80 Days - Test, Adventure, Switch, PC, Android, iPhone, iPad

80 Days
12.08.2014, Jörg Luibl

Test: 80 Days

Reise-Abenteuer à la Jules Verne

Wie schafft man es in 80 Tagen um die Welt? Welche Route und welches Transportmittel wählt man? Das könnt ihr im Adventure 80 Days der inkle studios (Sorcery! 2, Wertung: 90%) herausfinden.  Die für ihr hervorragendes Storytelling bekannten Briten entführen  euch auf iPad und iPhone in eine von Jules Verne inspirierte Parallelwelt. Warum die Reise überzeugt, klärt der Test.

Was packt ihr in euren Koffer? Die gelben Gummistiefel, einen russischen Zugfahrplan oder den Segelhut? Alles hat so seine Vorteile. Zu Beginn des Spiels ist allerdings nicht für alles Platz im Koffer. Außerdem muss es schnell gehen, denn Meister Phileas Fogg ist eine heikle Wette eingegangen: In 80 Tagen will er es um die ganze Welt schaffen. Und die Uhr tickt gnadenlos! Zusätzliche Brisanz gewinnt die Reise, weil ein Krieg in Europa

Unser aktueller Rekord: In 67 Tagen um die Welt!
droht und mysteriöse Konkurrenten an der Wette teilnehmen, die sich nicht immer wie Gentlemen benehmen...

Alle Wege beginnen in London

Im Jahr 1872 reist ihr also Hals über Kopf von London aus los, wobei ihr zig Möglichkeiten habt, was die Route betrifft. Schon wenn man in Paris landet, ergeben sich viele Wege für das ehrgeizige Duo, wobei man selbst in die Rolle von Foggs französischem Diener Passepartout schlüpft. Der muss nicht nur vieles selbst entscheiden, sondern sich fast mütterlich um seinen Meister kümmern. Phileas verliert nämlich mit der Zeit kostbare Lebenspunkte, wenn die Reise zu strapaziös wird. Also kann man ihn kämmen, füttern oder sich anderweitig bemühen.

In den Städten hat man die Qual der Wahl: Soll man sie erkunden, etwas verkaufen oder direkt weiter reisen?
Auch die richtige Kleidung kann helfen. Wer auf einer staubigen Wüstenstraße dahinrattert, profitiert von Mütze, Brille & Co. Interessant für Sammler ist, dass es Sets gibt, die meist aus zwei oder drei entsprechenden Kleidungsstücken bestehen. Hat man sie komplett dabei, verliert man weniger Gesundheit oder bekommt ganz neue Optionen in den Dialogen. Aber keine Bange: Es geht nicht um Sammelei und Babysitting, sondern in erster Linie um Erkundung und clevere Planung in einer Parallelwelt, die sich mit einigen technischen und politischen Entwicklungen von unserer unterscheidet – das weckt natürlich auch die erzählerische Neugier.

Gegen die Zeit, das Geld und die Konkurrenz

Hinzu kommt der wirtschaftliche Aspekt: Man startet mit stolzen 4000 Pfund, die zu Beginn noch wie ein Schatz anmuten. Aber je weiter man kommt, desto teurer wird es, denn man kann Reisezeiten über Bestechungen oder horrende Passagekosten einsparen. Um sein Budget wieder zu füllen, sollte man das Gesammelte in den Städten verkaufen. Aber Vorsicht: Jeder Gegenstand erzielt nur in zwei, drei Städten wirklich gute Preise – ansonsten muss man ihn verramschen. Manchmal kann sich also ein Umweg lohnen, um statt 10 vielleicht satte 1000 Pfund einzusacken.

Das Motivierende an der Reise ist zudem, dass Straßen und Transportmittel nicht automatisch angezeigt werden, sondern erst entdeckt werden müssen – entweder, indem man entsprechende Karten kauft, mit Fahrern spricht oder eine Stadt erkundet. Hat man die Information für die Route, breiten sich auf dem frei dreh- und zoombaren Globus neue rote Adern aus. Ein schöner Moment! Aber Karten sind rar gesät und was bringen einem die Abfahrtzeiten im Indischen Ozean schon in Frankreich? Also sollte man überlegen, ob man die kostbare Zeit von vier Stunden opfert und tatsächlich durch die Stadt schlendert.

Erkundung ist Trumpf

In diesem Moment beginnt dann ein kleines Rollenspiel wie in einem Abenteuer-Spielbuch, indem man sich in den

Während der Reise kann man ebenfalls entscheiden: Ein Plausch mit dem Schaffner oder sich lieber um seinen Meister kümmern?
Gassen von Paris, Moskau oder San Francisco in Multiple-Choice-Dialogen für Antworten entscheidet. Nur so findet man vielleicht heraus, dass es neben der Standardroute noch eine schnellere oder günstigere Variante gibt. Wenn man bedenkt, dass es 144 Städte gibt und man fast überall nicht nur andere Wege und Vehikel aufdecken, sondern auch lokale Anekdoten erleben kann, dürfte der enorme Umfang an Text deutlich werden. Der Wiederspielwert ist alleine aufgrund dieser Verzweigungen enorm.

Ihr müsst nicht nur die richtigen Fahrzeuge von Auto über Schiff bis Flieger wählen, darunter auch exotische Vehikel wie Dampfpferde oder Unterwasserbahnen, sondern wie in einem Rollenspiel viele Entscheidungen in Extremsituationen treffen, die sich entweder sofort oder etwas später auswirken. Da man quasi Konkurrenten hat, sollte man sich gut überlegen, ob und wo man das Ziel seiner Reise ausplaudert; außerdem lauern Banditen und Piraten auf sorglose Reisende. Für Wettbewerbsflair sorgt auch die Anzeige anderer Spieler, die gerade online sind – so sieht man z.B., dass jemand schon zwei Tage früher in Japan gelandet ist.

Wie schon in Sorcery nutzen die inkle Studios auch die Visualisierung des Textes als Stil- und Spannungsmittel. Man

Auf dem frei dreh- und zoombaren Globus ergeben sich immer neue Routen.
bekommt also nicht einfach ein Menü mit möglichen Antworten, sondern tippt und scrollt sich von oben nach unten durch Gespräche und Situationen; aufgrund dieser vertikalen dynamischen Darstellung „enthüllt“ man quasi schon beim Lesen. Und die Texte erreichen allerhöchstes Niveau, nicht nur hinsichtlich des gediegenen britischen Stils und des süffisanten Humors, sondern auch aufgrund der vielen liebenswerten oder dramatischen Anekdoten sowie der aktiven Beeinflussung von Situationen. Man kann über seine Antwort quasi mitbestimmen, wie bestimmte Personen auftreten oder Szenen wirken. Das ist eine wunderbare Art, die Fantasie des Spielers an der Erkundung zu beteiligen, denn man formt die Welt ein wenig mit.

Der Text als visuelles Stilmittel

Auch die offene Struktur der Dialoge überzeugt: Man fühlt sich wie in einem Rollenspiel, wenn sich nach einer vermeintlich schlichten Antwort plötzlich ganz neue Möglichkeiten ergeben, die wiederum zu neuen Entdeckungen führen. Man kann z.B. seine Zeit auf der Reise mit dem Schachspielen oder dem Blick nach draußen verbringen; wählt man Ersteres trifft man vielleicht einen französischen Soldaten und kann etwas Geld gewinnen oder sich eher langweilen. Selbst wenn man weniger lukrative Antworten wählt, kann sich mitunter etwas ergeben – und weil man so oft so kreativ überrascht wird, entsteht eine anspruchsvolle Lektüre. Es gibt erotische Flirts und böse Überfälle, magische Handwerker und miese Hehler,

Die Geschichte ist hervorragend geschrieben und ihr könnt sie mit euren Antworten beeinflussen.
wortkarge Schaffner und redselige Kapitäne. Ihr mögt historische Abenteuer à la Jules Verne oder Steampunk-Parallelwelten? Dann freut euch auf viele Anspielungen und eine fein ausgearbeitete Hintergrundwelt, die auch aufgrund der Kriegsgefahr, der Roboter-Thematik und einiger Spionage-Scharmützel lebendig wirkt.

Das Artdesign beschränkt sich auf das Wesentliche, wirkt dabei unheimlich dezent und klar strukturiert. Es gibt zwar lediglich schlicht gezeichnete Figuren und Vehikel sowie wenige Farben. Allerdings sorgt gerade dieser Stil für eine gediegene Atmosphäre. Mit den  bewegten Wolken am Rand hat man übrigens ein ansehnliches Element aus Sorcery! übernommen.  Auch die Musik trägt mit ihren mal wehmütigen, mal heroischen Klängen viel zur Jules-Verne-Stimmung bei.

Dezentes Artdesign

Fazit

80 Days ist ein edel designtes, erzählerisch gehaltvolles und vor allem faszinierend offenes Reise-Abenteuer. Man erlebt bei jeder Tour über den Globus etwas Neues – egal ob eine Anekdote in Istanbul, ein Flirt in der Eisenbahn oder Piraten im Pazifik. Und dabei sieht man jederzeit, welche Route andere Spieler gerade einschlagen. Die erzählerischen Überraschungen, das Rollenspielflair sowie die Planung der nächsten Ziele sorgen für ein spannendes Erlebnis. Die inkle Studios liefern erneut den Beweis dafür, dass man heutzutage nicht nur mit pompöser Technik oder brachialer Action unterhalten kann. Es ist auch mehr als genug Platz für gut geschriebene Geschichten und kreatives Spieldesign – vor allem, wenn sie mit dem Reiz der freien Entscheidung locken. Hier wird das Tablet zum interaktiven Roman, den man jederzeit selbst beeinflussen kann. Und wenn man nach einer Tour mit Kumpels drüber quatscht, hat jeder etwas anderes erlebt. Wer anspruchsvolles und kreatives Storytelling mag, kommt um dieses ausgezeichnete Abenteuer nicht herum.

Pro

  • spannendes Reise-Abenteuer
  • lebendige, angenehm offene Dialoge
  • sehr gute Story & Hintergrundwelt
  • offene Routen über die ganze Erde
  • frei dreh- und zoombarer 3D-Globus
  • Multiple-Choice-Dialoge mit Konsequenzen
  • taktische und wirtschaftliche Planung
  • Wettbewerb durch Anzeige anderer Reisender
  • enormer Wiederspielwert

Kontra

  • bisher nur auf Englisch

Wertung

iPad

Ausgezeichnetes Reise-Abenteuer: Tolle Spielidee, klasse Story und Dialoge.