This War of Mine - Test, Simulation, PC, Switch, Android, Mac, Linux, iPhone, iPad

This War of Mine
21.11.2014, Eike Cramer

Test: This War of Mine

Bedrückender Überlebenskampf

Mit This War Of Mine (ab 3,20€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) inszenieren die 11Bit Studios die Geschichten von Zivilisten in einer belagerten Stadt. Warum diese stimmungsvolle und emotionale Erzählung so gut funktioniert, klärt der Test.

„Es ist kalt geworden in der Stadt. Verdammt kalt. Der Schnee fällt auf die zerstörten Straßenzüge, Bombentrichter und auf Ruinen, in denen vor nicht allzu langer Zeit noch Menschen wohnten. Immer wieder erschüttert die Explosion von Granaten die Häuser und entfernt hört man das Echo vereinzelter Schüsse. Verdammter Krieg! Wie lange dauert diese Belagerung bereits?

Willkommen in der Hölle

This War Of Mine ist ein eindrückliches Beispiel, wie der Krieg abseits der Hochglanz-Helden thematisiert werden kann.
Es ist jetzt 35 Tage her, dass wir uns in dieses große, leerstehende Haus geflüchtet haben. Wir hatten Glück: das Dach ist weitestgehend dicht und mit einigen Brettern konnten wir die Löcher in den Wänden notdürftig abdichten. Wenn nur diese verdammte Kälte nicht wäre. Sie kriecht durch jeden Spalt, jede Ritze. Der notdürftigee Ofen, in dem wir alles Mögliche verbrennen, hilft nur wenig.

Und dann dieser Hunger. Vor einigen Tagen haben wir einen Gefährten an ihn verloren. Roman, den ehemaligen Rebellenkämpfer. Kurz nach unserer Ankunft stand er vor der Tür. Traumatisiert, desillusioniert.  Wir nahmen ihn auf und er half uns – wehrte Eindringlinge ab, die uns nachts das wenige nehmen wollten, was uns blieb. Wir konnten ihm am Ende nicht mehr helfen. Zuletzt verletzte er vor Hunger rasend einen Freund im Streit schwer. Was soll nur aus uns werden?“

Auf den ersten Blick ist This War Of Mine nur eine Überlebenssimulation von vielen. Eine Gruppe von Menschen

Die Kulisse ist einfach, aber durchweg stimmungsvoll. Zudem wird die deprimirende Grundstimmung von einem guten Soundtrack getragen. An den Werkbänken werden Möbel oder Zigaretten hergestellt.
muss gemeinsam Nahrung, Medikamente Werkstoffe und Gegenstände organisieren, um das Ende des Krieges zu erreichen. Die Charaktere haben Bedürfnisse wie Hunger und Müdigkeit, können schwer erkranken, sich in Kämpfen verletzen und ihr Geist kann an der Belastung zerbrechen.

-    Katia, Tag 35

Eine Überlebenssimulation?

Im halbwegs sicheren Haus können provisorische Möbel und Werkbänke errichtet werden, Zigaretten gerollt, Essen gekocht, Waffen repariert oder Werkzeuge improvisiert werden. Diese können in den nächtlichen Streifzügen durch zerstörte Schulen, in Feldlazaretten oder unbewohnten Häusern genutzt werden, um neue Gegenstände zu erbeuten. Während eines der Gruppenmitglieder auf der Suche ist, kann der Rest schlafen – oder Wache stehen, um Übergriffe anderer Banden zu verhindern.

Doch dieser Kampf ums Überleben ist so viel mehr als ein DayZ. Der Spielablauf ist oft langwierig und repetitiv. Man muss Essen kochen, Essen, Schlafen und  Ausruhen, um für die Nacht bereit zu sein. Dieser aussichtslose

Stehlen? Handeln? Morden? Die nächtlichen Streifzüge fordern harte, moralische Entscheidungen und haben gnadenlose Konsequenzen auf den Geisteszustand der Gruppe.
Kreislauf fängt die Mühsal des täglichen Überlebens grandios ein. Jeder Tag gleicht dem anderen. Die Tage dauern scheinbar endlos und Fehler werden gnadenlos bestraft. Der Tod ist dauerhaft und jede Entscheidung unumkehrbar. Gehe ich das Risiko eines bewaffneten Kampfes gegen andere Gruppen ein, kann es sein, dass ein verwundeter Charakter Tage später an seinen Wunden stirbt. Tausche ich die wertvollen Medikamente gegen Tabak, könnte es sein, dass sie mir nur wenig später fehlen. Dieser Kampf ist gnadenlos.

Schmerzhaft realistisch

Zudem gibt es hier keine fiktive Endzeit, die mir die Last der Realität nimmt. Es gibt keine Zombies und keine Aliens, die mir vorgaukeln, dass es so weit schon nicht kommen wird. Nein, This War Of Mine ist Homs oder Gaza. Dieser Krieg findet statt und zwar genau jetzt. Sei es im Sindschar-Gebirge, in Kobane oder im Donbass: Überall auf der Welt gibt es Zivilisten, die genau das erleben, was die 11Bit Studios so schmerzhaft realistisch porträtieren. Einen Krieg. Genau vor ihrer Haustür.

Dieser Krieg fordert von jedem einzelnen dramatische Entscheidungen. Was nehme ich in Kauf? Welches Leid bin ich bereit anzurichten, um mein eigenes Leben zu retten? Die nächtlichen Streifzüge führen mich nämlich nicht nur in menschenleere Ruinen. Ich habe mich z.B. dafür entscheiden  ein älteres Ehepaar zu überfallen, das in einem der von schwerer Artillerie noch verschonten Randbezirke lebt. Ich bin bewaffnet und halb verhungert in ihr Haus eingedrungen und habe ihnen aus Verzweiflung alles genommen, was sie hatten: Nahrung, Brennstoffe, Wertsachen. Auf Knien hat mich die ältere Frau angefleht, doch mir blieb keine Wahl. Ob sie lange überleben können? Unwahrscheinlich.

Überleben um jeden Preis?

"Die Schule wurde getroffen, als der Unterricht gerade begonnen hatte."
Ich habe einer anderen Familie ihre Vorräte gestohlen und dem Vater auf der Flucht eine Schaufel ins Gesicht geschlagen. Und ja, ich habe Medikamente aus dem letzten Krankenhaus der Stadt gestohlen, um eine Freundin vor dem sicheren Tod zu bewahren.  Die Gruppe reagiert auf diese Aktionen. Sie zweifeln, sie hadern. Ist es richtig, das Falsche zu tun? Doch es gibt sie noch, die wenigen lichten Momente. Als die beiden Nachbarskinder verzweifelt vor der Tür standen und um Medikamente für die kranke Mutter baten, konnte ich sie nicht abweisen. Als der Vater eines Jungen von der Kugel eines Scharfschützen getroffen wurde, half die Gruppe ihn in sein Haus zurückzubringen. Doch diese menschlichen Augenblicke sind selten in einer Welt, die ihre Menschlichkeit verloren hat.

Das Ende naht: Die Tode von Gruppenmitgliedern sind schmerzhaft, aber oftmals unabwendbar.
„Es wird seit Tagen immer kälter. Die Schneemassen verhindern den Zugang zu den östlichen Gebieten der Stadt und unsere Nahrungsvorräte schrumpfen immer schneller. Gestern ist Pavle nicht von seinem nächtlichen Streifzug zurückgekommen. Er wollte zur Militärbasis um Tabak gegen Holz zu tauschen. Vermutlich ist er tot. Wir haben nichts mehr für den Ofen – das letzte Buch wurde gestern in die Flammen geworfen. Die Situation wird immer auswegloser.

Das Ende vor Augen

Heute Morgen ist Bruno nicht mehr aufgewacht. Er ist erfroren. Ich fühle mich krank. Ich bin alleine. Wenn nicht bald etwas passiert, wenn nicht bald Hilfe kommt wird es zu spät sein. Dann werden sie eine Geisterstadt befreien. Verdammter Krieg!“

-          Katia, Tag 40

Fazit

This War Of Mine ist das bedrückend atmosphärische  Porträt des Krieges aus der Sicht der Unbeteiligten, vor deren Haustür er stattfindet. Es gibt in diesem Kampf nicht die strahlenden Hochglanz-Helden oder waffenstarrenden Weltenretter eines Call of Duty. Es wird nicht einmal deutlich, worum es in den Kämpfen überhaupt geht, denn es spielt keine Rolle: Hier geht es ausschließlich um das nackte Überleben. In einer vom Krieg zerstörten Stadt, die Pate steht für Homs, für Donezk oder für Kobane, ist jeder Tag ist ein repetitiver Kampf gegen Hunger, Krankheit, Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit. Und jede Nacht ist eine gefährliche Suche nach Überresten der Zivilisation. Die 11Bit Studios zeigen gnadenlos und unkommentiert die dunkle Seite des Krieges. Sie zeigen schonungslos das Leid und die Narben, die jeder dieser Konflikte auf der Seele der Überlebenden hinterlässt. Im Abspann werden mir meine Entscheidungen präsentiert. Mein Verlust der Moral, die Gefahr in die ich andere gebracht habe, die Hoffnung die ich vielleicht gegeben habe. This War Of Mine ist ein spielerisches Monument gegen den Krieg und ein Fanal für den Frieden – ganz ohne den moralischen Zeigefinger oder eine Hollywood-Inszenierung. Was für eine bemerkenswerte Leistung.    

Pro

  • stimmungsvolle, deprimierende Atmosphäre
  • gnadenlose Darstellung des Alltags in einem Kriegsgebiet
  • knallharte moralische Entscheidung
  • Handlungsfreiheit bei den nächtlichen Streifzügen
  • viele Gegenstände, Werkbänke und Crafting-Möglichkeiten
  • zwei Möglichkeiten des "Kriegsendes"
  • nur vage Hinweise über Zustand der Charaktere
  • wichtige Thematik
  • stimmungsvoller Graphic-Novel-Stil

Kontra

  • etwas repetitive Spielmechaniken
  • keine Sprachausgabe

Wertung

PC

Atmosphärisch, bedrückend, gnadenlos: This War Of Mine inszeniert den täglichen Überlebenskampf von Zivilisten in Kriegsgebieten schmerzhaft realistisch.

Kommentare
vor 5 Jahren
lefu

Liebe 4 Player Redaktion,

Was ist das bitte für ein "Test". Was ist mit den grundlegenden "Basics" eines jeden Spiels, z.B. Steuerung, Bedienbarkeit, Zugang?
Genau in diesen Feldern hat "This War of Mine" leider so seine Defizite. Wie ihr schön erwähnt habt duldet das Spiel keinen Fehler.
Wenn dann aber das crafting nicht intuitiv sofort erfassbar ist und die Steuerung nicht fehlerfrei funktioniert ist diese Tatsache nicht motivierend und Immersionsfördernd sondern einfach nur qualitativ schlecht gemacht und damit keine 90% wert.

Es ist mir wirklich schleierhaft wie es vor allem sogenannte Indiespiele immer wieder schaffen, die Herren von der Fachpresse so zu blenden, daß plötzlich jede Grundlage eines (guten) Spiels nicht mehr erfüllt sein müssen solange kreativ außergewöhnliche Spielideen gegeben sind. Sorry, dass erinnernd mich sehr an diese Phillip Stark Zitronenpressen: Neu, außergewöhnlich und schick aber leider kann man keine Zitrone damit auspressen.

vor 5 Jahren
PixelMurder

War für drei Monate Sprachaufenthalt in Nelson, NZ, ein tolles Land.

vor 9 Jahren
Cry0n

PixelMurder hat geschrieben:Und nächstens mache ich weiter, ist gerade ideal vor dem Schlafen.
Das schaffe ich nicht, muss in einer besonders guten Laune sein, um das Spiel zu ertragen.
Denke dann immer, dass es aktuell Menschen auf der Welt, auch ganz nah, die in solchen Situationen sind, oder in schlimmeren.

Lebst du in Neuseeland oder zum Urlaub dort?
Wäre eine Überlegung wert, dort hinzuziehen...

Zuletzt bearbeitet vor 9 Jahren

vor 9 Jahren
PixelMurder

Ich hätte das Spiel nie gekauft, wenn ich auch irgend einen Krach-Bumm-Blockbuster auf meinem Gamer-PC auf dem grossen Fernseher hätte zocken können. Aber hier in Neuseeland habe ich nur einen Laptop zur Verfügung und könnte ein grosses Spiel überhaupt nicht runterladen.
Zuerst habe ich auch gedacht, lieber gar nicht zocken, als sowas. Habe das Spiel auch abgeschossen, als mir langweilig wurde. Am nächsten Abend aber doch weiter gezockt und am nächsten auch, zwischendurch das Spiel neu gestartet, um mit mehr Erfahrung nochmals zu beginnen. Und nächstens mache ich weiter, ist gerade ideal vor dem Schlafen. Und ja, mich kratzt es, anderen Leuten den Frass wegzunehmen und ich versuche es irgendwie zu schaffen, ohne allzuviele Schweinereien anzurichten. Und Tode in den eigenen Reihen kotzen mich an. Also irgendwas muss das Spiel schon richtig machen.
Ich betrachte nebenbei Spielewertungen als Urteil darüber, wie die Leistung dem Preis und den Versprechungen des Entwickler entspricht. Ich gebe dem Spiel zu dem frühen Zeitpunkt keine Note, aber ich habe es immerhin schon länger gezockt, als manche überhype Grütze zum Vollpreis, wegen der ich mich über den Tisch gezogen fühlte.

vor 9 Jahren