Jagged Alliance: Flashback - Test, Taktik & Strategie, iPhone, iPad, PC

Jagged Alliance: Flashback
27.10.2014, Marcel Kleffmann

Test: Jagged Alliance: Flashback

Alte Schule, alte Probleme

Mit Flashback ist auch der nächste Versuch, ein würdiges Jagged-Alliance-Spiel zu entwickeln, in die Hose gegangen. Zwar nicht so schlimm wie bei Back in Action oder Crossfire, da das taktische Kampfsystem grundlegend Spannung und Spaß rettet, aber abseits der Kämpfe bietet das via Kickstarter realisierte Projekt nicht wirklich viel. Die Ansätze sind da, genutzt wird zu wenig.

Es ist zum Mäusemelken! Auch Jagged Alliance: Flashback (ab 6,24€ bei kaufen) schafft es nicht annährend an die Qualitäten des herausragenden Klassiker Jagged Alliance 2 heranzukommen. Flashback kommt nicht mal in die Nähe des großartigen Vorbilds, allerdings verfügten die dänischen Entwickler von Full Control nur über ein Bruchteil des Budgets, was sich wiederum im Umfang und in vielen nicht genutzten oder nur rudimentär ausgearbeiteten Spielinhalten zeigt.

Verunglückte Rückblende

Trotz des viel versprechenden Eindrucks in der Vorschau und einem ordentlichen rundenbasierten Kampfrahmen, wirkt es so, als wäre das Spiel – trotz oder gerade wegen der Early-Access-Phase –übereilt auf den Markt gebracht worden. Diesen „mit der heißen Nadel gestrickten“ Eindruck unterstreicht u.a. die deutsche Übersetzung, die erst einen Tag nach dem Verkaufsstart via Patch hinzugefügt wurde. Und übereilig eingebaut wirken viele Elemente …

Der eigene Söldner darf erstellt werden. Warum wurde das gesichtlose 3D-Modell auf der rechten Seite nicht einfach weggelassen?
 Apropos zu früh veröffentlicht: Der Frontmann von Full Control kündigte jüngst an , dass Waffen-Modifikationen (Schalldämpfer, größere Magazine, Zielfernrohre), unterschiedliche Munitionstypen (panzerbrechend, Hohlspitzgeschoss) und zusätzliche Waffen nach sowjetischem Vorbild via Patch nachgeliefert werden sollen. Schrotflinten sollen sich bald kraftvoller anfühlen und das bisher ziemlich unglückliche und unübersichtliche Shop-Fenster wollen die Entwickler ebenso überarbeiten. Warum nicht gleich so?

Nach dem Start einer Partie poppt ein schmuckloses Fenster auf und fragt, ob ich einen eigenen Söldner erstellen möchte. Das passiert ganz wie im Vorbild mit Hilfe eines Fragebogens, aus dem später die Charakter-Merkmale (Perks) ermittelt werden. Danach dürfen Werte und Attribute verteilt werden, woraus sich Stärken und Schwächen in den Bereichen Stärke, Koordination und Intelligenz sowie Fähigkeiten à la Treffsicherheit, Medizin, handwerkliche Begabung, Sprengstoffe, Nahkampf und Schleichen ergeben.

Vermasselter Einstieg

Willkommen auf San Hermanos! Die Geschichte wird auf einer schnöden Texttafel erzählt. Auch im weiteren Verlauf der Insel-Eroberung sieht die Story-Präsentation nicht viel besser aus.
Die tatsächlichen Auswirkungen der Charakter-Werte sind hingegen eher übersichtlich und können mit einem Einzeiler beschrieben werden. So dreht sich „handwerkliche Begabung“ ausschließlich um das Reparieren von Waffen und „Medizin“ nur auf die Erfolgsquote beim Verwenden des Erste-Hilfe-Kastens - nicht wirklich viele Söldner brauchen Qualitäten in diesen Bereichen. In der Regel reichen „Treffsicherheit“ und ggf. „Schleichen“ aus. „Sprengstoffe“ beeinflusst übrigens die Zielgenauigkeit bei Granatenwürfen und nicht den Bau, Umgang oder das Entschärfen von Bomben - wer hätte das gedacht? Im Spiel werden die Fähigkeiten dann gesteigert, in dem sie genutzt werden (mit Waffen schießen, Kaputtes reparieren, Söldner verarzten etc.), während man die Grundattribute durch Stufenaufsteige im Questfortschritt verbessern kann. Ungeachtet der oberflächlichen Charakter-Entwicklung ist das Fortschrittssystem eine ordentliche Grundlage, die mehr Tiefe und Vielfalt hätte vertragen können.

Sind dann die Werte zusammengestellt, darf das Aussehen des Söldners festgelegt werden und da währenddessen das gruselige gesichtslose Charaktere-Modell auf seine Vollendung im Menü wartet, möchte man auch schnell weitermachen. Zum Glück gibt es nicht so viele Einstellungsmöglichkeiten!

Sehr schnell steht der eben erstellte Söldner auf einer tropischen Insel. Was soll er da? Wie ist er da hingekommen? Und warum überhaupt? Diese Fragen werden nebenbei auf wenigen Texttafeln und ohne Sprachausgabe abgehandelt. Selbst die Präsentation bei Jagged Alliance 2 war aufwändiger – wobei der Klassiker nicht wirklich ein leuchtendes Vorbild in Sachen Präsentation war. Zuerst dachte ich, es wären Platzhalter, aber nein, es ist so gewollt! Zugleich will bei solch einer mageren Präsentation kein richtiges Feindbild aufkommen. Kein Vergleich zu Deidranna aus dem zweiten Teil und ihrem "liebevollen" Umgang mit Elliot. Ich kämpfe einfach gegen gesichtslose Söldner, um eine Mini-Insel zu befreien. Die Rebellion bleibt ebenso blass.

Von Texttafeln und fehlenden Grundlagen

Auch Dialoge mit Nicht-Spieler-Charakteren verbunden mit mehreren Auswahl-Optionen in den Gesprächen fehlen. Kleine Ereignisse oder gar geskriptete Zwischensequenzen, die zur Fortführung der Geschichte beitragen – alles Fehlanzeige. Der rudimentäre Rahmen der Geschichte ist zweifelsohne vorhanden, wird aber karg präsentiert, als wäre den Entwicklern zwei Tage vor Veröffentlichung eingefallen, dass irgendwie die Geschichte fehlt.

Dr. Clifford Highball ist am Zug und kann mit seiner "Big Red" den bereits blutenden Gegner aus der Weg schaffen. Original-Waffennamen gibt es aus lizenzrechtlichen Gründen bei Jagged Alliance Flashback nicht, aber die virtuelle Nachbildung lässt klare Schlüsse auf das Vorbild zu.

Es wirkt fast so, als hätten die Entwickler all ihre Energie in die Gestaltung des taktischen Kampfsystems gesteckt und dabei alles andere vernachlässigt. Wie schon in der Vorschau beschrieben - und daher verweise ich für Details an dieser Stelle auf den Bericht -, ist die Mischung aus Echtzeit-Bewegung auf der Karte und dem Wechsel in den Runden-Modus sobald ein Gegner gesehen wurde oder ein Schuss gefallen ist, sehr gelungen. Das Zielen auf Kopf, Torso und Beine sowie die unterschiedlichen Schussmodi plus Körperhaltungen entfalten ein schönes Taktik-Fundament.

Ordentliches Kampfsystem

Insgesamt 22 Söldner stehen im Aufgebot. Etwaige bekannte Vertreter (z.B. Igor) fehlen ebenso wie die Interaktionen zwischen den Söldnern im Team.
Hinzu gesellt sich ein brauchbares Deckungssystem à la XCOM: Enemy Unknown, das allerdings nicht so komfortabel umgesetzt wurde. So muss man den Söldner erst manuell aus der Deckung hinausbewegen (kostet alles Aktionspunkte), damit dieser gezielt Schießen kann, anstatt dass man direkt aus der Deckung heraus feuern kann. Dafür wissen das Sichtlinien- und Hörsystem sowie die Unterbrechungen zu gefallen. Letzteres ermöglicht es, dass man die eigenen Leute auf die Lauer legen kann (nicht alle Aktionspunkte werden ausgegeben) und sobald sich etwas in Sichtweite bewegt, können die Gegner in ihrem Zug unterbrochen werden – sofern ihr Unterbrecherwert höher ist als der des Feindes.

Wenn sich Söldner und Gegner dann Schussduelle liefern, beginnt der Nervenkitzel: Sitzen meine Treffer? Was macht der Gegner? Sind weitere Feinde in Sicht- oder Hörweite? Nur leider spielt die Computerintelligenz nicht immer richtig mit, denn was die Konkurrenten manchmal machen, verstehe wer will. Beispiel: Mein für zwei Wochen angemieteter Söldner „Cliff“ kniet zwischen einem Haus und einer Schuttmulde und feuert Richtung Süden, um den gesichteten Gegner zu treffen. Da dieser zu weit weg steht und die Pistole je nach Entfernung immer unpräziser wird, trifft er nicht. Ich beende die Runde, bange um Cliffs virtuelles Leben und was macht der besagte Feind? Er läuft zu Cliff und legt sich zwei Felder vor ihm auf den Boden. Das war‘s. Seine Aktionspunkte sind aufgebraucht. Eine Deckung suchen oder das Feuer erwidern, das schien der Gegner, warum auch immer, nicht zu tun. Solche Aktionen sind zum Glück nicht der Regelfall, kommen aber vor und stören damit die taktischen Gefechte.

Ebenerdige Duelle

Dächer von Häusern dürfen nicht betreten werden.
Dass Feinde koordiniert vorgehen und flankierend angreifen, habe ich noch nicht beobachtet. Meistens reagieren beschossene Gegner damit, entweder zurückzuschießen, in den Nahkampf zu gehen oder zur Quelle des Schusses zu laufen. Eine intelligente Bedrohung stellen die Gegner nur selten dar. Wenn es mal kniffelig wird, dann nur durch bestimmte Hürden oder weite Flächen im Level-Design oder durch eine zahlenmäßige Überlegenheit der KI-Schergen inkl. stärkeren Waffen.

Zudem fallen die Gefechte ziemlich ebenerdig aus, denn Dächer – wie in XCOM: Enemy Unknown oder Jagged Alliance 2 – können nicht betreten werden. Solche taktischen Finessen wie Scharfschützen auf erhöhten Positionen, kreative Granatenwürfe oder andere Arten von Ablenkungen von „Oben“, fallen somit flach. Schade!

Auf dem Weg zur Befreiung der Insel erobern die Söldner, die sich in mehrere Truppen einteilen lassen, schrittweise die besetzten Sektoren – was u.a. den Questfortschritt voranbringt sowie Waffen, Ausrüstung und Geld einbringt. Das passiert alles auf der Welt- bzw. Sektorenkarte. Hier kümmert man sich ebenfalls um die Waffenreparatur, das Anheuern neuer Söldner, die Bestellung von Waffen + Munition und das Kurieren etwaiger Wunden. Wie beim zweiten Teil dienen befreite Minen oder Farmen zur Erhöhung des finanziellen Einkommens, schließlich wollen die angeheuerten Söldner ja auch bezahlt werden.

Gefährlich wird es nur, wenn die Gegner zahlenmäßig überlegen sind.
Weil die Söldnertruppe nicht immer vor Ort sein kann, können in wichtigen Gebieten Milizen ausgebildet werden, die dann befreite Areale automatisch verteidigen, sofern die Gegner einen Gegenangriff initiieren. Nichtsdestotrotz fehlt es hier an Umfang und Tiefe. So fällt die Insel im Vergleich zu Arulco ziemlich klein aus und abgesehen von Reparaturen oder Genesungspausen gibt es nicht so viel zu machen – kein Training und Co.

Sektor- und Söldner-Management

Bei der Zusammenstellung der Söldnertruppe(n) fehlt ebenfalls ein essentielles Merkmal von Jagged Alliance und zwar die Interaktion der Söldner untereinander. Es gibt keine witzigen bis haarsträubenden Dialoge oder gar handfeste Auseinandersetzungen, wenn sich manche Mitstreiter überhaupt nicht grün waren. Es ist völlig egal, wie man sein Team aufbaut – nur das Geld und die notwendigen Fähigkeiten  der Söldner sind letztendlich relevant. Das nimmt wiederum Persönlichkeit aus dem Spiel.

Fazit

Irgendwie wirkt fast jeder Bestandteil von Jagged Alliance Flashback zu oberflächlich oder nicht zu Ende entwickelt. Alles ist auf das notwenige Minimum beschränkt. Während das Kampfsystem eine wirklich ordentliche Grundlage bildet, sind die Charakter-Entwicklungen mehr Schein als Sein, Einstieg, Story und Präsentation ein Witz und die Interaktion mit anderen Charakteren kaum vorhanden. Auch das Repertoire der Computerintelligenz ist überschaubar. Ähnlich überschaubar präsentieren sich die Größe der Karte, der Umfang der Söldnerriege sowie die Handlungsmöglichkeiten auf der strategischen Karte – alles ist nur ein Grundgerüst, das viel mehr in die Tiefe hätte gehen können und müssen. Es sind einzig und allein die launigen und durchaus spannenden Schusswechsel im Runden-Modus, die das Spiel in den gerade noch befriedigenden Bereich retten. Die Kämpfe sind zwar nicht perfekt, aber dieser elementare Kern des Spiels funktioniert und macht tatsächlich Spaß. Wer taktische Gefechte, eine stimmige Rollenspiel-Welt und aufwändigere Charakter-Entwicklungen sucht, ist derzeit bei Wasteland 2 besser dran.

Pro

  • Mischung aus Echtzeit-Erforschung und Runden-Kämpfen
  • ordentliches Taktik-Kampfsystem
  • Squad-Inventar erleichtert Gegenstandsverteilung
  • Sicht- und Hörweite spielen eine Rolle
  • viele Details zur Simulation der Waffen (Reichweite)
  • Charakter-Entwicklung der Söldner
  • stimmiger Soundtrack
  • Modding-Unterstützung

Kontra

  • viele Bestandteile wirken oberflächlich: Charakter-Entwicklung, Strategiekarte, Deckungssystem, nur eine Ebene etc.
  • schwache Computerintelligenz der Gegner
  • maue Präsentation von Story, Szenario und Dialogen
  • keine Interaktion der Söldner untereinander
  • kaum Sprachausgabe
  • Wegfindungsmacken und stellenweise lange Berechnung der gegnerischen Züge

Wertung

PC

Unfertig! Abgesehen von den gelungenen taktischen Kämpfen kratzt fast jeder Bestandteil von Jagged Alliance Flashback nur an der Oberfläche.