White Night - Test, Action-Adventure, Mac, PlayStation4, XboxOne, PC
Wir schreiben das Jahr 1938. Boston befindet sich nach wie vor in den Klauen der großen Depression. Armut und Arbeitslosigkeit bestimmen die Gesellschaft der USA, als der namenlose Protagonist von White Night in einer verregneten Nacht mit seinem Auto verunglückt. Schemenhaft hatte er eine Frau auf der Straße wahrgenommen, bevor sein Wagen gegen einen Baum prallte. Hatte er sie überfahren? Wo war dann ihre Leiche? Verletzt schleppt er sich auf der Suche nach Hilfe in Richtung eines noblen Anwesens. Doch als er die Türen der Familienvilla des Industriemagnaten Henry Vesper aufstößt, betritt er einen Albtraum aus Dunkelheit und Schatten, dessen Fänge ihn mehr als nur seine geistige Gesundheit kosten könnten.
Die große Depression
Dementsprechend ist Licht die wichtigste Ressource in den düsteren Räumen des Anwesens. Da die Elektrik der 30er Jahre bestenfalls unzuverlässig und die Nacht rabenschwarz ist, tappe ich meist nur im spärlichen Schein eines Streichholzes durch die Finsternis. Stehe ich zu lange im Dunkeln werde ich verrückt, sodass jedes einzelne
der im Haus verteilten Zündhölzer zu einem überlebenswichtigen Rettungsanker wird. Schön: je länger ich in der Finsternis bleibe, desto nervöser ist auch der Protagonist und verschwendet schon mal zwei, drei der wertvollen Lichtquellen, bevor der schwache Feuerschein flackernd zum Leben erwacht.Licht als wichtigste Ressource
Doch auch elektrisches Licht spielt eine wichtige Rolle – nur im Schein von Glühlampen bin ich sicher vor den geisterhaften Schatten, die die Dunkelheit der Villa bevölkern und mich bei Berührung in den Wahnsinn stürzen. Und nur elektrisches Licht kann die Schattenwesen dauerhaft vernichten. Hektisch suche ich daher jeden Raum nach einem Schalter ab und genieße jeden einzelnen der spärlichen Lichtkegel. Zudem basieren viele der Rätsel auf dem Schaffen von ausreichender Beleuchtung. So können Kisten oftmals nur mit beiden Händen geöffnet oder ein Schrank nur ohne störendes Streichholz in den Fingern verschoben werden – allerdings müssen zuvor oftmals Kerzen entzündet, Kaminfeuer entfacht oder Stecker eingesteckt werden.
Die Aufgaben sind durchweg logisch und vergleichsweise geradlinig entworfen, erfordern aber viel Aufmerksamkeit, da die Entwickler glücklicherweise darauf verzichtet haben, blinkende Questmarker oder offensichtliche Hinweise zu verwenden. Viele Lösungen ergeben sich so nur durch die Beobachtung der Umgebung oder herumliegende Notizen. Sehr schön!
Die spannende Geschichte des Herrenhauses wird größtenteils über Zeitungsausschnitte, Tagebucheinträge und Notizen erzählt, die ich während meiner Streifzüge auflese. Ohne zu viel zu verraten: Im Zentrum des Horrors
steht die Familiengeschichte der Vespers, deren bewegte Vergangenheit starken Einfluss auf die Gegenwart hat. Auch die engelsgleiche Erscheinung der Jazz-Sängerin Selena Sandvik spielt eine wichtige Rolle, während man nach und nach die Geheimnisse des düsteren Gemäuers enthüllt.Eine finstere Familiengeschichte
Die Handlung wird dank der umfangreichen und durchweg guten Texte subtil und hintergründig erzählt. Der Einblick in das Seelenleben der Familie Vesper ist tief, sodass man ein schlüssiges Bild der Geschehnisse erhält. Zudem hält das Ende der Erzählung eine Überraschung parat, die sich allerdings schon während der Erkundung des Hauses etwas zu offensichtlich ankündigt. Dennoch: der subtile Grusel, der die Geschichte um die Vespers umweht, schafft eine beklemmende Atmosphäre, die gut zur finsteren Kulisse passt.
Ärgerlich: Einige Abschnitte des Horror-Abenteuers sind geprägt von fiesem Trial-and-Error, insbesondere wenn in geskripteten Sequenzen das Licht ausfällt, man unzähligen Geisterwesen ausweichen muss oder man schlicht einen versteckten Schalter nicht findet. Insbesondere die festen Kamera-Perspektiven, die dem Abenteuer einen Hauch von Resident Evil verleihen, machen hektische Passagen zu einem nervigen Glücksspiel. Gerade dann,
wenn ich mir immer wieder eine der nicht abbrechbaren Zwischensequenzen ansehen muss, nur um drei Schritte später in die Arme eines Geistes zu stolpern, verfluche ich das mitunter sehr klassische Spieldesign von White Night.Trial-and-Error in der Dunkelheit
Immerhin kann und sollte jederzeit an einem der in der weitestgehend frei begehbaren Villa herumstehenden Sessel gespeichert werden. Die wenigen automatischen Speicherpunkte sind nur sehr sporadisch gesetzt, sodass ich ähnlich wie in den ersten Abenteuern mit Chris Redfield und Co. gerne längere Umwege in Kauf nehme, um mehr Streichhölzer zu sammeln oder meinen Fortschritt zu sichern. Ebenfalls cool: Obwohl man sich in den acht Stunden des Horrortrips nur durch die drei Stockwerke des Vesper-Anwesens tastet, halten ständige Veränderungen der Räume, plötzlich verschlossene Türen oder durch Geister versperrte Korridore die teils langen Wege stets spannend.
Jederzeit muss man damit rechnen, dass ein vormals sicherer Raum plötzlich eine Brutstätte der Höllenwesen ist, das Licht ausfallen könnte oder eine Abkürzung nicht mehr existiert, was die nervliche Anspannung zwischen den Räumen deutlich erhöht.
Allerdings hat die äußerst stimmige Kulisse kleinere Fehler: Obwohl man dank der monochromen Gestaltung auf
aufwändige Texturen und weiche Schattenwürfe verzichtet hat, sind die scharfen Übergänge zwischen Hell und Dunkel aufgrund mangelhafter Kantenglättung unheimlich flimmrig. Zudem werden einige Schatten auf Objekten oder Gesichtern nicht richtig dargestellt, sodass das Gesamtbild oftmals unruhig und unsauber wirkt.Flimmernde Finsternis
Zwar wirkt sich das nicht dramatisch auf die gelungene Atmosphäre aus, aber angesichts der recht einfachen Darstellung und der scharfen Kontraste wäre eine technisch saubere Kulisse wünschenswert gewesen.
Fazit
White Night ist ein spannender und beklemmender Horrortrip in die Vergangenheit der Familie Vesper. Getragen vom monochromen Artdesign, dem Noir-Flair der 1930 Jahre sowie der gelungenen Vertonung spinnt das französische OSome Studio ein äußerst atmosphärisches Abenteuer, bei dem jeder Schritt im schwachen Schein der wertvollen Zündhölzer auch der letzte sein könnte. Auch wenn einige nervige Trial-and-Error-Passagen, feste Kameraperspektiven sowie flimmernde Schattenkanten etwas stören und es oftmals etwas an Feinschliff fehlt: dieses spannungsgeladene Grusel-Niveau in düsterer Atmosphäre hat man im Hause Capcom schon länger nicht mehr erreicht!
Anm. d. Red: Zum Test lagen uns nur PS4- und PC-Version vor. Eine Wertung der Xbox-One-Fassung wird zeitnah nachgereicht.
Pro
- wunderbares, monochromes Artdesign
- weitgehend ordentliche Rätsel
- dichte Atmosphäre
- spannende Geschichte
- tolle Vertonung
- gute Verbindung von Film Noir und Horror-Abenteuer
- Licht als wichtigste Ressource
- frei begehbarer Schauplatz mit vielen Wegen und Abkürzungen
Kontra
- unsauberes Bild durch Kantenflimmern und Schattenfehler
- teilweise nerviges Trial-and-Error
- etwas ungünstige feste Kameraperspektiven
- teils etwas einfaches Rätseldesign