Cobalt - Test, Action, 360, XboxOne, PC

Cobalt
12.02.2016, Jan Wöbbeking

Test: Cobalt

Dickschädel mit eigenem Kopf

Wie jetzt, ich soll mich ducken, um zu zielen? Eine Rolle machen, um Kugeln mit dem Dickschädel zurückzuschleudern? Wer das 2D-Gemetzel Cobalt startet, erlebt einige Überraschungen: Das von den Minecraft-Machern unterstützte Spiel besitzt ganz eigenwillige Regeln, welche auch uns im Test neue Taktiken abverlangten.

Es ist schon ein seltsames Gefühl, wenn man sich zum ersten mal in die Arena von Cobalt wagt. Erfahrungen aus anderen Plattform-Prüglern sollte man vorübergehend aus dem Muskelgedächtnis löschen, denn hier funktioniert alles ganz, ganz anders. Der Feind wird nicht mit dem rechten Stick, sondern automatisch angepeilt. Damit die Automatik aktiv wird, muss ich allerdings in die Hocke gehen. Oder schleichen. Oder den Stick nach oben drücken. Oder mein kleiner Roboter startet eine Rolle vorwärts und schießt im richtigen Moment stylish in die angepeilte Richtung und stößt dabei noch ein paar feindliche Kugeln zurück. Um die Verwirrung komplett zu machen, schaltet die Action immer wieder in Zeitlupe um. Klingt seltsam, oder? Genau so fühlt es sich zu Beginn auch an, doch nach einigen mühsamen Eingewöhnungs-Runden ermöglicht die sehr eigenwillige Handhabung coole Tricks und Manöver, die für zerbröselte Gegner und angenehme Adrenalinschübe sorgen.

Fast wie Fahrradfahren lernen

Willkommen in der Fremde!
Bis zu acht Spieler ballern, kloppen, springen und rollen durch die kleinen Arenen, um in kurzen Matches ihre Gegner oder Bots zu besiegen. Dazu kommen allerlei Kampf- und Akrobatik-Herausforderungen, die sich teils kooperativ angehen lassen sowie ein Story-Modus, in dem der kleine Cyborg-Protagonist das Rätsel um eine verlassene Kolonie im All lösen muss. Im Zentrum stehen aber die launigen kurzen Mehrspieler-Kämpfe, die sich sowohl lokal als auch online angehen lassen. Wenn man sich erst einmal an die Eigenheiten gewöhnt hat, kommt es zu spannenden Gefechten, die immer wieder von Patt-Situationen und schnellen Vorstößen geprägt werden.

So kann es vorkommen, dass ein Team unter einer kleinen Festung lauert, während das andere es von oben mit Granaten eindeckt. Wer wagt sich als nächstes durch den kleinen Tunnel am Rand und setzt geschickt seine Fähigkeiten ein? Granaten, Molotov-Cocktails & Co sind zwar tödlich und können nicht mit einer Rolle abgewehrt werden, lassen sich aber zurückboxen oder mit Gewehrkugeln ablenken. Außerdem hilft oft die Zeitlupe weiter, wenn dem eigenen Cyborg massenhaft Projektile entgegen schwirren. Sein Gehirn kann die Wahrnehmung derart verzerren, dass ihm alles ganz langsam vorkommt und er sich bequem unter dem Kugelhagel wegducken kann - oder das Chaos mit Sprüngen oder anderen akrobatischen Tricks umgeht. Aber Vorsicht: Blendgranaten setzen die "Bullet-Time" kurzzeitig außer Gefecht.

Verbissene Pattsituationen

Hier fliegen nicht nur die Fetzen: Auch die kleinen Cyborgs überbrücken mit federnden Füßen und Jetpacks große Lücken.
Ihr habt es sicher schon bemerkt: Es gibt fast für jede Angriffstaktik eine passende Antwort. Der Nachteil daran ist die mühsame und für Genre-Verhältnisse untypisch langwierige Lernphase. Andererseits sorgen die Experimente mit der Umgebung für Motivation. Ähnlich wie in Little Big Planet wirkt sich die Physik-Engine hier auf jedwedes Detail aus: Wie schnell die Kugel aus der Waffe fliegt, in welche Richtung der Cyborg-Dickkopf sie zurückschleudert und wie kräftig ein Bodenstampfer auf einen Gegner oder den den porösen Boden knallt, um ihn idealerweise zu durchbrechen.

Wer die simulierte Trägheit zu seinem Vorteil nutzen möchte, sollte sich mit den drei Grundkategorien der Attacken auseinandersetzen. Die erste sind Schläge mit Robofäusten, Eispickeln und anderen Hilfsmitteln, die zweite Fernkampfangriffe mit allerlei Pistolen, Plasma- und Sturmgewehren. Die dritte schließlich umfasst alles, was sich zum Gegner schleudern lässt, darunter die enorm nützlichen Blendgranaten, Bomben, futuristische Minen und sogar Eier, aus denen putzig flatternde Aliens schlüpfen, die als KI-Helfer prompt auf den Gegner einhacken.

Der Reiz der Trägheit

Auch eine Art Horde-Modus sorgt für Motivation: Nach jeder Runde investiert man das Bare in eine Vielzahl bizarrer Energiewaffen und anderer Totmacher.
Als Spielmodi stehen gewöhnliche Team-Deathmatches, KO-Runden, eine Art Handball und einige andere Varianten zur Wahl, die gut zur Action passen und sich in zahlreichen Feinheiten konfigurieren lassen, darunter Karten, das Waffenarsenal und Beitrittsregeln vor oder während einer Runde. Leider tummeln sich online nur wenige Gegner, so dass man in der Spielersuche oft mit zu erfahrenen Profis oder überforderten Anfängern Vorlieb nehmen muss. Schade, dass Entwickler Oxeye und Mojang sich neben dem Wust an Optionen nicht auch für übersichtlichere Standard-Modi mit einem motivierenden Fortschrittssystem entscheiden haben. So steht man also immer vor der Qual der Wahl und muss sich passende Mitspieler für die entsprechenden Modi zusammentrommeln. Für die Umsetzung auf Xbox One wurde übrigens das schwedische Team Fatshark beauftragt.

Wer genug vom schnellen Multiplayer-Gemetzel hat, kann sich in den Story-Modus stürzen, in dem sich der keine Cyborg nach einem Funkspruch auf den Weg zu einer verlassenen Weltraumkolonie macht. Die Menschen haben die Station verlassen und die Sicherheitssysteme spielen verrückt, so dass ich von Wachrobotern angegriffen werde. Auch die persönliche Vorgeschichte des Helden ist rätselhaft, weil seine Erinnerungen vor dem Einsatz gelöscht wurden. Ab und zu treffe ich allerdings auf gesprächige Aliens, welche in der fremden Welt herumwuseln und mir Hinweise auf die geheimnisvollen verstreuten Artefakte geben, die es zu sammeln gibt. Leider tickern die Dialoge nur durch kleine Textboxen, so dass die Geschichte beim Kämpfen und Entdecken in den Hintergrund tritt. Die Zeichnungen der Kulissen und außerirdischen Wesen wirken wie ein stilistisches Kuddelmuddel - oder wie unser Grafiker Ingo es ausdrückte: "Ich hätte echt nicht gedacht, dass all diese unterschiedlichen Bilder aus ein und demselben Spiel stammen". Eine Art Kampfhamster z.B. hat dicke Outlines wie in einem Comic verpasst bekommen. Andere Figuren besitzen derart kleinteilig gezeichnete Gesichtszüge, dass ich spontan die Augen zusammenkniff und mich kurz näher an den Bildschirm bewegte, um zu erkennen, was nun einen Mund, die Mütze oder etwas anderes darstellen soll.

Auf der Suche nach der Menschheit

Auf dem Weg zur verlassenen Kolonie.
Manch eine Rasenfläche wirkt realistisch flauschig, die Häuser daneben wiederum kahl und minimalistisch. Das Durcheinander erzeugt nicht gerade ein hübsches Gesamtbild, sorgt aber immerhin dafür, dass ich mich wie in fremden Welten fühle. Auch die ungewöhnlichen Melodien, elektronischen Klänge und kryptischen Formulierungen der Aliens unterstreichen die Entdecker-Stimmung.

Zwischen den Kämpfen bin ich wie in einem klassischen Action-Adventure auch in Alien-Siedlungen unterwegs. Hier sollte man bloß nicht versehentlich das Feuer eröffnen, sonst wird man schnell als Feind eingestuft. Ein versehentlich gezogenes Schwert dagegen sorgt beim lokalen Händler nur für ein paar gereizte Kommentare. Seltsam allerdings,dass ich direkt vor seinen Augen gemütlich das Lager aufbrechen und ausplündern kann. Auch während der Kämpfe verlieren erlegte Widersacher jede Menge Klimperkram, Geld und seltene Objekte. Die Suche nach dem Geheimnis um die verlassene Raumstation dreht sich vor allem um Kämpfe gegen Wachroboter. Zwischendurch muss auch der richtige Weg gefunden oder ein Schloss in einem Minispiel geknackt werden, doch meist turne ich in Zeitlupe um andere Blechbüchsen herum und zerlege sie mit Fäusten und meinem anwachsenden Arsenal. Im Raumschiff können die Gliedmaßen des Cyborgs zwischendurch ein wenig aufgemotzt werden.

Empfindliche Freunde?

Muckel hat schlechte Laune: Diese angriffslustigen Biester werden auch als Reittiere eingesetzt.
Das Abenteuer spielte bei der Entwicklung offenbar die zweite Geige, denn der Levelaufbau wirkt nur bedingt professionell. Mal kommt es zu knackigen Zweikämpfen, anderswo lassen sich die überrumpelten Aliens chancenlos niedermetzeln oder spawnen zu plötzlich neben dem Helden, so dass nur blitzschnelle Reflexe weiterhelfen. Als Abwechslung zu den Mehrspieler-Kämpfen schlägt sich der (auch zu zweit spielbare) Story-Modus aber recht passabel -€“ zumindest, wenn die Technik nicht dazwischenfunkt. Ab und zu ist mir das Spiel einfach komplett abgeschmiert, vor allem an Bord des eigenen Raumschiffs.

Deutlich besser gefallen haben mir die vielen Herausforderungen, die sich zum Teil auch kooperativ angehen lassen. In einer davon schleiche ich mich z.B. in eine kleine verschneite Planetenbasis, um Geiseln zu befreien. Natürlich wird Cobalt hier nicht zum Schleichspiel. Trotzdem hilft es, sich ruhig heranzuarbeiten, Überwachungskameras zu deaktivieren und die Wachen dann in kurzen schnellen Überfällen zu überraschen. Außerdem lässt sich oft die Umgebung nutzen: Als ich auf einer Anhöhe einen fetten Schneeball liegen sah, schlug ich ihn entzwei, kullerte ihn vor die Tür, lockte einen Wächter durch kurzes Öffnen herbei und überrollte schließlich drei Gegner, die nicht schnell genug über die frostige Kugel hüpfen konnten.

Fordernde Tests

Weeee: Dank der Physik-Engine lassen sich in den Wettrennen mit geschickten Bewegungen immer noch ein paar Sekunden herausholen.
Auch akrobatische Wettrennen und andere Disziplinen lassen sich in den Herausforderungen angehen, danach vergleicht man sich in den Bestenlisten mit Freunden und dem Rest der Welt. Vor dem Start stellen die Entwickler eine kleine Auswahl maßgeschneiderter Klassen zur Wahl, mit denen sich unterschiedliche Strategien austesten lassen. Ist diesmal die starke Energieschild-Panzerung am sinnvollsten oder der fast unsichtbare Schleicher mit aktiver Tarnung, den die Wachen nur in Bewegung erkennen können? Nutze ich rohe Gewalt oder locke ich die Feinde in einen verwinkelten Raum? Wer lieber auf die Schnelle seine Geschicklichkeit verbessern möchte, kann auch eine Reihe kurzer Wettrennen, Puzzles und Akrobatik-Parcours bestreiten. Nebenbei streicht man in allen Modi zusätzliche Medaillen und Erfolge ein, wen man z.B. zwei Gegner auf eine schlag erlegt oder andere Kunststückchen meistert.

Fazit

Wenn ich Cobalt mit einem Wort charakterisieren müsste, wäre es "seltsam". Entwickler Oxeye würfelt in seinem Jump-n-Run-Gemetzel derart viele Eigenheiten und ungewöhnliche Steuerungstechniken zusammen, dass es einige Stunden braucht, bis man sie wirklich verinnerlicht hat. Dann lassen sich in den lustigen Mehrspieler-Matches aber richtig coole Tricks abziehen und clevere Spielzüge starten. Schade, dass die Entwickler dabei ein wenig den Fokus aus den Augen verloren haben: Man kann eine Unmenge an Modi ausprobieren, Herausforderungen meistern und Belohnungen einsacken - es fehlt aber ein stringentes Fortschrittssystem, welches den Spieler motivierend durch diesen Wust leitet. Auch das Art-Design und der nur mäßig spannende Story-Modus hinterlassen einen wirren Eindruck, zumal letzterer gelegentlich unter Abstürzen leidet. Wer sich auf das Durcheinander einlässt, wird dank der sehr eigenwilligen Spielmechanik aber mit intensiven Duellen und Schießereien belohnt, die sich angenehm anders anfühlen als in den üblichen 2D-Keilereien.

Pro

  • intensives Mehrspielergemetzel mit eigenwilligen Mechaniken
  • Steuerungseigenheiten ermöglichen coole Tricks und Taktiken
  • zahlreiche Modi, Herausforderungen und Medaillen
  • Regeln und Mehrspieler-Details lassen sich bis ins Detail einstellen

Kontra

  • Steuerung und Besonderheiten benötigen lange Eingewöhnung
  • keine motivierende, klare Linie
  • Art-Design und Story-Modus wirken etwas wirr
  • gelegentliche Abstürze

Wertung

XboxOne

Spaßiges Mehrspielergemetzel mit angenehm eigenwilligen Mechaniken. Das Design von Kampagne, Zeichnungen und Menüs wirkt allerdings ziemlich wirr.

PC

Spaßiges Mehrspielergemetzel mit angenehm eigenwilligen Mechaniken. Das Design von Kampagne, Zeichnungen und Menüs wirkt allerdings ziemlich wirr.