Xenonauts - Test, Taktik & Strategie, PC

Xenonauts
06.06.2014, Benjamin Schmädig

Test: Xenonauts

Des Oldies neue Kleider

Nostalgiker sind ein schwieriges Publikum. Da bereitet Firaxis den Oldie X-Com für die Neuzeit auf und erschafft dabei selbst einen modernen Klassiker – doch das war vielen nicht genug. Sie wollten das Original in seiner ganzen Echtheit, ein Spiel wie es damals war, nur im modernen Anstrich. Und jetzt ist es so weit: Vor fünf Jahren begann Independent-Entwickler Chris England mit der Arbeit an Xenonauts, das sein Vorbild fast stoisch nachahmt. Jetzt hat er sein Projekt offiziell fertiggestellt. Kann er damit tatsächlich erfolgreicher sein als die Neuauflage von Firaxis?

20 Jahre ist das schon her! Vor genau zwei Dekaden erschien mit UFO: Enemy Unknown das erste Spiel einer Serie, die in Nordamerika und bald darauf im Rest der Welt als X-Com bekannt wurde. Und die vom Start weg voll einschlug, denn das Spiel fesselte mit taktischen Gefechten gegen knallharte Außerirdische, die einen ganzen Trupp menschlicher Soldaten binnen weniger Züge auslöschen konnten. Der besondere Kniff: Der Verlust erfahrener Kämpfer war schmerzhaft, weil Veteranen besser zielen und sich schneller bewegen konnten. Neue Rekruten kosteten hingegen Geld und ihre Ausbildung zu fähigen Kämpfern viele nervenaufreibende Einsätze.

Klassiker einer vergangenen Generation

20 Jahre ist das her – und in Xenonauts scheint es, als sei kein Tag vergangen. Denn das Independentstudio Goldhawk Interactive um Chris England hatte vor allem ein Ziel: X-Com so originalgetreu wie möglich wiederzubeleben. Und so wird die Erde auch hier von Außerirdischen angegriffen, woraufhin Nationen aller

Wir schreiben das Jahr 1979: Xenonauten sind die letzte Hoffnung der Menschheit im Kampf gegen die außerirdischen Eindringlinge.
Kontinente eine Truppe finanzieren, die den Aliens den Kampf ansagt. Als Befehlshaber über diese Xenonauten erforsche ich außerirdische Gefangene, deren Ausrüstung sowie Materialien und Energiequellen ihrer Schiffe, um mit dem Wissen eigene Waffen und Rüstungen zu entwickeln.

Angriffsziel Erde

Tatsächlich fühle ich mich dabei wie auf der Weltkarte in UFO: Enemy Unknown. Das Verteilen von Forschern und Ingenieuren auf unterschiedliche Projekte, der Verkauf überflüssiger Beute von Kampfeinsätzen, das Ausrüsten meiner Soldaten – das alles ist übersichtlicher sortiert, funktioniert im Wesentlichen aber wie 1994. Ich kann sogar mehrere Stützpunkte errichten, falls ich mir deren Ausbau und Unterhalt leisten kann.

Auf der einen Seite brauche ich diese Expansion, weil das Radar einer Basis höchstens einen knappen Kontinent abdeckt und Mitgliedsstaaten mein Budgets kürzen, falls ich ihren Luftraum nicht frei von Ufos halte. Auf der anderen Seite kostet der Bau einer Station viel Geld; ich muss ja Quartiere einrichten, eine Radarschüssel aufstellen, Verteidigungsanlagen installieren, Labore bauen und den Stützpunkt mit Personal, Flugzeugen und Material bestücken. Schlechtes Management führt zu Engpässen und sollte der neue Abfangjäger nicht bereit sein, wenn ein feindlicher Flieger gesichtet wird...

Stimmungsvoll und sinnvoll übrigens, dass ich auch außerhalb meiner Radarreichweiten Meldungen sehe, wo ein außerirdisches Flugobjekt gesichtet wurde oder wo es Entführungen gab. So kann ich abschätzen, in welcher Region ich meine nächste Basis errichten sollte. Die Aliens greifen ja nicht mit einzelnen Schiffen an, sondern schwärmen in Wellen aus. Dabei attackieren sie sogar meine Truppentransporter und bombardieren Städte. So bekommt der namenlose Gegner zumindest ein strategisches Gesicht.

Entscheidung in großer Höhe

Weniger gut gefällt mir der Luftkampf, den ich eigenhändig kommandieren darf. Treffen meine Abfangjäger auf ein Ufo, verfolge ich die Bewegungen aller Flieger aus einer stilisierten Vogelperspektive. Ich kann bestimmen,

Der Kampf Flugzeuge gegen Ufos gehört nicht zu den Höhepunkten.
welche Waffen meine Piloten einsetzen und wann sie eine Ausweichrolle fliegen sollen – an der Darstellung aller Sichtkegel erkenne ich, wann sich welches Objekt im Schussfeld eines anderen befindet.

Der geringe Einfluss auf die eindimensionalen Flugmanöver aller Piloten („in gerader Linie in Richtung Feind“) vermiest mir allerdings den Spaß: Die Ausweichrolle ist oft zwecklos und das Feuern aus allen Rohren meist der effektivste Plan. Gut, dass ich die Ergebnisse der Gefechte automatisch berechnen lassen kann. Das ist zuverlässig genug. Stehen die Chancen im Auswahlbild schon gegen mich, ist Rückzug ohnehin die beste Wahl.

Im Vordergrund stehen ja nicht die Duelle in der Luft, sondern Kämpfe am Boden – wenn die Außerirdischen eine Stadt terrorisieren oder ich eins ihrer Schiffe vom Himmel geholt habe. Oder wenn sie einen meiner Stützpunkte angreifen,

Die abwechslungsreichen Gefechte am Boden sind dafür umso spannender.
denn auch das hat Xenonauts mit dem X-Com-Original gemeinsam. Dann bewege ich nacheinander meine Soldaten so weit ihre Bewegungspunkte reichen oder spare Letztere, damit sie automatisch schießen, sobald die Invasoren am Zug sind.

Schlappschwanz oder Held?

Wichtig ist das Ausnutzen von Deckung, denn einen frei stehenden Mann treffen die Aliens mit hoher Wahrscheinlichkeit. Und jeder Treffer kann tödlich sein. Weil das auch für die Menschen gilt, ist das behutsame Vortasten so spannend: Wer die Initiative hat, kann einen Feind schnell beseitigen, begibt sich aber auch in dessen Einflussbereich. In entscheidenden Momenten bange ich deshalb vor jedem meiner Schüsse, dass er doch bitte sitzen möge. So werden Taugenichtse schon mal zu Helden, wenn ausgerechnet sie den letzten Außerirdischen in höchster Not aus großer Distanz niederstrecken.

Besonders Hartgesottene aktivieren übrigens den „Iron Man“ und dürfen so weder manuell speichern noch einen zweiten Spielstand anlegen. Sie müssen mit ihren Fehlern leben – der Nervenkitzel vor möglichen taktischen Fehlen ist dann noch größer. Ein Kribbeln übrigens, dass weder Musik noch Geräusche so eindringlich einfangen wie das Original oder die Neuauflage von Firaxis. Der Soundtrack ist stimmungsvoll, knistert aber nicht; manche Aktionen sind zudem nicht vertont, andere erzeugen nur einen matten Klang.

Die Angreifer selbst sorgen dagegen sehr wohl für Spannung und darauf kommt es ja an. Sie gehen in Deckung, verschanzen sich in ihren Ufos und flankieren meine Soldaten. Schachweltmeister werden sie nicht, aber sie stellen mich vor anspruchsvolle Herausforderungen. Ich wünschte jedenfalls, mein eigenes Volk wäre halb so clever. Stattdessen rennen Zivilisten so planlos umher, als wären sie nicht panisch, sondern wahnsinnig. Selbst Militäreinheiten vor Ort irren durch das Einsatzgebiet. Einen von ihnen habe ich glatt erschießen lassen, weil er einen meiner Männer mehrere Runden lang in einer Ecke einklemmte. Ja, das war vor 20 Jahren kaum anders. Nein, das macht heute noch keinen Spaß.

KI-Gespenster in Menschengestalt

Hinzu kommen Unannehmlichkeiten wie die feste Perspektive: Trotz halbdurchsichtiger Mauern ist es dadurch schwierig, manchen Zielpunkt zu erkennen. Mitunter lässt sich auch eine Tür nicht öffnen und einige Menüpunkte liegen auf unbequem kleinen Flächen.

Early Access oder fertiges Spiel?

Auf Steam hat Xenonauts noch immer den Status "Early Access". Die Entwickler weisen allerdings darauf hin , dass sie ihr Spiel seit Version 1.0 als komplett betrachten.

Die verbleibende Zeit bis zur offiziellen Veröffentlichung am 16. Juni diene lediglich dem Versenden von Kickstarter-Belohnungen und dem Rühren der PR-Trommel.Ich vermisse zudem das Ändern der Funktionen einiger Maustasten. Kleinigkeiten, natürlich – die aber durchgehend unangenehm auffallen.

Vor allem im taktischen Detail fehlen Finessen moderner Spiele, darunter das Schießen aus der Deckung heraus. Denn anders als in XCOM: Enemy Unknow von Firaxis muss ich meine Soldaten ein Feld neben das Ende einer Mauer stellen, falls sie einen Gegner hinter der Ecke anvisieren sollen. Dass sie sich zu diesem Zweck schutzlos aufs freie Feld stellen müssen, ist einfach unlogisch. Ähnlich unplausibel ist ihr Unvermögen über hüfthohe Hindernisse zu schießen. So lange sie sich in der Hocke befinden, kann ich die Einschränkung nachvollziehen – stehen Angreifer und Ziel aufrecht, ergibt sie jedoch keinen Sinn. In der Bewegung und Handhabung der Truppen wirkt das stoisch originalgetreue Xenonauts deshalb überholt.

Vielfalt und Moderne

Die taktische Vielfalt hat es Firaxis' XCOM allerdings voraus. Denn weil meine Soldaten nicht an feste Bewegungsmuster (erst laufen, dann handeln) angewiesen sind, kann ich den Zug jedes Einzelnen so lange frei gestalten, wie er oder sie über genügend Bewegungspunkte verfügt. So laufe ich mit einem gut gepanzerten Mann z.B. in einen belagerten Raum, setze Gegner mit einer Blendgranate außer Gefecht, gebe noch einen Schuss ab und ziehe mich wieder zurück. Anschließend könnte das restliche Team den Raum stürmen.

Unterdrückung der Schwächeren

Klasse ist auch Unterdrückungsfeuer, das nicht durch eine spezielle Fähigkeit ausgelöst wird. Stattdessen wird eine Figur in ihren Aktionsmöglichkeiten beschränkt, wenn sie von mehreren Seiten, mit schwerem Kaliber oder einfach nur häufig genug während einer Runde unter Beschuss gesetzt wird. Die Unterdrückung ergibt sich also dynamisch aus dem Verlauf – ein wertvolles Detail!

Sichtlinien bestimmen dabei, welchen Gegner ich überhaupt sehe und bei Nacht sollte mein Trupp Leuchtkörper voraus werfen, um nicht blindlings in feindliches Feuer zu laufen. Spannend sind auch Getreidefelder mit hohen Ähren, denn in denen erkennen die Soldaten kaum die Hand vor ihren eigenen Augen. Ärgerlich finde ich nur, dass ich nicht immer alle Außerirdischen sehe, die meine Leute entdeckt haben.

Ein gut ausgebildeter Soldat ist Gold wert - sein Verlust umso schmerzhafter.
Dann erkenne ich zwar das entsprechende Symbol, kann aber partout kein Alien ausmachen.

Wie ich meinen Trupp oder mehrere Trupps zusammenstelle liegt selbstverständlich an mir; ich kann Fahrzeuge und Soldaten beinahe beliebig kombinieren. Praktisch: Ich darf jedem eine Position im Landungsschiff zuweisen, so dass ein Dronenfahrzeug etwa zuerst hinaus könnte, gefolgt von Sturmsoldaten oder schwerem MG. Schwachen Männern und Frauen sollte ich natürlich weder einen Raketenwerfer noch einen Schild in die Hand drücken, denn sind sie zu stark beladen, beeinträchtigt das ihre Geschwindigkeit.

Schwere Mädels, leichte Jungs?

Denn auch die Ausrüstung stelle ich nach meinen Vorstellungen zusammen. Dafür nutze ich vorhandene Sets oder erstelle eigene. Um Munition muss ich mich allerdings nicht kümmern und ich bin nicht an Charakterklassen gebunden. Weil jeder Soldat über sechs Eigenschaften verfügt, teile ich Ausrüstung und Waffen also gezielt nach Eignung zu – und zittere anschließend nur noch mehr um das Überleben spezialisierter Schlüsselfiguren. Vor 20 Jahren habe ich zum ersten Mal so um meine Soldaten gezittert. Und dank Xenonauts hat sich daran bis heute nichts geändert.

Fazit

Die Ähnlichkeit ist verblüffend: Xenonauts gleicht dem 20 Jahre alten X-Com so sehr – es erscheint absurd, dass dies keine offizielle Neuauflage ist. Vom Aufbau und Verwalten mehrerer Stützpunkte über die freie Entwicklung der Einheiten bis hin zum fordernden taktischen Rundenkampf: Das Independentspiel übernimmt das Original im Kern unverändert, entstaubt seine Bestandteile nur geringfügig. Einmal mehr forsche ich nach neuen Technologien, um den überlegenen Invasoren irgendwann auf Augenhöhe zu begegnen. Ich freue mich über die vielfältigen Möglichkeiten beim Aufbau meiner Einsatztrupps sowie beim Taktieren im Rundenkampf. Und ich genieße die Angst vor dauerhaften Konsequenzen nach Fehlentscheidungen. Die Vertrautheit hat allerdings auch Nachteile. Die fehlende Eigenständigkeit kreide ich Xenonauts z.B. an, weil ich so auch das Original spielen könnte. Der nüchternen Präsentation fehlt sogar dessen eindringliche Intensität. Hinzu kommen ärgerliche Kleinigkeiten wie das Fehlen einer drehbaren Kamera oder das unsinnige Verhalten von Zivilisten im Einsatzgebiet. Dass meine Soldaten weder um Ecken herum noch über halbhohe Hindernisse schießen können, zeigt zudem eins: Das 20 Jahre alte Prinzip ist in Würde, aber eben gealtert. Und so beleben Chris England und sein Team den Klassiker vielleicht nicht wieder – das hat Firaxis erreicht. Sie lassen ihn aber in Ehren weiter leben.

Pro

  • originalgetreues X-Com-Remake mit kleinen Verbesserungen
  • umfangreicher Mix aus globaler Strategie und rundentaktischem Kampf
  • motivierende Strategie mit Basisbau, Forschung und Produktion eigener Ausrüstung
  • anspruchsvolle Taktik mit Sichtlinien, unterschiedlicher Helligkeit, zerstörbarer Umgebung
  • erfahrene Soldaten erhalten Medaillen...
  • Unterdrückungsfeuer nicht durch einzelne Fähigkeit, sondern je nach Härte des Beschusses
  • Gewicht beeinflusst Geschwindigkeit
  • zahlreiche Gegner und Ausrüstungsgegenstände
  • z.T vom Zufall erstellte Karten
  • einige schöne Zeichnungen...
  • reger Flugverkehr einschließlich feindlicher Bomber
  • manuelle oder automatische Luftkämpfe
  • vier Schwierigkeitsgrade, wahlweise nur ein Spielstand
  • freie Charakterentwicklung ohne Klassen
  • Erstellen und Speichern von Ausrüstungssets
  • Xenopedia mit ausführlichen Beschreibungen
  • Unterstützung von Modifikationen

Kontra

  • â€Å  dem dadurch Eigenständigkeit fehlt
  • Ansicht im Gefecht nicht drehbar – erschwert die Koordination hinter Mauern
  • Steuerung mitunter ungenau, Türen lassen sich z.B. mitunter schwer öffnen
  • keine Möglichkeit zum Einstellen der Maussteuerung und anderer Elemente
  • â€Å  die ausschließlich automatisch vergeben werden
  • Xenonauts können nicht aus Deckung und nicht über halbhohe Hindernisse schießen
  • Zivilisten und KI-Soldaten laufen ziellos umher, können Xenonauten dauerhaft den Weg verstellen
  • relativ unübersichtliche Menüführung
  • gesichtete Gegner werden nicht immer angezeigt
  • â€Å  grundsätzlich aber nüchterne Gestaltung, Musik und Ton fangen knisternde Spannung nur begrenzt ein
  • keinerlei filmische oder erzählerische Einführung
  • abgeschossene Flugzeuge gehen selbst im Meer nicht verloren
  • komplett Englisch

Wertung

PC

Mühevoll aufpolierter Klassiker mit alten und neuen Schwächen bei Taktik und Bedienung.