The Book of Unwritten Tales 2 - Test, Adventure, PC, PlayStation4, Switch, iPhone, XboxOne, Android, iPad

The Book of Unwritten Tales 2
20.02.2015, Jan Wöbbeking

Test: The Book of Unwritten Tales 2

Zurück in Aventásien

Das haarige „Vieh“ und seine nicht ganz so flauschigen Mitstreiter sind zurück: Fünf Jahre nach dem Debüt bekommt unser Adventure des Jahres 2010 endlich einen ausgewachsenen Nachfolger. Erneut dreht sich die Geschichte um magische Verschwörungen in einem an Tolkien erinnernden Fantasy-Universum, garniert von Unmengen alberner Anspielungen auf Rollenspiel-, Geek- und Fantasy-Kultur. Ob Wilbur, Nate & Co begeistern können, klärt der Test.

Mit den Vieh Chroniken gab es zwar bereits 2011 einen Serien-Ableger, doch der lag nach der Pleite von Publisher HMH lange auf Eis und wirkte bei Release dementsprechend unfertig. Diesmal wollte Entwickler King Art aus Bremen die Rückmeldungen von Spielern fürs Feintuning nutzen: The Book of Unwritten Tales 2 (ab 6,19€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) erschien scheibchenweise in Steams Early-Access-Programm. Pünktlich zur Freischaltung der finalen Fassung kommt das Spiel heute auch in zwei physikalischen Varianten in den Handel. Die Geschichte startet ein Jahr nach dem Ende des Vorgängers. Die Armee der Schatten wurde besiegt und die Fantasy-Welt Aventásien muss mit dem ungewohnten Frieden klarkommen. Gnom Wilbur ärgert sich als Zauberei-Professor mit besserwisserischen Schülern herum und Elfe Ivo langweilt sich in der schrecklich perfekten Idylle ihres Elternhauses.

Langweiliger Frieden?

Zurück in Seefels!
Schade, dass das Abenteuer so gemächlich startet: Eine geheimnisvolle Seuche scheint zwar allerlei Wesen in pinkfarbene Dinge zu verwandeln und in der Zeitung erfährt Ivo, dass der liebenswerte Gnom Wilbur angeblich den Erzmagier ermordet haben soll. Bevor ich den Ungereimtheiten auf den Grund gehen kann, muss ich mich allerdings erst einmal aus dem Hausarrest befreien und allerlei nur mäßig interessante Rätsel hinter mich bringen: Mal locke ich ihren eitlen Vogel  mit einem Spiegel in die Falle, damit ich ungestört das Anwesen erkunden kann, später bringe ich eine Reihe von Zutaten zu einem Medizinbuch, damit es Ivos ungewöhnliche „Krankheitssymptome“ deuten kann.

Es lohnt sich aber, dranzubleiben, denn sobald ich mit Wilbur Seefels erforscht habe, versank ich sofort wieder in der faszinierenden Fantasy-Stimmung, die schon Teil 1 ausgestrahlt hat – und dann begann auch die Geschichte wieder interessant zu werden. Der frisch ernannte Magieprofessor bemerkt schnell, dass mit dem Rektor der Lehranstalt etwas faul ist. Der Paragraphenreiter beauftragt Wilbur mit einer Vielzahl beinahe unschaffbarer Aufgaben, mit denen er das heruntergekommene Institut auf Vordermann bringen soll. Soll Wilbur seinen Mentor, den Erzmagier, schlecht darstehen lassen, damit die hinterlistige Cybill van Buren bei der anstehenden Wahl gegen ihn gewinnt? Droht gar ein Anschlag auf den Erzmagier – wie die Musketier-Ratte Rémi voraussagt? Oder ziehen insgeheim noch viel einflussreichere Mächte im Hintergrund die Fäden? Warum war die plötzlich wieder aufgetauchte Lehranstalt jahrzehntelang verschwunden – und wieso sind manche Zimmer wie die Bibliothek noch immer nicht zurückgekehrt?

Die Magie der Bücher

Schlimmer als ein Forentroll: Der unmotivierte Hausmeister weiß alles besser und stichelt ohne Rücksicht auf Verluste.
Die heruntergekommene Schule gehört zu den Highlights der wunderhübsch gestalteten Kulissen. An allen Ecken und Enden finden sich verschnörkelte Erker und jede Menge liebevoll designtes Gerümpel. Wenn Wilbur durch einen schummrig beleuchteten Raum schreitet, verdustert plötzlich sein riesiger, fein dargestellter Schatten die Hälfte des Raums, sehr idyllisch! Auch der Turm in Seefels, ein Luftschiff und viel andere Orte wirken wie gezeichnet, weil King Art neuerdings auf die Projection-Mapping-Technik zurückgreift. Dabei werden großflächige Zeichnungen über ein Drahtgitter im Hintergrund gelegt und dann physikalisch korrekt zurechtgezupft. Durch Pinselstriche und die teilweise ins Bild gemalte Beleuchtung wirken Farben und Details malerischer als bei klassischen Polygonen mit ihren kleinen Texturen. Die komplett dreidimensionalen Figuren davor selbst sehen zwar nicht ganz so beeindruckend aus, wurden aber fein und variantenreich animiert. Leider lockern die Entwickler die Bildregie nur selten mit Perspektivwechseln oder Nahaufnahmen auf. Warum das bei der neuen Technik besonders knifflig ist, erfahrt ihr übrigens in unserer Vorschau zu Silence: The Whispered World 2, welches allem Anschein nach eine deutlich dynamischere Kameraregie bekommt.

Noch mehr Spaß haben mir die Passagen mit Freibeuter Nate und seinem extrem coolen Begleiter, dem haarigen „Vieh“ gemacht. Nachdem ich den Wächter-Vogel eines Kopfgeldjägers mit einem Trick in ein Fass gelockt und eine magische Lampe aus einer fliegenden Piratenfestung stibitzt habe, läuft die Situation natürlich doch wieder aus dem Ruder. Der herbei gerufene Flaschengeist Benny stellt sich als unbegabter Azubi heraus: Statt ein Schloss zu knacken sprengt er den plärrenden Vogel aus dem Versteck, der natürlich prompt Alarm schlägt und Nate den gelinkten Kopfgeldjäger auf den Hals hetzt. Kurz danach bekomme ich auch eine Ahnung, warum Nate bereits im Intro aus großer Höhe gefährlich schnell in Richtung Boden segelt. Hier zeigt sich wieder Jan Theysens Gespür für Situationskomik: „Ist ja fast nix passiert, Benny“, bemerkt Nate trocken, “allerdings kommt der Boden immer noch näher!“. Selbst als Nate Interesse an den Wehwehchen des Dschinns heuchelt und näher nachhakt, bleibt der Flaschengeist bockig: „Ich fühle mich heute wirklich nicht danach!“

Haarige Rätsel

Auch ein klassisches Cocktail-Rätsel darf nicht fehlen: Das Vieh muss dem verkaterten Freund Nate mit aberwitzigen Verrenkungen einen Katerkiller mixen.
Gelungen sind auch die zahlreichen Anspielungen auf aktuelle Themen oder Fantasy-Universen - z.B. wenn der Erzmagier von seinem Live-Rollenspiel als LKW-Fahrer im Stau schwärmt (besser als der ganze langweilige Hokuspokus und Fantasy-Schlachten).  Cool ist auch der als Hausmeister fungierende Troll, der natürlich exakt wie ein Forentroll argumentiert. Egal, wie Wilbur es versucht, der Troll weiß alles besser, argumentiert stets destruktiv und drückt sich mit Hilfe seiner Diskussions-Erfahrung um jegliche Arbeit.

An manchen Stellen des Spiels kann ich zwischen mehreren Helden wechseln, die im Grüppchen unterwegs sind: Beim oben erwähnten Ablenkungsmanöver lockt z.B. das Vieh den Vogel mit Erdnüssen auf den nächsten Bildschirm, damit Nate ungestört den Geist aus der Lampe befreien kann. Auch als die beiden zusammen mit Ivo in der Wüste auf die altbekannte vergessliche Mumie treffen, wird immer wieder gewechselt, um diverse Fallen und Apparaturen zu überlisten. Der Großteil der Rätsel wirkt zwar nicht besonders innovativ, sorgt mit seinem logischen Aufbau aber für einen guten Spielfluss. Innerhalb der Fantasy-Logik bleiben die nicht übermäßig schweren Puzzles mit diversen Zaubersprüchen meist nachvollziehbar und erstrecken sich über ein überschaubares Areal.

Mit vereinten Kräften

Endlich ist die Idylle vorbei: Ivo freut sich über das sich anbahnende Abenteuer.
Manchmal bremst die Vielzahl der Rätsel allerdings auch im späteren Spielverlauf die Geschichte aus. Die mit Hilfe der Kickstarter-Kampagne ermöglichten optionalen „Neben-Quests“ sind dagegen eine schöne Sache: In der Bibliothek schafft Wilbur es z.B., in die Vergangenheit zurück zu reisen – die allerdings ganz anders aussieht, als ich es mir vorgestellt hätte. Ich verrate lieber nicht zu viel, um nicht den Gag vorwegzunehmen. Zur Belohnung bekam ich einen hinterher einen extrem hässlichen Papierhut – hurra!

Im Gegensatz zu den letzten Adventures von King Art läuft das Spiel technisch meist sauber. Ausnahmen sind die Mausklicks, welche manchmal erst beim zweiten Versuch registriert werden. Das Inventar lässt sich bequem mit dem mittleren Mausknopf aus- und einklappen – ganz so komfortabel wie das Drehen des Mausrades bei Daedalic funktioniert das System aber nicht. Mit der optionalen Controller-Steuerung kann man das Spiel auch auf die Couch verlegen und die Figuren direkt mit dem linken Stick steuern; nahe Hotspots werden dann automatisch eigeblendet. Das funktioniert zwar passabel, geht aber bei weitem nicht so intuitiv von der Hand wie mit Maus und Tastatur.

Kein technisches Debakel wie bei The Raven?

Vorsicht, Fallen!
In seltenen Fällen blieb auch mal die deutsche Synchro stumm, so dass ich den Text nur mit Hilfe der Untertitel mitbekam. Rund 150.000 Wörter wurden diesmal eingesprochen: Promis wie Oliver Rohrbeck (Justus Jonas), Marion von Stengel (Angelina Jolie), Santiago Ziesmer (Spongebob Schwammkopf) und Dietmar Wunder (Daniel Craig) liefern wieder einen richtig guten Job ab. Benny Oschmann zeigt außerdem, was ich oft bei anderen orchestralen Spielesoundtracks vermisse: Der junge Komponist hat erneut richtig schön mystische, beschwingende und dramatische Melodien abgeliefert, die mir noch Stunden nach dem Spielen im Ohr hängenblieben. Diesmal wurden die Stücke übrigens mit dem "The City of Prague Philharmonic Orchestra" eingespielt.

Fazit

Das Warten hat sich gelohnt: The Book of Unwritten Tales hat mich zwar nicht so intensiv mitgerissen wie seinerzeit der Vorgänger, trotzdem steckt in dem Spiel ein rundes Fantasy-Abenteuer mit sympathischen Figuren, selbstironischen Gags, durchdachten Rätseln und toller Präsentation. Vor allem die malerischen Kulissen, Benny Oschmanns zauberhafter Orchester-Soundtrack und die bekannten Promi-Stimmen haben mich im Fantasy-Universum Aventasien versinken lassen. Das einzige größere Problem des Spiels ist, dass die Geschichte manchmal zu sehr durch Rätsel oder belanglose Details ausgewalzt wird und die Handlungsfäden um die geheimnisvolle Bedrohung nur langsam zusammenlaufen. Auch eine etwas dynamischere Kameraregie hätte dem Tempo gut getan. Im Gegenzug  stimmt aber der Umfang mit rund 20 Stunden Spielzeit. Wer Lust auf klassisches Knobeln in einer wunderschönen und reichlich albernen Fantasy-Welt hat, wird mit dem Abenteuer der vier ungleichen Helden gut bedient.

Pro

  • sympathische Figuren
  • viel selbstironischer Humor
  • logische, gut ausbalancierte Rätsel
  • Hinweise geschickt in die Dialoge eingebunden
  • idyllische Kulissen voller malerischer Details
  • stimmungsvolles Licht- und Schattenspiel
  • gelungene Anspielungen auf Pop-, Nerd- und Spielkultur
  • amtlicher Umfang von rund 20 Stunden
  • lustige, ungewöhnlich inszenierte Nebenaufgaben
  • unheimlich eingängige Ohrchestermelodien von Benny Oschmann
  • das Vieh!

Kontra

  • einige Längen bremsen die Geschichte stark aus
  • etwas altbackene Kameraregie mit wenigen Perspektivwechseln
  • manchmal bleiben Figuren beim Reden stumm
  • kleine Steuerungszicken

Wertung

PC

Zauberhaft inszeniertes und angenehm albernes Fantasy-Abenteuer, welches lediglich durch einige Story-Längen ausgebremst wird.

Kommentare
dx1

Und Du hast soviel Potential ignoriert. Ich meine, wer außer Doktor Morbus Scheuermann beugte sich 2018 noch über den Bildschirm?

vor 3 Jahren