Might & Magic 10 Legacy - Test, Rollenspiel, PC
Ich weiß gar nicht mehr, wie viele Stunden ich mit Might & Magic 6 versenkt habe. Erschienen vor gut 16 Jahren, hat mich das 3D-Rollenspiel mit offener Welt und wahlweise rundenbasierten Kämpfen mehr Zeit gekostet als irgendein anderer Titel in dem Zeitraum. Und danach habe ich mich sowohl in den Vorgängern, die ganz klassisch auch auf rundenweise Bewegung setzten, als auch den Nachfolgern der Reihe verloren, die weit vor Morrowind das 3D-Rollenspiel populär machten. Dementsprechend groß war meine Freude, als Ubisoft vor etwa einem Jahr einen neuen Teil ankündigte, der auf eine Mischung aus klassischen und modernen Elementen setzen sollte. Fans der Serie dürften bei der Erwähnung der Startstadt wohlige Schauer der Erinnerung über den Rücken laufen.
Aus Tradition gut?
Denn wie in Teil 1 und 6 startet man in Sorpigal - das allerdings trotz Namensgleichheit nichts mit den Metropolen in Enroth (Teil 6) oder VARN (Teil 1) zu tun hat. Stattdessen liegt dieses Sorpigal in der Welt von Ashan - ja, richtig: dem Schauplatz von Might & Magic Heroes 6, um die Verwirrung zu komplettieren. Bevor man in dieser bunten Standard-Fantasywelt, die es übrigens versäumt wie die früheren Serienableger einen futuristischen Hintergrund mit dem Setting zu verbinden, gegen die zahl- sowie variantenreichen Gegner in den Kampf ziehen kann, muss man seine Party zusammenstellen. Natürlich kann man eine vorgefertigte Standardgruppe nehmen, doch wenn man sich an die überschaubare Charaktergenerierung wagt, kann man seine Mitstreiter individuell an seine Bedürfnisse anpassen. Vier Volksgruppen stehen zur Verfügung, die je nach Wahl Zugang zu jeweils drei Klassen gewähren. Dabei bewegt sich Limbic aber in jeder Hinsicht auf bekanntem Standard-Fantasy-Terrain: Menschen, Zwerge, Elfen und Orks stehen zur Verfügung. Die zwölf daraus resultierenden Charakterklassen bieten ebenfalls keine Überraschungen.
X markiert den Ort
Denn wenn man schon auf das Karopapier-Prinzip zurückgreift, erschließt sich mir nicht, wieso man sich mit der Maus frei bzw. zumindest in einem 180-Grad-Winkel vor einem umschauen kann. Das ist mechanisch inkonsequent, erfüllt keinen spielerischen Nutzen und würde nur Sinn ergeben, wenn einem entweder im Kampf oder in der Interaktion mit der Umgebung zusätzliche Optionen zur Verfügung stünden. Aber man kann weder beim Umschauen Schwachpunkte beim Gegner ausmachen noch findet man Schalter oder Geheimnisse.
Der Fokus auf bonbonbunte Standard-Fantasy zeigt sich aber nicht nur im Hinblick auf Erzählung oder Kulisse. Denn auch mechanisch bleibt Legacy oberflächlich. Alte Schule hin oder her, das simple Kampfsystem fordert anfänglich ebenfalls wenig. Man muss nicht beachten, wer "vorne" oder "hinten" steht, da es schlichtweg keine Differenzierung gibt. Wer also glaubt, dass er mit seinen Nahkämpfern die Bogen- oder Armbrustschützen, Zauberer oder Druiden aus dem Kampfgeschehen fernhalten kann, ist schief gewickelt. Dadurch beraubt sich Might and Magic 10 einer interessanten taktischen Komponente. Auch die Bewegung im Kampf ist stark reduziert. Man kann sich zwar jederzeit auf der Stelle drehen, doch Bewegung der Figuren ist nur am Anfang einer eigenen Zugrunde möglich. Diesen Moment hingegen kann man im Eifer des Gefechtes gelegentlich verpassen. Doch es gibt ohnehin nur wenige Möglichkeiten, die meist auf Frontalangriff ausgelegten Feinde, in einen Hinterhalt zu locken.
Ein X für ein U vormachen
Und dennoch hat mich Might and Magic 10 zum Weiterspielen motiviert. Es ist zwar nicht so düster, geheimnisvoll oder erbarmungslos wie das ähnlich gelagerte Legend of Grimrock. Doch mit seiner üppig ausgeschütteten Beute, den großen Gebieten, in denen man anfangs zwar zu wenige und sehr leichte Schalterrätsel findet sowie den umfangreichen (und kostspieligen) Möglichkeiten, seine Figuren zu entwickeln, hat mich das Abenteuer schnell in seinen Bann schlagen können. Was verbirgt sich hinter dieser Biegung? Wie komme ich an dieser magischen Tür vorbei? Mitunter wirkte es auf mich wie ein "Karopapier"-Diablo auf Standard-Schwierigkeitsgrad: Bunt, Beute bis zum Anschlag und weitgehend spannungsarm. Das zeigt sich übrigens auch in den Begleitern, die einen teils für eine Mission, teils gegen Bezahlung begleiten und entweder mit passiver Unterstützung (z.B. zehnprozentiger Erfahrungspunkt-Bonus) oder aktiv (einmal pro Tag Tote wiederbeleben oder Heilen) helfen. Denn diese sind im Kampf für die Gegner unsichtbar. Es wäre ein sehr interessantes zusätzliches Spannungsmoment, wenn man in bestimmten Situationen nicht nur für seine Truppe, sondern auch für die Mitläufer Verantwortung übernehmen müsste.
Etwa ein Viertel der umfangreichen Monsterhatz (je nach Spielweise sollte man insgesamt mindestens zwischen 25 und 30 Stunden einplanen) plätschert das Abenteuer so vor sich hin. Man geht keinem Kampf aus dem Weg, wohl wissend, dass die Entwickler einen ungefähren Weg vorgezeichnet haben, der einem keine all zu großen Steine in den Weg legt. Doch dann kippt die Stimmung. Die Umgebungen verlieren das Bunte und werden zunehmend düsterer. Die Missionen werden knackiger, es ist nur noch selten offensichtlich, wo man hin muss - die Gefahren nehmen zu. Außerdem werden die Gruppenzusammenstellungen der Gegner anspruchsvoller, da sich ständig mehr so genannte Elite-Varianten darunter mischen, die schwer unter Kontrolle zu bekommen sind. Weiterhin werden beim Öffnen bestimmter Truhen oder Fässer Gegner "getriggert".
Also doch Dark Souls?
Es gibt mehr sowie fordernde Schalterrätsel, die in der Anfangsphase nahezu keine Rolle spielen. Und spätestens nach dem dritten Aufmachen einer Tür, hinter der sich ein Rudel wilder Feinde verbirgt, die die Truppe beinahe nach Belieben auseinandernehmen, überlegt man sich mehrfach, ob man tatsächlich jetzt schon alle Schätze des Verlieses einsammeln muss oder sich vielleicht doch später nochmals dorthin begibt, wenn man ein paar Erfahrungsstufen aufgestiegen ist.
umal die Gruppenzusammenstellung und das Abstimmen der Fähigkeiten kontinuierlich wichtiger werden. In vielerlei Hinsicht wirken die Charaktere zwar austauschbar. Dank einer offenen Figurenentwicklung, deren erste Schritte man bereits bei der Erstellung festlegt kann es auch durchaus passieren, dass sich manche Klassen annähern. Doch es wird nur sehr schwer möglich sein, sich den "Eier legenden Wollmilch-Held" zu erschaffen. Zu kostspielig sind die Spezialisierungen, zu verstreut die Trainer, die in bester Might-and-Magic-Manier erst gefunden werden wollen. Und Waffen, dringend nötige Heil- oder Manatränke, Einwegzauber, Gegengifte oder sonstige nützliche Ausrüstung sind trotz üppig ausgeschütteter Beute auch nicht billig und stets begehrt.
Weniger begehrenswert ist die technische Umsetzung. Zum einen frage ich mich ständig, wieso als Minimalvoraussetzung ein Dualcore-Prozessor, 4GB RAM und eine Grafikkarte mit 512MB VRAM angegeben werden? Idealerweise sollten sogar ein Quadcore-Prozessor, 6GB RAM sowie eine aktuelle Grafikkarte mit 1024MB VRAM und Shader Model 5.0 im Rechner ihren Dienst verrichten.
Das war wohl ni-X!
Oder um bei einem Konsolenvergleich zu bleiben: Hier wird Xbox- bzw. PlayStation2-Grafik geboten, die allerdings eine Xbox One oder PlayStation 4 voraussetzt - die Relation passt einfach nicht. Zumal es immer wieder vorkommen kann, dass das Landschaftsstreaming nicht mehr hinterherkommt, wenn man sich schnell durch die Botanik bewegen will und als Ergebnis Slowdowns und Ruckler das Vorwärtskommen stärker verhindern als Monsterscharen.
Fazit
Wenn das düstere Legend of Grimrock das Dark Souls der Dungeon Crawler mit Ego-Perspektive ist, dann ist Might and Magic 10 das entsprechende Gegenstück zu Diablo 3 - unterhaltsam, bunt und voller Beute, aber weitgehend gefahrlos. Das Vorhaben, die ruhmreiche Rollenspiel-Serie von Jon Van Caneghem aufleben zu lassen, ist leider nur eingeschränkt gelungen. Denn das deutsche Team von Limbic hat sich zu weit in die Vergangenheit bewegt. Ich mag rundenbasiertes Vortasten und taktische Kämpfe. Aber vom hervorragenden und der Deluxe-Version beiliegenden Teil 6 ist man weit entfernt. Viele Elemente bleiben oberflächlich oder schöpfen erst spät das Potenzial aus - ganz egal ob man die Technik, die anfangs kaum eingesetzten Rätsel oder Fallen, Kampfablauf oder die auch langfristig schwache Interaktion mit der Umgebung betrachtet. Dank der umfangreichen sowie kostspieligen Charakter-Entwicklung sowie der zwar spröde erzählten, aber interessanten Geschichte, macht das Rechenpapier-Rollenspiel mit automatisch gezeichneter Karte dennoch Laune. Für Einsteiger oder ein gelegentliches Spiel zwischendurch ist Might and Magic 10 daher genau das Richtige. Doch wer Ersatz für Legend of Grimrock oder eine Übergangslösung bis zum Erscheinen von Teil 2 sucht, dürfte hier trotz guter Ansätze bereits mittelfristig die Segel streichen - obwohl es eigentlich erst dann richtig spannend wird.
Pro
- Klasse von Volks-Auswahl abhängig...
- große Oberwelt...
- viel Beute
- interessante Geschichte..
- abwechslungsreiche Gegnerauswahl
- zahlreiche Dungeons
- Fallen und Rätsel
- umfangreiche, kostspielige Charakterentwicklung
- anständiger Umfang (> 25 Stunden)
- Verwendung alter Soundsamples sorgt für Nostalgie
- beschreibbare Karte
- umfangreiches Monster-Kompendium
Kontra
- nur eingeschränkte Bewegung in Kämpfen
- ... die aber nur wenig Interaktion bietet
- "Umschauen" annähernd sinnfrei
- ... die aber spröde erzählt wird
- schwache Soundkulisse
- teils unlogisch "getriggerte" Gegner
- technisch nicht immer sauber (Bildrate, Grafikaufbau)
- lieblose Präsentation
- Textfehler in der Lokalisation (z.B. Ausbildingszentrum)
- kaum Sprachausgabe
- Begleiter sind im Kampf "unsichtbar"
- angelegte Ausrüstung nicht auf der Figur sichtbar (auch nicht im Inventar)