Train Fever - Test, Taktik & Strategie, PC

Train Fever
11.09.2014, Eike Cramer

Test: Train Fever

Modellbahnflair auf Schiene & Straße

Fans von Transportsimulationen darben: Es gibt nur noch wenige Vertreter, die die Fahne des ÖPNV hochhalten. Train Fever (ab 29,99€ bei kaufen) tritt in die großen Fußstapfen von Transport Tycoon und Railroad Tycoon. Kann Urban Games das Genre neu beleben?

Lange ist es her, seit ich mir mit Chris Sawyer’s Transport Tycoon Teenager-Nächte um die Ohren geschlagen habe. Städte verbinden, Güter transportieren, Subventionen ausnutzen: Kaum ein Spiel verstand es, eigentlich sprödes Logistikmanagement in eine Sucht zu verwandeln, bei der sich jede angeschlossene Stadt wie ein kleiner Triumph anfühlte – auch wenn es im Wirtschaftsteil haperte, es viel nerviges Mikromanagement gab und sich mit wenigen

Auf Schiene und Straße müssen Waren und Fahrgäste transportiert werden.
Tricks unheimlich viel Geld verdienen ließ.

Logistik wie 1994

Train Fever tritt fast zwanzig Jahre später in die Fußstapfen des Großvaters der modernen Wirtschaftssimulation. Von 1850 bis 2020 transportiert man Waren und Fahrgäste zwischen Städten auf einer zufallsgenerierten Karte auf Schiene und Straße. Missionen? Gibt es nicht. Ziele? Werden selbst gesteckt! Einzig ein oberflächliches Text-Tutorial gibt mir beim Start Hinweise, wie ich über den ordentlichen Linien-Editor eine Buslinie einrichte, Städte mit einer Bahnlinie verbinde und Züge oder Kutschen auf die Reise schicke. Der Rest liegt an mir.

Das Schöne: Die Bewohner der Städte werden, anders als z.B. in Sim City, halbwegs  akkurat simuliert. Jeder Einwohner hat u.a. eine Wohnung, eine Arbeitsstelle und ein Lieblingsgeschäft. Sind diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbunden und schneller als zu Fuß oder später per Auto erreichbar, entscheidet sich die KI für den ÖPNV. Gibt es in einer Stadt mehr Arbeitsplätze als Einwohner, pendelt die Bevölkerung aus anderen Städten und

Vom bescheidenen Lokomotivchen ...
sorgt für volle Züge. Gut angebundene Gebiete werden zudem schneller bevölkert, sodass man mit einer effizienten Anbindung Städte nachvollziehbar zum Wachsen anregen kann.

Simulation und Wachstum

Auch Industriegebiete – und Arbeitsplatzangebote– werden größer, je mehr Waren ich an die Stadt liefern kann. Hier offenbart Train Fever allerdings eine erste  Schwäche: Die Warenketten sind äußerst rudimentär. Es gibt nur vier Rohstoffe, die in drei Fabriken zu einem einzigen Endprodukt – Warenkisten – verarbeitet werden. Nur in einem Fall müssen zwei Rohstoffe, Kohle und Eisen, zu einer Fabrik geliefert werden, ansonsten reicht eine einfache Verknüpfung der Ressourcenquelle mit der Fabrik. In der Stadt werden die Waren automatisch ausgeliefert, ich muss nur für eine Lieferung  zu einem Depot in der Nähe sorgen. Produktionsstätten selbst errichten kann ich übrigens nicht. Diese werden zu Beginn verteilt – im Spielverlauf entstehen keine neuen Fabriken.

So einfach die Warenlieferung auch funktioniert, so undurchschaubar reagieren die Produktionsstätten auf Lieferungen und Abholungen – je mehr Kapazität auf Straße und Schiene zur Verfügung steht, desto schneller wächst die Produktion. Da aber die Zeit im Spiel recht schnell vergeht – ein Monat dauert ein paar Minuten – und Transportrouten zu Beginn durchaus eine Taktung von zehn Minuten oder mehr haben können, reagiert die Industrie unheimlich sensibel und mit unvorhersehbarer Erhöhung und Rückstufung der Produktion.

Im Jahre 1850 gibt es auf den Karten zunächst nur kleine Flecken besiedeltes Land, die mit frühen Dampflokomotiven und Pferdekarren verknüpft werden. Über die Jahrzehnte wandelt sich der Fuhrpark: aus klapprigen Museumsstücken werden kraftstrotzende Dampfrösser, bevor die Elektrifizierung Einzug hält und gegen Ende des 20. Jahrhunderts elegante Hochgeschwindigkeitszüge über Sondertrassen rasen. Pferdekarren werden zu Vierzigtonnern – und in den Städten fahren moderne Niederflurbahnen und Gelenkbusse, statt der Pferdetram oder dem Dampfbus.

Eine Zeitreise durch die Transportgeschichte

... zum kraftstrotzenden Dampfross ist es ein weiter Weg.
Doch obwohl die Zeitreise durch die europäische Transportgeschichte motiviert und die realen Vorbilder präzise nachgebildet werden, fehlt es in den einzelnen Epochen an Abwechslung: Meist gibt es eine Idealkombination aus Lokomotive und Wagen, die man auf jeder Strecke einsetzt. Auf der Straße gibt es ohnehin nur ein bis zwei Fahrzeuge gleichzeitig, sodass man kaum Auswahl hat.

Aber nicht nur der Fuhrpark ändert sich. Auch die Städte und die Bevölkerung sind im Wandel. Tragen z.B. die Frauen im 19. Jahrhundert lange Röcke und biedere Kleidung sieht man in den 1990er Jahren modische Variationen. In den Städten weicht Backstein modernen Glasfassaden und Kopfsteinpflaster wird zu Asphalt.

So gelungen der Zeitenwandel aber auch ist, so sehr schwächelt der wirtschaftliche Kern. Hier werden alte Fehler von

Die Warenketten sind kurz und simpel. Komplexe Lieferreihen müssen nicht geplant werden.
Transport Tycoon wiederholt. Ich kann z.B. keine Preise für Fahrkarten festlegen, etwa um eine Strecke attraktiver zu gestalten oder an gut ausgelasteten Strecken mehr Geld zu verdienen. Stattdessen wird über die Länge der zurückgelegten Distanz pro Passagier abgerechnet, was bei langen Hochgeschwindigkeitsstrecken merkwürdige Summen ergeben kann.

Mauer Wirtschaftsteil

Zudem fehlt es etwas an Anspruch: Anders als bei Railroad Tycoon 2 gibt es z.B keinen ausgefeilten Finanzteil, bei dem ich Konkurrenten ausstechen, oder am Aktienmarkt bestehen muss. Stattdessen habe ich nur die Möglichkeit ein Darlehen in Anspruch zu nehmen, dessen Höhe je nach Schwierigkeitsgrad variiert.

Das macht Train Fever recht einfach. Wenn man es zu Beginn nicht mit Linien übertreibt und wenigstens eine lukrative Strecke erstellt, kann man sehr schnell sehr viel Geld verdienen. Das Transportsystem funktioniert dabei ähnlich wie bei Cities in Motion: Die Städte sind in Wohnhäuser, Industrie, Einzelhandel und Freizeit aufgeteilt, deren Verteilung man sich über ein Tool anzeigen lassen kann. Verbindet man diese Bereiche mit einer Buslinie oder Tram, fahren viele

Der im 20. Jahrhundert aufkommende Individualverkehr macht dem eigenen Unternehmen Konkurrenz.
Leute mit und generieren dabei ordentlich Gewinn.

Ordentliche Linienführung

Das Werkzeug für die Linienführung überzeugt: Mit wenigen Klicks kann man übersichtlich Linien erstellen und durch Städte führen. Einzig die Tatsache, dass man keine Wegpunkte setzen kann um bestimmte Wege zu erzwingen stört etwas – dies soll aber bald per Patch nachgereicht werden.

Das zentrale Element einer Transportsimulation ist die Verlegung von Schienen und Straßen, was hier auch ordentlich funktioniert – solange ich mich auf die grundlegende Verbindungen beschränke. Ich kann halbwegs komfortabel Schienenstränge ziehen, Höhenverläufe bearbeiten oder Brücken und

Malerisch: Das Modellbahnflair ist grandios. Man kann sich zwischenzeitlich zurücklehnen und einfach nur beobachten.
Tunnel einbinden. Nervig wird es, sobald man zwei unterschiedlich hohe Schienenstränge verknüpfen, oder Weichen-Kombinationen errichten will. Zudem gibt es keine Möglichkeit Doppelgleise zu verlegen – ich muss jeden Schienenstrang einzeln in die Landschaft pflanzen, was aufgrund einer mäßigen Andock-Funktion an bereits verlegte Routen schnell nervt.

Schienenverlegung und Upgrade-Krampf

Richtig fummelig ist die Upgrade-Funktion von Schiene und Straße. In Städten kann man Straßenzüge per Klick verbreitern und mit Busspuren und Tramschienen ausstatten. Prinzipiell eine gute Idee, ähnlich wie bei Cities in Motion 2 muss man aber jeden Abschnitt einzeln anklicken. Das nervt nicht nur, man übersieht auch schnell fehlende Schienenstücke in der Straße, was zu langatmiger Fehlersuche führen kann, wenn die Tram das Depot partout nicht verlassen will.

Das Schlimmste ist aber die nachträgliche Elektrifizierung von Bahnlinien. Selten habe ich bei einer Wirtschaftssimulation dermaßen geflucht. Das Oberleitungs-Werkzeug funktioniert nämlich nur sehr unzuverlässig, spart zum Teil fingernagelgroße Linienstücke aus und gibt mir nur sehr indirekt Hinweise, wo noch keine Oberleitung installiert sein könnte. Das führte dazu, dass ich mitunter minutenlang Schienenstränge nach Lücken in der Oberleitung abgesucht habe, nachdem meine E-Lok die Ausfahrt aus dem Bahnhof verweigert hat.

Die Hölle der Elektrifizierung

Die Siedlungen wachsen nachvollziehbar: aus kleinen Flecken werden pulsierende Städte.
Auch das Signalsystem hätte bei mir definitiv für einige graue Haare gesorgt, wenn ich denn noch welche besäße. Die Lichtanlagen teilen die Gleise in Abschnitte ein, die die Züge nacheinander befahren können und können an Ausweichstellen durch geschicktes Nutzen der Einbahnstraßen-Funktion zu einer möglichst effizienten Auslastung derSchienen führen.  Allerdings gibt es keinen optischen Hinweis, in welche Richtung die Strecke befahrbar ist, wie weit die Abschnitte reichen und welche Stellen eventuell kritisch sein könnten.

Selbst bei intensiver Planung führte das immer wieder zu Zügen, die sich an Bahnhofsausgängen gegenüberstanden und keinen Millimeter mehr rühren wollten. Die Folge sind langwierige manuelle Lösungen, bei denen die Züge mit einigen Klicks händisch gewendet und in ein Depot bugsiert werden müssen. Warum hat man hier nicht einfach eine farbliche Markierung, Pfeile oder sonst irgendwas eingeführt, um wenigstens für den Hauch von Übersicht zu sorgen?

All diese Strapazen sind aber vergessen, wenn ein stolzes Dampfross über ein neues Talviadukt schnauft, ein langer Güterzug durch einen Bergtunnel rumpelt oder eine neue Tram ein weiteres Stadtviertel an mein ÖPNV-Netz anschließt. Es entsteht dank der schönen Zugmodelle schnell ein grandioses Modellbahn-Flair. Das Kind in mir, das mit großen Augen vor der H0-Anlage im

Die Elektrifizierung macht vieles leichter - dank des vekorksten Nachrüst-Werkzeuges ist sie aber zu Beginn eine Tortur.
heimischen Keller stand, beobachtet fasziniert die eleganten Schnellzüge auf der Langstrecke und klapprige Triebwagen auf kleinen Nebenarmen.

Die Freuden des öffentlichen Nahverkehrs

Während Urban Games im Wirtschaftsteil nicht ganz überzeugen kann, brillieren sie auf der Schiene. Jede neue Anbindung, jedes erreichte Ziel ist für mich ein kleiner Triumph. Jede Passagierladung, die von den Bahnhöfen in die Städte und zu den Busbahnhöfen und Tramstationen strömt ist eine erfüllte Mission. Das Beobachten des emsigen Treibens ist ein verdienter Lohn für die mitunter mühselige Errichtung der Strecken – bevor es an das nächste Großprojekt geht.

Dabei ist die Kulisse oft eher zweckmäßig als grandios: Es gibt keinen Tag-Nacht-Wechsel, keine Jahreszeiten, keine unterschiedlichen Lichtstimmungen. Viele Oberflächen könnten so auch aus einem zehn Jahre alten Spiel stammen und die Passanten sind recht  eckig. Trotzdem verströmen die hübschen Zugmodelle und Dampfeffekte einen tollen Modellbahn-Charme, dem ich auch die kleinen Clippingfehler verzeihen kann.

Schön ist auch, dass man mit fortschreitender Zeit immer stärker mit dem Individualverkehr der Bevölkerung konkurrieren muss. Haben die Bewohner um 1850 nur ihre eigenen Füße um zum Geschäft um die Ecke zu kommen, gibt es in Städten um 1990 fast so viele Autos wie Bewohner. Diese bringen nicht nur den Verkehr in Städten zum Erliegen sondern stehen auch  auch mit Pendlerzügen und Fernverkehr zwischen den Städten.

Individualverkehr mit Performance-Schwächen

Im späten 20. Jahrhundert fährt man Gelenkbus statt Postkutsche.
Dies ist ein spannender Kniff, da man so im späten Spiel seine Strategie anpassen muss und vor allem mit leeren Zügen schnell sehr viel Geld verlieren kann, wenn man nicht rechtzeitig reagiert. Dummerweise kann man auch einfach die Straßen zwischen zwei Städte abreißen – sobald keine Straßenverbindung mehr besteht, fahren alle wieder Zug. Das ist unrealistisch, zumal der Straßenabriss mit keinerlei Sanktionen verbunden ist.

Zudem sorgt der Individualverkehr, zusammen mit den über hundert eigenen Fahrzeugen, gegen Ende zu einem heftigen Performance-Einbruch. Die unheimlich prozessorlastige Simulation der Spielwelt stieß im Test spätestens im Jahr 1990 an ihre Grenzen und führte trotz der mäßigen Kulisse zu nervigem Dauerruckeln und vereinzeltem, sekundenlangen Einfrieren des Spielgeschehens.

Es fehlt Train Fever außerdem an Komfortfunktionen. So muss ich z.B. jedes Fahrzeug manuell ersetzen, wenn es seine Lebensdauer erreicht hat. Anders als beim Vorbild Transport Tycoon gibt es zwar keine zeitraubenden Pannen,

Moderne Hochgeschwindigkeitszüge sind richtig teuer und wollen wohlüberlegt eingesetzt werden.
aber je älter der Fuhrpark wird, desto mehr Geld kostet er.

Fehlende Automatisierungen und kleine Bugs

Immerhin muss ich nicht jeden Bus einzeln auf der Karte suchen – über die Linien-Liste kann ich meine Busse, Trams und LKW zu ihren Depots lotsen und ohne vor Ort zu sein durch neue Modelle ersetzen. Allerdings fehlt ein „Fahrzeug-Ersetzen“-Button. Stattdessen muss ich die Neuanschaffungen per Hand auf die Linien bugsieren – eine ziemlich zeitraubende Angelegenheit, die mit einer einfachen Automatisierung à la „Ersetze alle Fahrzeuge dieser Linie durch ein neueres Modell“ verhindert worden wäre.

Außerdem finden sich noch ein paar Bugs: Fahrzeuge drehen z.B. einfach um, wenn unter ihnen die Straße modernisiert wird. Entfernt man zudem Straßenbahnschienen unter einer Tram, weiß die Simulation nicht wie sie reagieren soll und stürzt teilweise einfach ab.

Fazit

Trotz aller Schwächen: Auf der Schiene gibt es momentan kaum ein Spiel, das mich so fasziniert wie Train Fever. Die unnachahmliche Modellbahn-Atmosphäre, verbunden mit dem süchtig machenden Zeitfresser-Spielprinzip, haben mich schon im Test viel länger vor den Bildschirm gefesselt, als ursprünglich geplant.  Aber: Es wäre so viel mehr an aus anderen Klassikern bekanntem Komfort und Anspruch drin gewesen. Der schwache Wirtschaftspart, unbefriedigende Warenkreisläufe, nervige Fummeleien im Gleisbau, fehlende Komfortfunktionen und eine gen Ende grenzwertige Performance kosten Train Fever letztendlich die Note „gut“. Dennoch hat eine Urban Games eine solide Transportsimulation geschaffen, die mich sicher noch die eine oder andere Nacht wachhalten wird.

Pro

  • tolles Modellbahnflair
  • freie Streckengestaltung
  • viele Fahrzeuge unterschiedlicher Epochen...
  • gute Bewohner-Simulation
  • schöner Individualverkehr-Kniff ...
  • ordentliche Präsentation
  • nachvollziehbares Städtewachstum
  • schöner Zeitenwandel (Fuhrpark, Umgebung, Menschen)

Kontra

  • teils fummeliger Streckenbau
  • nerviges Upgradetool für Straßen und Oberleitungen
  • ... allerdings wenig Auswahl pro Zeitabschnitt
  • unübersichtlicher Signalbau
  • ... der allerdings leicht ausgehebelt werden kann
  • keine Wegpunkte bei Linienerstellung (Abseits von Haltestellen)
  • schwacher Wirtschaftspart
  • zu kleine Warenketten
  • kleinere Bugs
  • schwache Performance im späten Spiel

Wertung

PC

Brillant auf der Schiene, schwach in der Wirtschaft: Train Fever bietet tolles Modellbahnflair, das aber durch fehlende Komfortfunktionen und mäßige Warenkreisläufe ausgebremst wird.