Train Fever - Test, Taktik & Strategie, PC
Lange ist es her, seit ich mir mit Chris Sawyer’s Transport Tycoon Teenager-Nächte um die Ohren geschlagen habe. Städte verbinden, Güter transportieren, Subventionen ausnutzen: Kaum ein Spiel verstand es, eigentlich sprödes Logistikmanagement in eine Sucht zu verwandeln, bei der sich jede angeschlossene Stadt wie ein kleiner Triumph anfühlte – auch wenn es im Wirtschaftsteil haperte, es viel nerviges Mikromanagement gab und sich mit wenigen
Tricks unheimlich viel Geld verdienen ließ.Logistik wie 1994
Train Fever tritt fast zwanzig Jahre später in die Fußstapfen des Großvaters der modernen Wirtschaftssimulation. Von 1850 bis 2020 transportiert man Waren und Fahrgäste zwischen Städten auf einer zufallsgenerierten Karte auf Schiene und Straße. Missionen? Gibt es nicht. Ziele? Werden selbst gesteckt! Einzig ein oberflächliches Text-Tutorial gibt mir beim Start Hinweise, wie ich über den ordentlichen Linien-Editor eine Buslinie einrichte, Städte mit einer Bahnlinie verbinde und Züge oder Kutschen auf die Reise schicke. Der Rest liegt an mir.
Das Schöne: Die Bewohner der Städte werden, anders als z.B. in Sim City, halbwegs akkurat simuliert. Jeder Einwohner hat u.a. eine Wohnung, eine Arbeitsstelle und ein Lieblingsgeschäft. Sind diese mit öffentlichen Verkehrsmitteln verbunden und schneller als zu Fuß oder später per Auto erreichbar, entscheidet sich die KI für den ÖPNV. Gibt es in einer Stadt mehr Arbeitsplätze als Einwohner, pendelt die Bevölkerung aus anderen Städten und
sorgt für volle Züge. Gut angebundene Gebiete werden zudem schneller bevölkert, sodass man mit einer effizienten Anbindung Städte nachvollziehbar zum Wachsen anregen kann.Simulation und Wachstum
Auch Industriegebiete – und Arbeitsplatzangebote– werden größer, je mehr Waren ich an die Stadt liefern kann. Hier offenbart Train Fever allerdings eine erste Schwäche: Die Warenketten sind äußerst rudimentär. Es gibt nur vier Rohstoffe, die in drei Fabriken zu einem einzigen Endprodukt – Warenkisten – verarbeitet werden. Nur in einem Fall müssen zwei Rohstoffe, Kohle und Eisen, zu einer Fabrik geliefert werden, ansonsten reicht eine einfache Verknüpfung der Ressourcenquelle mit der Fabrik. In der Stadt werden die Waren automatisch ausgeliefert, ich muss nur für eine Lieferung zu einem Depot in der Nähe sorgen. Produktionsstätten selbst errichten kann ich übrigens nicht. Diese werden zu Beginn verteilt – im Spielverlauf entstehen keine neuen Fabriken.
So einfach die Warenlieferung auch funktioniert, so undurchschaubar reagieren die Produktionsstätten auf Lieferungen und Abholungen – je mehr Kapazität auf Straße und Schiene zur Verfügung steht, desto schneller wächst die Produktion. Da aber die Zeit im Spiel recht schnell vergeht – ein Monat dauert ein paar Minuten – und Transportrouten zu Beginn durchaus eine Taktung von zehn Minuten oder mehr haben können, reagiert die Industrie unheimlich sensibel und mit unvorhersehbarer Erhöhung und Rückstufung der Produktion.
Im Jahre 1850 gibt es auf den Karten zunächst nur kleine Flecken besiedeltes Land, die mit frühen Dampflokomotiven und Pferdekarren verknüpft werden. Über die Jahrzehnte wandelt sich der Fuhrpark: aus klapprigen Museumsstücken werden kraftstrotzende Dampfrösser, bevor die Elektrifizierung Einzug hält und gegen Ende des 20. Jahrhunderts elegante Hochgeschwindigkeitszüge über Sondertrassen rasen. Pferdekarren werden zu Vierzigtonnern – und in den Städten fahren moderne Niederflurbahnen und Gelenkbusse, statt der Pferdetram oder dem Dampfbus.
Eine Zeitreise durch die Transportgeschichte
Aber nicht nur der Fuhrpark ändert sich. Auch die Städte und die Bevölkerung sind im Wandel. Tragen z.B. die Frauen im 19. Jahrhundert lange Röcke und biedere Kleidung sieht man in den 1990er Jahren modische Variationen. In den Städten weicht Backstein modernen Glasfassaden und Kopfsteinpflaster wird zu Asphalt.
So gelungen der Zeitenwandel aber auch ist, so sehr schwächelt der wirtschaftliche Kern. Hier werden alte Fehler von
Transport Tycoon wiederholt. Ich kann z.B. keine Preise für Fahrkarten festlegen, etwa um eine Strecke attraktiver zu gestalten oder an gut ausgelasteten Strecken mehr Geld zu verdienen. Stattdessen wird über die Länge der zurückgelegten Distanz pro Passagier abgerechnet, was bei langen Hochgeschwindigkeitsstrecken merkwürdige Summen ergeben kann.Mauer Wirtschaftsteil
Zudem fehlt es etwas an Anspruch: Anders als bei Railroad Tycoon 2 gibt es z.B keinen ausgefeilten Finanzteil, bei dem ich Konkurrenten ausstechen, oder am Aktienmarkt bestehen muss. Stattdessen habe ich nur die Möglichkeit ein Darlehen in Anspruch zu nehmen, dessen Höhe je nach Schwierigkeitsgrad variiert.
Das macht Train Fever recht einfach. Wenn man es zu Beginn nicht mit Linien übertreibt und wenigstens eine lukrative Strecke erstellt, kann man sehr schnell sehr viel Geld verdienen. Das Transportsystem funktioniert dabei ähnlich wie bei Cities in Motion: Die Städte sind in Wohnhäuser, Industrie, Einzelhandel und Freizeit aufgeteilt, deren Verteilung man sich über ein Tool anzeigen lassen kann. Verbindet man diese Bereiche mit einer Buslinie oder Tram, fahren viele
Leute mit und generieren dabei ordentlich Gewinn.Ordentliche Linienführung
Das Werkzeug für die Linienführung überzeugt: Mit wenigen Klicks kann man übersichtlich Linien erstellen und durch Städte führen. Einzig die Tatsache, dass man keine Wegpunkte setzen kann um bestimmte Wege zu erzwingen stört etwas – dies soll aber bald per Patch nachgereicht werden.
Das zentrale Element einer Transportsimulation ist die Verlegung von Schienen und Straßen, was hier auch ordentlich funktioniert – solange ich mich auf die grundlegende Verbindungen beschränke. Ich kann halbwegs komfortabel Schienenstränge ziehen, Höhenverläufe bearbeiten oder Brücken und
Tunnel einbinden. Nervig wird es, sobald man zwei unterschiedlich hohe Schienenstränge verknüpfen, oder Weichen-Kombinationen errichten will. Zudem gibt es keine Möglichkeit Doppelgleise zu verlegen – ich muss jeden Schienenstrang einzeln in die Landschaft pflanzen, was aufgrund einer mäßigen Andock-Funktion an bereits verlegte Routen schnell nervt.Schienenverlegung und Upgrade-Krampf
Richtig fummelig ist die Upgrade-Funktion von Schiene und Straße. In Städten kann man Straßenzüge per Klick verbreitern und mit Busspuren und Tramschienen ausstatten. Prinzipiell eine gute Idee, ähnlich wie bei Cities in Motion 2 muss man aber jeden Abschnitt einzeln anklicken. Das nervt nicht nur, man übersieht auch schnell fehlende Schienenstücke in der Straße, was zu langatmiger Fehlersuche führen kann, wenn die Tram das Depot partout nicht verlassen will.
Das Schlimmste ist aber die nachträgliche Elektrifizierung von Bahnlinien. Selten habe ich bei einer Wirtschaftssimulation dermaßen geflucht. Das Oberleitungs-Werkzeug funktioniert nämlich nur sehr unzuverlässig, spart zum Teil fingernagelgroße Linienstücke aus und gibt mir nur sehr indirekt Hinweise, wo noch keine Oberleitung installiert sein könnte. Das führte dazu, dass ich mitunter minutenlang Schienenstränge nach Lücken in der Oberleitung abgesucht habe, nachdem meine E-Lok die Ausfahrt aus dem Bahnhof verweigert hat.
Die Hölle der Elektrifizierung
Selbst bei intensiver Planung führte das immer wieder zu Zügen, die sich an Bahnhofsausgängen gegenüberstanden und keinen Millimeter mehr rühren wollten. Die Folge sind langwierige manuelle Lösungen, bei denen die Züge mit einigen Klicks händisch gewendet und in ein Depot bugsiert werden müssen. Warum hat man hier nicht einfach eine farbliche Markierung, Pfeile oder sonst irgendwas eingeführt, um wenigstens für den Hauch von Übersicht zu sorgen?
All diese Strapazen sind aber vergessen, wenn ein stolzes Dampfross über ein neues Talviadukt schnauft, ein langer Güterzug durch einen Bergtunnel rumpelt oder eine neue Tram ein weiteres Stadtviertel an mein ÖPNV-Netz anschließt. Es entsteht dank der schönen Zugmodelle schnell ein grandioses Modellbahn-Flair. Das Kind in mir, das mit großen Augen vor der H0-Anlage im
heimischen Keller stand, beobachtet fasziniert die eleganten Schnellzüge auf der Langstrecke und klapprige Triebwagen auf kleinen Nebenarmen.Die Freuden des öffentlichen Nahverkehrs
Während Urban Games im Wirtschaftsteil nicht ganz überzeugen kann, brillieren sie auf der Schiene. Jede neue Anbindung, jedes erreichte Ziel ist für mich ein kleiner Triumph. Jede Passagierladung, die von den Bahnhöfen in die Städte und zu den Busbahnhöfen und Tramstationen strömt ist eine erfüllte Mission. Das Beobachten des emsigen Treibens ist ein verdienter Lohn für die mitunter mühselige Errichtung der Strecken – bevor es an das nächste Großprojekt geht.
Dabei ist die Kulisse oft eher zweckmäßig als grandios: Es gibt keinen Tag-Nacht-Wechsel, keine Jahreszeiten, keine unterschiedlichen Lichtstimmungen. Viele Oberflächen könnten so auch aus einem zehn Jahre alten Spiel stammen und die Passanten sind recht eckig. Trotzdem verströmen die hübschen Zugmodelle und Dampfeffekte einen tollen Modellbahn-Charme, dem ich auch die kleinen Clippingfehler verzeihen kann.
Schön ist auch, dass man mit fortschreitender Zeit immer stärker mit dem Individualverkehr der Bevölkerung konkurrieren muss. Haben die Bewohner um 1850 nur ihre eigenen Füße um zum Geschäft um die Ecke zu kommen, gibt es in Städten um 1990 fast so viele Autos wie Bewohner. Diese bringen nicht nur den Verkehr in Städten zum Erliegen sondern stehen auch auch mit Pendlerzügen und Fernverkehr zwischen den Städten.
Individualverkehr mit Performance-Schwächen
Zudem sorgt der Individualverkehr, zusammen mit den über hundert eigenen Fahrzeugen, gegen Ende zu einem heftigen Performance-Einbruch. Die unheimlich prozessorlastige Simulation der Spielwelt stieß im Test spätestens im Jahr 1990 an ihre Grenzen und führte trotz der mäßigen Kulisse zu nervigem Dauerruckeln und vereinzeltem, sekundenlangen Einfrieren des Spielgeschehens.
Es fehlt Train Fever außerdem an Komfortfunktionen. So muss ich z.B. jedes Fahrzeug manuell ersetzen, wenn es seine Lebensdauer erreicht hat. Anders als beim Vorbild Transport Tycoon gibt es zwar keine zeitraubenden Pannen,
aber je älter der Fuhrpark wird, desto mehr Geld kostet er.Fehlende Automatisierungen und kleine Bugs
Immerhin muss ich nicht jeden Bus einzeln auf der Karte suchen – über die Linien-Liste kann ich meine Busse, Trams und LKW zu ihren Depots lotsen und ohne vor Ort zu sein durch neue Modelle ersetzen. Allerdings fehlt ein „Fahrzeug-Ersetzen“-Button. Stattdessen muss ich die Neuanschaffungen per Hand auf die Linien bugsieren – eine ziemlich zeitraubende Angelegenheit, die mit einer einfachen Automatisierung à la „Ersetze alle Fahrzeuge dieser Linie durch ein neueres Modell“ verhindert worden wäre.
Außerdem finden sich noch ein paar Bugs: Fahrzeuge drehen z.B. einfach um, wenn unter ihnen die Straße modernisiert wird. Entfernt man zudem Straßenbahnschienen unter einer Tram, weiß die Simulation nicht wie sie reagieren soll und stürzt teilweise einfach ab.
Fazit
Trotz aller Schwächen: Auf der Schiene gibt es momentan kaum ein Spiel, das mich so fasziniert wie Train Fever. Die unnachahmliche Modellbahn-Atmosphäre, verbunden mit dem süchtig machenden Zeitfresser-Spielprinzip, haben mich schon im Test viel länger vor den Bildschirm gefesselt, als ursprünglich geplant. Aber: Es wäre so viel mehr an aus anderen Klassikern bekanntem Komfort und Anspruch drin gewesen. Der schwache Wirtschaftspart, unbefriedigende Warenkreisläufe, nervige Fummeleien im Gleisbau, fehlende Komfortfunktionen und eine gen Ende grenzwertige Performance kosten Train Fever letztendlich die Note „gut“. Dennoch hat eine Urban Games eine solide Transportsimulation geschaffen, die mich sicher noch die eine oder andere Nacht wachhalten wird.
Pro
- tolles Modellbahnflair
- freie Streckengestaltung
- viele Fahrzeuge unterschiedlicher Epochen...
- gute Bewohner-Simulation
- schöner Individualverkehr-Kniff ...
- ordentliche Präsentation
- nachvollziehbares Städtewachstum
- schöner Zeitenwandel (Fuhrpark, Umgebung, Menschen)
Kontra
- teils fummeliger Streckenbau
- nerviges Upgradetool für Straßen und Oberleitungen
- ... allerdings wenig Auswahl pro Zeitabschnitt
- unübersichtlicher Signalbau
- ... der allerdings leicht ausgehebelt werden kann
- keine Wegpunkte bei Linienerstellung (Abseits von Haltestellen)
- schwacher Wirtschaftspart
- zu kleine Warenketten
- kleinere Bugs
- schwache Performance im späten Spiel