Anna's Quest - Test, Adventure, PlayStation4, PC, Switch

Anna's Quest
16.07.2015, Jan Wöbbeking

Test: Anna's Quest

Grimms Märchen als Adventure?

Der australische Autor und Game-Designer Dane Krams hat sein Faible für Grimms Märchen in einem Adventure verewigt: In Zusammenarbeit mit Daedalic entstand Anna’s Quest, in dem die junge Protagonistin u.a. auf Hexen, Zauberer und die Bremer Stadtmusikanten trifft. Die gezeichnete Welt wirkt auf den ersten Blick reichlich karg - kann Annas Rettungstrip trotzdem so verzaubern wie The Whispered World?

Ähnlich wie in Edna Bricht Aus muss auch Anna sich zu Beginn des Spiels aus der Gefangenschaft befreien. Nachdem ihr geliebter Opa erkrankt ist, begibt sich die junge Heldin trotz zahlreicher Warnungen auf eine Reise in den gefährlichen Wald, um nach einem Heilmittel zu suchen. Prompt wird sie von der boshaften Hexe Winfriede gefangen und in einem Turm eingesperrt. Dort sollen die telekinetischen Fähigkeiten des Mädchens mit Hilfe technischer Experimente freigesetzt werden. Anna war sich dieser Kräfte bislang gar nicht bewusst, doch auf dem Weg zur Flucht erweisen die Tricks sich als äußerst praktisch: Einmal kurz die Fäuste ballen und die Gedanken auf die Überwachungskamera richten, und schon zerplatzt das Gerät. Auch anderswo treffe ich auf moderne Gerätschaften, weil es sich bei Krams‘ Fantasiewelt um einen Mix aus vergangenen Zeiten und Moderne handelt – inklusive Magie und blinkender Technik.

Anna bricht aus

Was weiß diese Frau über Annas kranken Großvater?
Massive Türen sind zu schwer, um sie kraft der Gedanken zu bewegen, aber die Finger eines im Sumpf steckenden Skeletts lassen sich damit prima auseinanderbiegen. So gelange ich an ein nützliches Taschentuch. Die Aktion klappt nur in der richtigen Reihenfolge, sonst schnellen die Knöchel zurück und krallen sich wieder um das Tuch. Auch an anderen Orten gibt es kleine Puzzles auf ausgelagerten Bildschirmen, auf denen z.B. auf einer Orgel gespielt wird. Meist dreht sich das Spiel aber um angenehm logische Umgebungs- und Inventar-Rätsel, garniert mit Annas übersinnlichen Fähigkeiten. Das Gekeife der ausgesperrten Hexe z.B. nehme ich mit einem reparierten Diktiergerät auf, um eine Stimmerkennung am Tresor zu überlisten. Bis auf die Hotspot-Taste gibt es keine Hinweise - doch wenn ich einmal nicht weiter weiß, streut Anna in ihren Monologen und Gesprächen sinnvolle Denkanstöße ein. Hier macht sich die Erfahrung des Studios beim Rätseldesign bemerkbar.

Ein paar verwirrende Aussetzer haben sich die Entwickler aber auch geleistet: Als ich z.B. ein Stoff-Einhorn mit Hilfe der Schere aufschnibbeln wollte, um ein plattes Kissen mit seiner fluffigen Füllung aufzupolstern, weigerte Anna sich beharlich mit den Worten: „Nein, Mr. Einhorn hat definitiv genug für heute“. Kurz zuvor hatte ich nämlich das Horn abgetrennt.  Des Rätsels Lösung: Ich musste einfach ohne Schere auf das Stofftier klicken, dann ließ sich die Füllung heraus pulen. Wegen Annas rigoroser Proteste dauerte es aber eine ganze Weile, bis ich endlich dahinter kam. Nach ihrer Flucht führt der Rettungstrip die junge Heldin in den Ort Wunderhorn, wo eine Magierin ihr mehr über die Probleme ihres Großvaters erzählt und sie auf die Suche nach verschiedenen Gegenständen schickt. Das Geheimnis um eine königliche Familie gestaltet die Geschichte später zumindest etwas interessanter – insgesamt nimmt sie aber viel zu langsam Fahrt auf.

Routiniertes Rätsel-Design

Ab und zu wird die Geschichte durch Rückblenden oder kurze Zeichentrick-Sequenzen aufgelockert.
Immer wieder trifft Anna auf bekannte Märchenfiguren wie die Geister von Jorinde und Joringel, die ihr beim „Segnen“ eines magischen Trankes helfen. Begleitet wird sie außerdem von dem in einen Stoffbären verwandelten Jungen Ben. Auch „Hansel“ befreit sie mit Hilfe ihrer telekinetischen Tricks aus dem Kinder-Verlies einer alten Mühle. Moment mal, warum“Hansel“ und nicht „Hänsel“? Die Antwort ist einfach: Die Entwickler haben sich bei dem Projekt unter australischer Leitung die deutsche Synchronisation gespart.

Deutsche Untertitel werden immerhin angeboten. Die Qualität der englischen Sprecher schwankt übrigens: Manche wie der Priester haben mich mit ihrer sonoren Märchenonkelstimme angenehm eingelullt, andere wie Ben oder Anna klingen etwas zu künstlich nach verstellter Stimme. Bei Anna ist das vor allem dann der Fall, wenn sie ständig mit durchdringender Piepsstimme feststellt, wie niedlich doch der kleine Feuerdrache, die Wachkatze oder irgendwelche anderen Viecher sind.

Deutsch nur in Untertiteln

Daedalics Kreativ-Abteilung kocht diesmal auch im visuellen Bereich auf Sparflamme. Vor allem, wenn man noch die Detailverliebtheit von The Whispered World oder The Night of the Rabbit im Hinterkopf hat, erlebt man beinahe einen Kulturschock: Statt malerisch leuchtender Waldpanoramen oder verschnörkelter Baumriesen muss sich Anna mit einer ziemlich schlichten Märchenwelt zufrieden geben. Ob an der Mühle oder vor einem eigentlich prachtvollen Kirchenfenster: Alles wirkt irgendwie flach und detailarm. Die Spiele von Edna und Harvey sind zwar auch schlicht gezeichnet, doch dort passt der Minimalismus bestens zum trashig-albernen Stil. In Annas Kulisse habe ich mich dagegen ständig nach Marco Hüllens Detailverliebtheit zurückgesehnt.

Vorsicht, heiß! Bei manchen Rätseln wird Drachenfeuer allerdings richtig nützlich.
Auch beim Charakterdesign und in den Dialogen fehlt das gewisse Etwas, welches andere Daedalic-Figuren bisher so liebenswert oder verschroben macht. Anna lockert hier und da auch mal eine Situation mit einem selbstironischen Spruch auf – von Sadwicks Persönlichkeit oder seinem sarkastischem Humor ist sie aber weit entfernt. Wirklich lustig oder spannend wird es kaum. Sicher, das Team will mit Annas Abenteuer eine jüngere Zielgruppe ansprechen, doch auch das kann man textlich deutlich humorvoller und spannender umsetzen. Die altertümliche Musik fidelt und plätschert währenddessen unauffällig vor sich hin. Deutlich besser gelungen ist die für Daedalic typische bequeme Handhabung. Das per Mausrad ausklappbare Inventar, präzise gesetzte Hotspots und andere Feinheiten sorgen für komfortables Knobeln auf leichtem bis mittlerem Schwierigkeitsgrad.

Es fehlt der kreative Funke

Fazit

Im Vergleich zu Daedalics Prestige-Projekten wie Silence: The Whispered World 2 oder The Devil's Men wirkt Anna’s Quest eher wie ein Lückenfüller. Ja, es ist ein solides Märchen-Adventure, das mich in erster Linie mit seinen logisch durchdachten Rätseln unterhalten hat. Annas übersinnliche Fähigkeiten und die vorbildlich in die Dialoge eingeflochtenen Hinweise machen das Knobeln und Kombinieren mit Magie und allerlei Gerätschaften zu einer unterhaltsamen Angelegenheit. Auf der kreativen Seite schwächelt die vom Australier Dane Krams erdachte Märchengeschichte aber: Die Dialoge wirken ziemlich dröge und auch die Geschichte um den erkrankten Großvater und familiäre Verstrickungen kommt viel zu langsam in Gang. Außerdem passen die schlichten Zeichnungen nicht zum zauberhaften Thema – vor allem im Vergleich zum detailverliebten Design von The Whispered World oder The Book of Unwritten Tales 2. Schade auch, dass trotz der Ausrichtung auf die junge Zielgruppe Deutsch nur in Untertiteln enthalten ist. Wer Spaß daran hat, sich mit logischen Rätseln durch eine Märchenwelt zu knobeln, kommt trotzdem auf seine Kosten – die Erzählung hat mich aber weitestgehend kalt gelassen.  

Pro

  • meist logische Kombinations-Rätsel
  • motivierende Telekinese-Tricks
  • viele sinnvolle Hinweise in den Dialogen
  • ...einige passend-sonore Märchenonkel-Sprecher
  • passend eingebundene Märchen-Figuren
  • bequeme Bedienung von Inventar & Co.

Kontra

  • weder lustig noch besonders spannend
  • Geschichte kommt zu langsam in Gang
  • fades Figuren-Design
  • ...aber auch amateurhaft verstellte Fieps-Stimmen
  • karg gezeichnete Schauplätze
  • minimalistische Animationen
  • manchmal verwirrende Aussetzer bei der Rätsel-Logik
  • Deutsch nur in Untertiteln

Wertung

PC

Spielmechanisch routiniertes, aber dramaturgisch schwaches Adventure mit vielen Anspielungen auf Grimms Märchen.