Guacamelee! - Test, Plattformer, 360, XboxOne, PC, PlayStation3, Switch, Wii_U, PlayStation4, PS_Vita

Guacamelee!
03.07.2014, Mathias Oertel

Test: Guacamelee!

Der todgeweihte Luchador ist zurück

Ein mexikanischer Wrestler wandelt zwischen der Welt der Lebenden und der Toten. Er springt, er stirbt, er erforscht, er stirbt, er kämpft, er stirbt. Ja: Er stirbt häufig. Das Independent-Projekt Guacamelee! ist nichts für Weichspieler. Und man kommt von dem modernen Vertreter des Metroidvania-Prinzips einfach nicht mehr los. Das war letztes Jahr im April auf der PS3 so. Und das dürfte jetzt auf PS4 und Xbox One nicht anders sein, oder?

Juan Aguacate ist ein mexikanischer Agavenbauer und Tequila-Brenner, der vom Leben weitgehend mit Missachtung gestraft wird. Doch die Ereignisse überschlagen sich, als seine heimliche Liebe, die Tochter von El Presidente, entführt wird, um in einem Ritual geopfert zu werden. Er macht sich auf den Weg, sie zu retten und stellt sich dem Entführer El Churro. Allerdings fällt er dem ehemaligen Ringkämpfer, der mittlerweile in der Welt der Toten sein Domizil aufgeschlagen hat, schneller zum Opfer, als er "Ay, Caramba" sagen kann. Aber mit Hilfe einer magischen Wrestler-Maske wird er ebenfalls in einen mächtigen Luchador verwandelt und bekommt eine zweite Chance: Er kann verhindern, dass El Churro (bürgerlicher Name: Carlos Caraca) die Welt der Toten mit der der Lebenden verbindet.

¡Arriba, muchacho!

Juan ohne Maske: Ein einfacher Agaven-Bauer.
Das Action-Adventure von drinkbox (Tales from Space: About a Blob) spielt nicht nur mit vielen mexikanischen Mythen und Klischees: Während man durch die farbenfrohen, teils quietschbunten 2D-Abschnitte läuft, die sich zwischen einem spartanisch reduzierten Hercules von Disney, einem halben Dutzend Cartoons auf Nickelodeon sowie frühen Abenteuern eines gewissen Belmont-Clans einordnen, begegnet man immer wieder Anspielungen auf Pop-Kultur und Videospiele. Dort hängt ein Plakat für "La Casa Crashers", hier sieht eine Statue aus wie Donkey Kong, am nächsten Haus wiederum hängt ein Plakat, das ein Wrestling-Match promotet, deren Protagonisten an Batman und Bane erinnern. Und man sollte sich auch nicht wundern, wenn man irgendwo ein grobes Wandmosaik mit Inka-Einschlag entdeckt, das eine allzu deutliche Hommage an Castlevania darstellt. Ganz zu schweigen von der verstorbenen Figur in den schneebedeckten Bergen, die ein Zwilling eines gewissen Belmont sein könnte - selbst Journey wird zitiert. Vor allem in der ersten Hälfte des Abenteuers werden Kenner haufenweise humorvolle Ostereier finden.

Mit der Maske wird aus ihm ein furchtloser Luchador.
Doch es sind nicht nur die humorvollen Anspielungen, mit denen Guacamalee punktet. Stilsicher schafft man es, ein packendes Erlebnis zu inszenieren. Im Wesentlichen folgt man dabei den Richtlinien, die von Titeln wie den 2D-Castlevanias oder Metroids populär gemacht wurden: Erforschung, Kampf sowie den geschickten Einsatz der kontinuierlich erweiterten Fähigkeiten, sei es nun um neue Gebiete zu erreichen oder noch härtere Gegner zu knacken. Und natürlich dürfen auch fordernde Sprungpassagen nicht fehlen, an deren Ende entweder ein neuer Abschnitt oder eine Truhe mit Geld oder Upgrade-Teilen in den Tiefen der Labyrinthe wartet. Das Besondere dabei: Alle Sonderaktionen, die man sich im Laufe des je nach Komplettierungs-Fetisch zwischen sechs und zwölf Stunden langen Abenteuers aneignet, haben sowohl im Kampf als auch im Rahmen der Erforschung eine Bedeutung.  

Zwei Welten, haufenweise Gegner

Die zahlreichen Spezialbewegungen nutzt man nicht nur im Kampf, sondern auch, um neue Gebiete zu erreichen.
Der Uppercut z.B. eignet sich wunderbar, um nach einem Sprung oder Doppelsprung die letzten Zentimeter zur nächsten rettenden Plattform zu überbrücken. Die Ausweichrolle ist nicht nur ein potentes Mittel, um Angriffen aus dem Weg zu gehen, sondern hilft unbeschadet durch Dornen zu kommen. Auch der Wechsel zwischen der Welt der Toten und der Lebenden hat mehr zum Ergebnis als eine Umkehrung der Fallrichtung des Schnees oder neue, düstere Umgebungstexturen. Manche Gegner lassen sich nur in der einen oder anderen Welt besiegen (können einen aber aus jeder angreifen oder verletzen) und einige der Bosse wechseln permanent hin und her, so dass man ständig reagieren muss. Zusätzlich begegnet man immer wieder Feinden, die durch einen Schild geschützt sind, den man nur mit einem bestimmten Angriff knacken kann. So bleiben die Gefechte weitgehend frisch und überraschend. Wobei es allerdings auch ab und an unnötigen Leerlauf gibt, was sich am Abspulen bestimmter Standard-Gegnerwellen äußert, die nur da zu sein scheinen, um die Spielzeit nach oben zu treiben. Doch diese Momente bilden glücklicherweise die Ausnahme. Meist sind die Gefechte bedingt durch den ständig geforderten Wechsel der Angriffs-Strategie oder den Zwang bestimmte Angriffe verwenden zu müssen, gleichsam fordernd wie kurzweilig.

Doch man wird häufig genug fluchen. Nicht nur, weil einem die akkurate Kollisionsabfrage im Kampf schmerzhaft vor Augen führt, dass die in der Selbsteinschätzung eingeräumten Fähigkeiten wohl doch nicht ausreichen. Sondern vielmehr weil drinkbox bei der Levelgestaltung bzw. bei den Anforderungen, die Abschnitte zu durchqueren, alle Register zieht. Neben sorgsamer Sprungplanung und entsprechender Fingerfertigkeit wird die Bewegungskoordination aufs Härteste geprüft, wenn man Sprünge, Doppelsprünge und Hilfsaktionen wie das Festklammern an Wänden mit der Möglichkeit des Weltenwechsels kombinieren muss, weil bestimmte Wände oder Portale nur in der einen oder nur in der anderen Dimension erscheinen. Knoten in den Fingern und im schlimmsten Fall herzhafte, definitiv nicht jugendfreie Flüche werden zur normalen Begleiterscheinung. Im Gegenzug ist die Genugtuung enorm, wenn man nach X Fehlversuchen doch die Passage bewältigt und damit einen der für das "gute" Ende benötigten Orbs  oder eine Truhe mit wertvollem Inhalt einheimst. Ganz zu schweigen von dem Glücksgefühl, wenn der Boss nach 30 oder mehr Fehlversuchen doch endlich ans Ende seiner Energieleiste geprügelt wurde.

Der Luchador ist nix für Lutscher

Auch wenn die Gegnervielfalt zu wünschen übrig lässt: Guacamelee ist auch ein Jahr nach Erstveröffentlichung immer noch ein forderndes sowie unterhaltsames Action-Adventure.
Dass man dabei in den Tiefen der Abschnitte gelegentlich immer noch auf unverzeihliches Trial&Error trifft, ist ebenso bedauerlich wie die als Füllmasse eingestreuten Gegnerwellen. Zu groß war dennoch der Ehrgeiz, den Beweis abzulegen, dass sowohl die Reaktionsgeschwindigkeit als auch die Fingerfertigkeit in der Lage sind, mit dem fertig zu werden, was mir El Churro in den Weg stellt. Selbst wenn das bedeutet, dass sich der Held in manchen Situation in ein Huhn verwandeln muss, das mit stolz gerecktem Kopf, aber dennoch unheimlich nervös sowie hektisch zu steuern, über den Bildschirm gackert und bei Angriffen weniger Schaden anrichtet als der Sturm des HSV in der letzten Bundesligasaison! Wohl dem, der vor allem in den Bosskämpfen einen Freund an der Seite hat, der mit der zweiten spielbaren Figur Tostada (ebenfalls maskiert, aber definitiv weiblich) ins Geschehen eingreift. Natürlich kann man nicht nur die Kämpfe, sondern das komplette Abenteuer als Duo in Angriff nehmen. Dann teilen sich beide einen Bildschirm und der „Zurückbleibende“ wird ähnlich der Wii-Version von Super Mario Bros. in einer Blase auf den aktuellen Bildschirm transportiert, wenn der Abstand zu groß wird. Abgesehen von dem gemeinsamen Erleben von Drama und Komödie bietet der Zweispieler-Modus allerdings nichts, was das Abenteuer verbessern würde.

Man kann auch zu zweit versuchen, das Gleichgewicht zwischen den Welten wieder herzustellen.
Ganz im Gegensatz zu den Erweiterungen bzw. Ergänzungen, die in der Super Turbo Chamionchip Edition hinzugefügt wurden. Dazu gehört z.B. die "Intenso"-Fähigkeit, die richtig eingesetzt sogar die turmhohen Skelette mit nur wenigen Schlägen zerbröselt. Weiterhin gibt zwei zusätzliche Abschnitte, neue Speicherplätze, neue Kostüme sowie eine neue Dimensionswechsel-Option. Mit den neuen Inhalten wird Guacamelee zwar unter dem Strich nicht besser, da sich kein neues bzw. anderes Spielgefühl einstellt. Doch man bekommt noch mehr von Anfang bis Ende gelungene Action-Adventure-Unterhaltung in einer stimmungsvollen Kulisse geboten. Die hat sich übrigens auch nicht stark verändert, wirkt aber auf PS4 und Xbox One noch einen Tick klarer, scheint farbenfroher und hat mehr Bewegung in der Umgebung wie z.B. die davon laufenden Hühner oder Tauben im Startlevel.

Super. Turbo. Championship.

Sprachausgabe gehört ebenfalls immer noch nicht zur Welt von Guacamelee. Doch obwohl ich viel hinsichtlich gelungener Spielatmosphäre an der Akustik festmache, bin ich hier schnell darüber hinweggekommen. Zwar hätte ich es klasse gefunden, wenn die Figuren einen ähnlichen Eindruck wie Mel Blanc als Speedy Gonzales hinterlassen hätten. Doch letztlich waren die Bedenken wohl zu groß, dass die witzigen Texte akkurat vertont worden wären, ohne die empfindliche Balance zwischen Hommage und peinlicher Lächerlichkeit zu stören.

Fazit

Auch gut ein Jahr nach der Premiere auf den alten Sony-Systemen hat das Action-Adventure nichts von seiner Faszination eingebüßt. Das liegt jedoch weniger an den neuen Inhalten, die letztlich nur mehr von allem bieten. Sondern vor allem daran, dass drinkbox seinerzeit eine sehr unterhaltsame Mischung aus Erkundung, Jump&Run und Kampf erschaffen hat. Zahlreiche Spiele und Popkultur-Ikonen von Link bis Batman werden mit Anspielungen in dem charmanten sowie farbenfrohen Comicdesign bedacht, hinzu kommt stimmungsvolle Mariachi-Musik, bei der schlechte Laune keine Chance hat. Selbst wenn man das gefühlt hundertste Mal die Sprungpassage in Angriff nimmt oder vergeblich versucht, den Boss zu plätten und schließlich an seinen motorischen Fähigkeiten zweifelt, kann man dem Luchador nicht wirklich böse sein. Wenn man Guacamelee etwas vorwerfen möchte, dann dass die Gegner zu wenig Abwechslung bieten und dass das Design zu stark auf Trial&Error ausgelegt ist. Wer Spiele wie Shadow Complex oder Outland mag und sich auch höheren Anforderungen stellen möchte, ist hier bestens aufgehoben!

Pro

  • toller Mix aus Erkundung, Mix & Jump&Run
  • zusätzliche Inhalte (u.a. eine neue Fähigkeit, Kostüme)
  • hohes Anforderungsprofil
  • unglaublich charmantes Design
  • gute Steuerung
  • stmmungsvolle Mariachi-Musik
  • viel zu entdecken
  • Koop-Modus
  • zahlreiche Easter Eggs und Anspielungen auf Videospiele
  • akkurate Kollisionsabfrage
  • man kann als Huhn spielen - als Huhn!

Kontra

  • wenig Gegnervariation
  • manche eintönige Gegnerwellen
  • gelegentlich zu sehr auf Trial&Error ausgelegt
  • keine Sprachausgabe

Wertung

XboxOne

Farbenfroh, charmant, fordernd und voller witziger Anspielungen: Guacamelee bietet Levelerforschung, Kampf und Jump&Run auf hohem Niveau. Jetzt sogar mit mehr Super-Turbo- Championship-Inhalten.

PlayStation4

Farbenfroh, charmant, fordernd und voller witziger Anspielungen: Guacamelee bietet Levelerforschung, Kampf und Jump&Run auf hohem Niveau. Jetzt sogar mit mehr Super-Turbo- Championship-Inhalten.