Drive on Moscow - Test, Taktik & Strategie, iPad, iPhone

Drive on Moscow
03.12.2013, Jörg Luibl

Test: Drive on Moscow

Rundentaktik kann so edel, so clever sein. Zum Beispiel, wenn man das Beste aus der Welt der Brettspiele mit den Möglichkeiten moderner Touchscreens verbindet. Diese Symbiose hat sich das Shenandoah Studio auf die Fahne geschrieben. Und die Amerikaner entwickeln sich zu einer Edelschmiede für Wargamer. Mit "Battle of the Bulge" konnten sie bereits in der Premiere begeistern. Und auch "Drive on Moscow" sollte sich kein Fingerfeldherr entgehen lassen.

Wer von euch kennt Ted Raicer? Immerhin trägt dieses iPad-Spiel den Titel „Ted Raicer’s Drive on Moscow“. Falls ihr reine Videospieler seid, dürfte euch der Name nichts sagen. Falls ihr aber auch Wargamer seid, müsste wie aus der Pistole ein „Paths of Glory“ geschossen kommen. Dieses Spiel aus dem Jahr 1999 thematisiert den Ersten Weltkrieg und gilt bis heute als eines der besten militärtaktischen Brettspiele für zwei Personen – vor allem der innovative Einsatz von Karten konnte das gewöhnliche Prinzip der Truppenverschiebung bereichern. 

Vom Ersten zum Zweiten Weltkrieg

Ted Raicer hat seine Expertise in das Design für dieses Spiel einfließen lassen; übrigens gehört auch Bruce Shelley (ehemals Ensemble Studios) mittlerweile zu den Beratern des Shenandoah Studio . Dabei handelt es sich bei Drive on Moscow nicht um eine Umsetzung des Klassikers Paths of Glory, sondern um ein komplett neues Spiel im Zweiten Weltkrieg. Es steht in der rundentaktischen Tradition von Battle of the Bulge (Wertung: 88%), das wir letztes Jahr bereits ausgezeichnet haben. Diesmal geht es nicht in die Ardennen, sondern in den verschneiten Osten bis Moskau. Dort wartet Väterchen Frost mit bösen Überraschungen.

Auf der zoombaren Karte erkennt man seine Truppen aus der Vogelperspektive. Ein Klick in eine Region und man kann sie bewegen. Übrigens: Die Grenzverschiebung wirkt sich auf den Nachschub aus - man braucht zusammenhängende Gebiete.
Es ist mal wieder vorbildlich, wie viel Hintergrundmaterial die Entwickler zusammengetragen haben. Wer sich über die Vorgeschichte sowie den Verlauf der „Operation Barbarossa“ informieren will, findet dazu reichlich Gelegenheit – allerdings nur auf Englisch. Wer ohne Lektüre im Herbst 1941 loslegen will, lässt das gute Tutorial links liegen und startet eines der vier Szenarien. Ihr könnt an einem iPad, online inkl. GameCenter-Unterstützung oder gegen die KI spielen; ein Gefecht mit freier Aufstellung ist in keiner Variante möglich. Man hat lediglich die Wahl, ob man auf Seiten der Wehrmacht oder auf Seiten der Sowjets in einem vorgegebenen historischen Rahmen startet.

Operation Barbarossa auf dem iPad

Das Besondere gegen die KI ist, dass sich das taktische Verhalten des Gegners nach dem eingestellten General richtet: Zhukov und Konev kann man als russische, Guderian und Von Bock als deutsche Widersacher einstellen. Und das wirkt sich aus, denn der eine ist vielleicht defensiver, der andere etwas forscher oder gar aggressiv. Schön ist, wie gut Konev z.B. die beweglichen neuen Einheiten, Kavallerie und Fallschirmjäger, einsetzt. Allerdings begeht die KI auch einige unverständliche Züge, wenn sie Gebiete mit Siegpunkten einfach verlässt oder einen schwachen Feind nicht aufreibt, so dass sie für einen Veteranen keine allzu große Hürde darstellt. Im Großen und Ganzen lohnt sich das Experimentieren mit den Feindtypen. Dafür stehen vier Szenarien zur Verfügung, die vom kleinen Aufwärmen mit Blitzattacken in „Operation Typhoon“ bis hin zum langen und überaus verlustreichen Winterkrieg „The Moscow Campaign“ reichen. Im Vergleich zu Battle of the Bulge hat man hier deutlich mehr zu spielen.

Zwischendurch wird abgerechnet: Wer hat welche Siegpunkte? Liegt die Achse oder liegen die Sowjets vorne?
Die rundenweise Spielmechanik ist stark territorial geprägt: Wenn sich durch Eroberungen die Grenzen verschieben, wirkt sich das im schlimmsten Fall auf den Nachschub aus - man braucht quasi zusammen hängende Korridore, darf sich nicht vom Rest der Truppe abschnüren lassen.  Für den Sieg ist zudem das Erobern sowie Halten von auf der Karte markierten Siegpunkten wichtig. Die Steuerung ist ganz einfach: Man tippt auf eine Region und kann so entweder einen Kampf dort auslösen oder jeden der maximal drei erlaubten Truppentypen einzeln bewegen. Hat man also drei Panzer irgendwo stehen, darf man sie entweder in alle Himmelsrichtungen verteilen oder als Verband zusammen bewegen; hat man sich mal vertan, kann man den Zug rückgängig machen.

Territoriale Rundentaktik

Dabei spielen der Untergrund sowie das Ziel eine große Rolle, denn je nach Boden (Straße, Wald etc.) oder Zugang (Brücke, Stadt etc.) darf man seine Infanterie, Fahrzeuge oder Panzer (es gibt keine Artillerie und keine Luftwaffe) unterschiedlich weit sowie unterschiedlich viele von ihnen bewegen. Außerdem beeinflussen die vier Arten des Wetters (klar, matschig, frostig, verschneit) die offensiven Möglichkeiten: Bei durchnässtem Boden kann man selbst nach einem Sieg keine Durchbrüche mit seinen Panzern erzielen und darf jede Einheit nur maximal ein Feld weit bewegen. Und wenn es schneit, sorgen russische Partisanen dafür, dass die deutsche Verteidigung in Wäldern wegfällt.

Der Kampf wird symbolisch ausgetragen, wobei zig Modifikationen die Würfelergebnisse beeinflussen.
Kommt es zum Kampf, wird das Gefecht zwar auf den ersten Blick recht oberflächlich in einem kleinen Fenster mit Schussanimationen dargestellt, wobei jede Truppe einen bis sechs Lebenspunkte hat. Schon vorher kann man an einer Leiste erkennen, wie hoch die wahrscheinlichen Verluste auf beiden Seiten bzw. die Chance auf einen Rückzug sein wird. Lohnt sich dieses Gefecht überhaupt? Danach wird quasi alles ausgewürfelt.

Gefechte und Modifizierungen

Aber dahinter steckt eine Phalanx an Modifizierungen, gegen die Advance Wars wie ein Casualkrieg anmutet: Auf welchem Terrain steht der Verteidiger? Ist ein Fluss in der Nähe? Ist man voll mit Sprit und Teil der Nachschubkette? Welche Panzerung hat man und ist man ein Elite-Verband? Hat man einen Feind komplett umzingelt oder greift man im Rahmen einer geplanten Offensive an, darf sich der Gegner gar nicht erst verteidigen. Ihr müsst das alles nicht selbst studieren und abwägen, sondern bekommt schon die Essenz in der Leiste angezeigt.

Was passiert wann? Der Kalender zeigt genau auf, an welchen Tagen man z.B. Nachschub bekommt.
Das Besondere ist zum einen, dass man wie schon in Battle of the Bulge teilweise vorkonzipierte Schlachten nachspielt, die von authentischen militärhistorischen Ereignissen umrahmt werden – vor allem die vierte Moskau-Kampagne inszeniert die Wechselhaftigkeit des Krieges vom 30. September bis 22. Dezember sehr gut: Dürfen die Deutschen zu Beginn der Operation Barbarossa noch mit „Prepared Offensives“ weit vorstoßen, werden sie irgendwann von Matsch, Schnee und Treibstoffmangel eingeholt und müssen sich gegen die Russen erwehren, die den Spieß plötzlich umdrehen und ihrerseits zu Gegenstößen ansetzen. Hier muss man sich mit den wenigen Panzern und Soldaten über die Zeit retten.

Historische Rahmenbedingungen

Skripte und Statistikanpassungen sorgen dafür, dass man je nach Kampftag bestimmte Boni (Luftunterstützung friert Bodentruppen ein) oder Mali (Spritknappheit), zusätzliche Truppen, Reparaturen oder eben Treibstoffkürzungen bekommt. Was das ist, wird in einem Kalender genau festgehalten. Man weiß also, wann man selbst sowie der Feind mit welchen Verstärkungen rechnen darf. Diese Ereignisvorschau sorgt auch dafür, dass man sich taktisch vorbereiten kann. Wo muss ich wann stehen, damit ich den Nachschub der Russen aufhalten kann? Dabei gelingt den Entwicklern das Kunststück, dass trotz dieses scheinbar starren Rahmens und nur einer Karte, nämlich jener um Moskau, immer ganz unterschiedliche Schlachtverläufe entstehen – je nachdem, was man als Russe oder

Im Würgegriff des Winters: Im laufe der Kampagne wechselt das Wetter - und damit die Stoßrichtung. plötzlich können die Russen in die Offensive gehen.
Deutscher mit seinen Truppen macht.

Hinzu kommt das innovative Zeitmanagement, das Geduld verlangt, aber auch fiese Bluffs und böse Konter ermöglicht. Wenn man seinen Zug gemacht hat, verstreichen entweder nur wenige Minuten oder gar  Stunden, was durch eine Zufallstabelle bestimmt wird. Danach ist der Gegner bzw. die KI an der Reihe, wobei auf einer Leiste mal mehr, mal weniger Zeit vergeht – irgendwann ist sie mit den Zügen beider Seiten aufgebraucht und es wird quasi abgerechnet. Dann gibt es einen Zwischenstand und ein neuer Tag bricht an.

Innovatives Zeitmanagement

Aber bewegt man seine Truppen bereits am Morgen, so dass der Feind sie am Mittag überfallen kann? Wartet man mit seinen drei Panzerverbänden bis zum Abend, weil sich vielleicht irgendwo im Laufe des Tages eine Schwachstelle ergibt? Sichert man hinten ab oder stößt man vor? Greift man mit Panzern gegnerische Vehikel an, um dann den Bonus zu bekommen, dass man sofort nachsetzen darf? Hier kann man wunderbar taktieren. Das Passen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Voraussicht: Es kommt auf den richtigen Zeitpunkt an.

Fazit

Panzer, denen der Sprit ausgeht. Soldaten, die sich in Stellungen aufreiben. Und eine Truppe, die im Angesicht von Schnee, Eis und Partisanen kaum noch die Siegpunkte halten kann - und das kurz vor Moskau. Es ist erstaunlich, wie gut diese edle Rundentaktik die historischen Rahmenbedingungen der Operation Barbarossa einfängt. Und das Wichtigste ist: Die Shenandoah Studios machen keine verkopfte Truppenschieberei, sondern ein spannendes, überaus intuitiv zu bedienendes Spiel daraus! Das clevere Ereignis- und Zeitmanagement sorgt zusammen mit dem wichtigen Terrain sowie dem wechselnden Wetter für ein dynamisches Erlebnis. Auch wenn die KI noch härter sein könnte: Battle of the Bulge war eine sehr gute Premiere, Drive on Moscow ist die ausgezeichnete Weiterentwicklung. Für Liebhaber von Wargames geht kein Weg an diesem Schmuckstück vorbei, zumal man sich auch online wunderbar duellieren kann. Ich freue mich schon auf die in Entwicklung befindlichen Titel Gettysburg und El Alamain.

Pro

  • edle Präsentation
  • vorbildliches Tutorial
  • angenehm intuitive Steuerung
  • innovatives Zeitmanagement
  • KI-Gegner mit anderen Verhaltensmustern
  • historisch authentische Ausgangssituation
  • Achse oder Alliierte mit anderen Zielen spielen
  • clevere militärische Rundentaktik
  • jede Schlacht läuft anders ab
  • Terrain, Nachschub, Brücken, Deckung wichtig
  • Wetter wirkt sich aus (Matsch, Winter etc.)
  • Online-Duelle über GameCenter
  • Chat-Unterstützung & ELO-Ranking
  • viel historisches Hintergrundmaterial
  • gelungene Akustik & Musik

Kontra

  • kein freies Spiel
  • kleine KI-Macken, nur zwei KI-Typen pro Seite
  • keine aktive Artillerie oder Luftwaffe
  • nur englische Texte

Wertung

iPad

Edles Design, clevere Taktik: Für Liebhaber von Wargames geht kein Weg an diesem Schmuckstück vorbei.