Lethis: Path of Progress - Test, Taktik & Strategie, PC

Lethis: Path of Progress
10.08.2015, Mathias Oertel

Test: Lethis: Path of Progress

Pharao trifft auf Steampunk

Das mittlerweile zu Activision gehörende Sierra-Label hat seinerzeit nicht nur mit Abenteuern wie Leisure Suit Larry oder King's Quest, sondern auch mit urbaner Aufbau-Strategie wie Caesar oder Pharao unterhalten. Das Indie-Projekt Lethis - Path of Progress versteht sich als moderne Interpretation des antiken Städetebaus. Mehr dazu im Test.

Auf dem Dach des Cafés sitzt eine Katze und wedelt ruhig mit dem Schwanz. In saisonalen Abständen versammeln sich die Arbeiter auf den Feldern, um diese zu beackern, zu säen und zu ernten. Ein Steuereintreiber marschiert begleitet von einem Dampf betriebenen Haustier-Skorpion um die Häuser. Von Zeit zu Zeit fliegt eine Art Montgolfiere über die Stadt - an Bord Handelsgüter, um sie zu einer außerhalb des Kartenbereiches liegenden Nachbarstadt zu bringen. Und die Straßen pulsieren mit einem Strom von Transporteuren, die Rohstoffe und Produktionsgüter von A nach B und schließlich über C, D oder E bis zum Laden bringen, in dem sie feilgeboten werden. Die isometrische Kulisse, die in vier Stufen gedreht sowie stufenlos gezoomt werden kann, ist ständig in Bewegung. Der Wuselfaktor ist hoch wie zur Jahrtausendwende bei den Siedlern oder den zahlreichen Stadtaufbau-Spielen von Impressions (Caesar, Pharaoh, Cleopatra etc.), in deren Tradition man sich nach Entwicklerangaben sieht.

Wo ist Professor Layton?

Das zauberhafte Artdesign gehört zu den Höhepunkten der Aufbau-Strategie.
Und immer hat man das Gefühl, dass Nintendos Rätsel-Detektiv Professor Layton samt seines Assistenten Luke um die Ecke kommt. Nicht nur, weil Lethis - Path of Progress in einem viktorianisch angehauchten Ambiente gehalten ist, das hier allerdings durch leichte Steampunk-Einflüsse zusätzlich aufgewertet wird. Sondern vielmehr, weil dieser Städtebau des Indie-Teams von Triskell Interactive mit der Farbgebung,  dem stilisierten Figurendesign sowie dem allgemein comichaften Aussehen wie der strategische Cousin des Gentleman von Level-5 wirkt. Es macht Spaß dem Treiben zuzuschauen, während im Hintergrund der stimmungsvolle Soundtrack mit über 20 Musikstücken die technische Seite komplettiert. Einige Animationen könnten zwar variantenreicher sein oder zumindest mit leichter Verzögerung abgespielt werden, damit die Felder nicht alle im „Gleichschritt“ bearbeitet werden, wodurch die Lebendigkeit der Spielwelt eingeschränkt wird. Und auch bei den Ausbaustufen könnte es ähnlich der Anno-Serie unterschiedliche Hausfassaden geben. Doch unter dem Strich hat das Team einen klasse Job gemacht, um den Spieler über die audiovisuelle Kulisse ins Geschehen zu ziehen.

Mechanisch hingegen hat man nicht so viel Sorgfalt walten lassen - obwohl man sich theoretisch an die Formel hält, die seinerzeit auch den antiken Städtebau von Impressions so interessant gemacht hat. Man muss Zellen ausweisen, in denen

Man braucht Geduld, bis alle Produktionsketten effizient ineinander greifen.
die Bevölkerung wohnen kann und dann als Arbeitskraft zur Verfügung steht. Da der Platz begrenzt ist und man auch Parzellen für die Rohstoffgewinnung sowie weiterverarbeitende Betriebe beachten muss, sollte man die Bedürfnisse der Bevölkerung zufrieden stellen. Die reichen von Nahrungsvielfalt bis hin zu Zugang zu Alkohol, Wäschereien etc. Doch um diese Anforderungen zu befriedigen, muss man wiederum eine empfindliche Balance zwischen zur Verfügung stehenden Arbeitskräften und den entsprechenden Bedürfnissen herstellen, die sich schließlich auf über 20 Produktionsgüter erstrecken. Ansonsten gehen die Bürger so schnell, wie sie gekommen sind. Das Ergebnis: Die Betriebe arbeiten nur ineffizient oder gar nicht. Die Waren kommen nicht so schnell, wie sie benötigt werden. Die Bevölkerung wandert ab. Ein fieser Teufelskreislauf. Dass man zusätzlich auch noch darauf achten muss, sämtliche Gebäude von Angestellten der Stadt instand zu halten werden und natürlich auch seine Finanzen nicht außer Acht lassen darf, macht den Reiz heute genauso aus wie damals.

Spröde Hilflosigkeit

Mit einem fünfteiligen Tutorial wird man auf die Anforderungen als Bürgermeister vorbereitet. Allerdings werden hier schon Defizite deutlich, die auch in der 26 Missionen umspannenden Kampagne ein ums andere Mal für unnötigen Frust sorgen. Die Benutzerführung z.B. ist suboptimal. Bis man sich an die Standorte der einzelnen Gebäudetypen etc. gewöhnt hat, klickt man sich wie wild durch die Menüs. Es gibt zwar kurze Hilfseinblendungen, wenn man über das entsprechende Symbol klickt, doch mit etwas mehr Gespür für Komfort auf Spielerseite hätte der zur Verfügung stehende Platz besser genutzt werden können, um z.B. entweder durch ein Mini-Symbol zu signalisieren, für was dieses oder jenes Gebäude jetzt gut ist. Oder aber um gleich einen Text darunter zu verankern. Auch die eigentlich zwecks besserer Übersicht zu- oder abschaltbaren Filter, um Warenkreisläufe, Abhängigkeiten, Bedürfnisse etc. anzeigen zu können, verwirren mehr als dass sie helfen. Ebenfalls problematisch: Häufig wird man auf bestehende oder neu auftauchende Probleme nicht hingewiesen. Man stellt nur fest, dass einem die Bürger weglaufen und hat keine Ahnung, wieso.

Die Bürger wollen nicht nur eine bestimmte Grundversorgung. Die Stadt muss auch mit Brunnen und Parks aufgewertet werden.
Ich verlange ja nicht, dass mir ein großer roter Pfeil den genauen Standort der Problematik weist. Doch eine Anzeige wie "Der Händler kann einige Bürger nicht erreichen" würde mir schon genügen, damit ich weiß, dass ich mir anschauen sollte, ob alle Straßen akkurat miteinander verbunden sind. Oder "Der Bäcker hat kein Mehl mehr." Dann steht mir frei, ob ich es ignoriere oder aber nachschaue, wieso die Lager z.B. mit Mehlsäcken gefüllt sind, aber nix davon beim Bäcker ankommt. Stattdessen wundere ich mich, wieso mir die Anwohner abwandern, obwohl ich doch vermeintlich für Nahrungsvielfalt gesorgt habe. So muss man immer wieder unnötig ins Mikromanagement abtauchen. Übrigens auch, wenn ich mir die Versorgungswege anzeigen lassen möchte. Anstatt mir bei einem Klick auf das Gebäude auch die Option der Anzeige für Liefer- oder Transportwege zu zu geben, muss ich in ein ausgelagertes Menü gehen. Es gibt auch keine Option, Arbeitsplatz-Prioritäten festzulegen, um z.B. sicherzustellen,  dass die Läden ihre Waren ausliefern. Die innerhalb der Kampagne auftauchenden Sonderaufgaben wie "Besorge dem Imperator innerhalb von 360 Tagen 1000 Ballen Seide" würden zudem weniger Stress verursachen, wenn man eine Anzeige hätte, wieviel Zeit noch übrig ist, anstatt kurz vor knapp eine Meldung zu bekommen, dass man nicht mehr viel Zeit hat. Da Lethis mit fantasievollen Eigenkreationen bei Monatsnamen arbeitet, verliert man schnell den Überblick. Stattdessen bekommt man meist nur die Hinweise, dass entweder Arbeitskräfte oder Behausungen fehlen. Alles andere muss man für sich selbst herausfinden und sich selbst erarbeiten.

Aufbauspaß mit Trial-and-Error

Es fehlt nur noch Professor Layton, um das Artdesign zu komplettieren.
Hat man die Zusammenhänge allerdings irgendwann verinnerlicht und sich mit den Mankos angefreundet, die aus Lethis gelegentlich mehr Arbeit als Vergnügen machen, entfalten sich Reiz und Spaß. Die Suche nach der perfekten Infrastruktur, den idealen Handelswegen und der Zufriedenheit der Bürger bei gleichzeitiger rudimentärer Budgetplanung ist fordernd und unterhaltsam. Mitunter stellt sich zwar eine gewisse Routine hinsichtlich der Optimierung der Stadtviertel ein. Die werden in der Kampagne allerdings immer wieder durch abwechslungsreiche Grundaufgaben, unbebaubare Areale, Zufallsereignisse oder Entscheidungen pro Agrarwirtschaft und gegen Stadtwachstum aufgebrochen. Zudem darf man mit dem Dampf sowie dem "Abbau" und der Lagerung einen Rohstoff nicht unterschätzen, der in Lethis zunehmend wichtiger wird. Produktionsketten mit kurzen Wegen werden zunehmend wichtiger, so dass man trotz einer gewissen Gleichförmigkeit immer auf der Suche nach Optimierungsmöglichkeiten ist. Wenn dann als Ergebnis schließlich nicht nur die arbeitende Bevölkerung, sondern auch die besser situierte High Society die höchste Hausentwicklungsstufe erreicht und vor allem hält, ist die Freude groß. In diesen Momenten macht Lethis verdammt viel richtig. Schade ist allerdings, dass im Sandkastenmodus kaum Konfigurationsoptionen zur Verfügung stehen und man auch keine Karten selber gestalten darf, um sich neue Herausforderungen zu schaffen.

Fazit

Ende der neunziger Jahre habe ich zig Stunden mit den antiken Städtebau-Spiele von Impressions verbracht. Dementsprechend habe ich mich auf Lethis gefreut, nachdem ich erste Videos von der Aufbau-Strategie gesehen habe. Und ich muss den Entwicklern ein Kompliment machen: Das Artdesign mit seinem charmanten Comic-Look, in dem man theoretisch ständig damit rechnet, dass Professor Layton um die Ecke schlendert, ist sehr gut gelungen. Die Animationen könnten zwar vielfältiger sein, doch unter dem Strich ist der Wuselfaktor hoch. Das Zuschauen macht Spaß – zumindest mehr als das Spielen. Dabei ist das Fundament sehr solide: Es gibt gut verzahnte Produktionskreisläufe, eine umfangreiche Kampagne und einen Sandkastenmodus, der allerdings keine eigenen Karten erlaubt.  Dass sich der Unterhaltungswert dennoch in Grenzen hält, liegt zum einen an der kruden Benutzerführung, die mit Erklärungen geizt und einen bei Problemen im Unklaren lässt. Hat man die Zusammenhänge verinnerlicht, kann das Ausbaldowern der idealen Infrastruktur allerdings immer wieder an den Bildschirm locken – auch wenn man meist nur nach Schema F bauen kann. Unter dem Strich schafft es Lethis trotz interessanter Ansätze sowie eines exzellenten Artdesigns inhaltlich nicht, die Qualität der Klassiker zu erreichen.

Pro

  • wunderschönes Cartoon-Artdesign
  • gut verzahnte Zusammenhänge...
  • behutsam eingesetzte Steampunk-Einflüsse
  • moderne Interpretation des Caesar- bzw. Pharaoh-Prinzips
  • drei Schwierigkeitsgrade
  • zahlreiche Auf- und Ausbaustufen
  • hoher Wuselfaktor
  • über 20 Produktionsgüter, 40 Gebäudetypen
  • umfangreiche Kampagne
  • Sandkastenmodus
  • stimmungsvoller Soundtrack
  • hoher Wuselfaktor
  • Karten mit bis zu 300x300 Feldern Größe

Kontra

  • Tutorial lässt zu viele Fragen offen
  • ... die aber nicht immer ersichtlich sind und unzureichend erklärt werden
  • schwache Benutzerführung, kaum In-Game-Hilfen
  • nur rudimentäre Hinweise auf Probleme
  • trotz drei Geschwindigkeiten viel Leerlauf für den Spieler
  • kein Tool zur Erstellung eigener Karten
  • vorhersehbare Aufbau-Phasen

Wertung

PC

Sympathische Aufbau-Strategie alter Schule, die auf Dauer etwas vorhersehbar wird und unter Problemen mit der Benutzerführung leidet.