Mittelerde: Mordors Schatten - Test, Action-Adventure, 360, Linux, PlayStation4, Mac, PlayStation3, XboxOne, PC
Der Gondor-Waldläufer Talion fristet am Schwarzen Tor, das Mordor und Gondor voneinander trennt, ein tristes Dasein als Captain der dort stationierten Garde. Doch sein Leben wird auf den Kopf gestellt, als der dunkle Herrscher Sauron nach Mordor zurückkehrt und eine Schneise der Zerstörung hinterlässt. Die Schwarze Hand, der Turm und der Hammer von Sauron, drei seiner treuesten Diener, töten den sich mutig in den Weg stellenden Talion. Allerdings muss er vorher mit ansehen, wie seine Frau und sein Sohn sterben, um das Ritual zu beenden, das Sauron wiederkehren lässt.
Zweite Chance
Doch Talion bekommt eine zweite Chance auf Rache. Der Geist des Elfenkönigs Celebrimbor, der als Meisterschmied der Ringe der Macht im zweiten Zeitalter gegen Sauron kämpfte und seine eigenen Motive verfolgt, verrät dem Waldläufer, dass der Tod ihn zurückweist. Er nimmt mehr oder minder Besitz von Talion und sorgt damit dafür, dass dieser auf übersinnliche Fähigkeiten zurückgreifen kann. In den offenen Mittelerde-Gebieten von Udûn und Lake Núrnen macht Talion sich auf den Weg, den Tod seiner Familie zu rächen.
Red Dead Mordor
Doch so gut die Dialoge auch sind (sowohl in Englisch als auch in Deutsch) und so viel Stimmung auch kleine Nebenaufträge verbreiten, hat Cantamessa mit seinem Team einen Fehler wiederholt, der auch schon der Wildwest-Welt von Rockstar einige Atmosphäre-Punkte gekostet hat: Figuren werden eingeführt, über ein, zwei, vielleicht mal drei Missionen aufgebaut. Man freundet sich als Spieler mit ihnen an und möchte mehr von ihnen erfahren - und auf einmal verschwinden sie auf Nimmerwiedersehen. In wenigen Momenten ist dieser Abschied glaubwürdig, zumeist wirkt es leider so, als ob die Autoren nicht ganz wussten, was sie jetzt noch hätten machen können – schade! Zudem wird die geskriptete Geschichte mit zunehmender Spieldauer von den zufällig generierten bzw. vom Spieler beeinflussten Ereignissen des Nemesis-Systems ersetzt. Und die können in dramaturgischer Hinsicht nicht mit den vorgegebenen Geschichten mithalten. Doch mit dem grandiosen Finale kann man wieder einige der verlorenen Punkte zurückgewinnen.
Persönliche Feinde in Mittelerde
Doch bis es so weit ist, muss man die Uruk-Gesellschaft auf sich wirken lassen. Man muss herausfinden, wer wie zu wem steht und wen man ggf. nutzen kann, um sich Vorteile zu verschaffen. Um die hierarchischen Strukturen nachhaltig zu beeinflussen, gibt viele Nebenmissionen. Man kann versuchen, die Uruks gegeneinander aufzuhetzen und sogar zu Exekutionen ihrer Feinde überreden. Im Gegenzug kann es passieren, dass man eine Ermordung eines seiner Schützlinge verhindern muss - die Medaille hat immer zwei Seiten. Man kann versuchen, einen neuen Leibwächter bei einem Häuptling zu installieren, um ihn vielleicht später als Attentäter einzusetzen. Es gibt vielerlei Möglichkeiten, einen dieser so genannten Machtkämpfe zu initiieren und die Uruk-Strukturen dadurch zu beeinflussen - sei es nur, um ein Ablenkungsmanöver durchzuführen, damit man einen Captain, Hauptmann oder Häuptling aus dem Weg räumen oder auf seine Seite ziehen kann. Später kann man sogar allen in der Nähe befindlichen unter der Geistesherrschaft stehenden Uruks einen gemeinschaftlichen Angriffsbefehl geben, so dass beim Angriff auf eine Festung eine leichte taktische Note hinzukommt. Wer sich die Mühe macht und schleichend die auf den Dächern stationierten Bogenschützen für sich einnimmt, bevor er die Hauptleute fordert, kann u.U. einen entscheidenden Vorteil auf seiner Seite haben.
Vorteilhafte Erinnerungen
Bedenklicher ist da schon die geringe Bandbreite an zur Verfügung stehenden Gegnertypen. Neben "natürlichen" Bedrohungen wie Caragors oder Graugs, von denen man sich in der ersten Spielhälfte fernhalten sollte - zumindest bis man sie als Reittiere für Angriffe nutzen kann - gibt es noch Ghule und natürlich Uruks. Diese allerdings nur in fünf Formen von einfacher Infanterie über Bogenschützen bis hin zu Berserkern oder Verteidigern. In großen und vor allem gemischten Gruppen sind diese zwar bis zum Schluss eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Aber zum einen hat man sich irgendwann eine grundsätzliche Taktik für jeden dieser Gegnertypen zurechtgelegt. Und zum anderen hat Talion auch dank seines ordentlichen Fähigkeitenbaumes, der sich teils auf seine Waldläufer-Eigenschaften, teils auf die Geisterkraft Celebrimbors stützt, in der zweiten Spielhälfte zunehmend Vorteile im Kampf.
Dunkler Ritter à la Tolkien
Die in der Vorabversion noch kritisierte Gegner-Aufschaltung wurde in der finalen Version verbessert, ist aber immer noch nicht optimal. Zwar passiert es seltener, dass man im Eifer des unübersichtlichen Gefechtes seine eigenen Uruks meuchelt. Aber es kommt immer noch vor. Und in einer Horde von zehn oder 15 Gegnern den Häuptling oder Captain auszumachen und ihn dann noch gezielt anzugreifen, ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit - es sei denn, man nutzt eine der Geist-Fähigkeiten wie z.B. den Schattenschlag, mit dem man sich auch über größere Distanz zum Kontrahenten teleportieren und ihm schweren Schaden zufügen kann. Abhängig von den Resistenzen oder Schwächen kann dies sogar die einzige Möglichkeit sein, ihn ohne langwierigen Kampf gefügig zu machen.
Da ein blindwütiges Stürmen in die gegnerische Festung meist damit endet, dass man auf ein Rudel Hauptmänner oder einen Häuptling samt Leibgarde trifft, die einen meist das Leben kosten und einen Rang- bzw. Stufenaufstieg desjenigen nach sich ziehen, der einen getötet hat, sollte man vorsichtig vorgehen. Nachdem man sich beim Kampfsystem bereits erfolgreich inspirieren ließ, verwundert es nicht, dass sich Monolith auch für das Schleichen und die Meuchelmorde genau angeschaut hat, was die Konkurrenz so macht – und ist bei Ubisoft Montreal fündig geworden. Denn was hier an Stealth angeboten wird ähnelt Assassin’s Creed 4 inkl. der automatischen Tarnung in hohen Büschen, die sich hier mindestens ebenso eindrucksvoll hin und her wiegen wie in der Creed’schen Karibik, wenn Talion in ihnen Zuflucht gefunden hat. Und die Genugtuung, wenn man einen Uruk aus dem Hinterhalt meuchelt, ohne dass seine Kameraden die Tat oder sein Fehlen bemerken, ist nicht von der Hand zu weisen.
Mordor Creed
Zumindest bis zu dem Punkt, an dem man feststellt, dass die KI (Uruk hin oder her) beim Schleichen häufig unterlegen ist. Eine Gruppe von Orks läuft z.B. schräg versetzt hintereinander. Stellt man sich geschickt an, kann man sich problemlos von hinten nach vorne durcharbeiten und die Feinde entweder meucheln oder einen nach dem anderen ohne Widerstand übernehmen. Das geht etwas zu leicht und entspricht auch nicht der wachsamen Natur, die die Orks auch hier mit ihren militärischen Hierarchien untermauern sollten. Ihre Sichtweite könnte auch höher sein. Zwar arbeitet die „Entdeckungs-KI“ relativ gut, allerdings gerät man erst spät ins Visier. Zumindest erst in einer ausreichenden Entfernung, um im Zweifelsfall den Verdacht schöpfenden Uruk auszuschalten, bevor er den Rest der Meute alarmieren kann. Hier kann und sollte Monolith bei zukünftigen Updates die Schraube ansetzen. Denn auf der Schwierigkeitswaage zwischen zu hohem Anspruch, fairer Ausgewogenheit und kulantem Augenzudrücken ist das Schleichen sehr verzeihend und kostet die Uruks nicht nur Glaubwürdigkeit, sondern auch Spannungspunkte.
Annehmlichkeiten eines Runenmeisters
Abseits dessen kann man seine Tötungswerkzeuge mit Waffeneigenschaften verändernden Runen schmücken, die man als Belohnung bekommt, wenn namhafte Uruks das Zeitliche segnen. Mit diesen Verstärkungen hat man erstaunlich viel Einfluss, das Spiel an seine Bedürfnisse anzupassen und so z.B. dem Dolch den Extrakick in Form von zusätzlich möglichem Elementarschaden usw. zu geben, damit sich das Schleichen richtig lohnt. Allerdings ist man hier ein wenig vom Zufall abhängig. Nicht nur, weil die gefundenen Runen unterschiedliche Levels haben. Sondern auch, weil sie unterschiedliche Seltenheit aufweisen, von gewöhnlich bis episch. Immerhin: Man kann die Runen jederzeit ersetzen und nicht mehr benötigte in die Währung „Mirian“ umwandeln. Diese kann man wiederum verwenden, um Attributssteigerungen für Talion oder neue Runenplätze für die Waffen zu erstehen.
Dreierlei Mittelerde?
Wer einen potenten Rechner mit entsprechend üppigem Grafikspeicher nutzt (für die „High“-Einstellung in 1080p-Auflösung sind mindestens drei Gigabyte nötig, siehe auch News) und ein kompatibles Gamepad verwendet, wird sich bei der Qual der Wahl vermutlich für die PC-Fassung entscheiden, die unter dem Strich am besten aussieht. Andererseits sind die Abstriche auf Konsolen nicht gravierend – weder auf PS4 noch auf der One. Probleme mit Pop-Ups, mitunter unscharfen Texturen und insgesamt nicht so eindrucksvolle Sichtweite (wie sie z.B. Red Dead Redemption bietet) findet man auf allen Plattformen. Stars sind neben den beiden Protagonisten ohnehin die zufällig generierten Uruks des Nemesis-Systems. Und die leisten sich nirgendwo eine Blöße.
Fazit
Vieles in Mittelerde erinnert an andere Spiele. Das Kämpfen ähnelt Rocksteadys Batman. Das Schleichen und das Erklimmen von Türmen zur Gebietserforschung kennt man aus Assassin's Creed. Missionsstrukturen und Vorzüge sowie Mankos von Erzählweise in der offenen Welt wiederum lassen Erinnerungen an Red Dead Redemption wachwerden. Zudem wurde alles ansprechend zusammengefügt. Doch Mordors Schatten ist mehr als nur die Summe seiner Einzelteile. Dank des gelungenen Nemesis-Systems, das die politische Struktur der Uruks in Mordor regelt und das man in der Rolle Talions aktiv beeinflussen kann, erwacht Mittelerde zum Leben. Immer wieder wird man auch durch die Erzählung tiefer und tiefer in die lebendige Welt gezogen - zumindest in der ersten Spielhälfte. In der zweiten Hälfte der gut 20 bis 25 Stunden dauernden Kampagne wird die bis dahin stimmige Geschichte zunehmend durch die Ereignisse des Nemesis-Systems ersetzt, das allerdings trotz guter Ansätze und einer gelungenen Lokalisierung nicht die dramaturgische Wucht der geskripteten Erzählung erreicht. Zusätzlich hat Monolith in dieser Phase Probleme mit dem Balancing: Talion wird zu mächtig, wobei die KI-Probleme der Uruk bei Schleichangriffen zusätzlich negativ auffallen. Die sich hinsichtlich Look&Feel bei den Peter-Jackson-Filmen orientierende Kulisse ist trotz kleinerer Schwächen und hoher PC-Anforderungen stimmungsvoll und macht den Mittelerde-Ausflug auch visuell zu einem Vergnügen. Mordors Schatten ist nicht der "Open-World-Überflieger". Aber Monolith hat vieles richtig gemacht und die Herr-der-Ringe-Lizenz clever genutzt, um ein unterhaltsames Action-Adventure zu inszenieren.
Pro
- Nemesis-System simuliert militärpolitische Uruk-Gesellschaft
- jeder der "oberen" Uruk hat Stärken und Schwächen, die sich dynamisch verändern
- Spieler kann diese Gesellschaft direkt und indirekt beeinflussen
- zufällig generierte Gegner sorgen für ein individuelles Spielerlebnis
- dynamisches Kampfsystem mit brachialen Finishern...
- interessante Story aus der Feder von Christian Cantamessa (Red Dead Redemption)...
- offene Spielwelt mit zwei Gebieten (Udûn und Lake Núrnen)
- stimmungsvolle Kulisse orientiert sich an den Peter-Jackson-Filmen
- sehr gute deutsche Lokalisierung
- gut integrierte Schleich-Elemente
- größtenteils interessante Nebenmissionen
- Waffen lassen sich durch erbeutete Runen aufrüsten
- umfangreicher Fähigkeitenbaum
Kontra
- Balance läuft in der zweiten Spielhälfte zu Gunsten Talions aus dem Ruder
- KI-Schwächen bei Stealth-Nutzung
- wenige Gegnertypen
- auf Dauer nicht ausreichend Missions-Variation im Nemesis-System
- ... dem aber in den Gefechten ab und zu die letzte Wucht fehlt
- ... die jedoch ähnlich dem Western-Epos Charaktere inkonsequent einsetzt und mitunter etwas wirr erzählt wird
- Geschichte wird in der zweiten Spielhälfte zu Gunsten des Nemesis-System zurückgestuft
- grafische Mankos (Pop-Ups, Sichtweite)