Carmageddon: Reincarnation - Test, Rennspiel, 360, XboxOne, PlayStation4, PC, PlayStation3

Carmageddon: Reincarnation
09.06.2015, Benjamin Schmädig

Test: Carmageddon: Reincarnation

Chaotischer Feuertanz

Mit diesem Test habe ich mich schwer getan. Nicht weil Carmageddon ein komplexes Spiel ist – ganz im Gegenteil: In diesem Rennspiel muss man nicht einmal Rennen gewinnen. Siege bringen zwar Zaster, das tun schrottreife gecrashte Konkurrenten aber auch. Und über den Haufen gefahrene Zivilisten. Oder per Knopfdruck Enthauptete und hunderte Meter an eine Wand Geschleuderte. Sowie Verbrannte, Elektrisierte, Explodierte... In all dem Chaos steckt nicht immer ein gutes Spiel. Und trotzdem macht es einen Heidenspaß!

Es ist der dreckige Boden des guten Geschmacks, auf dem sich Carmageddon suhlt. Oder vielmehr: Auf dem ich mich austobe. Wenn ich Fußgänger explodieren lasse, kurz bevor ein Konkurrent sie überfahren kann – welch ein toller Moment diebischer Häme.

Schrottreife Höhepunkte

Autos, die in tausend Einzelteile zerrissen werden, Passanten in Form zerbrechlicher Crash-Test-Dummies, dazu Explosionen und splitternde Glasscheiben auf spielerisch offenen Rennstrecken: Carmageddon inszeniert mit Physik und absurden Zufällen einen spektakulären Rennzirkus jenseits des guten Geschmacks.

Ein anderes Highlight waren zwei Gegner, die in höchster Eile an mir vorbei rauschten, bevor nach einer kurzen Pause Fahrzeug Nummer drei auf der Seite liegend und Funken sprühend nur Millimeter an meinem Türgriff entlang schlitterte.

Und dann war da noch der längst tote Zivilist, dessen Kopf längst wer-weiß-wo lag – und aus dessen Hals plötzlich eine meterlange Blutfontäne spritzte.

Abschalten, sobald der Motor läuft

Es ist befreiend, in dieser Manege – man muss es so formulieren – die Sau rauszulassen. Die grenzenlose Enthemmung, völlig entkoppelt von Anstand und Berufsverkehr, wirkt erlösend. Man kann Abschalten, sobald

Absurde Unfälle, brutales Chaos: Carmageddon ist virtuell gewordener schwarzer Humor.
der Motor läuft. Das überzeichnete Chaos mit seinen bunten Farben, hölzernen Animationen und pubertären Sprüchen ("Rektum" statt des Englischen "Wrecked 'em"): Carmageddon findet auf ähnlichem Weg zum Spielsinn wie Jackass zur Fernsehkunst.

Der schwarze Humor des britischen Studios ist erfrischend, nicht erzwungen. Wie überhaupt das Spiel nichts erzwingt. Klar muss man Geld verdienen, um neue Strecken und Rennen freizuschalten. Zaster gibt es aber nicht nur für Siege, sondern auch für Unfälle, das Abwracken von Gegnern, Überfahren von Zivilisten – solche Sachen. Erster, zweiter oder letzter Platz ist zunächst mal eine Frage, ob man Lust drauf hat.

Lust auf Rennsport?

Ähnlich wie Goat Simulator ist Carmageddon interaktive Willkür – wenn auch mit einem richtigen Spiel als Unterbau. Man muss ja durchaus Acht geben: Reparaturen sowie das Umdrehen einer auf dem Dach zappelnden „Schildkröte“ kosten Geld, und zwar mächtig viel davon. Man kann nach einer halben Stunde Prokrastination mit einem Kofferraum voller Münzen durchs Ziel rollen. Man kann ein Rennen aber auch gewinnen und keinen einzigen Cent mitnehmen. Können gehört also dazu!

Verschiedene Veranstaltungsarten sorgen dabei für Abwechslung. Im klassischen Modus (g)rast man möglichst schnell alle Wegpunkte ab, rammt jeden Konkurrenten außer Gefecht oder bringt sämtliche Zivilisten um – das war im fast 20-jährigen Original schon so. Neu sind Sprints zu ständig wechselnden Wegpunkten, das Jagen eines markierten Gegners sowie das Überfahren markierter Passanten.

Unerschöpflich unverschämt

Den endgültigen Kick erhält jedes Rennen durch absurde Extras, die alle Fußgänger erstarren oder vor das nächste Auto rennen lassen. Andere Fähigkeiten vergrößern die Schwerkraft oder lassen Fahrzeuge wie Flipperkugeln von Hindernissen abprallen. Mit manchen reißt man Fußgängern den Kopf ab, beschießt die Konkurrenz mit Ambossen, schnipst sie Dutzende Meter in die Höhe, zieht eine Metallkugel hinter sich her, schmeißt mit Objekten der Umgebung, lässt einen tödlichen Furz ziehen oder, oder, oder.

Manche werden sofort aktiviert, andere auf Knopfdruck. Fies sind schwarze Fässer, die das Auto beim Drüberfahren unverwundbar machen, in die Luft sprengen oder sonstige "Späße" auslösen. Aufmerksame Fahrer werden so mit skurrilen Situationen belohnt, denn wer die Extras nicht für viel Geld kaufen möchte, muss

Egal, wie!
sie in der Umgebung auflesen. Die Rampe auf ein vermeintlich unerreichbares Hausdach könnte Gold wert sein...

Im Kern hat es das natürlich genau so vor knapp 20 Jahren schon gegeben. Den britischen Entwicklern fällt nach all der Zeit lediglich ein, dass elf lauter ist als zehn. Ihre neue leistungshungrige Grafik mit den groben Formen ist dabei mehr zweckmäßig als modern, vor dem Laden eines neuen Musikstücks wird das Spiel schon mal zwei Sekunden lang unterbrochen und das aktuell gewählte Extra wird nicht namentlich beschrieben. Erst nach dem Umschalten weißt man deshalb, welche Fähigkeit man auslösen wird. Während sich viele Fahrzeuge außerdem herrlich sanft in lange Drifts legen lassen, holpern schnelle Wagen wie federleichte Attrappen über die Strecke – Spaß macht das Fahren dieser Boliden nicht.

11>10

Und obwohl Einzelspieler sowie LAN- und Online-Raser über zahlreiche Einstellungen Wunschrennen und Turniere erstellen: Ich kann verstehen, dass man nur selten Gleichgesinnte trifft. Denn nach ein paar Bremsspuren geht der Neuauflage des chaotischen Zirkus' auch schon der Sprit aus. Zumindest bis zum nächsten Tag, an dem man erneut den Zündschlüssel dreht und hämisch durch die Frontscheibe grinst.

Fazit

So schwer war's dann doch nicht, diesen Test zu schreiben. Im dritten Anlauf jedenfalls, als ich es aufgegeben hatte mehr herauszuholen als drinsteckt. Denn wer hier einsteigt, muss sich darüber im Klaren sein: Reincarnation ist reiner Trash – ein ehrliches B-Game, das sich nicht darum schert, zu den Großen gehören. Es sieht zweckmäßig aus und Hauptsache die Musik donnert. Aus dem Vollen schöpft es dafür mit irrwitzigen Ideen, die ein Fest skurriler Blechschäden und makaberer Enthauptungen feiern. Das neue, alte Carmageddon verkörpert einfach konsequent, was es sein will: ein guter Zeitvertreib.

Pro

  • erfrischendes Chaos jenseits des politisch Korrekten...
  • motivierende Karriere, in der Zielerfüllung kaum eine Rolle spielt
  • abwechslungsreiche Rennveranstaltungen
  • viele explosive und witzige Fähigkeiten
  • zahlreiche Fahrzeuge mit z.T. absurden Eigenheiten
  • ausführliche Wiederholungen...
  • versteckte Gegenstände, darunter Tuning-Upgrades abseits der Strecke
  • umfangreiche Einstellungen in Online-und LAN-Rennen
  • offizielle Mod-Unterstützung

Kontra

  • ...  das nur in kurzen Schüben motiviert
  • schnelle Fahrzeuge fahren sich unangenehm leicht und schwammig
  • aktuelles Extra wird nicht namentlich beschrieben
  • Design der Umgebungen ähnelt sich über weite Strecken
  • Spiel stockt vor dem Laden eines neuen Musikstücks
  • ... die man nicht schneiden und speichern kann

Wertung

PC

So bescheuert wie vor fast 20 Jahren - und noch genau so gut.