Rise of the Tomb Raider - Test, Action-Adventure, 360, XboxOne, PlayStation4, OculusRift, HTCVive, PC
Es hätte so ein schönes vorweihnachtliches Duell werden können: Nathan Drake gegen Lara Croft. Uncharted 4: A Thief's End gegen Rise of the Tomb Raider. Tatsächlich dürfte dieser Schlagabtausch einer der Hauptgründe gewesen sein, warum sich Microsoft überhaupt auf den sicher kostspieligen Exklusiv-Deal mit Square-Enix einließ. Doch dann kam alles anders: Naughty Dog benötigte mehr Zeit, um seinem Helden ein würdiges Finale zu bescheren und musste die Veröffentlichung auf 2016 verschieben. Vielleicht gar nicht so schlecht, denn so muss sich Lara erst gar nicht auf den Showdown einlassen, bei dem die weibliche Videospiel-Ikone vermutlich arg ins Schwitzen gekommen wäre.
Vertagter Showdown
Großartige Technik - mit Abstrichen
Keine Experimente
Das muss per se nichts Schlechtes sein: Vor allem die Abwechslung im Spielverlauf ist immer noch klasse, zumal es hier noch mehr Gräber zu erkunden gibt, die mit kleinen aber feinen Physik-Rätseln bei der Stange halten und teilweise nur mit spezieller Ausrüstung zugänglich sind. Schade, dass diese Kammern kaum in die Kampagne eingebunden werden und lediglich optionale Aufgaben darstellen. Ausnahme bildet lediglich der großartige Abstecher nach Syrien kurz nach dem Einstieg, der in seiner kompakten Form genau das abbildet, was ich mir von einem Tomb Raider wünsche: Stimmungsvolle Erkundung, Umgebungsrätsel, fiese Fallen und auch dramatische Action. Leider fällt der Abschnitt nur sehr kurz aus. Ich hätte in dieser Qualität gerne mehr Zeit im virtuellen Bürgerkriegsland verbracht, anstatt mir im Anschluss mehr als zehn Stunden ausschließlich im eisigen Sibirien mit Lara den Hintern abzufrieren.
Okay: Auch das Schnee bedeckte, felsige Ödland hat mit seinen großen Arealen, weitläufigen Tälern, verborgenen Höhlen, russischen Außenposten und Gletschern für Entdeckungswillige eine Menge zu bieten, auch wenn man später in bekannte Gebiete zurückkehren muss. Grundsätzlich gefällt mir die Architektur und Umsetzung der Spielwelt. Wäre sie doch bloß nicht so überfrachtet mit irgendwelchen Kisten, Behältern, Körben oder anderen (Sammel-)Objekten, durch die Lara mit Ressourcen regelrecht zugeschüttet wird. Es macht einfach keinen Spaß, wenn man alle paar Meter irgendwas zerdeppern oder einsacken soll, damit man später beim erfreulich simplen Erstellen von Gegenständen (Crafting) oder dem Aufrüsten des Waffenarsenals genügend Materialien zur Verfügung hat. Hier wäre weniger auf jeden Fall mehr gewesen.
Sammelwahnsinn
Zumal sich hier eine weitere Frage stellt: Leidet Lara an Amnesie? Das wäre die einzig vernünftige Erklärung, warum sie viele der Fähigkeiten, die sie bereits im Vorgänger genauso mühsam erlernen musste, schon wieder vergessen hat. Hinzu kommt, dass gerade im Bereich „Überlebender“ viele Verbesserungen nur in Kombination mit dem Survival-Instinkt funktionieren – also der Mechanik, die auf Knopfdruck visuelle Hinweise liefert. Immerhin dürfen wahre Abenteurer diese Funktion in den Optionen deaktivieren, doch sind für solche Spieler einige der möglichen Fähigkeiten-Upgrades damit auch komplett nutzlos. Die überflüssigen XP-Einblendungen, die schon im Vorgänger ein kleiner Immersions-Killer waren, lassen sich übrigens erneut nicht deaktivieren.
Hohe Mobilität, (über-)starkes Arsenal
Für die stetig zunehmende Anzahl an Auseinandersetzungen ist die Protagonistin ebenfalls gewappnet – nicht nur durch den spürbaren Ausbau des Waffenarsenals, bei dem der anfängliche Bogen bald von Hightech-Modellen mit Spezialpfeilen (Feuer, Gift, Sprengladung), Pistolen, Gewehren und Shotguns ergänzt wird. Auch bei ihren Fähigkeiten legt Lara kontinuierlich zu und schaltet Gegner mit leisen Stealth-Attacken, gut getimten Kontern oder einem Sprung von oben souverän in Nahkämpfen aus. Das mag teilweise cool aussehen, doch fühlt man sich zumindest auf dem normalen Schwierigkeitsgrad schnell viel zu übermächtig. Zwar gibt es hier mehr Möglichkeiten für das unauffällige Ausschalten und man kann Gegner z.B. durch das Werfen von Gegenständen gezielt ablenken oder später sogar Leichen mit hinterhältigen Gas-Sprengsätzen versehen, doch verwandelt sich Lara spätestens dann einmal mehr zur Killermaschine, wenn ihr die Entwickler gezielt per Skript eine Shotgun in die Hand legen und deren Einsatz quasi erzwingen. Ja: Lara ist ein toughes Mädel, aber diese stupide Rambo-Mentalität passt einfach nicht zu ihr!
Die KI trägt ihren Teil dazu bei, warum die Kämpfe zu den großen Schwachpunkten dieses neuen Tomb Raider zählen. Zum einen suchen die Gegner kaum Deckung und schmeißen sich stattdessen wie bekiffte Suizidwillige in den Kugelhagel – das geht sogar so weit, dass sie sich von den Granaten ihrer Mitstreiter in die Luft jagen lassen. Zum anderen sind sie nicht sonderlich aufmerksam, wenn einer ihrer Kameraden nach einem gezielten Kopfschuss in unmittelbarer Nähe zusammensackt. Etwas anspruchsvoller wird es auf den höheren Schwierigkeitsgraden. Nicht aber, weil die Gegner plötzlich zu Intelligenzbestien werden, sondern vornehmlich deshalb, weil sie mehr einstecken können und sich Lara im Gegenzug nicht mehr so schnell von Verletzungen erholt. Daher sind Begegnungen mit der Fauna zunächst spannender – vor allem der erste Zusammenstoß mit einem Bären hat es in sich! Doch relativ schnell stellen selbst die gefährlichsten Raubtiere kaum noch eine Bedrohung dar, weil ihre Klauen und Reißzähne Laras tödlichem Arsenal kaum noch etwas entgegenzusetzen haben. Selbst die vermeintlich übermächtigen Widersacher gegen Ende verlieren trotz Überzahl und Rüstung schnell an Schrecken, weil man sich eigentlich nie über Munitions- oder Ressourcenmangel Gedanken machen muss und die Wummen immer mehr
Durchschlagskraft aufweisen. Leider dominieren die drögen Auseinandersetzungen im letzten Drittel spürbar den Spielverlauf. Und obwohl der Bosskampf durchaus eine gelungene Krönung darstellt und es im letzten Akt noch ein paar interessante Hürden zu überwinden gilt, hätte man sich die eine oder andere Gegnerwelle ruhig sparen können.„Dumm ist der, der Dummes tut“
Und so glänzt Rise of the Tomb Raider vor allem dann, wenn die Waffen im Holster verschwinden, Akrobatik sowie Köpfchen gefragt sind und Lara wieder zu dem wird, was sie eigentlich ist: eine Archäologin und Grabräuberin. Ich bin froh, dass mich Crystal Dynamics nach dem zaghaften Versuch im Vorgänger hier deutlich mehr dieser mysteriösen Kammern aufspüren und erforschen lässt. Genauso freue ich mich darüber, dass das Tauchen ein Comeback feiert, auch wenn es hier leider nur eingeschränkt und ein bisschen wie auf Schienen verläuft, da man sich nicht völlig frei unter Wasser bewegen kann, sondern automatisch in gewisse Bahnen gelenkt wird. Schade zudem, dass bei den Rätseln, die sich meist um physikalische Auswirkungen und die Einbindung von Wasser drehen, immer noch nur leichte Kost geboten wird. Gerade angesichts der Tatsache, dass die meisten Gräber ohnehin optionale Aufgaben darstellen, hätte man ruhig ein paar Kopfnüsse auffahren können, deren Lösung sich nicht schon nach ein paar Minuten erschließt. Und auch Fallen sowie fordernde Plattform-Abschnitte hätte es für meinen Geschmack ruhig noch mehr geben dürfen.
Die wahre Grabräuberin
Nachdem der Abspann über den Bildschirm geflimmert ist, der am Ende übrigens mit einer Cliffhanger-Szene als Einstimmung auf die unvermeidliche Fortsetzung abgeschlossen wird, bleibt immer noch genug zu tun. Zwar verzichtet man im Gegensatz zum Vorgänger auf einen direkten Mehrspielermodus, hat mit den Expeditionen und Bestenlisten aber eine interessante Alternative parat. Schon in der Kampagne fällt auf, dass die eigenen Leistungen in diversen Arealen mit denen von Freunden verglichen und in einer Bestenliste verewigt werden. Neben Punkten wird dort u.a. auch aufgeführt, wie lange die Konkurrenten für den Abschluss des Abschnitts benötigt haben.
Auf zur Expeditionen
Die Expeditionen greifen dieses Konzept der asynchronen Duelle auf, bauen es dabei aber mit verschiedenen Modi und den so genannten Expedition Cards weiter aus. Letztere bekommt man entweder für das Erreichen von Meilensteinen innerhalb der Kampagne, gegen das Einlösen von Ingame-Währung oder – Überraschung – man kauft sich weitere Kartendecks für echtes Geld in Form von Mikrotransaktionen. Der Sinn hinter diesen Karten ist folgender: Mit ihnen kann man Herausforderungen ganz auf die eigenen Wünsche bzw. das eigene Können zuschneiden und beim Erfüllen der Vorgaben viele Credits gewinnen. Mit den Karten stärkt oder schwächt man z.B. Waffen, legt Aufgaben fest oder setzt sich selbst gehörig unter Druck, wenn man weder sterben noch Schaden einstecken darf. Die Möglichkeiten und Kombinationen sind nahezu grenzenlos. Karten, für die man keinen persönlichen Verwendungszweck sieht, lassen sich dabei wieder für Ingame-Währung verkaufen. Allerdings sollte man dabei immer den vermerkten Seltenheitswert und den Bonusmultiplikator bedenken. Auch lassen sich manche Karten nur einmal,
andere dagegen mehrmals verwenden. Nett: Twitch-Übertragungen wurde erneut eine interaktive Komponente verpasst, so dass Zuschauer hier per Abstimmung Expeditionskarten bestimmen und dadurch den Spielverlauf beeinflussen können.Im Modus Punktangriff zählen vor allem Geschwindigkeit und Kombozähler, wenn man sich erneut in vorher festgelegte Kampagnen-Abschnitte stürzt und neben dem Erledigen von Feinden auch mit dem Abschluss von Laternen, Irrlichtern und dem Sammeln von Objekten den Punktezähler in die Höhe treibt. Bei der Kapitelwiederholung spielt man die Level ohne diesen Druck ein weiteres Mal und darf in der Elite-Variante sogar seine verbesserten Fähigkeiten und Ausrüstung mitnehmen. Eine Anreihung kleiner Mini-Missionen wartet im Modus „Widerstand der Verbliebenen“, in dem man u.a. Geiseln befreien, eine bestimmte Anzahl an Wölfen oder einen markierten Anführer der feindlichen Truppen ausschalten muss. Cool: Man darf dabei nicht nur Herausforderungen der Community meistern, sondern auch eigene Missionen mit bis zu fünf Aufträgen selbst gestalten und dabei z.B. Witterungsverhältnisse und Tageszeiten sowie eigene Expeditions-Karten einbringen. Damit es fair bleibt, müssen Spieler dieser Herausforderungen die geforderten Karten nicht selbst besitzen oder kaufen, um daran teilzunehmen. Sie werden nur bei der Erstellung eigener Missionen benötigt. Insgesamt empfinde ich die Expeditionen als eine nette Ergänzung, zumal die Mini-Herausforderungen hier besser aufgehoben scheinen, als in der Kampagne. Leider trifft man auch dort hin und wieder auf optionale Aufgaben nach dem Motto „Schieße zehn verteilte Zielscheiben ab“ oder „Finde fünf Glocken“, die im Rahmen der Geschichte aber mehr wie eine überflüssige Beschäftigungstherapie wirken und neben dem Sammelkram ebenfalls zur Überfrachtung beitragen.
Mission-Editor Light
Fazit
Rise of the Tomb Raider ist eine gelungene Fortsetzung des Reboots, die dank einer größeren Auswahl an atmosphärischen Gräbern und kleinen Rätseln inhaltlich wieder mehr für traditionelle Schatzsucher zu bieten hat. Darüber hinaus begeistert das jüngste Abenteuer von Lara Croft mit atemberaubenden Kulissen, gelungenen Tempowechseln, starken Sprechern und einer cineastischen Inszenierung, die von wuchtigen Soundeffekten und dynamischer Musikuntermalung gestützt wird. Leider wirkt die Hardware der Xbox One stellenweise überfordert und die Steuerung präsentiert sich nicht mehr so reaktionsfreudig wie im Vorgänger. Zudem fehlte Crystal Dynamics der Mut oder der Wille, stärker von der Reboot-Schablone abzuweichen und das Action-Adventure weiterzuentwickeln – auch wenn dies bedeutet, sich von Mechaniken zu verabschieden und alte Zöpfe abzuschneiden. Als Folge dessen wird die Spielwelt noch stärker mit Ressourcen-Sammelkram sowie Audio-Logs zugemüllt und wirkt zusammen mit dem überflüssigen Erfahrungs- und Fähigkeitensystem völlig überfrachtet. Weniger wäre mehr gewesen! Trotzdem ist Rise of the Tomb Raider insgesamt ein Fortschritt gegenüber dem Reboot, weil man sich trotz zu vieler Kämpfe gegen strunzdumme KI-Gegner und übermächtigen Fähigkeiten bei der Erkundung wieder stärker auf das konzentriert, was den Reiz und die Faszination als Grabräuber ausmacht.
Pro
- überwiegend fantastische Kulisse, gelungene Animationen und Haardarstellung...
- meist große Areale mit Erkundungsreizen
- abwechslungsreiche Schauplätze
- lebendige Spielwelt (dank ausgeprägter Fauna)
- umfangreiche Story-Kampagne
- nette Rätseleinlagen...
- gelungene Inszenierung
- visuelle Hinweise lassen sich optional abschalten...
- interessante Storyansätze mit Überraschungen und Wendungen...
- Bogen als starkes Allzweck-Werkzeug
- stärkerer Fokus auf Gräber und Erkundung inkl. Taucheinlagen
- mehr Stealth-Optionen
- unkompliziertes Crafting-System
- zahlreiche Verbesserungen für Waffen und Fähigkeiten
- großartige deutsche Sprecher
- starker Einstieg
- komfortables Schnellreisesystem
- faire Speicherpunkte
- Expeditionen für individuelle Herausforderungen & Online-Vergleiche
- stimmungsvoller und dynamischer Soundtrack
- gute Nutzung der Impulse-Trigger
- interessante & interaktive Twitch-Einbindung
Kontra
- ...aber hin und wieder zu Lasten der Bildrate, Schattendarstellung und Kantenglättung
- träge Steuerung (vor allem beim Zielen)
- KI weder clever noch besonders aufmerksam
- viel zu viel aufgedrängter und überfrachteter Sammelkram (Loot-Kisten)
- zu hohe Frequenz an Audio-Logs
- ...aber insgesamt zu anspruchslos
- ...die aber vorhersehbar sind
- überflüssiges, aufgesetztes und unlogisches Erfahrungssystem
- ...die ständigen EP
- und Freischalt-Einblendungen dagegen nicht
- Survival-Ansatz spielt kaum eine Rolle
- Syrien-Abschnitt zu kurz
- Lara wird in Kämpfen zu schnell zur übermächtigen Killerbraut
- gegen Ende zu häufig aufgezwungene Baller-Action und Gegnerwellen
- (optionale) Mikrotransaktionen bei Expeditions-Kartenpaketen
- mitunter geringe Zeichentiefe (Pop-ups / Fade-ins)