Le Tour de France 2015 - Test, Sport, PlayStation4, XboxOne, PlayStation3

Le Tour de France 2015
07.07.2015, Mathias Oertel

Test: Le Tour de France 2015

Simulation oder Arcade-Strampeln?

Der Kampf um das Gelbe Trikot auf der so genannten „Tour der Leiden“ sorgt alljährlich auch abseits der Radlerhosen tragenden Fraktion für Interesse. Und natürlich darf auch das obligatorische Spiel nicht fehlen, das Sportereignisse mit derartiger Strahlkraft begleitet. Ob es sich lohnt, sich in den Sattel von Le Tour de France 2015 zu setzen, klärt der Test.

Ich gebe ganz offen zu: Ich habe mit den Finessen des Radsports wenig am Hut. Ich kann vielleicht eine Hand voll aktiver Profis aufzählen, die meisten davon sind Briten. Und blickt man wie ich mit Vorurteilen behaftet auf die Geschichte der Toursieger, steht hinter viel zu vielen ein mehr oder weniger bestätigtes Doping. Aber ich kann auch mit rhythmischer Sportgymnastik, Eiskunstlauf, Dressurreiten, Turmspringen oder Kugelstoßen wenig anfangen und ertappe mich dennoch dabei, wie ich mal mehr, mal weniger gebannt bei Olympischen Spielen auf den Bildschirm starre. Dementsprechend schalte ich auch immer mal wieder in die Übertragungen vom wohl bekanntesten Radrennen der Welt rein. Es kann ja passieren, dass man Zeuge einer ungewöhnlichen Präsentation menschlicher Leistungsfähigkeit wird. Und abgesehen davon schaffen es die Kameras bei der Tour immer wieder, nicht nur Sportschicksale, sondern auch wunderschöne Landschaften einzufangen - wie z.B. bei der zweiten Etappe der diesjährigen Tour von Utrecht nach Zeeland in Belgien, das dieses Jahr Partnerland ist.

Das Phänomen

Im Schlepptau anderer Fahrer kann man Energie sparen.
Ich war neugierig, wie das Team von Cyanide, das seit Jahren die Manager-Spiele rund um die Tour produziert, die Thematik für Konsolenspieler aufbereiten würde. Zwar haben sie sich bislang auch auf 360 und PS3 sowie letztes Jahr auch auf PS4 mit den Pad-Radlern beschäftigt, aber jene Versionen sind aus Zeitmangel an mir vorüber gezogen. Dementsprechend kann ich keine Vergleiche zur Version 2014 ziehen, sondern nur auf den gegenwärtigen Status eingehen. Und der ist zumindest visuell stark ausbaufähig. Zwar wird das komplette Fahrerfeld mit gut 200 Athleten auf den Bildschirm gebracht bzw. weitgehend akkurat berechnet, wenn man außer Sichtweite ist. Und das kann auf den ersten Blick durchaus beeindrucken. Doch sobald man die Details betrachtet, relativiert sich vieles. Die Zuschauer z.B. kommen aus dem Klonlabor und spulen die stets gleichen Bewegungsabläufe ab - auch wenn sie z.B. bei Bergetappen immer gleich und vor allem immer albern aus dem Weg springen. Die Detailarmut geht bei einem Autorennspiel vielleicht noch in Ordnung, da man im Sog der Geschwindigkeit ohnehin kaum Zeit hat, das Publikum zu betrachten. Doch wenn das Tempo irgendwo zwischen 20 und 40 Km/h liegt, fällt dieses Roboter-Verhalten der eineiigen Viellinge umso stärker auf. Doch nicht nur das: Man kann auch auf den modernen Konsolensystemen deutliche Pop-ups in nicht allzu großer Entfernung ausmachen, von Zeit zu Zeit zerreißt das Bild, es flimmert gelegentlich und zu allem Überfluss bleibt die Bildrate nicht immer konstant.

Das komplette Fahrerfeld wird abgebildet.
Da man außerdem über einen eklatanten Großteil der Zeit damit beschäftigt ist, nicht nur auf die abwechslungsreiche Landschaft, sondern auch auf die strammen Waden der Radler zu starren, hätte es definitiv geholfen, den Sportlern mehr als eine einzige Hauttextur zu spendieren, bei der nur die Farbe variiert. Von aktiv unter der Haut arbeitenden Muskeln (oder zumindest einem visuellen Imitat dessen) möchte ich gar nicht anfangen. Auch individuelle Bewegungsabläufe z.B. beim Sprint wären wünschenswert. Oder visuelle Hinweise auf mögliche Erschöpfung der Gegner, die sich in einem unrunden Fahrstil äußern könnte. Aber auch hier ist ein Radler wie der andere und alle laufen geölt wie Kolben in einem Motor. Doch was das Spiel zur Tour visuell vermissen lässt, kann vielleicht doch die Mechanik ausgeglichen werden? Hier ist Cyanide definitiv auf dem richtigen Weg. Die taktischen Grundlagen, die für einen Etappen- oder Gesamtsieg wichtig scheinen, werden gut umgesetzt. Man muss den Energiehaushalt des jeweiligen Fahrers beachten und seinen Plan schon bei der Wahl der Verpflegung umsetzen (zwei "Riegel" stehen zur Verfügung). So kann man z.B. die langfristige Ausdauer durch die Nahrungsergänzungsmittel wieder herstellen oder die kurzzeitige Sprintfähigkeit schneller regenerieren. Denn wer ständig nur an der Spitze in die Pedale treten möchte, ist irgendwann ausgepumpt und fällt unweigerlich in das Hauptfeld zurück - oder noch schlimmer.

Taktik-Sport

Um dem entgegenzuwirken, muss man seine Kräfte einteilen, im richtigen Moment den Sprint setzen, kann bei Abfahrten eine aerodynamische Position einnehmen und sollte wann immer es möglich ist, das "Schleppen" nutzen. Dabei hängt man per Knopfdruck am Hinterrad des Vordermanns, der auch nicht aus dem eigenen Team kommen muss und kann nun im Windschatten Energie aufladen. Doch Vorsicht: Befindet man sich in einer Ausreißergruppe und versucht sich als Energieschmarotzer, hat das negative Wirkung.  Wenn man sich nicht dafür einsetzt, dass die anderen auch mal Pause machen können, lassen sie es irgendwann nicht mehr zu, dass man sich hinter ihnen ausruht – bis man irgendwann die Führung übernimmt. Doch damit ist das taktische Potenzial noch nicht ausgeschöpft. Man kann den anderen Fahrern des Rennstalls im „Teambildschirm“ Befehle geben, um auf verschiedene Situationen während der Rennen wie Ausreißversuche, „Windschutz“ usw. reagieren zu können. Und wenn alle Stricke reißen, kann man sogar zu jedem einzelnen Fahrer des Teams wechseln und die Geschicke selbst in die Pedale nehmen.

Es gibt immer wieder Ausreißversuche, auf die man mit Team-Taktik und aktivem Treten in die Pedale reagieren muss. Hier gilt übrigens nicht das ungeschriebene Gesetz, dass der Gesamtführende auf der Rundfahrt in Paris nicht mehr angegriffen wird.
Dabei muss man jedoch stets die individuellen Ziele der Fahrer, ihre Fähigkeiten, ihr Spezialgebiet (Sprinter, Bergfahrer etc.) und natürlich ihre Energie beachten. Dass diese sich auch abhängig von der Tagesform anpasst und durch Erfüllung der angesprochenen individuellen Bedürfnisse modifiziert werden kann, macht das rudimentäre Managen des Rennstalls zu einer fordernden Angelegenheit. Und das nicht nur im Tour-Modus, bei dem man individuell Etappen ab- oder anwählen kann, bis man mit dem Verlauf der Tour de France 2015 zufrieden ist. Sondern auch im Profiteam-Modus, bei dem man ein Team über Jahre hinweg aufbaut, Fahrer „kauft“ und verkauft und schließlich versucht, bei der Tour der Leiden den Gesamtsieg einzufahren. Als kurzweiliger Spaß für zwischendurch sollen die Herausforderungen dienen. Hier muss man bei „Abfahrten“ versuchen, so schnell wie möglich ins Ziel zu kommen, wobei der Energiehaushalt hier nur eine untergeordnete Rolle spielt und durch Streckenkenntnis bzw. Reaktion hinsichtlich des vorsichtigen Bremsens und Einlenkens bei spitzen Kurven ersetzt wird. Doch hier wird ein großes Manko deutlich, das sich auch durch die Tour bzw. die anderen Radrennen zieht: Man kann nicht stürzen. Zwar redet der Kommentator bzw. der über Funk mit einem verbundene Teamleiter immer wieder davon, dass der eine oder andere Kontrahent gestürzt sei.

Gruppendynamik

Allerdings frage ich mich, wie er das geschafft hat. Denn ich kann meinen Fahrer nicht aus dem Sattel befördern. Weder Kollisionen mit anderen Fahrern und schon gar nicht mit der sichtbaren bzw. unsichtbaren Streckenbegrenzung können dafür sorgen, dass man aus den Pedalen geschleudert wird. Stattdessen prallt man einfach ab und kann weiter fahren. Hmm. Und wo wir schon bei „Hmms“ sind, die das Spielgeschehen nicht nur realistischer, sondern auch spannender gestalten würden: Es gibt keine Materialschäden, so dass auch die eigentlich mitfahrenden Teamfahrzeuge nicht dargestellt werden müssen. Und es gibt auch keine Wetterwechsel, weder dynamisch noch geskriptet. Hatten die Fahrer in der Realität auf der zweiten Etappe teils mit fiesem Seitenwind und Regenböen zu kämpfen, herrscht im Spiel immer eitel Sonnenschein – schade. Immerhin: Der Wind zeigt zumindest rechnerisch Auswirkungen. Die Folgen auf das Fahrverhalten halten sich jedoch in Grenzen.

Man bekommt einige stimmungsvolle Landstriche zu sehen. Dennoch wird die Kulisse von Problemen wie Tearing und Pop-ups verfolgt.
Doch nicht nur darüber wundere ich mich. Wieso z.B. keinem aufgefallen ist, dass die ständig nur den gleichen Blödsinn reinrufenden Zuschauer nach spätestens vier Etappen auf den Keks gehen, entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Ebenso wieso sie nicht den Namen eines der in der Umgebung strampelnden Fahrer, sondern Peter, Vincent, Stephane und was weiß ich nicht alles skandieren. Denn man macht im Umfeld der Präsentation einiges richtig. Die Menüs sind zwar mitunter überladen, aber angesichts der Fülle an die Taktik beeinflussenden Informationen blieb hier kaum eine andere Wahl. Und die Etappen werden mit einem stimmungsvollen Video-Einspieler eingeleitet, von dessen Qualität sich z.B. Eurosport eine große Scheibe abschneiden könnte. Allerdings hat das Budget danach wohl nur für die Lizenzierung der Teams gereicht. Die darin verankerten Fahrer sind dank der aus alten Fußball-Managern bekannten "Buchstabendreher" zwar identifizierbar, aber nicht original.

"Komm schon, Peter"

Ab und an wird man auch von den allgegenwärtigen Bildschirmanzeigen überfordert bzw. muss ein wenig Zeit investieren, um sich in alle Nuancen einzuarbeiten. Doch kann man schließlich sämtliche Informationen erfassen und interpretieren, entfacht die virtuelle Tour in ihren besten Momenten einen ähnlichen Reiz wie das reale Gegenstück. Die Länge der jeweiligen Etappen wurde meist gut komprimiert (120 Kilometer lassen sich ungefähr in 20 Minuten abreißen), so dass man stets mit (im Rahmen der  Möglichkeiten) spannenden Entscheidungen konfrontiert wird.

Fazit

Das Spiel zur Tour der Leiden hat einige starke Momente. Die Kulisse mit ihrem Schluckauf und den vielen unsauberen Kleinigkeiten gehört allerdings nicht dazu - auch wenn sie es schafft ein Fahrerfeld mit gut 200 Radlern gleichzeitig abzubilden. Doch mechanisch macht Cyanide einiges richtig. Man muss das Energiemanagement der Fahrer im Auge behalten, kann seinen Teamkollegen Anweisungen geben und sich bei Bedarf sogar jederzeit aktiv hinter den jeweiligen Lenker klemmen. Die taktische Komponente der Tour, bei der sowohl individuelle als auch Teamziele beachtet werden müssen, wird gut transportiert. Mit dem neuen Pro-Team-Modus sowie den Herausforderungen hat man zudem noch abseits der eigentlichen Tour genug zu tun. Doch leider geht Cyanide bei der Umsetzung nicht weit genug. Es gibt weder Wetterwechsel, sei es nun dynamisch oder geskriptet. Mechanische Defekte der Drahtesel sind ebenfalls verpönt. Darüber hinaus gibt es weder Karambolagen noch Stürze - nicht einmal die Option darauf ist irgendwo für diejenigen verankert, die absoluten Realismus wollen. Unter dem Strich zeigt sich Tour de France 2015 ambitioniert, aber für eine Radsport-Simulation fehlt es in einigen Bereichen an authentischem Flair sowie entscheidenden Details.

Pro

  • gut 200 Sportler gleichzeitig auf dem Schirm
  • original Teamnamen...
  • Mannschafts- und Individualtaktik spielen eine Rolle
  • jederzeit Wechsel zu anderen Fahrern des Teams möglich
  • bei Ausreißversuchen muss mit anderen Fahrern zusammengearbeitet werden
  • Energiehaushalt muss beachtet werden
  • im Pro-Team-Modus muss ein Team aufgebaut und gefördert werden
  • auch zu zweit kooperativ oder gegeneinander spielbar

Kontra

  • keine Stürze möglich
  • ... Fahrer jedoch mit leicht veränderten "Fantasie"-Namen
  • keine mechanischen Defekte
  • inkonsistenter Pro-Team-Modus
  • biedere Kulisse
  • mitunter Nerv tötende Zuschauer-Rufe
  • kein Wetter

Wertung

PlayStation4

Ambitionierte, aber im Detail inkonsequente Radsport-Simulation rund um die Tour der Leiden.

XboxOne

Ambitionierte, aber im Detail inkonsequente Radsport-Simulation rund um das wichtigste Radrennen der Welt.