Amplitude - Test, Geschicklichkeit, PlayStation3, PlayStation2, PlayStation4

Amplitude
08.01.2016, Mathias Oertel

Test: Amplitude

Rhythmus-Vision 2.0?

Amplitude (ab 12,23€ bei kaufen)? Das gab es doch schon einmal, oder? Richtig: Ursprünglich wurde das Rhythmusspiel im Jahr 2003 auf der PlayStation 2 veröffentlicht. Zusammen mit dem Vorgänger Frequency hat es den Ruf eines Studios zementiert, das wie kaum ein anderes das Musikspiel prägte: Harmonix. Dank einer erfolgreichen Schwarmfinanzierung legt das Team aus Massachusetts seinen Klassiker neu auf.

Amplitude und der Vorgänger Frequency gelten als visionäre Meilensteine des Musikspiels. Unter anderem, weil man sich von dem Senso-Prinzip entfernt hat, mit dem z.B. PaRappa the Rappa oder Space Channel 5 die Spieler vor den Bildschirm lockten. Während man dort die nächste Tastenfolge angesagt bekam und dann nachspielen durfte, musste man bei den Premierentiteln von Harmonix die geforderten Tasten ad hoc zu den Noten drücken. Zudem musste man ständig die Spuren wechseln, die für die einzelnen Instrumente wie Drums, Gitarre, Keyboard, Gesang usw. der lizenzierten Tracks zuständig waren, wenn man das klangliche Gesamtbild der Songs genießen wollte.

Blick zurück im Glück

2003 war der visionäre Frequency-Nachfolger der Grundstein für den nachhaltigen Erfolg von Harmonix.
Timing war ebenso gefragt wie Rhythmusgefühl - vor allem, wenn man auf den höheren Schwierigkeitsgraden mithalten wollte, in denen die Finger nur so über die Schultertasten flogen Optional konnten auch die Standardknöpfe genutzt werden. Zum Glück lösten sich die jeweiligen Spuren temporär auf, wenn man über einen bestimmten Zeitraum alle Noten erwischte und man konnte Extras aufsammeln, mit denen man z.B. Spuren löschen konnte. Zudem waren Abmischung sowie die akustische Differenzierung der einzelnen Spuren schon damals fantastisch – was ebenfalls ein Kernmerkmal nahezu aller Spiele von Harmonix werden sollte. Schaffte man es nicht, die Spur abzuräumen, wurde das entsprechende Instrument nicht automatisch fortgesetzt und fehlte dementsprechend. Der Spieler nahm entscheidenden Einfluss auf den Klang der Songs.

Etwas mehr als zwölf Jahre sowie eine erfolgreiche Kickstarter-Kampagne später steht die Neuauflage in den Startlöchern, um die PS4-Musikfans an die Pads zu locken. Mechanisch hat sich grundlegend nichts verändert: Nach wie vor schwebt man mit einem futuristischen Gleiter in einer klar strukturierten Technowelt über die Tonspuren, um die Noten abzuschießen. Immer noch löst sich die mitunter verwundene Soundstraße nach einer erfolgreichen Kombo auf, damit man sich der nächsten Spur zuwenden kann. Leider kommt es in seltenen Fällen vor, dass die Gefälle und Steigungen zusammen mit den Kurven etwas spät zeigen, auf welcher Spur es weitergeht, so dass unnötige Hektik entsteht. Und weiterhin sind Taktgefühl, Timing und geschickter Einsatz der Specials gefragt, wenn man den Track in seiner akustischen Gesamtheit genießen sowie Höchstpunktzahlen erreichen möchte. Schafft man es nicht, die Noten oder einzelne Spuren abzuräumen, verliert man Energie, was schließlich zu einem Spielende führen kann - es sei denn, man rettet sich zum nächsten Kontrollpunkt, an dem die Energie wieder aufgefüllt wird.

Harmonix hat es immer noch drauf

Die Neuauflage möchte nicht nur mit einer Weiterentwicklung des Artdesigns, sondern einer Kampagne punkten, die als Konzeptalbum entwickelt wurde.
Neu ist, dass man sich aus ein paar futuristischen Raumgleitern seinen Favoriten auswählt, mit dem man auf Notenjagd geht. Die Unterschiede sind jedoch rein kosmetischer Natur. Ebenfalls neu ist die Musikauswahl. Die 26 Tracks des Originals waren allesamt lizenziert (u.a. Blink-182, David Bowie, Pink, Slipknot), wobei jedoch einige Songs speziell für das Spiel kreiert wurden. Hier sind mit gut 30 Songs zwar ein paar mehr vertreten, dafür jedoch ist ein Großteil davon eine Harmonix-Eigenproduktion. Mit Freezebob, die auch schon 2003 dabei waren, schafft man zwar eine Art historischen Schulterschluss. Und mit Danny Baranowskys "Crypteque (1-2)", das direkt aus Crypt of the NecroDancer stammt, nutzt man ebenfallseinen Lizenzsong, der jedoch wie fast alle Tracks irgendwie mit der Computerspiel-Industrie verbunden ist - ein anderer stammt z.B. von Insomniac Games. Das ist prinzipiell interessant und angenehm anders, doch im Gegenzug fehlt der Trackliste die Strahlkraft. Zudem ist sie für heutige Verhältnisse überschaubar. Sprich: Man hat relativ schnell alles erspielt. Und so gut und punktgenau die verfeinerte Mechanik auch heute noch funktioniert, merkt man ihr an, dass sie aus einer Frühphase der Rhythmusspiele stammt – das Überraschungsmoment fehlt. Schön: Man kann einen Modus freischalten, bei dem man wie in Frequency durch einen Tunnel rast, während man von Spur zu Spur wechselt. Das klaustrophobische Gefühl von damals stellt sich schnell wieder ein und setzt dem ohnehin hohen Anforderungsprofil die Krone auf.

Immerhin: Die größtenteils elektronischen Tracks mit ihren krachenden Beats, die häufig mehrere Drum-Spuren in Beschlag nehmen, haben mich als nicht unbedingt "electrophil" geltenden Musikfan mehr in den Bann gezogen, als ich nach den ersten zwei Liedern der 15 Songs umfassenden sowie als "Konzeptalbum" angelegten Kampagne gedacht hätte. Das Hauptziel besteht darin, einen komatösen Patienten mit Hilfe von Musik zu retten und aufzuwecken. So erfährt man zu Beginn jedes Songs über einen kurzen Dialog-Schnippsel immer wieder etwas Neues über die geheimnisvolle Person bzw. die Begleitumstände. Allerdings bleibt vieles kryptisch und wird auch nach dem Finale nicht aufgelöst, das nicht nur akustische Wahrnehmung und Rhythmik, sondern mit seinen wabernden Formen, Farbenspielen oder verwischenden Spuren auch die visuelle Koordination bzw. Aufnahmefähigkeit auf eine harte Probe stellt. Vier Schwierigkeitsgrade stehen zur Verfügung, wobei der Sprung zwischen dem zweiten und dritten erstaunlich hoch ist und das Potenzial hat, Spielern schnell die Grenzen aufzuzeigen, die die zweite Stufe gemeistert haben.

Musik-Therapie

Man kann nicht nur mit bis zu vier Spielern auf Punktejagd gehen, sondern auch in einem Tunnel wie in FreQuency Noten abschießen.
Wenn die Kampagne nur 15 Songs umfasst, wieso sind dann gut 30 dabei? Natürlich zum einen, um als Solist noch mehr Spaß zu haben, wobei man dennoch sehr schnell alles gesehen hat und sich ab diesem Punkt nur noch der Jagd nach Höchstpunktzahlen verschreiben kann. Zum anderen aber kann man bis zu drei Freunde dazu holen und wahlweise kooperativ oder gegeneinander (es sind auch Teams möglich) wie wild zwischen den Spuren springen, um sich oder seinem Team Punkte zu sichern. Und ja: Das ohnehin unter Dauerdynamik stehende Notenabschießen wird hier genau zu dem hektischen bzw. chaotischen Spektakel, nach dem es sich anhört. Dennoch macht es einen Heidenspaß und ist der größte Fortschritt, den Harmonix in der Neuauflage integrieren konnte.

Fazit

Für mich als Rhythmusspiel-Veteran kann die Neuauflage von Amplitude nicht mehr den Wow-Effekt hervorrufen, den ich noch vor etwas mehr als zwölf Jahren verspürt habe. Dafür ist in diesem Genre einfach zu viel passiert. Dass das Musikabenteuer dennoch von Anfang bis Ende Spaß macht, liegt an dem genial einfachen, dabei aber stets fordernden Spielprinzip. Gutes Design ist zeitlos und Amplitude ist dafür ein weiteres Beispiel. Mitunter verdecken die gewundenen Tonstraßen zwar den Einstieg für die nächste Spur, so dass man auf sehr gute Reaktionen angewiesen ist, doch dies schmälert den Unterhaltungswert kaum. Die als Konzeptalbum aufgezogene Kampagne ist gleichermaßen kryptisch wie interessant und legt mit ihren Electro-Beats den Grundton, der sich durch den gesamten Soundtrack zieht. Dass dieser weniger Bandbreite zeigt als im Original, ist bedauerlich, aber dafür ist die dymamische Soundausgabe qualitativ so hochwertig, wie man es von Harmonix gewohnt ist. Und als Kirsche auf der Sahne wartet ein manchmal hektischer, herrlich chaotischer Mehrspielermodus für bis zu vier Spieler, bei dem man sowohl kooperativ als auch gegeneinander den Noten nachjagen kann. Amplitude war bei seiner PS2-Premiere ein Meilenstein und hat in seiner runderneuten PS4-Auflage nur wenig von seiner Faszination eingebüßt.

Pro

  • kyrptische Kampagne als 15 Songs umfassendes Konzeptalbum
  • klar strukturiertes Design
  • bis zu vier Spieler lokal kooperativ oder kompetitiv (auch in Teams)...
  • Sound wird durch Aktionen des Spielers beeinflusst
  • optionaler FreQ-Modus mit dem "Tunnel" aus Frequency
  • sehr gute Kontroll-Abfrage
  • insgesamt gut 30 Tracks integriert

Kontra

  • happiger Sprung zwischen zweitem und dritten Schwierigkeitsgrad
  • Electro-Soundtrack ist nicht über alle Zweifel erhaben
  • ... Mehrspieler-Modus mitunter hektisch und chaotisch
  • hügelige bzw. kurvige Notenstraßen verdecken mitunter die nächsten Spuren

Wertung

PlayStation4

Gelungene Neuauflage eines Rhythmusspiel-Klassikers, bei dem die nach wie vor gute, aber in die Jahre gekommene Mechanik um einen Mehrspielermodus und eine Konzeptalbum-Kampagne ergänzt wurde.