Civilization: Beyond Earth - Test, Taktik & Strategie, PC, Linux, Mac
Wir schreiben Runde 323 - und da erscheinen endlich die ersten Kolonisten von der Erde in meinem rot glimmenden Warptor. Ein kurzer Blick auf die Konkurrenz: Ha, sie sind noch nicht so weit! Wenn ich zwanzig dieser Erdlinge auf diesem Planeten ansiedle, habe ich das Spiel gewonnen. Aber noch ist Vorsicht angesagt, denn ich kann pro Runde nur eine Gruppe aus dem Teleporter rufen und muss in der dicht bevölkerten Region erstmal Platz für die Siedlungen finden. Moment, wo soll ich den denn schaffen? Muss ich etwa noch einen Krieg riskieren? Und hey, wieso brauchen die Neuankömmlinge so lange? Ich sollte mehr Magnetschwebebahnen errichten, damit sie schneller von A nach B kommen...so ein Mist, wieso habe ich meine Infrastruktur nicht früher ausgebaut. Ach ja, wegen der Energiekosten.
Spannendes Finale nach 300 Runden
Und sie könnten mich natürlich überfallen. Bisher habe ich einen sehr loyalen Verbündeten in der "Afrikanischen Volksunion" an meiner Westgrenze - das ist gut. Aber im Süden und Osten lauern mit dem "Südamerikanischen Staatenbund", "Franco-Iberia" sowie der "Slawischen Föderation" drei sehr misstrauische und teilweise hoch gerüstete Nachbarn, die sich immer wieder abfällig über mich geäußert haben. Ich sei "armselig" und "bedauernswert" - ach ja? Diese skrupellosen Transgenetiker züchten doch nicht nur Aliens, sondern kreuzen sich mit ihnen! Ich musste ihnen Paroli bieten und sie ein wenig überwachen, damit die Tradition der Erde hier in der Galaxie nicht vor die Xenohunde geht.
Zwischen Harmonie, Reinheit & Vorherrschaft
Zu Beginn des Spiels habe ich allerdings noch sehr zurückhaltend und ausgeglichen agiert sowie alle drei Affinitäten gefördert, denn nur so konnte ich auch schrittweise deren Vorteile freischalten: z.B. weniger Schaden im Miasma, kostenlose Xenomasse, zusätzliche Expeditionen oder bessere Orbitüberwachung. Und vor allem die wichtige Gesundheit ließ sich nur durch gezielte Forschung oder Kulturboni aufrecht erhalten. Erst die moralisch und politisch brisante, aber recht militärisch effiziente Fixierung auf Reinheit, verbunden mit der produktionsfördernden Vorherrschaft, hat mich dann ab der Mitte des Spiels auf diese Siegerstraße gebracht und in der Gunst der Gegner in den Keller katapultiert. Sollen diese Alienfreunde doch ihren transzendalen xenoliberalen Hokuspokus betreiben!
Miasma, Orbit, Affinitäten, Gesundheit? Ihr wundert euch? Zurecht, denn dieses Civilization: Beyond Earth ist mehr als eine futuristische Erweiterung mit neuen Grafiksets, weil es sich in vielen Bereichen erfrischend anders als der historisch geprägte Vorgänger spielt. Natürlich geht es um die seit Jahrzehnten etablierte Rundenstrategie, es gibt eine nahezu identische Stadtverwaltung, dazu viel Bekanntes wie Technologien oder Wunder und in Sachen Arbeiter, Straßenbau & Co hat sich fast nichts geändert. Wer Civilization kennt, wird sich also auch hier zurechtfinden. Man wählt nur nicht unter Nationen, sondern unter acht Sponsoren wie "Franco-Iberia" mit permanenten Boni. Über die Art der Kolonisten, des Raumschiffes und der Fracht kann man dann vor dem ersten Rundenklick bereits weitere Schwerpunkte setzen, die einem in den ersten Runden helfen können: Man kann mit dem erforschten Pionierwesen starten, mit einem Soldaten oder Bauarbeiter, mit der Anzeige aller Küsten oder wichtiger Rohstoffe, mit mehr Auswahl für die erste Stadt etc. Es lohnt sich also, im Einstieg damit etwas zu experimentieren.
Frisches Spielgefühl, komfortable Beratung
Die Beratung ist sinnvoll, weil sich das Spielgefühl und vor allem die Spielstrategie wohltuend von Civilization V abhebt und teilweise stark unterscheidet. Zum einen gibt es deutlich mehr Erkundungsreize und Spannungsmomente - auch lange nachdem man seine erste Stadt gebaut hat. Das liegt nicht nur an exotischen Rohstoffen wie Xenomasse, Schwebstein, Firaxit, die natürlich die Neugier wecken und dazu animieren, den Technologiebaum oder das Nachschlagewerk zu studieren. Wofür brauche ich was? Und wann? Neben den strategisch wichtigen Rohstoffen gibt es noch viele andere interessante Neuheiten wie außerirdische Pilze, Kiesel & Co, die man erstmal einordnen muss. Mehr Erkundungsreize und mehr Spannung entsteht auch, weil die einheimischen Aliens ansehnlicher, agiler sowie gefährlicher sind als die bisherigen Barbaren - vor allem die starken Würmer, die sich durch den Boden graben und mal eben Strukturen vernichten halten selbst Stadtbeschuss viele Runden aus. Richtig cool sehen auch die Meereswesen aus, die an den Küsten mit auftauchen und schon mal wie mythische Riesenkraken ganze Schiffe zermalmen. Hinzu kommt ja ein doppelter Boden: Im Gegensatz zu den Barbaren, die als Kanonenfutter dienten und für die sich niemand interessierte, bekommt man für den Kampf gegen oder die Integration der Aliens politisches Feedback. Wer sie stur vernichtet, kann es sich also auch diplomatisch mit den toleranteren Kolonisten verscherzen.
Mehr Erkundungsreize, viel mehr Story
Dafür musste ich vier Quests mit dem Ziel meistern, den Kontakt zur Erde herzustellen, wobei schon die erste andeutet, in welche ideologische Richtung es geht. Hier nur ein Auszug: "Als wir die Erde verließen haben wir einen Eid geschworen: Wir würden der Menschheit Erlösung bringen. (...)" Erst als ich einen Lasercom-Satelliten gestartet hatte, wurde die zweite Quest freigeschaltet, die so eingeleitet wurde: "Nach all den Jahren haben wir endlich wieder die Stimme der Erde gehört. Das Wissen, das unsere Heimat existiert, hat uns Erleichterung gebracht." Ja, es sind nur kleine Abschnitte, aber so wird ein recht trockenes Strategiespiel erzählerisch bereichert. Nicht mit simplen Anekdoten und Abenteuern, sondern mit philosophisch gehaltvollen Fragen zur Rolle der Menschheit, zu fremden Kulturen, zu Genexperimenten, so dass man beim Spielen zum Nachdenken animiert wird oder sogar in einen Gewissenkonflikt kommen kann, wenn man nicht nur stur nach Zahlen geht, sondern das Ganze ein bisschen wie ein Rollenspiel annimmt. So ging es mir beim knallharten Durchziehen der alienfeindlichen erzkonservativen Strategie.
Aber keine Angst: Man muss keiner Affinität stoisch folgen. Ihr mögt dieses Ziel aus ideologischen Gründen doch nicht? Ihr bemerkt, dass ihr schneller etwas anderes erforschen könntet? Dann verlagert die Schwerpunkte oder mischt sie! Was diesem Civilzation mindestens ebenso gut gelingt wie seinen Vorgängern, ist der dynamische Wechsel der Strategie. Man kann zu Beginn also nicht in eine Sackgasse geraten, so dass man frei mit den Affinitäten und Technologien, den Quests und Zielen experimentieren kann. Erst ab der Mitte des Spiels sollte man vielleicht wissen, was man erreichen will, denn dann kann man die ab der dritten Stufe recht flotte KI (es gibt sechs Schwierigkeiten) eher überholen. Kenner sollten allerdings auf der vierten Stufe loslegen, denn sonst wird man militärisch kaum gefordert. Gerade auf der zweiten Stufe konnte ich recht leicht Städte einnehmen oder Angriffe abwehren.
Offenes Spielgefühl mit vielen Schwerpunkten
Vor- und Nachteile der Diplomatie
Apropos: Die Kriegführung läuft über Truppenverschiebung ohne Stapelfunktion recht simpel zu Lande, zu Wasser und in der Luft ab. Man darf nur einen Einheitentyp an Bodentruppen pro Hexfeld stationieren (was im zivilen Bereich nerven kann), so dass es nicht in erster Linie um die Masse an der Front, sondern eher um die clevere Platzierung geht, damit man seine eigenen Wege nicht blockiert und den Feind entweder flankiert oder in Nadelöhre lockt. Man kann sich wie gehabt verschanzen, auf Distanz angreifen oder über die neuen Flieger attackieren. Die teils explosiven Animationen sind durchaus ansehnlich, aber ich habe sie irgendwann abgeschaltet.
Solide Rundengefechte mit SciFi-Flair
Als geostrategischer Aspekt kommt wie gehabt das Terrain mit seinen nur für schwebende Einheiten zugänglichen Schluchten hinzu - so eine Kleinigkeit kann einen Krieg entscheiden, wenn der Gegner keine Bomber hat. Schön ist, dass man das lebensfeindliche Miasma auch als Bollwerk bzw. Waffe einsetzen darf - ideal, wenn man selbst immun ist. Erfahrene Truppen kann man erneut aufstufen und dabei unterschiedliche Fähigkeiten wählen, so dass sie irgendwann einen sehr speziellen Elitestatus erreichen. Aber Vorsicht: Das clevere Prinzip der Gesundheit schiebt all zu aggressiven Eroberern einen Riegel vor, denn ausradierte oder auch annektierte Städte senken das universelle Wohlbefinden zunächst drastisch. Nur wenn man sie als "Marionetten" annektiert, so dass man sie nicht komplett verwalten, aber vom Rest profitieren kann, sind die Abzüge etwas milder.
Das riesige Forschungsnetz
Damit hält man sich natürlich länger in einem Gebiet auf, während die Konkurrenz vielleicht schon den nächsten Knoten studiert, um schneller einen finalen Punkt zu erreichen, der für den Spielsieg relevant sein könnte! Ich musste z.B. den äußersten Knoten der Nanotechnologie erforschen, um das Wunder des Exodustors und damit das Warptor bauen zu können. Es kann sich also lohnen, sich hier nur auf die Knoten zu konzentrieren. Oder man investiert in die Spionage: Wer eine Spionageagentur errichtet, indem er nach Maschinenbau oder Ökologie den Knoten
Computerwesen erforscht, kann später davon profitieren, dass seine Agenten die Technologien der anderen einfach stehlen! Falls diese keine Gegenspione installiert haben.Aber das Verweilen in einem Forschungsgebiet ist ebenfalls eine nützliche Taktik: Denn man könnte gerade von den freigeschalteten Spezialisierungen, Gebäuden oder Rohstoffen profitieren, vielleicht Affinitätspunkte gewinnen oder eine Quest meistern! Man muss also gut planen, wann man was erforschen will. Eine geniale Idee ist in diesem Zusammenhang, dass gefundene außerirdische Artefakte direkt dazu beitragen können, die Forschungszeit für Knoten zu verkürzen: So kann man
vielleicht 50 oder mehr Runden sparen, weil man irgendwo auf dem Planeten außerirdische Hieroglyphen entschlüsselt hat - eine tolle Wechselwirkung! Auch, weil sie mich vielleicht zum Umdenken animiert, was das finale Ziel angeht.Langsam spezialisieren oder schnell forschen?
Neben diesem Technologienetz spielt auch die Verteilung der klassischen Kulturpunkte eine wichtige Rolle für die Balance: Man kann sie für Macht, Wohlstand, Wissen sowie Industrie ausgeben und damit wertvolle Boni wie höhere Kampfkraft, schnellere Forschung oder mehr Energie freischalten. Sehr clever gelöst sind hier die in mehreren Etappen ausgezahlten Kombinationsboni: Wer seine Punkte gezielt in einem Bereich wie Wohlstand investiert erhält andere als jemand, der sie in einer der drei Kulturstufen auf mehrere verteilt - auch hier lohnt es sich also, genau nachzusehen, wann man welche Boni bekommt. Je nach Spielweise kommen die Kombinationsmöglichkeiten mit der Affinität und dem Technologiebaum hinzu - zumal man so auch vieles an Defiziten ausgleichen kann. Es hat mir z.B. sehr geholfen, dass ich bei meinem Fokus auf Reinheit und Vorherrschaft unter Kultur den Wohlstand verbessern konnte: Denn da verbergen sich einige für die Gesundheit und das Wachstum wichtige Punkte.
Fazit
Hallo Rundenstrategen? Das ist eure galaktische Chipstüte! Einmal reingespielt, droht die Endlosschleife. Civilization: Beyond Earth spielt sich nicht nur erfrischend anders, weil es mit Aliens, Satelliten, Xenomasse & Co für futuristisches Flair sorgt, sondern weil es Forschung, Kultur und Ideologie bzw. Affinitäten so ungewöhnlich verzahnt - ich musste ganz anders planen. Schade ist vielleicht, dass das Weltraumpotenzial nicht voll ausgeschöpft wird: Der Orbit agiert als interessante zweite Ebene neben dem Boden, aber man kann nur begrenzt rauszoomen und baut nur auf einem Planeten. Aber selbst dort ergeben sich zig strategische Möglichkeiten. Die ungewohnten Wechselwirkungen von Expansion und Gesundheit gefallen mir sehr gut, wobei man sich jederzeit frei entwickeln und ideologisch mehrgleisig fahren kann. Und wenn man das neue Technologienetz öffnet, denkt man sich nur noch: Cool, das kann ich alles machen? Ja, Kampf und Diplomatie stagnieren ein wenig und manche Tabelle wirkt zu steril. Aber dieses Civilization ist vielen anderen Rundenstrategiespielen weit voraus, was den Spielfluss angeht - es ist komplex, aber nicht verkopft, bleibt bis zum Finale spannend. Ganz wichtig für dieses Platin: Zum ersten Mal ist es auch erzählerisch interessant. Neben den für die Atmosphäre so wertvollen Erkundungsreizen über Ausgrabungen sorgt die tolle Einbindung von Quests dafür. Sie wirken wie kleine Kampagnen mit ihren Geschichten und Entscheidungen. So wird man ganz nebenbei auch mal zum Philosophieren über die Rolle der Menschheit angeregt. Freut euch auf ein ausgezeichnetes Strategiespiel und einen Herbst mit verdammt wenig Schlaf!
(Wir konnten den Multiplayer-Modus noch nicht unter Live-Bedingungen testen, da das Spiel erst heute startet. Wir behalten uns vor, die Wertung noch anzupassen. Anm.d.Red.)
Pro
- klassische, anspruchvolle Rundenstrategie
- futuristische Szenario sorgt für frische Impulse
- große Erkundungsreize durch Ausgrabungen
- Orbit bietet zweite strategische Ebene
- kombinierte Quests mit Entscheidungen
- ungewöhnlich gute erzählerische Umrahmung
- Sponsorenwahl & Einstieg mit Schwerpunktsetzung
- riesiges Technologienetz erlaubt offene Forschung
- Filter im Technologienetz für Schwerpunktsuche
- drei Affinitäten, die man parallel steigern kann
- Diplomatie-KI reagiert solide, wirkt lebendig
- fünf Spielsiege und viele Spielstile möglich
- Einheiten gewinnen Erfahrungen, werden aufgerüstet
- vorbildliche optionale Berater- und Hilfefunktionen
- sechs Stufen, fünf Kartengrößen, sechs Spieltempi
- sehr gute deutsche Lokalisierung mit Sprachausgabe
- zig Optionen bzgl. Steuerung, Ablauf & Co
- Multiplayer lokal, online, per Hotseat
Kontra
- sehr begrenztes Rauszoomen
- Diplomatie fehlen komplexere Verhandlungen
- Beziehungen nur als schnöde Liste dargestellt
- KI-Anführer reagieren schwammig auf Affinitäten
- man kann nur auf einem Planeten siedeln
- Potenzial des Orbits wird nicht ganz ausgenutzt
- kleine Wegfindungsprobleme
- fehlende Stapelfunktion kann in Städten nerven
- sehr steriles Nachschlagewerk