Continue?9876543210 - Test, Action-Adventure, iPad, iPhone, PC

Continue?9876543210
08.01.2014, Jan Wöbbeking

Test: Continue?9876543210

Was erwartet einen Videospiel-Helden nach dem Tod? Im Indie-Spiel mit dem ungewöhnlichen Titel Continue?9876543210 landet er in einer surrealen pixeligen Vorhölle. Eine gelungene Parabel auf die Vergänglichkeit?

Das Thema erinnert an Wreck-it-Ralph: Eine Zwischenwelt, in der alle möglichen ausrangierten Figuren ihr Dasein fristen. Wer den Film gesehen hat, sollte das im Kopf entstandene Bild jetzt aber ganz schnell wieder vergessen. Continue?9876543210 ist anders. Ganz anders. Okay, auch hier gibt es pixelige Retro-Männchen, doch die finstere Vorhölle gleicht Ralphs bunter Arcade-Welt kein Stück. Das Artdesign der blockigen Figuren mit kleinen Köpfen erinnert ein wenig an Superbrothers: Sword & Sworcery.

Auf dem Weg über den Pixel-Jordan

Im Gegensatz zum iPad-Klassiker sind mir in der schlichten Pixelwelt aber nur selten stimmungsvolle Panoramen begegnet, an denen ich länger verweilen wollte. Hier besteht fast alles aus kargen dunklen Blöcken, attackierenden roten Würfeln und Figuren, welche sich - von ein paar Farbtönen abgesehen - kaum von einander unterscheiden. Die karge Welt schafft es aber immerhin, ein ungutes Gefühl von Trostlosigkeit hervorzurufen, was zumindest zu einer Vorhölle passt.

Die "Erinnerungswelten" führen den gestorbenen Helden zu Strip-Clubs, durchs All, in die Wüste oder in ein Kriegsszenario, in dem Soldaten ununterbrochen in die Dunkelheit schießen.
Und was macht man nun in dieser düsteren Pixelwelt? So richtig konsequent beantworten kann ich die Frage noch immer nicht – obwohl ich das Spiel schon fünfmal beendet habe. Auch Kollege Dieter schaute mich bei meinem Erklärungsversuch reichlich sparsam an: „Man läuft halt unter Zeitdruck durch die Zwischenwelt und spricht mit allen möglichen seltsamen Leuten, welche noch seltsamere Sprüche von sich geben. Manche Antworten muss man sich merken, weil sie kurz danach in einem Quiz abgefragt werden. Zur Belohnung werden Blitze abgefeuert, welche die Barrieren zu den Ausgängen aus dem Weg sprengen. Oder man lässt ein paar Häuser in der finalen Stadt aus dem Boden wachsen. Wenn man Glück und genügend Gebäude hat, kann man sich dort später vor den Blitzen des großen Löschprogramms verstecken – zumindest zeitweise. Ach ja: Und zwischendurch kämpft man ständig in billigen Minispielen mit dem Schwert gegen roten Würfel.“



Surreale Flucht

Wirklich aufschlussreich war meine Erklärung offenbar nicht: „Und was ist das jetzt für ein Genre? Was macht man denn jetzt die meiste Zeit über?“, hakte Dieter nach. „Quizfragen. Meist geht es um simple Antwortspielchen und öde Schwertkämpfe mit nur einer Attacke. Oder ich bringe eine passende Opfergabe zu einem Schrein und bekomme zur Belohnung noch ein paar Blitze oder Gebäude. Und zwischendurch passiert halt jede Menge seltsamer Kram.“

Am Ende des Spiels lauert der blockige Sensemann - wie im echten Leben lässt sich der Tod lediglich hinauszögern.
Am Ende einer Welt der Kindheitserinnerungen kauere ich z.B. an einem Schrein nieder und huldige allen Stofftieren, welche meinem Charakter in jungen Jahren durch den Alltag geholfen haben. Oder mein Alter Ego hat eine esoterisch inszenierte Begegnung mit einer anderen Figur und tauscht mysteriöse Andeutungen aus. Oder er philosophiert darüber, wie schwer es ist, ein Feld zu finden, in das man sich entspannt mit dem Gesicht nach unten hineinlegen kann. In einem späteren Durchgang fand er dieses Feld übrigens tatsächlich und legte sich komplett hinein. Dank des blockigen Minimal-Designs erinnert es allerdings eher an einen Kopfsteinpflaster-Parkplatz.

Der spielbare Drogentrip?

Diese Zitate klingen nicht ohne Grund nach einem Drogentrip: Entwickler Jason Oda hat im Spiel viele Erfahrungen verarbeitet, welche er auf einem Horror-Trip erlebte. Nach dem Konsum einer halluzinogenen Dschungel-Droge irrte er tagelang durch die Wüste von New Mexico. Als er wieder zu Sinnen kam, fühlte er sich unheimlich dankbar darüber, noch am Leben zu sein, um weitere Erinnerungen sammeln zu können. Er nahm sich vor, diese Erkenntnis und andere Erlebnisse in einem Spiel verarbeiten.

Bizarre Quizfrage gefällig?
Der erzählerische Rahmen und die verwirrende Welt hat mich tatsächlich ein wenig ins Grübeln gebracht. Auch als Mensch kann ich schließlich nur versuchen, das Beste aus meiner Zeit zu machen. Idealerweise habe ich als alter Mann genügend gute Erinnerungen angehäuft, um mit einem guten Gefühl zurück blicken und ins „große Nichts“ gehen zu können. Genau das ist offenbar auch hier das Ziel: Je besser ich abschneide, desto besser ist in der „Endabrechnung“ das Gefühl des Sterbenden. Beim ersten Mal schied er mit dem Gefühl von „Terror“ dahin, beim zweiten war es nur noch Angst, beim vierten schon „Liebe“. Beim dritten Mal gab es einen derart seltsamen Bug, dass ich mir nicht sicher war, ob er nicht vielleicht doch zum Spiel gehörte und eine Art Nahtoderfahrung darstellen sollte: Der Bildschirm färbte sich eine Minute lang komplett weiß und ich musste mich blind durch die nächsten Zwischensequenzen und Menüs arbeiten. Einmal fiel ich außerdem durch eine Ritze ins Nichts, erschien aber kurz danach wieder in der Zwischenwelt.



Erinnerungen und religiöse Rituale

Bei jedem Durchgang sieht man übrigens nur ein paar der insgesamt elf Erinnerungs-Szenarien. Auch der gespielte Charakter wechselt zwischen sechs Personen, welche sich aber visuell ähnlich wenig voneinander unterscheiden wie die Pixelpassanten. Noch monotoner sind die immer wieder eingestreuten Kämpfe und Minispielchen gestaltet: Meist kämpfe ich in schrecklich simplen Dungeons mit nur einer Hieb-Attacke gegen ewig gleiche Blöcke. Ab und zu muss ich mich auch durch einen viel zu leichten Space-Invaders-Klon oder ähnlich anspruchslose seitliche Jump-n-Runs ackern. Trotz des einfachen Aufbaus fühlt sich nicht einmal die Steuerung intuitiv an. Mein Pixelmann fuchtelt ungenau mit seinem Schwert in der Luft herum und beschleunigt beim Rennen nicht einmal analog – obwohl lediglich der Analogstick und nicht etwa das Digikreuz des 360-Controllers benutzt werden darf.

Fazit

Continue?9876543210 lässt mich mit einem seltsamen Gefühl zurück. Das Spiel von Jason Oda ist einer der verwirrendsten Titel, die ich je gespielt habe – sogar verwirrender als alte Homecomputer-Schinken, in die ich mich erst einmal ohne Anleitung hineinfuchsen musste. Obwohl ich mich schon einige Male durch die karg designte Zwischenwelt gearbeitet habe, kratze ich mich noch immer regelmäßig am Kopf, weil so viele surreale Dinge passieren. Die finstere Vorhölle für Videospielhelden und die bizarren Dialoge haben mich tatsächlich ein wenig zum Nachdenken über die eigene Vergänglichkeit gebracht. Doch die meiste Zeit verbrachte ich damit, mich über die schrecklich minimalistischen und viel zu leichten Actionsequenzen zu ärgern. Falls es eine Vorhölle für Gamer gibt, ist es zwar nicht unrealistisch, dass sie aus schlechten Minispielchen besteht; trotzdem möchte ich mich nicht schon vor dem Tod damit herumschlagen. Auch das ständige Wegfräsen von Barrieren oder Aufbauen der schützenden Stadt per Zufallsgenerator ist nicht wirklich unterhaltsam oder erhellend - von den witzlosen Fragespielchen auf Vorschulniveau ganz abgesehen. Mir ist die pixelige Minispiel-Einöde auf Dauer zu monoton.

Pro

  • bedrückend finstere Stimmung
  • surreale Rituale und Weisheiten regen zum Nachgrübeln an
  • das Erforschen der mysteriösen Welt und seiner bizarren Regeln fasziniert zu Beginn
  • nachdenklich stimmender, sphärischer Soundtrack...

Kontra

  • selbst nach mehrfachem Durchspielen sehr verwirrend
  • fade Kämpfe
  • billige Minigames
  • ...Musik-Loops wiederholen sich aber oft zu schnell
  • kinderleichte Fragespielchen
  • schrecklich simple, unpräzise Steuerung
  • karges Pixeldesign
  • gelegentliche Bugs und Abstürze
  • Bildschirm flackert manchmal sehr penetrant

Wertung

PC

Interessantes Konzept, frustrierende Umsetzung: Die verwirrende Reise durch die pixelige Vorhölle leidet unter Unmengen fader Quiz- und Minispiele.