdarstellung wie hier nicht mehr erlauben – vor allem, wenn man auf den Konsolen trotz fehlender KI-Fahrzeuge wieder nur maximal 30 Bilder pro Sekunde aus der Hardware herausholen kann. Und das nicht einmal konstant: Vor allem auf der 360 wandert die Bildrate an manchen Stellen sehr deutlich in den Keller. Fährt man in der Cockpitansicht durch Wasserpfützen, wird man nicht nur Zeuge eines hässlichen und fehlerhaften Scheibenwischer-Effekts, sondern erlebt auch, wie sich das Renngeschehen auf der Microsoft-Konsole in eine Diashow verwandelt. Schon aus diesem Grund sollte man hier die Motorhauben- oder Stoßstangenkamera bevorzugen, falls man möglichst ohne nervige Slowdowns die Etappen überstehen will.
Neue Engine fürs Altersheim
Auf der PS3 läuft das Spiel wesentlich runder, auch wenn die Darstellung auch hier nicht immer flüssig bleibt. Bei der 360 sind selbst die Menüs schon eine Zumutung für die Augen, denn egal ob ein Besuch im Service-Point, dem Motorhome oder den lahmen Siegerehrungen, bei denen lediglich die drei schnellsten Autos ohne ihre Piloten auf das Podest dürfen: Es ruckelt und zuckelt an allen Ecken und Enden. Um auf der PS3 genau dieses Problem zu vermeiden, hat man dort auf die vertikale Synchronisation verzichtet. Das führt zwar zu hässlichem Tearing, doch dafür bleibt die Navigation angenehm flüssig. Mit schärferen Texturen, besserer Kantenglättung und einer höheren sowie konstanteren Bildrate liegt der PC technisch ganz klar in Führung – einzig der aggressive Kopierschutz der Disk-Version bereitet unter Umständen Probleme (siehe Extrakasten).
Anspruchsvoller als Dirt, aber keine Simulation
Schadensmodell ohne gravierende Auswirkungen?
Im Service-Bereich kümmert man sich nicht nur in der begrenzten Zeit um die Reparatur der Schäden, sondern schraubt auch am Setup des Boliden, das u.a. Einstellungen am Getriebe, dem Fahrwerk und der Lenkung erlaubt. Gab es im Vorgänger noch Setup-Vorschläge für jede Etappe, muss man hier selbst rumtüfteln und darf – je nach gewähltem Umfang der Rallye – erst nach zwei absolvierten Läufen wieder etwas am Auto verändern. Trotzdem werden auch hier Simulationsfetischisten die Nase rümpfen: Der Umfang an Einstellungen ist überschaubar und die Abstufungen wirken zu grob. Wer sich ein Schrauben bis ins kleinste Detail erhofft, ist hier falsch.
Neue Karriere
Bei der Karriere hat man im Vergleich zum letzten Jahr einen anderen Ansatz gewählt: Hier schlüpft man in den Renn-Overall eines Nachwuchsfahrers, den man sich zuvor erstellt hat. Einen echten Editor darf man allerdings nicht erwarten, denn anstatt sich selbst ein Alter ego zu basteln, muss man hier mit vorgefertigten Fotos (aller Wahrscheinlichkeit nach von Milestone-Mitarbeitern) Vorlieb nehmen und darf lediglich die Namen der ausschließlich männlichen Piloten und Co-Piloten sowie deren Nationalität festlegen. Ist man in den ersten Rennen nur als Aushilfsfahrer unterwegs, darf man nach erfolgreichen Auftritten auf eine Festanstellung hoffen und bahnt sich mit zunehmendem Ruf seinen Weg vom Junior in die Königsklasse der WRC. Hinsichtlich der Aufmachung hat man sich offensichtlich von Codemasters inspirieren lassen: Angefangen vom Motorhome als visualisiertes „Menü-Hub“ über ein Mail-System und Zeitungsausschnitte erinnert viel an Dirt, Formel Eins & Co. Die nervige Suche nach Sponsoren sowie Minispiele im Stil von „Gate Crasher“ wurden aber mittlerweile über Bord geworfen, so dass der Ansatz der Karriere hier realistischer wirkt als im letzten Jahr und sich dabei auf das Wesentliche konzentriert. Gut so, auch wenn man damit nur eine weitere 08/15-Karriere abliefert, wie man sie gefühlt schon mindestens 1000 Mal erlebt hat!
Splitscreen? Nö!
Enttäuschend auch, dass es Milestone immer noch nicht geschafft hat, eine LAN-Unterstützung oder – viel wichtiger - Duelle am geteilten Bildschirm anzubieten. Stattdessen darf man für lokale Auseinandersetzungen wieder nur auf den Hotseat-Ansatz zurückgreifen, der im Zusammenhang mit dem Rallye-Sport aber durchaus Sinn ergibt: Hier nehmen bis zu vier Spieler abwechselnd den Controller in die Hand fahren die Etappen brav nacheinander, wobei auf Wunsch auch die Geisterwagen der Kontrahenten angezeigt werden. Warum man die Anzahl auf vier Teilnehmer beschränkt, bleibt mir allerdings ein Rätsel.
Fazit
So langsam ist das Maß voll, ihr Recycling-Spezialisten von Milestone! Es ist zwar schön, dass man technisch mit der überholten Grafikengine langsam in Regionen vorstößt, wo man eigentlich schon beim Erstling 2010 hätte sein müssen – auch wenn die 360-Fassung immer noch stiefmütterlich behandelt wird und am stärksten von den Einbrüchen der Bildrate betroffen ist. Aber diese schamlose Wiederverwertung von Strecken ist zusammen mit der offensichtlichen Verschleierungstaktik (Stichwort: Namenstausch) kaum noch zu ertragen! Im Prinzip bringt man hier WRC 2 zum dritten Mal auf den Markt. Sollte das Recycling im nächsten Jahr so weitergehen, werden wir WRC unseren eigenen Legacy-Stempel aufdrücken und entsprechend weiter abstrafen. Bereits hier hat sich die Wiederverwertung negativ auf die Wertung ausgewirkt. Bedauerlich, denn mit frischen Pisten und einem Hauch mehr Anspruch wäre WRC 4 de facto ein gelungenes Rallye-Spiel. Trotzdem wäre es vielleicht einfach besser, die WRC-Lizenz in die Hände von neuen Entwicklern zu legen, die mit etwas mehr Enthusiasmus an die Sache heran gehen!
Pro
- offizielle Teams und Fahrer (inkl. niedrigere WRC-Klassen)
- gelungene Fahrphysik...
- neuer Karriere-Modus
- anspruchsvolles Streckendesign...
- volles Schadensmodel (inkl. Reparaturen)
- diverse Setup-Optionen
- Fahrhilfen & KI-Niveau einstellbar
- (optionale) Rückspulfunktion
- Timing der Beifahrer-Ansagen lässt sich einstellen...
- verbesserte Motorenklänge...
- aufgepeppte Präsentation
- halbwegs gelungene Lenkrad-Unterstützung (PC, PS3)
- eigene Meisterschaften möglich (online & offline)
- spaßige Mehrspieler-Rennen (online)
Kontra
- mitunter starke Einbrüche der Bildrate (vor allem im Cockpit & Replays)
- ...aber kein Simulationsanspruch
- kein dynamisches Wettersystem
- ...aber die meisten Pisten wurden erneut aus den Vorgängern recycelt
- neue Engine technisch schon wieder veraltet
- keine Fahrschule / spielbares Tutorial
- Schäden nicht immer nachvollziehbar
- kein dynamisches Wettersystem
- ...trotzdem passen sie oft nicht
- ...die aber immer noch etwas zu künstlich klingen
- Etappen sind in der Regel relativ kurz
- keine Setup-Vorschläge mehr
- viele Abschnitte wiederholen sich innerhalb der Rallyes
- enttäuschendes Force Feedback (Fanatec CSR, 360)
- kein echter Fahrer-Editor
- Wiederholungen lassen sich nicht speichern
- unvollständiger Fotomodus (Xbox 360, PC)
- lange Ladezeiten (Konsolen)
- keine klassischen Rallye-Boliden mehr
- redundante „Pseudo-Interviews“ als Ladebildschirm
- keine Super Special Stages mehr
- kein Splitscreen-Modus
- keine LAN-Unterstützung
- kein automatischer Host-Wechsel (online)