NAtURAL DOCtRINE - Test, Taktik & Strategie, PlayStation4, PS_Vita, PlayStation3

NAtURAL DOCtRINE
09.10.2014, Eike Cramer

Test: NAtURAL DOCtRINE

Frustrierende Rundentaktik

Es klang vielversprechend, was Kadokawa Games für das Taktik-Rollenspiel Natural Doctrine (ab 11,98€ bei kaufen) ankündigte. Die Kämpfe sollten vor allem Hardcore-Spieler ansprechen und mit einem gnadenlosen Schwierigkeitsgrad auftrumpfen. Warum das zwar zutrifft, Natural Doctrine aber genau aus diesem Grund ernüchtert, klärt der Test.

Ist das wirklich euer verdammter Ernst? Diese Frage habe ich mir in den Stunden mit Natural Doctrine mehr als einmal gestellt. Die Entwickler von Kadokawa Games haben wirklich nicht übertrieben, als sie vor einigen Monaten „schwere Kämpfe“ in der 3D-Rundentaktik ankündigten. Wobei, „schwer“ ist in diesem Fall ein unverhältnismäßig gnädiger Euphemismus. Der durchschnittliche Schwierigkeitsgrad der Kämpfe liegt nämlich eher auf der Stufe Zum-Haare-Raufen-frustrierend.

Am Rande des Wahnsinns

Natürlich könnte man jetzt argumentieren, dass die Entwickler damit doch ein Versprechen erfüllt haben. Ja, das haben sie. Dennoch hätte ich darauf gerne verzichtet. Anders als z.B. bei der Souls-Reihe basiert der Schwierigkeitsgrad nämlich nicht auf anspruchsvollem, aber fairem Spieldesign, dessen Herausforderungen man mit ein wenig Mut, Geschick und Ausdauer überwinden kann. Stattdessen hat man sich überlegt, den Spieler wiederholt in eine Hölle aus viel zu vielen, viel zu starken Gegnern zu werfen, in der jeder Charaktertod ein „Game Over“ bedeutet. 

Auf der Übersichtskarte können Haupt- und Nebenschauplätze ausgewählt werden.
Es gibt kein freies Speichern während der Kämpfe, dafür aber Speicherpunkte, die sehr weit auseinanderliegen. Zudem stolpert man immer wieder in unfaire Script-Events, wie z.B. nach Öffnen eines Tores: Dann tauchen urplötzlich überstarke Skelette auf, die die eigene Gruppe in Sekunden auseinandernehmen.

So zwingt Natural Doctrine den Spieler in eine wenig motivierende Endlosschleife aus frustrierendem Trial-and-Error. Jeder Schritt kann hier den Tod und damit den Verlust von Erfahrung, Ausrüstung und Nerven bedeuten. Bei einer Niederlage geht zudem jede zuvor gewonnene Erfahrung verloren, sodass die Charaktere nicht stärker werden, sondern den Kampf immer wieder auf dem gleichen Level beginnt.

Dass man sich auf ein so billiges und unfaires Spieldesign verlässt ist schade. Das Kampfsystem ist nämlich eines der komplexesten, das ich in einem Taktik-Rollenspiel gesehen habe. Ähnlich wie in Valkyria Chronicles zieht man mit seiner Party in einer 3D-Ansicht über das Schlachtfeld und führt  Angriffe und Zauber aus oder versetzt seine

Verwirrend: Auf den ersten Blick wirkt das Interface völlig überladen ...
Charaktere in Verteidigungsstellung. Eigene und feindliche Einheiten ziehen abwechselnd, sodass man sich nach einer Aktion direkt auf das veränderte Schlachtfeld einstellen kann.

Erst ich, dann ich, dann ich, dann bist du tot

Der Clou: Um die Überhand im Gefecht zu behalten, muss man dauerhaft die Initative besitzen, sprich den Gegner nicht zum Zug kommen lassen. Um am Drücker zu bleiben, können Aktionen via Link verbunden werden, was einen zusätzlichen Zug der verbundenen Einheiten ermöglicht. So kann man z.B. mit seinen Nahkämpfern in den Verteidigungsmodus wechseln, was den Einheiten auf den benachbarten Feldern ihre Aktion ermöglicht, auch wenn sie in der Initiative weiter hinten warten. Vernichtet man zudem den Feind, der als nächstes an der Reihe wäre, ist man weiter am Zug. So kann man eine umfangreiche Abfolge von Angriffen auslösen, die dem Gegner massiven Schaden zufügen kann.

Das Problem dabei: Die zahlenmäßig jederzeit überlegenen Feinde beherrschen dieses System auch - und fast immer besser als der Spieler. Oft kann man so nach einem kleinen Fehltritt nur einer Reihe von Angriffen zusehen, die im unabwendbaren „Game Over“ münden.

Auch im Kampf selbst muss man darauf achten, dass man die Stärken seiner Einheiten geschickt kombiniert. Ähnlich wie bei Fire Emblem: Awakening erhalten Charaktere, die gemeinsam den gleichen Feind attackieren Boni, die z.B. zu mehr kritischen Treffern führen oder die Attacken stärken. Allerdings ist das System hier ungleich komplexer, denn es muss auch auf die Formation der Gruppe geachtet werden, denn die Boni der Verbindungen werden stärker, je weiter die Charaktere voneinander entfernt sind. Zudem können alle Einheiten in Reichweite gemeinsam auf einen Feind

... irgendwann gewöhnt man sich aber an das Liniengewirr. Die zu großen Symbole stören aber weiterhin.
einschlagen, was viel taktische Überlegung erfordert.

Zusammen sind wir stark

Unterschiedliche Kombinationen aus Magiern, Nahkämpfern und Schützen erzeugen zudem verschiedene Boni, sodass man sich überlegen muss, welchen Angriff von welchem Kämpfer man im nächsten Zug unterstützen möchte. Dank ordentlicher englischer Einführungen, Tipps und Tutorials ist das tiefgehende System gut verständlich und geht schnell in Fleisch und Blut über. Zwar wirkt das über Linien und viel Text dargestellte Verbindungssystem zunächst extrem unübersichtlich, nach einigen Gefechten war ich aber über den scrollenden Klartext froh – immerhin muss ich so keine kryptischen Symbole auswendig lernen.

Die Rahmenhandlung von Natural Doctrine ist flach und dreht sich um einen klischeebeladenen Kampf von Menschen, Goblins und Orks, die sich um eine magische Kraftquelle balgen und dabei von einer unbekannten Insektenrasse angegriffen werden. Trotz einiger Wendungen in der Geschichte bleiben die Charaktere eindimensional und erzeugen

Einheiten können Verteidigungsstellungen einnehmen, z.B. um Fernkämpfer hinter ihnen zu schützen.
kaum emotionale Bindungen. Zudem gibt es keine Dialogoptionen und die Figuren treten außerhalb der  Kämpfe nur als unbelebte Porträts in Erscheinung.

Jederzeit umschulungsbereit

Zwischen den Storymissionen kann man seine Gruppe über eine Übersichtkarte ziehen und sich an optionalen Minen-Dungeons versuchen, in denen in Kisten neue Ausrüstung finden kann. Allerdings ist das Leveldesign der Nebenmissionen genauso unfair wie das der Story-Einsätze und belohnt stundenlanges Trial-and-Error oft nur mit schwacher Beute. Immerhin erlangt die Gruppe hier auch Erfahrung. Beim Levelaufstieg der Figuren können neue Fähigkeiten oder Attributs-Aufwertungen aktiviert werden, die in einem Raster angeordnet sind. Der Clou: Die Punkte können jederzeit umverteilt werden, was das Spielgefühl des Charakters drastisch verändern kann.

Die Kulisse kann gerade auf der PS4 nicht überzeugen. Die flachen und verwaschenen Oberflächen, steifen Animationen, veralteten Effekte sowie kantigen Einheitenmodellen erinnern an die Frühphase der PS3, als von vielen Entwicklern noch die alten PS2-Assets genutzt wurden. Dazu kommt ein unübersichtliches und viel zu großes Interface, was oft wichtige Teile des Spielbildschirms verdeckt. Hier hätte man für die aktuelle Konsolengeneration einfach mehr herausholen müssen. Zwar ist das finstere Mittelalter-Artdesign durchweg solide und schlüssig, man ist aber meilenweit von der Einzigartigkeit eines Valkyria Chronicles entfernt.

Kulisse von gestern

Zudem fehlt es oft an Übersicht. Obwohl es sowohl eine Vogelperspektive als auch eine Schulterkamera gibt, kann man die Kamera oft nicht weit genug herauszoomen oder drehen, um einen optimalen Überblick über das Schlachtfeld zu bekommen. So ist gerade das Nachvollziehen von Feuerlinien der eigenen Schützen trotz deutlicher Markierung schwierig, was mitunter nerviges Friendly Fire nach sich zieht.

Im Charakterbildschirm können Punkte verteilt werden. Man kann zwischen den Missionen jederzeit eine Umverteilung vornehmen.
Neben der frustrierenden Kampagne gibt es in Natural Doctrine auch einen Mehrspieler-Modus, in dem man kooperativ und kompetitiv online mit selbst zusammengestellten Armeen antreten kann.

Kartengetriebener Multiplayer

Diese werden wie bei einem Sammelkartenspiel aus über Booster erstandenen Karten zusammengestellt. Dabei gilt: Je seltener eine Karte, desto schlagkräftiger die Einheit. Limitiert werden die Decks durch einen Gesamtwert, was ausgeglichene Kämpfe garantiert.

Fazit

Natural Doctrine zeigt mit seinem komplexen Kampfsystem viel Potential. Der Fokus auf Kooperation und Positionierung überzeugt und dank zahlreicher Fähigkeiten gibt es genug taktische Finessen. Allerdings wird der positive Eindruck durch das unfaire Spieldesign vollständig konterkariert. Spätestens wenn man zum zehnten Mal den gleichen Dungeon durchkämmt, nur um nach dem Sieg über eine schwere Gegnergruppe ein fieses Script-Event und im Anschluss ein Game Over präsentiert zu bekommen, reicht es. Vorbild Dark Souls hin, Zielgruppe Hardcore-Spieler her – an diese Maßstäbe kommt man erst gar nicht heran, denn das Taktik-Rollenspiel ist aufgrund seines mangelhaften Leveldesigns einfach nur frustrierend. Zudem ist die Handlung flach, die Charaktere sind eindimensional und die Kulisse ist gerade auf PlayStation 4 eine fade Enttäuschung.                     

Pro

  • gutes Kampfsystem mit Link-Initative ...
  • Verknüpfung von Angriffen einzelner Charaktere
  • umfangreiche taktische Möglichkeiten
  • gute Charakterentwicklung mit Umverteilungsmöglichkeit
  • Mehrspieler-Modus mit Sammelkartenflair

Kontra

  • ... das die zahlenmäßig überlegenen Gegner meist besser beherrschen
  • frustrierendes Leveldesign
  • unfaire Skript-Events
  • nervige Speicherpunkte
  • flache Handlung
  • eindimensionale Charaktere
  • veraltete Kulisse
  • unübersichtliches Interface

Wertung

PlayStation4

Frustrierend, hässlich, unfair: Trotz seines gelungenen Kampfsystems enttäuscht Natural Doctrine im Test.