The Book of Unwritten Tales 2 - Test, Adventure, PC, PlayStation4, Switch, iPhone, XboxOne, Android, iPad
Mit den Vieh Chroniken gab es zwar bereits 2011 einen Serien-Ableger, doch der lag nach der Pleite von Publisher HMH lange auf Eis und wirkte bei Release dementsprechend unfertig. Diesmal wollte Entwickler King Art aus Bremen die Rückmeldungen von Spielern fürs Feintuning nutzen: The Book of Unwritten Tales 2 (ab 6,19€ bei kaufen) erschien scheibchenweise in Steams Early-Access-Programm. Pünktlich zur Freischaltung der finalen Fassung kommt das Spiel heute auch in zwei physikalischen Varianten in den Handel. Die Geschichte startet ein Jahr nach dem Ende des Vorgängers. Die Armee der Schatten wurde besiegt und die Fantasy-Welt Aventásien muss mit dem ungewohnten Frieden klarkommen. Gnom Wilbur ärgert sich als Zauberei-Professor mit besserwisserischen Schülern herum und Elfe Ivo langweilt sich in der schrecklich perfekten Idylle ihres Elternhauses.
Langweiliger Frieden?
Es lohnt sich aber, dranzubleiben, denn sobald ich mit Wilbur Seefels erforscht habe, versank ich sofort wieder in der faszinierenden Fantasy-Stimmung, die schon Teil 1 ausgestrahlt hat – und dann begann auch die Geschichte wieder interessant zu werden. Der frisch ernannte Magieprofessor bemerkt schnell, dass mit dem Rektor der Lehranstalt etwas faul ist. Der Paragraphenreiter beauftragt Wilbur mit einer Vielzahl beinahe unschaffbarer Aufgaben, mit denen er das heruntergekommene Institut auf Vordermann bringen soll. Soll Wilbur seinen Mentor, den Erzmagier, schlecht darstehen lassen, damit die hinterlistige Cybill van Buren bei der anstehenden Wahl gegen ihn gewinnt? Droht gar ein Anschlag auf den Erzmagier – wie die Musketier-Ratte Rémi voraussagt? Oder ziehen insgeheim noch viel einflussreichere Mächte im Hintergrund die Fäden? Warum war die plötzlich wieder aufgetauchte Lehranstalt jahrzehntelang verschwunden – und wieso sind manche Zimmer wie die Bibliothek noch immer nicht zurückgekehrt?
Die Magie der Bücher
Noch mehr Spaß haben mir die Passagen mit Freibeuter Nate und seinem extrem coolen Begleiter, dem haarigen „Vieh“ gemacht. Nachdem ich den Wächter-Vogel eines Kopfgeldjägers mit einem Trick in ein Fass gelockt und eine magische Lampe aus einer fliegenden Piratenfestung stibitzt habe, läuft die Situation natürlich doch wieder aus dem Ruder. Der herbei gerufene Flaschengeist Benny stellt sich als unbegabter Azubi heraus: Statt ein Schloss zu knacken sprengt er den plärrenden Vogel aus dem Versteck, der natürlich prompt Alarm schlägt und Nate den gelinkten Kopfgeldjäger auf den Hals hetzt. Kurz danach bekomme ich auch eine Ahnung, warum Nate bereits im Intro aus großer Höhe gefährlich schnell in Richtung Boden segelt. Hier zeigt sich wieder Jan Theysens Gespür für Situationskomik: „Ist ja fast nix passiert, Benny“, bemerkt Nate trocken, “allerdings kommt der Boden immer noch näher!“. Selbst als Nate Interesse an den Wehwehchen des Dschinns heuchelt und näher nachhakt, bleibt der Flaschengeist bockig: „Ich fühle mich heute wirklich nicht danach!“
Haarige Rätsel
An manchen Stellen des Spiels kann ich zwischen mehreren Helden wechseln, die im Grüppchen unterwegs sind: Beim oben erwähnten Ablenkungsmanöver lockt z.B. das Vieh den Vogel mit Erdnüssen auf den nächsten Bildschirm, damit Nate ungestört den Geist aus der Lampe befreien kann. Auch als die beiden zusammen mit Ivo in der Wüste auf die altbekannte vergessliche Mumie treffen, wird immer wieder gewechselt, um diverse Fallen und Apparaturen zu überlisten. Der Großteil der Rätsel wirkt zwar nicht besonders innovativ, sorgt mit seinem logischen Aufbau aber für einen guten Spielfluss. Innerhalb der Fantasy-Logik bleiben die nicht übermäßig schweren Puzzles mit diversen Zaubersprüchen meist nachvollziehbar und erstrecken sich über ein überschaubares Areal.
Mit vereinten Kräften
Im Gegensatz zu den letzten Adventures von King Art läuft das Spiel technisch meist sauber. Ausnahmen sind die Mausklicks, welche manchmal erst beim zweiten Versuch registriert werden. Das Inventar lässt sich bequem mit dem mittleren Mausknopf aus- und einklappen – ganz so komfortabel wie das Drehen des Mausrades bei Daedalic funktioniert das System aber nicht. Mit der optionalen Controller-Steuerung kann man das Spiel auch auf die Couch verlegen und die Figuren direkt mit dem linken Stick steuern; nahe Hotspots werden dann automatisch eigeblendet. Das funktioniert zwar passabel, geht aber bei weitem nicht so intuitiv von der Hand wie mit Maus und Tastatur.
Kein technisches Debakel wie bei The Raven?
Fazit
Das Warten hat sich gelohnt: The Book of Unwritten Tales hat mich zwar nicht so intensiv mitgerissen wie seinerzeit der Vorgänger, trotzdem steckt in dem Spiel ein rundes Fantasy-Abenteuer mit sympathischen Figuren, selbstironischen Gags, durchdachten Rätseln und toller Präsentation. Vor allem die malerischen Kulissen, Benny Oschmanns zauberhafter Orchester-Soundtrack und die bekannten Promi-Stimmen haben mich im Fantasy-Universum Aventasien versinken lassen. Das einzige größere Problem des Spiels ist, dass die Geschichte manchmal zu sehr durch Rätsel oder belanglose Details ausgewalzt wird und die Handlungsfäden um die geheimnisvolle Bedrohung nur langsam zusammenlaufen. Auch eine etwas dynamischere Kameraregie hätte dem Tempo gut getan. Im Gegenzug stimmt aber der Umfang mit rund 20 Stunden Spielzeit. Wer Lust auf klassisches Knobeln in einer wunderschönen und reichlich albernen Fantasy-Welt hat, wird mit dem Abenteuer der vier ungleichen Helden gut bedient.
Pro
- sympathische Figuren
- viel selbstironischer Humor
- logische, gut ausbalancierte Rätsel
- Hinweise geschickt in die Dialoge eingebunden
- idyllische Kulissen voller malerischer Details
- stimmungsvolles Licht- und Schattenspiel
- gelungene Anspielungen auf Pop-, Nerd- und Spielkultur
- amtlicher Umfang von rund 20 Stunden
- lustige, ungewöhnlich inszenierte Nebenaufgaben
- unheimlich eingängige Ohrchestermelodien von Benny Oschmann
- das Vieh!
Kontra
- einige Längen bremsen die Geschichte stark aus
- etwas altbackene Kameraregie mit wenigen Perspektivwechseln
- manchmal bleiben Figuren beim Reden stumm
- kleine Steuerungszicken