Jagged Alliance: Flashback - Test, Taktik & Strategie, iPhone, iPad, PC
Es ist zum Mäusemelken! Auch Jagged Alliance: Flashback (ab 6,24€ bei
Verunglückte Rückblende
Trotz des viel versprechenden Eindrucks in der Vorschau und einem ordentlichen rundenbasierten Kampfrahmen, wirkt es so, als wäre das Spiel – trotz oder gerade wegen der Early-Access-Phase –übereilt auf den Markt gebracht worden. Diesen „mit der heißen Nadel gestrickten“ Eindruck unterstreicht u.a. die deutsche Übersetzung, die erst einen Tag nach dem Verkaufsstart via Patch hinzugefügt wurde. Und übereilig eingebaut wirken viele Elemente …
Nach dem Start einer Partie poppt ein schmuckloses Fenster auf und fragt, ob ich einen eigenen Söldner erstellen möchte. Das passiert ganz wie im Vorbild mit Hilfe eines Fragebogens, aus dem später die Charakter-Merkmale (Perks) ermittelt werden. Danach dürfen Werte und Attribute verteilt werden, woraus sich Stärken und Schwächen in den Bereichen Stärke, Koordination und Intelligenz sowie Fähigkeiten à la Treffsicherheit, Medizin, handwerkliche Begabung, Sprengstoffe, Nahkampf und Schleichen ergeben.
Vermasselter Einstieg
Sind dann die Werte zusammengestellt, darf das Aussehen des Söldners festgelegt werden und da währenddessen das gruselige gesichtslose Charaktere-Modell auf seine Vollendung im Menü wartet, möchte man auch schnell weitermachen. Zum Glück gibt es nicht so viele Einstellungsmöglichkeiten!
Sehr schnell steht der eben erstellte Söldner auf einer tropischen Insel. Was soll er da? Wie ist er da hingekommen? Und warum überhaupt? Diese Fragen werden nebenbei auf wenigen Texttafeln und ohne Sprachausgabe abgehandelt. Selbst die Präsentation bei Jagged Alliance 2 war aufwändiger – wobei der Klassiker nicht wirklich ein leuchtendes Vorbild in Sachen Präsentation war. Zuerst dachte ich, es wären Platzhalter, aber nein, es ist so gewollt! Zugleich will bei solch einer mageren Präsentation kein richtiges Feindbild aufkommen. Kein Vergleich zu Deidranna aus dem zweiten Teil und ihrem "liebevollen" Umgang mit Elliot. Ich kämpfe einfach gegen gesichtslose Söldner, um eine Mini-Insel zu befreien. Die Rebellion bleibt ebenso blass.
Von Texttafeln und fehlenden Grundlagen
Auch Dialoge mit Nicht-Spieler-Charakteren verbunden mit mehreren Auswahl-Optionen in den Gesprächen fehlen. Kleine Ereignisse oder gar geskriptete Zwischensequenzen, die zur Fortführung der Geschichte beitragen – alles Fehlanzeige. Der rudimentäre Rahmen der Geschichte ist zweifelsohne vorhanden, wird aber karg präsentiert, als wäre den Entwicklern zwei Tage vor Veröffentlichung eingefallen, dass irgendwie die Geschichte fehlt.
Es wirkt fast so, als hätten die Entwickler all ihre Energie in die Gestaltung des taktischen Kampfsystems gesteckt und dabei alles andere vernachlässigt. Wie schon in der Vorschau beschrieben - und daher verweise ich für Details an dieser Stelle auf den Bericht -, ist die Mischung aus Echtzeit-Bewegung auf der Karte und dem Wechsel in den Runden-Modus sobald ein Gegner gesehen wurde oder ein Schuss gefallen ist, sehr gelungen. Das Zielen auf Kopf, Torso und Beine sowie die unterschiedlichen Schussmodi plus Körperhaltungen entfalten ein schönes Taktik-Fundament.
Ordentliches Kampfsystem
Wenn sich Söldner und Gegner dann Schussduelle liefern, beginnt der Nervenkitzel: Sitzen meine Treffer? Was macht der Gegner? Sind weitere Feinde in Sicht- oder Hörweite? Nur leider spielt die Computerintelligenz nicht immer richtig mit, denn was die Konkurrenten manchmal machen, verstehe wer will. Beispiel: Mein für zwei Wochen angemieteter Söldner „Cliff“ kniet zwischen einem Haus und einer Schuttmulde und feuert Richtung Süden, um den gesichteten Gegner zu treffen. Da dieser zu weit weg steht und die Pistole je nach Entfernung immer unpräziser wird, trifft er nicht. Ich beende die Runde, bange um Cliffs virtuelles Leben und was macht der besagte Feind? Er läuft zu Cliff und legt sich zwei Felder vor ihm auf den Boden. Das war‘s. Seine Aktionspunkte sind aufgebraucht. Eine Deckung suchen oder das Feuer erwidern, das schien der Gegner, warum auch immer, nicht zu tun. Solche Aktionen sind zum Glück nicht der Regelfall, kommen aber vor und stören damit die taktischen Gefechte.
Ebenerdige Duelle
Zudem fallen die Gefechte ziemlich ebenerdig aus, denn Dächer – wie in XCOM: Enemy Unknown oder Jagged Alliance 2 – können nicht betreten werden. Solche taktischen Finessen wie Scharfschützen auf erhöhten Positionen, kreative Granatenwürfe oder andere Arten von Ablenkungen von „Oben“, fallen somit flach. Schade!
Auf dem Weg zur Befreiung der Insel erobern die Söldner, die sich in mehrere Truppen einteilen lassen, schrittweise die besetzten Sektoren – was u.a. den Questfortschritt voranbringt sowie Waffen, Ausrüstung und Geld einbringt. Das passiert alles auf der Welt- bzw. Sektorenkarte. Hier kümmert man sich ebenfalls um die Waffenreparatur, das Anheuern neuer Söldner, die Bestellung von Waffen + Munition und das Kurieren etwaiger Wunden. Wie beim zweiten Teil dienen befreite Minen oder Farmen zur Erhöhung des finanziellen Einkommens, schließlich wollen die angeheuerten Söldner ja auch bezahlt werden.
Weil die Söldnertruppe nicht immer vor Ort sein kann, können in wichtigen Gebieten Milizen ausgebildet werden, die dann befreite Areale automatisch verteidigen, sofern die Gegner einen Gegenangriff initiieren. Nichtsdestotrotz fehlt es hier an Umfang und Tiefe. So fällt die Insel im Vergleich zu Arulco ziemlich klein aus und abgesehen von Reparaturen oder Genesungspausen gibt es nicht so viel zu machen – kein Training und Co.Sektor- und Söldner-Management
Bei der Zusammenstellung der Söldnertruppe(n) fehlt ebenfalls ein essentielles Merkmal von Jagged Alliance und zwar die Interaktion der Söldner untereinander. Es gibt keine witzigen bis haarsträubenden Dialoge oder gar handfeste Auseinandersetzungen, wenn sich manche Mitstreiter überhaupt nicht grün waren. Es ist völlig egal, wie man sein Team aufbaut – nur das Geld und die notwendigen Fähigkeiten der Söldner sind letztendlich relevant. Das nimmt wiederum Persönlichkeit aus dem Spiel.
Fazit
Irgendwie wirkt fast jeder Bestandteil von Jagged Alliance Flashback zu oberflächlich oder nicht zu Ende entwickelt. Alles ist auf das notwenige Minimum beschränkt. Während das Kampfsystem eine wirklich ordentliche Grundlage bildet, sind die Charakter-Entwicklungen mehr Schein als Sein, Einstieg, Story und Präsentation ein Witz und die Interaktion mit anderen Charakteren kaum vorhanden. Auch das Repertoire der Computerintelligenz ist überschaubar. Ähnlich überschaubar präsentieren sich die Größe der Karte, der Umfang der Söldnerriege sowie die Handlungsmöglichkeiten auf der strategischen Karte – alles ist nur ein Grundgerüst, das viel mehr in die Tiefe hätte gehen können und müssen. Es sind einzig und allein die launigen und durchaus spannenden Schusswechsel im Runden-Modus, die das Spiel in den gerade noch befriedigenden Bereich retten. Die Kämpfe sind zwar nicht perfekt, aber dieser elementare Kern des Spiels funktioniert und macht tatsächlich Spaß. Wer taktische Gefechte, eine stimmige Rollenspiel-Welt und aufwändigere Charakter-Entwicklungen sucht, ist derzeit bei Wasteland 2 besser dran.
Pro
- Mischung aus Echtzeit-Erforschung und Runden-Kämpfen
- ordentliches Taktik-Kampfsystem
- Squad-Inventar erleichtert Gegenstandsverteilung
- Sicht- und Hörweite spielen eine Rolle
- viele Details zur Simulation der Waffen (Reichweite)
- Charakter-Entwicklung der Söldner
- stimmiger Soundtrack
- Modding-Unterstützung
Kontra
- viele Bestandteile wirken oberflächlich: Charakter-Entwicklung, Strategiekarte, Deckungssystem, nur eine Ebene etc.
- schwache Computerintelligenz der Gegner
- maue Präsentation von Story, Szenario und Dialogen
- keine Interaktion der Söldner untereinander
- kaum Sprachausgabe
- Wegfindungsmacken und stellenweise lange Berechnung der gegnerischen Züge